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Bei Abschluß der nächsten Fütterung sprühte O’Mara die blauen Flecken sorgfältig sauber, aber der junge FROB schlug immer noch wütend nach sich selbst und zitterte, daß einem beim Zusehen Angst werden konnte. Wie ein Elefant mit sechs wütend herumfuchtelnden Rüsseln, dachte O’Mara und konsultierte das Buch noch einmal, aber der Autor bestand immer noch darauf, daß die Krankheit unter normalen Bedingungen harmlos und von kurzer Dauer war und daß die beste Behandlung darin bestand, dafür zu sorgen, daß die Flecken rein blieben.

Man hatte schon seinen Ärger mit den Kindern, dachte O’Mara.

Aber dieses Rumoren und Toben konnte doch nicht richtig sein. Vielleicht kratzte sich der Kleine nur aus reiner Gewohnheit, wenn das auch, seiner Hartnäckigkeit nach zu schließen, zweifelhaft war. O’Mara wollte versuchen, ihn abzulenken. Er wählte ein Fünfzig-Pfund-Gewicht und zog es mit Hilfe seiner Apparatur an die Decke. Dann hob und senkte er es rhythmisch über der Stelle, von der er festgestellt hatte, daß sie dem Kleinen die meiste Freude bereitete — einer Stelle etwa einen Meter hinter der harten, durchsichtigen Membrane, die seine Augen schützte. Ein Fünfzig-Pfund-Gewicht, das aus einer Höhe von anderthalb Meter stürzte, war für einen Hudlarer gerade ein freundlicher Klaps.

Tatsächlich ließ die Wildheit des FROB jetzt nach — aber nur, solange O’Mara seine Klapse austeilte. Dann begann der ganze Zirkus von neuem. Einmal wäre der Kleine beinahe ins Wohnzimmer entwichen. Nur der Umstand, daß er zu groß war, um durch die Tür zu kommen, hinderte ihn daran. Bis zu diesem Augenblick war es O’Mara nicht bewußt gewesen, wie stark der FROB in fünf Wochen zugenommen hatte.

Schließlich zwang ihn die Müdigkeit zum Aufgeben. Er ließ den FROB in der Schlafkammer weitertoben und warf sich draußen auf die Couch, um nachzudenken.

Nach dem Buch müßten jetzt die blauen Flecken anfangen zu verblassen. Aber das taten sie nicht — sie hatten jetzt die Höchstzahl von zwölf erreicht und waren anstatt achtzehn oder weniger Zoll mindestens doppelt so groß. Sie waren so groß, daß bei der nächsten Fütterung die Absorptionsfläche des FROB auf die Hälfte zusammengeschrumpft sein würde, und das bedeutete, daß er zu wenig Nahrung bekommen und dadurch schwächer werden würde.

Das Tuten eines Nebelhorns riß ihn aus seinen Gedanken. O’Mara hatte Erfahrung genug, um an diesem Laut zu erkennen, daß der Kleine Angst hatte, und die Tatsache, daß das Geräusch nicht die gewohnte Lautstärke hatte, verriet ihm, daß er auch anfing, schwächer zu werden.

Er brauchte dringend Hilfe, aber O’Mara bezweifelte, ob es jemand gab, der helfen konnte. Caxton zu unterrichten, würde sinnlos sein — der Abschnittsleiter würde nur Pelling rufen, und Pelling verstand noch weniger von hudlarischen Kindern als O’Mara, der sich die letzten fünf Wochen auf diesen Gegenstand spezialisiert hatte. Und hinzu kam noch, daß Caxton O’Mara nicht leiden konnte. Niemand konnte O’Mara leiden.

Aber mit diesem Gedanken kam er nicht weiter. Die Lösung seiner eigenen Probleme bestand — wenigstens teilweise — darin, daß er sich als verantwortungsbewußt, geduldig, freundlich erwies und zugleich den Beweis lieferte, daß er die verschiedenen anderen Attribute besaß, die von anderen Menschen respektiert wurden. Und dazu mußte er zuerst zeigen, daß man ihm die Sorge für ein Baby anvertrauen konnte.

Er fragte sich plötzlich, ob der Monitor helfen konnte. Nicht persönlich; man konnte von einem Psycho-Offizier des Korps kaum erwarten, daß er die Krankheiten hudlarischer Kinder kannte, aber dafür stand eine große Organisation hinter ihm. Als Polizei der Galaxis, Mädchen für alles und höchste Autorität schlechthin, würde das Monitor-Korps binnen kurzem ein Wesen finden, das die nötigen Antworten kannte. Aber dieses Wesen wiederum würde beinahe sicher auf Hudlar selbst gefunden werden, und die Behörden dort wußten bereits, in welcher Lage sich die kleine Waise befand. Wahrscheinlich war schon seit Wochen Hilfe unterwegs. Zweifellos jedenfalls würde sie früher kommen, als ein Monitor sie bringen konnte. Vielleicht sogar noch rechtzeitig, um das Baby zu retten. Aber vielleicht auch nicht.

