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Plötzlich wurde ihm der Name Bryson bewußt. Es war einer der Namen, die man ihm genannt hatte. O’Mara war der eine, und dieser Bryson…

Conway hatte noch niemand dieses Namens kennengelernt, und ein vorübergehender Tralthaner gab ihm entsprechend Auskunft. Conway kam nur bis zu der Tür mit der Aufschrift „Captain Bryson, Monitor-Korps, Kaplan“ und wandte sich sofort wieder wütend ab. Noch ein Monitor! Jetzt gab es nur noch eine Person, die ihm helfen konnte: Dr. Mannon. Den hätte er zuerst aufsuchen sollen.

Aber als Conway schließlich seinen Vorgesetzten fand, war dieser im LSVO-Operationssaal, wo er einem tralthanischen Diagnostiker-Chirurgen bei einer sehr schwierigen Aufgabe assistierte. Conway ging auf die Galerie, um auf Mannon zu warten.

Die LSVOs kamen von einem Planeten mit dichter Atmosphäre und lächerlich geringer Schwerkraft. Es handelt sich um eine geflügelte Lebensform von äußerster Zerbrechlichkeit. Das erforderte, daß der Operationssaal praktisch auf Null-Schwerkraft eingestellt wurde und daß die Chirurgen sich rings um den Tisch anschnallten. Der kleine OTSB, der in Symbiose mit dem elefantenartigen Tralthaner lebte, war nicht angeschnallt, aber einer der Sekundärtentakel seines Wirts hielt ihn über dem Operationstisch fest. Conway wußte, daß OTSBs den Verlust des physischen Kontakts mit ihren Wirten nicht länger als ein paar Minuten aushielten, ohne schweren geistigen Schaden zu erleiden. Trotz seiner Sorgen begann die Operation ihn zu interessieren.

Ein Teil des Verdauungstrakts des Patienten war freigelegt worden, und man konnte daran ein schwammiges bläuliches Gewächs erkennen. Ohne ein LSVO-Physiologieband konnte Conway nicht sagen, ob der Zustand des Patienten ernst war oder nicht, aber jedenfalls war die Operation in technischer Hinsicht schwierig. Das erkannte er an der Art und Weise, wie Mannon sich über den Patienten beugte und wie der Tralthaner seine nicht benötigten Tentakel anspannte. Der kleine OTSB mit seinem Gewirr von drahtdünnen Tentakeln, die mit Augen und Saugnäpfen bewachsen waren, verrichtete wie üblich die Detailarbeit — er sandte unendlich fein aufgeteilte visuelle Informationen an seinen riesigen Wirt und erhielt dementsprechende Anweisungen. Der Tralthaner und Dr. Mannon befaßten sich mit der vergleichsweise groben Arbeit, Blutgefäße abzubinden und Gefäße zu vernähen.

Dr. Mannon hatte wenig zu tun, die Hauptarbeit verrichteten die überempfindlichen Tentakel des tralthanischen Parasiten, aber Conway wußte, daß sein Vorgesetzter stolz darauf war, dabei zu sein. Kombinationen zwischen Tralthanern und OTSBs waren die größten Chirurgen, die die Galaxis je gekannt hatte.

Conway wartete, als sie aus dem Operationssaal kamen. Einer der Tentakel des Tralthaners klopfte Dr. Mannon auf den Kopf — eine Geste, die ein hohes Kompliment darstellte —, und unmittelbar darauf huschte ein kleines Bündel aus Fell und Zähnen hinter einem Schrank hervor und auf das große Wesen zu, das allem Anschein nach seinen Herrn und Meister angriff. Conway hatte diesem Spiel schon oft beigewohnt, und es kam ihm immer noch lächerlich vor. Mannons Hund kläffte die Kreatur, die hoch über ihm und seinem Meister aufragte, wütend an, als wolle er sie zu einem Duell herausfordern, und der Tralthaner zuckte in gespieltem Schrecken zurück und schrie:

„Rette mich vor diesem furchtbaren Ungeheuer!“ Der Hund, immer noch kläffend, umkreiste ihn, schnappte nach den lederartigen Hautlappen, die die sechs stämmigen Beine des Tralthaners schützten. Der Tralthaner flüchtete, wobei er immer wieder um Hilfe schrie und gleichzeitig sorgsam bemüht war, den winzigen Angreifer nicht unter seinen mächtigen Beinen zu zermalmen. Langsam entfernten sich die beiden Kämpfer.

Als sie verschwunden waren, sagte Conway:

„Doktor, ich wollte Sie fragen, ob Sie mir helfen können. Ich brauche einen Rat oder zumindest eine Information. Aber es ist eine recht delikate Angelegenheit…“

Conway sah, wie Dr. Mannons Augenbrauen sich hoben und ein Lächeln um seine Mundwinkel zuckte.

