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Bei Schleuse sechs verhandelte ein tralthanischer Diagnostiker mit zwei Monitoren. Conway empfand geradezu Wut, das höchste und die niedrigsten Wesen so dicht beieinander zu sehen, und tröstete sich dann mit dem Gedanken, daß er in dieser Station überhaupt nichts mehr verstand. Neben dem Bildschirm der Schleuse standen zwei weitere Uniformierte.

„Hallo, Doktor“, begrüßte ihn einer freundlich.

Er deutete mit einer Kopfbewegung auf den Bildschirm. „Bei Schleuse acht, neun und elf laden sie aus. Wir kriegen gleich unsere Zuteilung.“

Auf dem Bildschirm spielte sich eine eigenartige Szene ab: Conway hatte noch nie so viele Schiffe auf einmal gesehen. Mehr als dreißig schlanke silberne Nadeln von der Zehn-Mann-Jacht bis zu den riesenhaften Transportern des Monitor-Korps kreisten langsam umeinander, während sie auf die Schleusengenehmigung warteten.

„Ein kompliziertes Geschäft“, stellte der Monitor fest.

Conway gab ihm recht. Die Abstoßfelder, die die Schiffe gegen Kollisionen mit den verschiedenen Arten kosmischen Abfalls schützten, erforderten eine Menge Raum. Meteoritenschirme mußten mindestens fünf Meilen vom Schiff entfernt wirken, wenn sie große und kleine Himmelskörper erfolgreich ablenken sollten — und bei größeren Schiffen noch viel weiter. Aber die Schiffe draußen waren höchstens ein paar hundert Meter voneinander entfernt und besaßen keinerlei Kollisionsschutz außer dem Geschick ihrer Piloten.

Aber Conway hatte wenig Zeit, sich dem interessanten Schauspiel zu widmen. Gerade kamen drei Internisten von der Erde. Zwei DBGDs mit ihrem charakteristischen roten Pelz und ein raupenartiger DBLF folgten ihnen. Alle trugen medizinische Abzeichen. Dann war ein Scharren von Metall auf Metall zu hören. Die Kontrollampen der Schleuse wechselten von rot auf grün und zeigten damit an, daß ein Schiff ordnungsgemäß angeschlossen war. Und jetzt strömten die Patienten herein.

Sie wurden von Monitoren auf Bahren getragen, und es handelte sich nur um zwei Arten: DBGDs vom erdmenschlichen Typ und DBLF-Raupen.

Conways Aufgabe und die der anderen anwesenden Ärzte war, sie zu untersuchen und sie an die richtige Abteilung der Unfallstation zur eigentlichen Behandlung weiterzuleiten. Er machte sich an die Arbeit, wobei ihn ein Monitor unterstützte, der alle Attribute eines geübten Pflegers besaß. Er stellte sich als Williamson vor.

Der Anblick des ersten Patienten verursachte in Conway einen Schock — nicht wegen der Schwere, sondern wegen der Art der Verletzung. Beim dritten Patient hielt Conway inne, so daß ihn sein Monitorassistent fragend ansah.

„Was war das für ein Unfall?“ platzte Conway heraus. „Mehrfache Punktierungen, aber die Wundränder ausgebrannt. Das sieht mehr nach einer Explosion aus. Wie…?“

Der Monitor sah sich zuerst vorsichtig um, ehe er antwortete.

„Wir haben natürlich nichts darüber verlauten lassen, aber ich hatte gedacht, zumindest das Gerücht wäre bekannt.“ Er preßte die Lippen zusammen und hatte jetzt den Gesichtsausdruck, der nach Conways Meinung für alle Angehörigen des Monitor-Korps charakteristisch war. „Sie wollten Krieg spielen“, fuhr der andere fort und deutete mit einer Kopfbewegung auf die Erdmenschen und DBLFs rings um sie. „Ich fürchte, die Sache ist etwas zu weit gegangen, ehe wir uns einschalten konnten.“

Ein Krieg! dachte Conway. Menschliche Wesen von der Erde oder einem von der Erde kolonisierten Planeten, die versuchten, Angehörige der Spezies zu töten, die mit ihnen so viel gemeinsam hatten. Er hatte gehört, daß es gelegentlich so etwas gab, aber er hatte nie geglaubt, daß eine intelligente Spezies wirklich so den Verstand verlieren konnte. So viele Verletzte!