Das Problem lag immer noch bei O’Mara.

Die einzigen Vorschläge, die das Buch hatte machen können, waren Ruhe, peinliche Sauberkeit und sonst nichts gewesen. Wirklich, sonst nichts? Vielleicht steckte irgendeine unausgesprochene Voraussetzung dahinter. Die Hauptschwierigkeit war natürlich, daß der in Frage stehende Patient zur Zeit der Krankheit auf seinem Heimatplaneten lebte. Unter gewöhnlichen Umständen wie diesen war die Krankheit vermutlich harmlos und nur von kurzer Dauer.

Aber O’Maras Schlafzimmer war für ein hudlarisches Baby alles andere als „normale Bedingungen“.

Und dieser Gedanke brachte ihm die Antwort. Wenn es nur nicht zu spät war! O’Mara stieß sich von der Couch ab und rannte zum Schrank mit den Raumanzügen. Er kletterte gerade in das schwere Modell, als der Interkom summte.

„O’Mara“, knurrte Caxtons Stimme, als er sich meldete, „der Monitor möchte Sie sprechen. Er hätte eigentlich erst morgen kommen sollen, aber…“

„Vielen Dank, Mr. Caxton“, mischte sich eine ruhige, kräftige Stimme ein. Dann folgte eine Pause und dann:

„Mein Name ist Craythorne, Mr. O’Mara. Ich hatte Sie eigentlich morgen sprechen wollen, wie Sie wissen, aber ich bin mit einer anderen Arbeit früher fertig geworden und habe jetzt Zeit für ein vorläufiges, kurzes Gespräch…“

Eine dümmere Zeit hättest du dir auch nicht ausdenken können, dachte O’Mara wütend. Er streifte sich den Anzug vollends über, ließ aber die Handschuhe und den Helm liegen. Dann hantierte er an der Platte, die die Schaltung für die Luftzufuhr abdeckte.

„… offen gestanden“, fuhr die leise Stimme des Monitors fort, „ist Ihr Fall für meine Arbeit hier sehr interessant. Meine Aufgabe ist es, für die Unterbringung der verschiedenen Lebensformen zu sorgen, die in Kürze als Personal für dieses Hospital eintreffen werden. Es gibt da eine Menge von Details, die zu beachten sind, aber im Augenblick bin ich frei. Und ich bin neugierig auf Sie, O’Mara. Ich möchte Ihnen Fragen stellen.“

Ein raffinierter Bursche, dachte O’Mara. Gleichzeitig stellte er fest, daß die Luftzufuhr so eingestellt war, wie er es sich gewünscht hatte. Er ließ die Deckplatte lose hängen und hob eine Bodenplatte auf, um an das Schwerkraftgitter zu gelangen. Etwas abwesend meinte er:

„Sie müssen entschuldigen, wenn ich während des Redens weiterarbeite. Caxton kann Ihnen erklären…“

„Ich habe ihm schon von dem Kleinen erzählt“, unterbrach ihn Caxton, „und wenn Sie sich einbilden, daß Sie ihm etwas vormachen können, wenn Sie jetzt die besorgte Mutter spielen…!“

„Ich verstehe“, sagte der Monitor. „Ich möchte auch sagen, daß es beinahe grausam ist, Sie zu zwingen, mit einem FROB-Säugling zu leben, und daß man Ihnen für das, was Sie die letzten fünf Wochen mitmachen mußten, zehn Jahre von Ihrer Strafe abziehen sollte — natürlich nur in dem Fall, daß man Sie schuldig findet. Und jetzt würde ich vorschlagen, daß wir die Kamera einschalten. Ich finde, es ist immer besser, wenn man seinen Gesprächspartner sieht.“

Der Ruck, mit dem die Schwerkraftgitter von ein auf zwei G schalteten, überraschte O’Mara. Er stürzte. Ein erschreckter Aufschrei von seinem Pflegling im Nebenzimmer mußte das Gespräch, das er dabei verursachte, überdeckt haben, denn seine Gesprächspartner erwähnten nichts. Er stemmte sich mühsam hoch und blieb in Hockstellung sitzen.

Er mußte sich anstrengen, um nicht zu keuchen.

