KAPITEL 29

Das Sonnenlicht streichelte ihre Haut wie eine warme, wohltuende Hand, und Robin mußte ein paarmal blinzeln, als eine leichte Windböe die Zweige über ihr bewegte, so daß die Sonne ihr direkt ins Gesicht schien. Sie fühlte sich... sonderbar, zugleich sehr aufgeregt wie auch schläfrig. Ihr Herz klopfte noch immer bis zum Hals, aber gleichzeitig fühlten sich ihre Glieder auf seltsam wohltuende Weise schwer an. Und sie war verwirrt, vollkommen und zutiefst verwirrt.

Neben ihr regte sich Salim. Sie hatten bestimmt eine halbe Stunde in vertrautem Schweigen nebeneinander im Gras gelegen. Als er sich jetzt aufsetzte, strich das Sonnenlicht über seine nackte Haut und verlieh ihr einen Herzschlag lang tatsächlich die Farbe von polierter Bronze. Er bewegte die Schultern, und Robin bewunderte das Spiel seiner Muskeln. Wie schön er war. Trotz seines schlanken Wuchses strahlte er eine Kraft aus, die sie beinahe körperlich spüren konnte, obwohl sie ihn im Moment nicht einmal berührte. Aber sie hatte es getan, und allein die Erinnerung daran ließ sie schon wieder erschauern. Ob sie die Berührung seiner starken Arme jemals wieder vergessen würde, und erst recht die seiner sanften, forschenden Hände, die sie zärtlich und an Stellen gestreichelt hatten, an die sie zuvor noch nicht einmal zu denken gewagt hätte?

Sie glaubte es nicht, und vor allem: Sie wollte es auch nicht, sondern wollte diese süßen Momente für alle Zeiten in ihrer Erinnerung aufbewahren wie einen unendlich kostbaren Schatz.

Salim lächelte, beugte sich zu ihr herab und küßte ihre Lippen, dann ihren Hals und schließlich ihre Brust. Robin schloß für einen Moment die Augen, aber dann richtete sie sich auf die Ellbogen auf und schob ihn mit - sehr - sanfter Gewalt von sich.

Salim sah sie fragend an; vielleicht auch ein bißchen enttäuscht. Er wirkte nicht verletzt oder gar verärgert, aber verwirrt: »Was ist los?« fragte er. »Hat es dir nicht gefallen? Ich habe dir doch nicht etwa weh getan?«

»Nein«, antwortete Robin hastig. »Es war wundervoll. Es ist nur...«

»Ich verstehe«, sagte Salim. Was garantiert nicht der Wahrheit entsprach, denn Robin verstand sich selbst nicht so recht. Vielleicht, weil sie sich ihrer eigenen Gefühle einfach nicht mehr sicher war.

Sie hatte die Wahrheit gesagt: Salim hatte ihr nicht weh getan, und es war wunderschön gewesen. Aber trotzdem wollte sie in diesem Moment nicht, daß er sie berührte. Gerade weil es so wunderschön gewesen war. Wenn er sie jetzt gleich wieder in die Arme schloß, dann würde er aus etwas Einmaligem und fast Heiligem etwas Alltägliches machen.

Und möglicherweise spürte Salim das auch, denn er küßte nur noch einmal ihre Augenbrauen - und sei es nur, um ihr zu zeigen, daß er entschied, wann es genug war und wann nicht -, dann richtete er sich wieder auf und griff nach seinem Mantel, und auch Robin drehte sich auf die Seite und streckte die Hand nach ihrer Kutte aus. Sie sah nicht einmal in seine Richtung, aber sie konnte spüren, wie sein Blick unverhohlen über ihren Körper glitt.

Seltsamerweise war es ihr beinahe unangenehm. Sehr viel schneller, als notwendig gewesen wäre, raffte sie die graue Kutte auf und schlüpfte hinein. Salim sah ihr schweigend dabei zu, und es war, als wäre der grobe Stoff für seine Augen gar nicht vorhanden. Sie hatte das Gefühl, noch immer nackt zu sein.

