KAPITEL 8

Robin sah das Feuer schon von weitem. Die Dämmerung hatte eingesetzt, während sie sich dem Dorf näherte, und sie sah am Anfang nur einen winzigen roten Funken, wie ein düsterrotes Auge, das ihr aus der hereinbrechenden Dämmerung entgegenblinzelte. Schon nach wenigen Momenten aber änderte sich sowohl seine Farbe als auch seine Helligkeit, und dann wuchs der einzelne, rote Funke zu einem lodernden, weißgelben Flammenmeer, das rasend schnell um sich griff. Eines der Häuser am Ortsrand brannte.

Den Gedanken, der ihr praktisch sofort durch den Kopf schoß, ließ sie nicht zu. Es durfte einfach nicht ihr Haus sein. So grausam war das Schicksal nicht.

Das Pferd wurde von selbst schneller und änderte sogar die Richtung um eine Winzigkeit, um nun direkt auf das brennende Haus zuzuhalten - als hätte es noch nie davon gehört, daß Tiere eine angeborene Furcht vor Feuer hatten. Es war tatsächlich ein Schlachtroß und offensichtlich so gut trainiert, daß es wie von selbst den Weg ins Zentrum des Kampfes suchte, statt seinen angeborenen Reflexen zu gehorchen und davor zu fliehen. Robin mußte sich mittlerweile mit aller Gewalt in seiner Mähne festkrallen, um nicht runterzufallen.

Nach einigen weiteren Augenblicken wurde ihr klar, daß sie tatsächlich mitten in eine Schlacht hineinritt. Das Feuer hatte mittlerweile auf mindestens ein weiteres Haus übergegriffen, und Robin erkannte voller Entsetzen, daß eines davon tatsächlich das ihrer Mutter war. Sie hörte Schreie, das schrille Wiehern von Pferden und dumpfe, krachende Laute. Menschen rannten kopflos hin und her und wurden vor dem Hintergrund der brennenden Häuser zu schwarzen, sich hektisch bewegenden Scherenschnitten. Und Schreie, immer wieder Schreie; ein Laut, als schlüge Metall auf etwas Weiches, das unter dem Aufprall zerbrach.

Hitze und der Geruch von verkohltem Holz und brennendem Stroh schlugen ihr entgegen, als das Pferd ins Dorf hineinsprengte. Robin nahm nichts von dem schrecklichen Geschehen rings um sich herum wahr. Sie sah nur das brennende Haus am Ortsrand, mittlerweile schon eins von dreien, deren Dächer lichterloh in Flammen standen, und sie konnte an nichts anderes denken als daran, daß es ihr Haus war, ihres und das ihrer Mutter, und daß ihre Mutter nirgendwo zu sehen und vielleicht sogar noch dort drinnen in dieser Flammenhölle war.

Das Pferd begann nun doch zu scheuen. Robin zerrte kopflos an den Zügeln, machte dadurch alles aber nur noch schlimmer; das Tier schnaubte erschrocken und begann nervös auf der Stelle zu tänzeln. Robin versuchte nicht, es wieder in ihre Gewalt zu bekommen, sondern ließ sich ebenso hastig wie ungeschickt aus dem Sattel rutschen. Sie fiel prompt hin, rappelte sich aber sofort wieder hoch und stolperte auf das brennende Haus zu.

Obwohl sie noch zehn Schritte entfernt war, nahm ihr die Hitze bereits jetzt den Atem. Das gleißende Licht trieb ihr die Tränen in die Augen, so daß das Haus vor ihr zu verschwimmen schien, fast als betrachte sie nur seine Spiegelung auf einer bewegten Wasseroberfläche. Das niedrige Strohdach stand lichterloh in Flammen, und auch hinter der offenstehenden Tür und dem Fenster zuckte bereits grelles, unheilverkündendes Licht. Dort drinnen konnte niemand mehr leben.

Trotzdem taumelte sie weiter. Glühende Funken senkten sich auf sie herab, brannten kleine, rauchende Löcher in ihr Kleid und ihre Haut und versengten ihr Haar, und die Luft war so heiß, daß sie nicht mehr atmen konnte.

Sie wäre in den sicheren Tod gelaufen, hätten sich nicht plötzlich zwei starke Hände von hinten auf ihre Schultern gelegt und sie zurückgerissen. Robin schrie verzweifelt auf und begann um sich zu schlagen, aber der Mann, der sie gepackt hielt, war viel zu stark für sie. Mühelos zog er sie ein gutes Stück von den brennenden Häusern fort, drehte sie herum und schüttelte sie dann so heftig, daß ihr Kopf hin und her flog.