Dann erhob sich plötzlich ein paar Meter rechts von ihm Stimmengewirr. Ein menschlicher Patient wehrte sich gegen den DBLF-Internisten, der ihn untersuchen wollte, und bediente sich dabei nicht gerade feiner Ausdrücke. Der DBLF sah sich hilfesuchend und verstört um, aber das blieb dem Menschen, der seinen Gesichtsausdruck nicht zu deuten vermochte, natürlich verschlossen.

Williamson brachte die Angelegenheit sofort ins reine. Mit zwei langen Schritten stürmte er zu dem laut protestierenden Patienten und beugte sich vor, bis ihre Gesichter nur ein paar Zentimeter voneinander entfernt waren. Dann redete er mit leiser Stimme, aber dennoch mit einer Stimme, die Conway Schauder über den Rücken jagte, auf ihn ein.

„Hören Sie zu, Freundchen“, sagte er, „Sie wollen also nicht, daß einer von diesen stinkenden Kriechern Sie zusammenflickt, ja? Jetzt will ich Ihnen mal was sagen — und ich gebe Ihnen den guten Rat, daß Sie es sich merken: dieser Kriecher hier ist Arzt, und auf dieser Station gibt es keine Kriege. Ihr gehört alle der gleichen Armee an, und eure Uniform ist ein Nachthemd, also bleibt ruhig liegen, haltet den Mund und benehmt euch, sonst setzt’s was.“

Conway wandte sich wieder seiner Arbeit zu und beschloß, seine Ansicht über das Monitor-Korps zu revidieren. Dann beobachtete er wieder Williamson und wunderte sich. Dieser unermüdliche ruhige Mann mit den sicheren Händen — war das ein Mörder ohne Intelligenz und Moral? Es war schwer, sich dies vorzustellen. Und dann traf Conway eine Entscheidung. Es war eine sehr schwierige Entscheidung. Wenn er nicht aufpaßte, konnte es leicht sein, daß der Monitor wütend wurde und zuschlug.

O’Mara war unmöglich gewesen und Bryson und Mannon waren es aus verschiedenen Gründen auch, aber Williamson…

„Äh — äh — Williamson“, begann Conway zögernd und setzte dann schnell hinzu, „haben Sie schon jemand umgebracht?“

Der Monitor richtete sich plötzlich auf, und seine Lippen wirkten wie ein schmaler weißer Strich. Dann sagte er ausdruckslos:

„Eigentlich sollten Sie wissen, daß man einen Monitor so etwas nicht fragt, Doktor. Oder nicht?“ Er zögerte und schien den inneren Konflikt zu bemerken, der sich in Conway abspielte. Dann fragte er: „Was haben Sie denn, Doc?“

Conway wünschte verzweifelt, er hätte nie die Frage gestellt, aber jetzt war es zu spät. Zuerst stammelnd, dann jedoch zusammenhängender, begann er, über seine Ideale zu sprechen und über die Verwirrung, die er empfunden hatte, als er entdeckte, daß Sector General — ein Gebilde, das seine höchsten Ideale verkörperte — einen Monitor als Chefpsychologen hatte und wahrscheinlich andere Angehörige des Korps in verantwortlichen Positionen. Conway wußte jetzt, daß das Korps nicht an sich schlecht war, daß Angehörige seiner medizinischen Abteilung ihnen zu Hilfe geschickt worden waren. Aber trotzdem…!

„Jetzt werde ich Ihnen noch einen Schock verpassen“, sagte Williamson trocken, „indem ich Ihnen nämlich etwas sage, was so allgemein bekannt ist, daß niemand mehr daran denkt. Dr. Lister, der Direktor, gehört auch dem Monitor-Korps an.

Er trägt natürlich keine Uniform“, fügte er schnell hinzu, „weil Diagnostiker manchmal in kleinen Dingen ungenau werden. Und das Korps hat etwas gegen nicht ordentlich getragene Uniformen, sogar bei einem Oberstleutnant.“

„Lister, ein Monitor! Aber warum?“ platzte Conway heraus. „Jeder weiß doch, was sie sind. Wie haben sie hier denn die Macht ergriffen…?“

„Das weiß anscheinend niemand“, unterbrach ihn Williamson, „Sie jedenfalls nicht.“

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