»Bedauerst du es?« fragte Salim unvermittelt.

»Was?«

»Daß du dich mir zum Geschenk gemacht hast«, antwortete Salim ernst. »Du weißt schon, daß du mir etwas gegeben hast, was kein anderer Mann auf der Welt noch einmal bekommen kann.«

»Geschenk? Ich habe eher das Gefühl, daß du es mir genommen hast«, antwortete Robin. Gleichzeitig fragte sie sich, warum sie das jetzt eigentlich gesagt hatte, denn es entsprach schlicht und einfach nicht der Wahrheit. Sie hatte es gewollt, auch wenn ihr das eigentlich jetzt erst richtig klar wurde. Wenn es einen Mann auf der Welt gab, dem sie dieses eine, kostbare Geschenk hatte machen wollen, dann hieß er Salim.

Er blickte sie traurig an, und sie spürte, diesmal hatte sie ihn verletzt. »Du ... bleibst nicht mehr lange hier, nicht wahr?« fuhr sie leise und mit stockender Stimme fort. »Ihr werdet weggehen. Abbé, Jeromé und die anderen, und du auch. Du hast es mir selbst gesagt.«

»In wenigen Wochen«, bestätigte Salim. »Du hast es nicht vergessen.«

»Und nun hast du etwas, das du nicht vergessen wirst«, sagte Robin. »Und ich auch nicht.« Sie wollte es nicht sagen. Sie versuchte mit aller Macht, die Worte zurückzuhalten, aber sie konnte es nicht, sondern fügte scheinbar unvermittelt hinzu: »Ich möchte nicht, daß du gehst.«

»Ich auch nicht«, antwortete Salim. Er sah sie noch einen Moment weiter auf diese sonderbare, für Robin nicht zu deutende Weise an, dann räusperte er sich, fuhr mit einem übertriebenen Ruck herum und bückte sich nach Schild und Schwert.

»Machen wir weiter?«

»Jetzt?« fragte Robin erstaunt.

»Warum nicht jetzt?« gab Salim grinsend zurück. »Deine Chancen waren nie besser. Du hast mir das Mark aus den Knochen gesaugt, Weib. Ich bin schwach wie ein neugeborenes Kind.«

»Du lügst«, behauptete Robin.

»Stimmt«, erwiderte Salim. »Dafür sind wir Muselmanen bekannt. Und jetzt heb dein Schwert auf und verteidige dich, Christenweib, bevor ich dich in Stücke schneide.«

Robin lachte zwar, bückte sich aber trotzdem nach Schwert und Schild und hob beides auf.

Salim täuschte mit wenig Geschick einen Vorstoß an und gab ihr auf diese Weise Gelegenheit, sich an das veränderte Gewicht des Schwerts in ihrer Hand zu gewöhnen.

Es gelang ihr erstaunlich schnell. Schon nach der dritten oder vierten Attacke Salims hatte sie ihre neue Waffe so gut unter Kontrolle, daß plötzlich beinahe sie es war, die ihn vor sich hertrieb, und nicht umgekehrt.

Natürlich kam ihr das nur so vor. Salim war ihr immer noch hoffnungslos überlegen, sowohl an Körperkraft als auch an Gewandtheit, aber auf seinem Gesicht erschien trotzdem ein verblüffter Ausdruck, und als sie nach einer Weile voreinander zurückwichen und ihre Waffen sinken ließen, war er in Schweiß gebadet, und sein Atem ging schnell.

»Vielleicht hätte ich dir dieses Spielzeug doch nicht mitbringen sollen«, keuchte er. »Aber ein paar Tricks kenne ich schon noch.«

Er griff so schnell an, daß Robin erst begriff, was geschehen war, als er sie mit seinem Schild bereits regelrecht gegen einen Baum genagelt hatte. Robin japste überrascht nach Luft, bekam sie aber nur für einen winzigen Moment, weil Salim die Gelegenheit nutzte, seine Lippen auf ihren Mund zu pressen und ihr einen Kuß zu stehlen.