»Robin! Robin, um Gottes Willen! So beruhige dich doch!«

Robin begriff überhaupt erst jetzt, daß sie die ganze Zeit geschrien hatte. Sie verstummte zwar, wehrte sich aber trotzdem weiter mit aller Kraft gegen Geros Griff, bis der Müller schließlich ausholte und ihr kraftvoll mit dem Handrücken ins Gesicht schlug.

»Laß mich los!« schluchzte sie. »Bitte! Meine Mutter! Ich muß meine Mutter suchen!«

»Deine Mutter ist tot«, sagte Gero hart. »Genau wie viele andere! Und wir werden es auch bald sein, wenn wir nicht verschwinden!«

»Tot?!« Robin starrte Gero aus aufgerissenen Augen an. Sie sah erst jetzt, daß er verletzt war. Er blutete aus einer üblen Schnittwunde im Gesicht, und auch auf seiner Hand war ein häßlicher, roter Fleck, der so schnell größer wurde, daß man dabei zusehen konnte.

»Tot?« murmelte sie noch einmal, ebenso hilf- wie verständnislos. Zum ersten Mal sah sie sich wirklich um, statt nur Augen für ihr brennendes Haus zu haben. Nicht nur das Haus ihrer Mutter und die beiden benachbarten Gebäude standen in Flammen, auch aus einigen anderen Dächern stieg bereits grauer Rauch, und hier und da sah sie bereits erste, noch winzige Flämmchen. Niemand versuchte zu löschen, aber dafür gewahrte sie zuerst eine, dann zwei und schließlich sogar viele reglose Gestalten, die in ihrem Blut auf dem Boden lagen. Und jetzt, schlagartig, fielen ihr auch wieder die Bilder und Geräusche ein, die sie bei ihrer Annäherung an das Dorf so aufgeschreckt hatten.

»Die Templer«, antwortete Gero gepreßt. »Dieser verfluchte Abbé hat gelogen, um uns in Sicherheit zu wiegen. Aber jetzt sind sie zurück, und bei Gott, ich glaube, sie wollen das ganze Dorf auslöschen!« Er warf einen gehetzten Blick über die Schulter zurück. »Wir brauchen ein Versteck!«

Er ließ endlich Robins Arme los und wollte aufstehen, aber seine Kraft reichte nicht mehr. Mit einem schmerzerfüllten Keuchen fiel er auf die Knie zurück und preßte beide Hände gegen den Leib. Robin stellte entsetzt fest, um wie vieles größer der Blutfleck auf seiner Hand in den wenigen Augenblicken geworden war, die sie miteinander geredet hatten.

»Was ist los mit dir?« fragte sie erschrocken. »Was hat du? Gero!«

»Lauf weg!« stöhnte Gero. »Für mich ist es zu spät, aber du ... kannst noch entkommen. Sie bringen ... alle um!«

Aber vielleicht war es auch für sie schon zu spät. Robin sah hoch und schrie vor Schrecken, als sie einen der Tempelritter genau auf sich zuspringen sah. Sie wußte nicht, welcher es war, denn sein Gesicht verbarg sich nun hinter dem kreuzförmigen Schlitz eines wuchtigen Topfhelms, aber sie erkannte ihn eindeutig als einen der vier, die sie hinter der Kapelle beobachtet hatte. Er hatte sich im Sattel weit nach vorne und zur Seite gebeugt und galoppierte direkt auf Gero und sie zu. In der rechten Hand schwang er einen gewaltigen, dreikugeligen Morgenstern.

»Lauf!« schrie Gero. Er versetzte ihr einen Stoß, sprang gleichzeitig in die Höhe und rannte dem Ritter schreiend entgegen. Der Templer machte eine fast beiläufige Bewegung mit dem Morgenstern, und eine der drei wuchtigen Eisenkugeln traf Geros Stirn und tötete ihn auf der Stelle.

Robin stand da wie gelähmt. Gero hatte sein Leben geopfert, um sie zu retten, aber sie stand einfach nur da und starrte die riesige weiße und rote und silberne Gestalt an, die auf sie zugerast kam und ihren Morgenstern zu einem weiteren, tödlichen Hieb schwang. Sie hatte nicht einmal Angst. Sie hoffte nur, daß es schnell gehen würde.