„Tut mir leid, meine Kamera funktioniert nicht.“

Der Monitor schwieg gerade lange genug, um O’Mara merken zu lassen, daß er die Lüge durchschaut hatte und im Augenblick nicht darauf einzugehen wünschte. Schließlich meinte er:

„Nun, dann können wenigstens Sie mich sehen.“ Und da leuchtete O’Maras Sichtplatte auf.

Er sah jetzt einen jungen Mann mit kurz geschorenem Haar, dessen Augen zwanzig Jahre älter als seine restlichen Züge schienen. Auf der adretten dunkelgrünen Uniform sah man die Schulterstücke eines Majors, der Kragenspiegel zeigte einen Äskulapstab. O’Mara dachte, daß er unter anderen Umständen den Mann sicher sympathisch gefunden hätte.

„Ich habe im Nebenzimmer zu tun“, log O’Mara wieder. „Ich bin in einer Minute zurück.“

Er begann damit, daß er den Antischwerkraftgürtel an seinem Anzug auf zwei G Abstoßung einstellte, wodurch normalerweise die Anziehung des Bodens genau ausgeschaltet werden würde, so daß er diese ohne zu große Strapazen auf vier G schalten konnte. Und dann konnte er den Gürtel auf drei G schalten und somit scheinbar unter der normalen Schwerkraft von ein G arbeiten.

Wenigstens hätte das so sein sollen.

Stattdessen produzierten der G-Gürtel oder die Bodengitter oder vielleicht sogar beide zusammen Halb-G-Schwingungen, und das ganze Zimmer spielte verrückt. Es war gerade, als säße man in einem Expreßlift, der beständig anfuhr und wieder stoppte. Die Frequenz der Gravitationswellen wurden rasch schneller, bis O’Mara so hin und her geschüttelt wurde, daß seine Zähne klapperten. Ehe er darauf reagieren konnte, kam eine neue noch gefährlichere Komplikation. Die Bodengitter arbeiteten nicht mehr im rechten Winkel zu ihrer Oberfläche, sondern wichen unregelmäßig von zehn bis dreißig Grad von der Vertikalen ab. Kein sturmgepeitschtes Schiff hatte je soviel Schlingern und Stampfen über sich ergehen lassen müssen. O’Mara taumelte, griff instinktiv nach der Couch, erreichte sie nicht und wurde gegen die Wand geschleudert. Die nächste Welle warf ihn gegen die gegenüberliegende Wand, bis es ihm gelang, den G-Gürtel auszuschalten.

Und dann beruhigte sich der Raum in einem gleichmäßigen Schwerefeld von zwei G.

„Dauert das lang?“ fragte der Monitor plötzlich.

O’Mara hatte den Major während der letzten hektischen Sekunden beinahe völlig vergessen. Er tat sein Bestes, um dafür zu sorgen, daß seine Stimme so natürlich wie möglich klang.

„Kann schon sein. Könnten Sie später anrufen?“

„Ich warte“, sagte der Monitor.

Die nächsten paar Minuten versuchte O’Mara, die blauen Flecken und Schrammen zu vergessen, die er trotz des Schutzes, den der schwere Raumanzug ihm gewährte, erlitten hatte. Er konzentrierte sich ganz darauf, mit heiler Haut aus diesem Dilemma herauszukommen. Und langsam begann er zu begreifen, was geschehen war.

Wenn zwei Antischwerkraftgeneratoren der gleichen Feldstärke und Frequenz dicht beieinander gebraucht wurden, entwickelte sich ein Interferenzfeld, das die Stärke beider Geräte beeinflußte. Die Gitter in O’Maras Quartier waren ausschließlich provisorischer Natur. Sie bezogen ihre Kraft aus einem Generator, der dem in seinem Anzug glich, wenn auch normalerweise ein Frequenzunterschied eingebaut war, um zu verhindern, daß solche Instabilitäten vorkamen. Aber O’Mara hatte in den vergangenen fünf Wochen dauernd an den Gitterschaltungen herumgespielt — genau genommen jedesmal, wenn der Kleine gebadet werden mußte — und damit hatte er vermutlich, ohne es zu wissen, die Frequenz geändert.

Er wußte nicht, was er falsch gemacht hatte, und es blieb auch nicht genug Zeit, um den Fehler zu reparieren, selbst wenn er gewußt hätte, wie das anzustellen war. So blieb ihm nur, vorsichtig seinen G-Gürtel wieder einzuschalten und langsam die Feldstärke zu steigern. Er las jetzt an der kleinen Skala an seinem Handgelenk dreiviertel G ab.

Vier G weniger dreiviertel gab etwas mehr als drei G. Es sah so aus, dachte O’Mara grimmig, als würde er die schwierigere Methode wählen müssen.

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