Mit einiger Anstrengung schob sie ihn von sich. »Nennst du das vielleicht einen ritterlichen Kampf?«

»Wenn es dir nicht gefällt, dann wehre dich doch«, grinste Salim.

Und das tat Robin. Es gelang Salim noch zweimal, sie so in die Enge zu treiben, daß er ihr einen weiteren Kuß stehlen konnte, aber als er es das dritte Mal versuchte, wich Robin ihm mit einer blitzschnellen Drehung aus und stellte ihm ein Bein, so daß er hilflos auf den Rücken fiel und dann überrascht und erschrocken die Luft einsog, als ihre Schwertspitze seine Kehle berührte.

»Das... war aber nicht besonders ritterlich«, murmelte er.

»Ich bin kein Ritter«, antwortete Robin, »und ich kann auch niemals einer werden. Ich bin eine Frau - schon vergessen?«

»Wie könnte ich«, sagte Salim - aber er tat es mit einem so anzüglichen Grinsen, daß Robin der Verlockung einfach nicht widerstehen konnte, einen langen, blutigen Kratzer an seinem Hals zu hinterlassen, als sie das Schwert zurückzog.

»Du überraschst mich wirklich immer aufs neue«, sagte Salim, nachdem er aufgestanden war, seinen Hals betastet hatte und stirnrunzelnd das Blut betrachtete, das an seinen Fingerspitzen klebte. »Du kämpfst wirklich gut, nicht nur für eine Frau.«

»Ich hoffe, daß ich das Gernot und Otto auch irgendwann einmal beweisen kann«, sagte Robin grimmig.

»Werde nicht übermütig«, warnte Salim. »Es wird noch Jahre dauern, bis du dich mit jemandem wie Gernot messen kannst - oder gar Otto. Du beherrschst die Technik, aber dir fehlt noch viel an Erfahrung, und du bist einfach nicht stark genug.«

»Warum unterrichtest du mich dann, wenn es doch sinnlos ist?« fragte Robin.

»Wer sagt, daß ich dir schon alles beigebracht habe?« fragte Salim. »Greif mich an. Wirklich.«

Robin zögerte zwar eine Weile, aber dann hob sie ihr Schwert, täuschte einen Hieb gegen seine Seite an und drehte die Klinge erst, als er erwartungsgemäß den Schild hochriß. Sie war darauf vorbereitet, den Angriff im letzten Moment abzubrechen, wenn das Schwert durch seine Deckung drang, denn schließlich wollte sie ihn nicht verletzen. Aber ihr Schwert drang nicht durch seine Deckung. Es kam ihm nicht einmal nahe. Salim tat... irgend etwas, und plötzlich flog ihr Schwert im hohen Bogen davon, und schon im nächsten Moment fand sich Robin hilflos auf dem Rücken liegend vor, und Salim stand über ihr und setzte ihr seine Schwertspitze an den Hals.

»Was... war das?« murmelte sie verblüfft.

Sie las in Salims Augen, daß er für einen Moment ernsthaft versucht war, es ihr heimzuzahlen und ganz versehentlich auch ihre Kehle zu ritzen, aber dann zog er das Schwert im Gegenteil sehr vorsichtig zurück und half ihr, aufzustehen.

»So kämpfen wir in meiner Heimat«, sagte er. »Auch wir kämpfen mit dem Schwert, aber nicht so brutal und plump wie ihr. Kraft allein bedeutet nichts. Auch der Schwache kann den Starken durchaus besiegen. Selbst mit bloßen Händen. Wenn du willst, bringe ich es dir bei... Willst du?«

»Ja«, antwortete Robin. »Natürlich!«

»Was für eine Frage«, sagte Salim - zwar in scherzhaftem Ton, aber er blieb trotzdem ernst. »Aber es würde Jahre dauern. Manche brauchen ein Leben, um die Kunst der Schattenkrieger zu erlernen.«

»Schattenkrieger?«

Salim ignorierte ihre Frage. »Uns bleiben keine Jahre, sondern nur wenige Wochen. Ich werde dich in dieser Zeit so viel lehren, wie ich kann. Es wird vielleicht reichen, um dich am Leben zu erhalten.«

