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Trotz der ans Wunderbare grenzenden Hilfsmittel der Medizin und Chirurgie — Hilfsmittel, die in der ganzen zivilisierten Galaxis nicht ihresgleichen hatten — mußte es auch Fälle geben, wo Sektor 12 einmal für einen Patienten nichts tun konnte. In diesem Falle handelte es sich um einen Patienten der Klassifikation SRTT, einem physiologischen Typus, wie man ihn im Hospital noch nie gesehen hatte. Der Patient war von amöboider Art, besaß die Fähigkeit, Glieder, Sinnesorgane oder auch eine Schutzhaut „auszuströmen“, je nachdem, was er gerade für seine augenblickliche Umgebung benötigte. Er war so phantastisch anpassungsfähig, daß man sich wirklich nicht vorstellen konnte, wie ein solches Wesen je krank werden konnte.

Der verblüffende Aspekt des ganzen Falles war der völlige Mangel an Symptomen. Der Patient schmolz einfach — ganz ruhig, wie ein Stück Eis in einem warmen Raum. Diese Beschreibung traf den Zustand sehr gut, denn sein Körper löste sich tatsächlich in Wasser auf. Und bis jetzt war es noch niemand gelungen, diesen Prozeß aufzuhalten. Langsam begannen die Diagnostiker sich zu der traurigen Feststellung durchzuringen, daß die Reihe medizinischer Wunder, wie sie Sektor 12 bisher mit beinahe monotoner Regelmäßigkeit hervorgebracht hatte, nun abzureißen drohte.

Und einzig und allein aus diesem Grund wurde eine der striktesten Regeln des Hospitals zeitweilig aufgehoben.

„Ich glaube, am besten fangen wir ganz von vorne an“, sagte Dr. Conway, bemüht, die flimmernden und noch nicht ganz verkümmerten Flügel seines neuen Assistenten nicht anzustarren. „Beim Empfang.“

Conway wartete, ob der andere irgend etwas zu bemerken hatte, und ging dann weiter. Das heißt, er ging nicht neben seinem Begleiter, sondern zwei Meter vor ihm — nicht, um ihn zu beleidigen, sondern aus dem einfachen Grund, weil er Angst hatte, seinem Assistenten Schaden zuzufügen, wenn er näher an ihn herankam.

Der neue Assistent war ein GNLO, ein sechsbeiniges, insektenartiges Wesen mit einem Exoskelett und empathischen Fähigkeiten. Er stammte von dem Planeten Cinross. Die Schwerkraft seiner Heimatwelt betrug weniger als ein Zwölftel der Erdnorm, und darin lag auch der Grund, daß seine Insektenspezies so groß und zugleich die dominante Spezies werden konnte. Im Augenblick trug er zwei Antischwerkraftgürtel, um die Anziehungskraft zu neutralisieren, die ihn sonst zu Boden gerissen hätte.

Ein Antischwerkraftgürtel hätte für diesen Zweck natürlich ausgereicht, aber Conway konnte es dem Wesen nicht übelnehmen, daß es lieber sichergehen wollte. Es war ein spindeldürres, unglaublich zerbrechlich wirkendes Lebewesen, und sein Name war Dr. Prilicla.

„Es ist Ihnen natürlich klar“, sagte Conway, als er den GNLO zum Empfang führte, „daß es schon ein Problem für sich ist, einige unserer Patienten überhaupt hereinzubekommen. Bei den kleineren ist es ja nicht so schlimm, aber Tralthaner oder einen vierzig Fuß langen AUGL von Chalderescol…“ Conway unterbrach sich plötzlich und sagte: „Da sind wir.“

Durch eine große durchsichtige Wand konnte man einen Raum mit drei massiven Kontrollpulten sehen, von denen im Augenblick nur eines besetzt war. Das Wesen davor war ein Nidianer, und man konnte aus einer Gruppe flackernder Kontrollämpchen erkennen, daß es gerade Kontakt mit einem Schiff aufgenommen hatte, das sich dem Hospital näherte.

Conway sagte: „Hören Sie zu…“

„Identifizieren Sie sich bitte“, sagte der Teddybär mit seiner abgehackten, bellenden Sprache.

„Patient, Besucher oder Pflegepersonal und welche Spezies?“

„Besucher“, kam die Antwort. „Und Mensch.“

Wieder eine Pause und dann:

„Bitte Ihre physiologische Klassifikation.“ Der Nidianer blinzelte den beiden Ärzten zu. „Alle intelligenten Rassen bezeichnen ihre eigene Spezies als menschlich und betrachten alle anderen als nichtmenschlich. Es hat also überhaupt keinen Belang, wie sie sich nennen.“

Conway hörte den Rest der Unterhaltung nur noch mit einem Ohr und versuchte sich vorzustellen, wie ein Wesen mit dieser Klassifikation aussehen mußte. Das doppelte T bedeutete, daß sowohl seine Form als auch seine körperlichen Charakteristika variabel waren. R, daß es gegenüber Hitze und Druck, höchst unempfindlich war, und das S in dieser Verbindung…! Wenn er es nicht selbst gehört hätte, hätte Conway nie geglaubt, daß ein solches Wesen überhaupt existieren konnte.

Und der Besucher war allem Anschein nach eine wichtige Person, denn der Nidianer war im Augenblick fieberhaft damit beschäftigt, die Nachricht von der Ankunft des Besuchers verschiedenen Wesen im Hospital mitzuteilen — hauptsächlich Diagnostikern.

„Falls das keine Störung anderer wichtigerer Pflichten bedeutet“, meldete sich die ausdruckslose Stimme Priliclas, „würde ich diesen Besucher sehr gern sehen.“

Conway hätte das Insekt am liebsten umarmt, denn das deckte sich genau mit seinen Wünschen — nur, daß er sie seinem Assistenten gegenüber nie zugegeben hätte. So ließ er sich nichts anmerken, sondern sagte:

„Normalerweise könnte ich das nicht erlauben, aber da die Schleuse, wo der SRTT eintrifft, nicht weit von hier entfernt ist und wir noch etwas Zeit haben, ehe man uns in unseren Stationen erwartet, können wir Ihrer Neugierde nachgehen. Bitte folgen Sie mir, Doktor.“

Conway winkte dem Nidianer am Kontrollpult zu und dachte, wie gut es sei, daß ein Translator keinerlei Gefühlsregungen mit übersetzte. Und dann erstarrte er plötzlich in seiner Bewegung. Prilicla war ja ein Empath. Das Wesen hatte, seit es ihm vorgestellt worden war, noch nicht viel gesagt, aber was es gesagt hatte, hatte immer genau Conways Meinung entsprochen. Sein neuer Assistent war kein Telepath — er konnte nicht Gedanken lesen — aber er war gegenüber Gefühlen und Regungen empfindlich und war sich deshalb zweifellos Conways Neugierde bewußt gewesen.

Conway hätte sich am liebsten selbst einen Tritt verpaßt, weil er diese empathische Fähigkeit vergessen hatte. Nur gut, daß Prilicla wenigstens im Umgang angenehm war.

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