Plötzlich aber spie die Dunkelheit einen weiteren Reiter aus. Ohne zu zögern, lenkte er sein Tier zwischen Robin und den herangaloppierenden Tempelritter, riß seinen Schild in die Höhe und fing den heruntersausenden Morgenstern damit ab. Die Wucht des Hiebes war so gewaltig, daß der Reiter fast aus dem Sattel geworfen wurde und sein Pferd mit einem schrillen Wiehern auf die Hinterläufe stieg. Trotzdem schlug er fast gleichzeitig mit seinem eigenen Schwert zu. Funken stoben auf. Der Hieb war aus seiner unglücklichen Position heraus schlecht gezielt und mit zu wenig Kraft ausgeführt, und die Klinge prallte vom Kettenhemd des Tempelritters ab, ohne es zu durchdringen. Trotzdem ließ seine schiere Wucht den Tempelritter wanken. Er ließ seinen Morgenstern fallen und hatte für einen Moment Mühe, sein Pferd unter Kontrolle zu behalten.

Als er die Gewalt über sein Tier zurückerlangt hatte, hatte sich auch das Pferd des anderen Ritters wieder beruhigt. Der Schild des Mannes war unter dem Hieb des Morgensternes gerissen. Er schüttelte ihn ab, ergriff statt dessen sein Schwert mit beiden Händen und erwartete den Angriff des Tempelritters, der ebenfalls sein Schwert zog.

Der erwartete Angriff kam jedoch nicht, denn in diesem Moment tauchten zwei weitere Reiter aus der Nacht auf, und diese Übermacht schien selbst dem Templer zu groß zu sein, denn er riß sein Tier mit einer brutalen Bewegung herum und sprengte davon. Robin erwartete, daß die drei Reiter ihn auf der Stelle verfolgen würden, aber statt dessen drehte sich der, der zuerst aufgetaucht war, im Sattel herum und wandte sich an sie.

»Was um alles in der Welt geht hier vor?«

»Sie... sie sind tot«, murmelte Robin. »Meine Mutter. Carla und... und Gero. Sie haben sie ... alle erschlagen.«

»Sie?« Der Ritter deutete in die Richtung, in der der Templer verschwunden war. »Dieses verdammte Templerpack?«

Robin nickte. Sie konnte nicht antworten. Ihre Kehle war wie zugeschnürt. Obwohl das Helmvisier des Reiters geschlossen war, erkannte sie ihn sofort. Es war der Blonde - der gleiche Mann, der den vier Tempelrittern vorhin an der Kapelle Befehle erteilt hatte. Alles war gelogen.

Sie wurde Zeugin eines sorgsam in Szene gesetzten Theaterstücks, dessen Einsatz wirkliche Menschenleben waren und dessen Sinn sie mit jedem Moment weniger verstand. Aber es gab keinen Grund, Menschen zu töten. Es gab keinen Grund, ihre Mutter zu tötenl Sie hatte niemandem etwas getan.

Sie starrte den Ritter weiter wortlos und aus aufgerissenen Augen an, und natürlich deutete der Krieger ihren Blick falsch. »Hab keine Angst, Kind«, sagte er grimmig. »Wir werden dem ein Ende bereiten. Los!«

Das letzte Wort galt seinen beiden Begleitern, die daraufhin ihre Waffen zogen und zusammen mit ihm losgaloppierten. Es war noch nicht vorbei, dachte Robin benommen. Sie hatten noch nicht erreicht, was sie wollten. Noch mehr Tote. Noch mehr Zerstörung.

»Nein«, flüsterte sie mit tränenerstickter Stimme. »Aufhören. Hört doch... endlich auf!« Und dann schrie sie, so laut sie nur konnte: »Aufhören! Es ist alles Lügel« und rannte hinter den Reitern her, so schnell sie nur konnte.

Sie brauchte nicht lange, um sie einzuholen. Die vier Tempelritter hatten die gesamte Einwohnerschaft des Dorfes, die noch lebte, auf dem großen Platz in der Mitte zusammengetrieben. Sie sah, daß einige von ihnen verletzt waren, aber trotzdem machte sich für einen Moment eine wilde, verzweifelte Hoffnung in ihr breit. Vielleicht hatte sich Gero ja geirrt. Vielleicht hatten ihm Schmerzen und Feuerschein etwas vorgegaukelt, was nicht wahr war, und vielleicht -

Ihr Blick tastete verzweifelt über die Gesichter der Menschen, die sich angstvoll in der Mitte des Platzes zusammengedrängt hatten.

Ihre Mutter war nicht darunter.