Seine Worte zerrissen die Illusion von Glück, die sie bisher so mühsam aufrecht erhalten hatte, und plötzlich wurde sie traurig, dann auf eine Weise zornig, die sie verwirrte, denn dieser Zorn hatte kein wirkliches Ziel. Sie haderte mit dem Schicksal - nicht zum ersten Mal -, und sie begriff, daß das Schicksal etwas war, das sich mit Zorn nicht bezwingen ließ. Und es war ebenfalls nicht das erste Mal, daß ihr klar wurde, daß diese Einsicht alles nur noch viel schlimmer machte. Warum war ihr so viel Schönes und Neues geschenkt worden, wenn es ihr gleich wieder weggenommen werden sollte?

»Und wenn du nicht gehst?« fragte sie.

»Nicht gehen? Wohin?«

»Mit Abbé und den anderen«, sagte sie. »Ins Heilige Land.«

»Du meinst, in meine Heimat«, verbesserte sie Salim. »Ich kann endlich nach Hause, nach fast zehn Jahren. Du verlangst wirklich, daß ich darauf verzichte?«

»Vielleicht meinetwegen?« Robin war sich darüber klar, daß das nicht fair war, und sie schämte sich für diese Worte. Aber sie befand sich in einem Zustand, in dem ihr Gerechtigkeit nichts mehr bedeutete. Auch sie wurde ungerecht behandelt.

»Es ist meine Heimat«, sagte Salim hilflos.

»Und du willst zusammen mit Jeromé und Abbé und den anderen dorthin?« fragte Robin. »An der Spitze eines Heeres, das auszieht, um deine Heimat zu erobern? Das kann nicht dein Ernst sein!«

Salim sah sie ein paar Atemzüge lang fast erschrocken an, dann sagte er: »Allmählich wirst du mir unheimlich.«

»Das ist keine Antwort«, sagte Robin.

»Du kennst die Antwort«, erwiderte Salim. Er klang jetzt beinahe wütend. »Ich muß mitgehen, Robin. Ich habe gar keine Wahl! Selbst wenn ich es wollte, würde Abbé niemals zulassen, daß ich zurückbleibe. Und ich könnte es auch gar nicht.«

»Wieso?«

Salim lächelte melancholisch. »Ich weiß, es mag sich seltsam anhören, aber... aber er und die anderen sind so etwas wie... wie meine Familie. Ich bin bei ihnen aufgewachsen. Ich kenne niemanden außer ihnen. Und ich habe auch niemanden außer ihnen. Ich muß bei ihnen bleiben.«

»Du hast mich«, widersprach Robin. Im Grunde hatte sie längst begriffen, daß Salim recht hatte. Es war eine durch und durch naive Vorstellung, und trotzdem sprach sie schnell und in beinahe verzweifeltem Ton weiter: »Wir könnten zusammenbleiben, nur du und ich. Wir könnten einfach hierbleiben.«

»Sie werden die Komturei schließen«, fuhr Salim ruhig fort. »Abbé will es nicht zugeben, aber in Wahrheit weiß er so gut wie ich, daß sie nicht zurückkommen. Der Weg nach Jerusalem ist weit. Ein Jahr, vielleicht länger. Keiner von ihnen wird zurückkommen. Sie werden in irgendeiner sinnlosen Schlacht verbluten oder den Rest ihres Lebens damit zubringen, Menschen ihren Glauben aufzuzwingen, die sie noch nie zuvor gesehen haben und über deren Leben sie nichts wissen. Es wird diese Komturei in wenigen Wochen nicht mehr geben. Welche Zukunft hätten wir?«

»Wir könnten weggehen«, sagte Robin leise.