„Ich helfe Ihnen natürlich gern“, sagte der Arzt, „aber ich fürchte, im Augenblick würde Ihnen mein Rat nicht viel nützen.“ Er schnitt eine Grimasse und fuchtelte mit den Armen. „Im Augenblick habe ich nämlich noch ein LSVO-Band. Sie wissen ja, wie es ist — meine eine Hälfte glaubt, ich sei ein Vogel, und die andere ist etwas durcheinander. Aber was brauchen Sie denn für einen Rat?“ fuhr er fort und legte den Kopf in einer seltsam vogelartigen Geste etwas zur Seite. „Falls es sich um diese eigenartige Krankheit handelt, die man ›Liebe‹ nennt, oder sonst um eine psychologische Störung, würde ich vorschlagen, daß Sie zu O’Mara gehen.“

Conway schüttelte schnell den Kopf; jeder, nur O’Mara nicht! „Nein“, sagte er. „Es ist eher philosophischer Natur. Eine ethische Frage vielleicht…“

„Ach so!“ platzte Mannon heraus. Er wollte noch etwas sagen, runzelte dann aber die Stirn und deutete auf den Interkom an der Wand.

„Die Lösung auf Ihr schwerwiegendes Problem wird wohl oder übel warten müssen“, sagte er leise. „Man sucht Sie.“

„… Dr. Conway“, kam es blechern aus dem Interkom. „Gehen Sie auf Zimmer siebenundachtzig und verteilen Sie Anregungsspritzen…“

„Aber siebenundachtzig ist nicht einmal in unserer Abteilung!“ protestierte Conway. „Was geht hier vor…?“

Dr. Mannons Gesicht hatte sich plötzlich verfinstert. „Ich glaube, ich weiß es“, sagte er, „und ich rate Ihnen gut, heben Sie sich ein paar von diesen Spritzen für sich selbst auf, Sie werden sie brauchen.“ Er wandte sich abrupt ab und eilte davon, wobei er halblaut vor sich hinmurmelte, er müsse sein Band schnell löschen lassen, ehe jemand nach ihm rief.


Zimmer siebenundachtzig war der Ruheraum der Unfallabteilung, und als Conway eintraf, waren alle Tische, Stühle, ja sogar teilweise der Boden voll grün uniformierter Monitore, von denen einige nicht einmal mehr soviel Energie hatten, um den Kopf zu heben, als er eintrat.

Eine Gestalt stemmte sich mit äußerster Mühe aus einem Stuhl hoch und wankte auf ihn zu. Es war ein Monitor mit dem Rangabzeichen eines Majors an der Schulter und dem Äskulapstab am Kragenspiegel.

„Maximaldosis“, keuchte er. „Fangen Sie mit mir an.“ Er schälte sich mühsam aus seiner Uniform.

Conway sah sich im Raum um. Es mußten mindestens hundert sein, und alle befanden sich im Zustand äußerster Erschöpfung. Ihre Gesichter waren von fahlgrauer Farbe.

Conway war immer noch nicht gerade gut auf das Monitor-Korps zu sprechen, aber das hier waren schließlich Patienten, und seine Pflicht war klar.

„Als Arzt rate ich entschieden ab“, sagte Conway ernst. „Es ist deutlich zu sehen, daß Sie schon Spritzen bekommen haben — viel zu viele sogar. Was Sie brauchen, ist Schlaf.“

„Schlaf?“ sagte irgendwo eine Stimme. „Was ist das denn?“

„Ruhig, Teirnan“, sagte der Major müde, und dann zu Conway gewandt: „Als Arzt ist mir das Risiko natürlich klar. Ich schlage vor, daß wir keine Zeit mehr verschwenden.“

Conway teilte schnell und geschickt seine Spritzen aus. Müde Männer mit stumpfen Augen reihten sich vor ihm auf und verließen fünf Minuten darauf mit glänzenden Augen und federnden Schritten den Raum. Er war gerade fertig, als er erneut seinen Namen im Interkom hörte. Diesmal sollte er sich nach Schleuse sechs begeben und dort auf weitere Anweisungen warten.

Schleuse sechs, das wußte Conway, war einer der Hilfseingänge der Unfallstation.

Während er dem neuen Ziel zueilte, stellte Conway plötzlich fest, daß er müde und hungrig war, aber er hatte nicht viel Zeit, darüber nachzudenken. Der Interkom wies soeben sämtliche Junior-Internisten an, sich in der Unfallabteilung zu melden. Dann folgte dieselbe Durchsage in irgendeiner fremden Sprache, als die gleiche Anweisung einer anderen Spezies erteilt wurde.

Offensichtlich hatte man in der Unfallabteilung alle Hände voll zu tun. Aber weshalb und woher kamen all die Verletzten? Conway hatte darauf keine Antwort.

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