Ein Gefühl furchtbarer Leere begann sich in ihr auszubreiten. Ihre Mutter war tot. Ihre beste Freundin war tot und so viele andere, die sie gekannt und geliebt hatte, und rings um sie herum ging die Welt, in der sie geboren und aufgewachsen war, in Flammen auf, aber sie empfand nichts von alledem, was sie erwartet hätte. Keinen Schmerz, keinen Zorn, nicht einmal Trauer. Sie fühlte nur Leere, eine schreckliche, kalte Betäubung, als wäre alles in ihr, was einmal menschlich gewesen war, in einem einzigen Moment gestorben. Beinahe teilnahmslos sah sie zu, was weiter geschah.

Was immer die Tempelritter mit den Dorfbewohnern vorgehabt hatten, sie kamen nicht mehr dazu, denn die drei anderen Reiter hatten ihre Tiere zwischen sie und ihre Opfer gelenkt und drohend die Waffen erhoben. Daß die Tempelritter nicht nur besser bewaffnet, sondern auch in der Überzahl waren, schien sie nicht zu beeindrucken.

»Was geht hier vor?« fragte der Blonde kalt. Obwohl seine Stimme nur dumpf unter dem geschlossenen Visier seines Helmes hervordrang, erkannte Robin sie zweifelsfrei wieder - ebenso wie die des Narbigen, als er in rüdem Ton antwortete:

»Nichts, was Euch anginge, Gernot von Elmstatt. Mischt Euch nicht in unsere Angelegenheiten!«

»Eure Angelegenheiten?« Robin glaubte Gernots hämisches Grinsen regelrecht zu hören. Plötzlich wußte sie auch, wieso ihr das Gesicht des blondgelockten Ritters so bekannt vorgekommen war. Sie hatte ihn tatsächlich noch nie gesehen, wohl aber seinen Vater, Gunthar von Elmstatt. Die Familienähnlichkeit war nicht zu übersehen.

»Eure Angelegenheiten?« fragte Gernot noch einmal, als er keine Antwort bekam, sondern die Tempelritter ihn nur schweigend anstarrten. »Ich glaube nicht, daß es sich um Eure Angelegenheiten handelt, Sire. Dieses Dorf gehört zum Lehen meines Vaters. Was gibt Euch das Recht, seine Bewohner zu erschlagen und seine Häuser anzuzünden?«

»Sie haben einen der unseren erschlagen!«

»Und das gibt Euch das Recht, mit Feuer und Schwert hierherzukommen und diese braven Leute abzuschlachten wie Vieh?« Gernot schüttelte wütend den Kopf. »Wenn diese Menschen ein Verbrechen begangen haben, dann wendet Euch an ihren Lehnsherren, meinen Vater - ihm allein obliegt es, Recht zu sprechen!«

»Es handelt sich um eine Angelegenheit der Kirche, nicht weltlicher Gerechtigkeit«, antwortete der Tempelritter kalt. »Ich sage es Euch nur noch ein einziges Mal, Gernot: Mischt Euch nicht ein, oder...«

»Oder?« fragte Gernot lauernd.

»Oder tragt die Konsequenzen«, führte der Templer seinen begonnenen Satz zu Ende.

Gernot wollte antworten, aber der Reiter zu seiner Linken kam ihm zuvor: »Ihr wagt es, meinen Bruder zu bedrohen?« fragte er wütend. »Was erdreistet Ihr Euch, Drohungen gegen einen von Elmstatt auszusprechen?«

Er wollte sein Schwert heben, aber sein Bruder legte ihm rasch und beruhigend die Hand auf den Unterarm und drückte die Waffe herunter. »Laß ihn, Gundolf«, sagte er. »Für einen Tag ist genug Blut geflossen. Sie werden gehen, und unser Vater soll entscheiden, was weiter geschieht.«

Der Tempelritter lachte böse. »Wie edel. Man könnte fast glauben, daß Euch dieses Bauernpack wirklich etwas bedeutet.«

»Ihr tätet besser daran, es zu glauben«, sagte Gernot drohend.

»Genug, um Euer Leben für sie einzusetzen?«

Gernot verstand die Herausforderung, und er nahm sie an. Er machte eine Geste zu seinen beiden Begleitern, die wohl bedeutete, daß sie sich nicht einmischen sollten, lenkte sein Pferd ein Stück zur Seite und hob herausfordernd sein Schwert.

Der Tempelritter griff, ohne zu zögern, an.

Obwohl der Platz für die beiden Pferde kaum ausreichte, um Anlauf zu nehmen, schien der Boden unter dem Zusammenprall der beiden gewaltigen Schlachtrosse zu erzittern. Funken stoben auf, als die Schwerter der beiden Ritter klirrend aufeinanderprallten. Sowohl Gernot als auch der Templer wankten in ihren Sätteln, drangen aber sofort wieder aufeinander ein. Es war ein Kampf der Giganten, aber er dauerte nicht lange. Gernot und der Tempelherr hatten im Grunde genug damit zu tun, ihre scheuenden Pferde im Zaum zu halten, und tauschten nun drei oder vier wuchtige Hiebe. Dann traf das Schwert des Tempelritters Gernots linken Oberarm und drang durch sein Kettenhemd.

Denk daran, ich will den Arm nach einer Weile wieder benutzen können.

Gernot schrie auf, ließ sein Schwert fallen und schlug die Hand gegen seinen verletzten Oberarm. Blut quoll in einem dicken, zähflüssigen Strom zwischen den Fingern seines Kettenhandschuhes hervor. Er stöhnte, wankte im Sattel und wäre um ein Haar vom Pferd gefallen. Der Schlag war wohl härter gewesen, als er erwartet hatte, oder der Schmerz schlimmer.

Für den Moment war er wehrlos, und wäre der Kampf echt gewesen, hätte der Tempelritter ihn jetzt ohne Probleme aus dem Sattel werfen können oder auch töten. Aber er verzichtete darauf, sondern ließ sein Schwert nur noch einmal wuchtig durch die Luft zischen, um die Klinge vom Blut zu befreien. Dann stieß er sie mit einem verächtlichen Lachen in die lederne Scheide zurück.

»Ihr seid ein tapferer Mann, Gernot von Elmstatt«, sagte er abfällig. »Aber dumm. Bleibt bei Eurem Bauernpack, wenn Ihr es doch so liebt. Ich schenke es Euch!«

Und damit streckte er blitzschnell den Arm aus und stieß Gernot die flache Hand mit solcher Wucht gegen die Brust, daß er rücklings aus dem Sattel kippte und schwer zu Boden fiel.

Gernot schrie auf und riß sein Schwert in die Höhe, aber der Templer drehte nur lachend sein Pferd herum und sprengte davon, und seine drei Begleiter folgten ihm nur einen Augenblick später.

»Bleibt hier!« schrie Gundolf. »Verdammte Feiglinge! Stellt euch zum Kampf!«

Aber die vier Tempelritter waren längst in der Dunkelheit verschwunden.

»Feiglinge!« heulte Gundolf noch einmal, hieb wütend mit seinem Schwert in die leere Luft und ließ die Zügel knallen, so daß sein Pferd sich mit einem erschrockenen Sprung in Bewegung setzte.

»Gundolf!« keuchte Gernot. »Nicht! Komm zurück! Komm zurück!«

Die beiden letzten Worte hatte er geschrien, doch sein Bruder hatte sie wahrscheinlich gar nicht mehr gehört. Die trommelnden Hufschläge seines Pferdes verklangen rasch in der Nacht, und Gernot richtete sich mit einem Fluch auf und zerrte sich den Helm vom Kopf. Sein Gesicht war schweißüberströmt, aber so bleich wie das eines Toten.

»Otto!« befahl er. »Hol diesen jungen Narren zurück, bevor er sich selbst umbringt!«

Gernots verbliebener Begleiter - auch er trug Kettenhemd, Schild und einen Helm mit geschlossenem Visier, das sein Gesicht vollkommen verbarg - stieß sein Schwert in den Gürtel zurück und ließ sein Pferd antraben. Gernot richtete sich keuchend weiter auf, machte einen taumelnden Schritt und wäre um ein Haar wieder gestürzt. Seine Augen waren trüb vor Schmerz, und als er die Hand herunternahm, konnte Robin die klaffende, bis auf die Knochen reichende Wunde in seinem Oberarm erkennen. Der vermeintliche Tempelritter hatte seine eigene Kraft wohl unterschätzt. Nur eine Winzigkeit mehr, und er hätte Gernot den Arm glatt abgehauen.

»Ein Tuch, Kind«, murmelte Gernot. »Bring mir ein Tuch. Und etwas zum... Abbinden.«

Robin starrte ihn an. Sie bewegte sich nicht, und sie empfand auch immer noch nichts. Sie hätte diesen Mann hassen sollen. Sie hätte ihn hassen müssen, denn er trug die Schuld am Tod ihrer Mutter und aller anderen. Wie viele ihrer Freunde waren an diesem Abend gestorben? Fünf? Zehn? Ja, sie hätte ihn hassen müssen, aber sie empfand noch immer rein gar nichts. In ihr war immer noch diese schreckliche, kalte Leere, die vielleicht nie wieder weichen würde.

Ihr Blick bohrte sich noch für die Dauer eines weiteren, schweren Herzschlages in den Gernots, dann drehte sie sich herum und ging langsam davon.

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