»Du und ich allein?« Salim schüttelte den Kopf. »Wohin sollten wir gehen? Ein Mädchen und ein Sarazene in eurem Land. Wir wären beide tot, in weniger als einem halben Jahr.«

»Aber du ...«

Salim hob erschrocken die Hand. »Jemand kommt!« zischte er. »Versteck dich!«

Er verschwand so schnell wie ein Schatten, der von der Nacht aufgesogen wurde, und auch Robin sah sich hastig nach einem Versteck um. Aber es war zu spät. Hufschläge näherten sich, und plötzlich wuchs die Gestalt eines Reiters wie ein riesiger, bedrohlicher Schatten empor. Er stand genau in der Sonne, so daß sie ihn im ersten Augenblick wirklich nur als Schatten sah und blinzelnd die Hand über die Augen hob.

Dann erkannte sie sein Gesicht und konnte einen erschrockenen Schrei nicht mehr ganz unterdrücken.

»Was für eine Überraschung«, sagte Gernot von Elmstatt. »Aber warum erschrickst du denn so, mein Kind? Großer Gott, du siehst ja aus, als wäre dir der Leibhaftige persönlich erschienen!«

»Vielleicht ist er das ja«, antwortete Robin. Ihre Stimme zitterte so stark, daß sie die beabsichtigte Wirkung ihrer Worte nahezu ins Gegenteil verkehrte, und ihr Herz hämmerte in ihrer Brust, als wollte es jeden Moment einfach zerspringen.

Gernot lachte. »Du hast eine spitze Zunge, mein Kind«, sagte er. Er machte eine Bewegung, wie um sich aus dem Sattel zu schwingen, ließ sich dann aber zurücksinken und bückte stirnrunzelnd auf etwas, das neben ihr im Gras lag. Sie folgte seinem Blick. Es waren Schild und Schwert.

»Und offensichtlich liebst du es auch, mit spitzen Dingen umzugehen«, fuhr er in nachdenklicherem Tonfall fort. »Ein Schwert, ein Schild und ein aufgezäumtes Pferd... man könnte meinen, du übst den Umgang mit den Waffen eines Ritters.«

Auch sie drehte sich herum und sah zu Wirbelwind zurück. Der Hengst stand in wenigen Schritten Entfernung da und äugte mißtrauisch zu dem Neuankömmling hin. Von Shalima war nichts mehr zu sehen. Sie war ebenso spurlos verschwunden wie ihr Herr.

»Kannst du schon damit umgehen?« fragte Gernot.

»Warum steigt Ihr nicht vom Pferd und probiert es aus?« fragte Robin trotzig.

Gernot lachte. »Du hast Mut, das muß man dir lassen«, sagte er. »Aber das hast du ja schon mehr als einmal bewiesen. Trotzdem wundere ich mich ein wenig. Du versuchst, das Kämpfen zu erlernen? Glaubst du denn, es wäre nötig?«

Sein Blick suchte mißtrauisch den Waldrand ab. Vielleicht hatte er Shalimas Spuren gesehen. Vielleicht spürte er auch einfach nur, daß sie nicht allein waren. »Was... was wollt Ihr?« fragte Robin mit zitternder Stimme.

»Oh, nur ein wenig plaudern«, erwiderte Gernot. Er löste mit einiger Mühe seinen Blick vom Waldrand und sah wieder auf Robin herab. Seine Augen wurden schmal. »Du überraschst mich immer wieder aufs neue, Mädchen«, sagte er. »Ich weiß gar nicht mehr, was ich von dir halten soll. Hast du denn gar keine Angst, so allein hier draußen?«

»Sollte ich das denn?« fragte Robin.

»Immerhin ist der Verräter noch auf freiem Fuß«, antwortete Gernot. »Otto - du erinnerst dich doch? Er hat schon einmal versucht, dich zu töten... oder waren es zweimal?«

»Das solltet Ihr wissen, Herr«, antwortete Robin nervös. Ihre Gedanken überschlugen sich. Sie suchte verzweifelt nach einem Ausweg, einer Lücke zwischen den Bäumen, die zu schmal war für sein Pferd, einem Versteck. Für einen winzigen Moment spielte sie sogar mit dem Gedanken, nach ihrem Schwert zu greifen, sah aber im gleichen Augenblick auch ein, wie irrsinnig das wäre.

»Ich?« fragte Gernot. Er senkte die Hand auf den Gürtel, noch nicht zum, aber in die Nähe des Schwertes.

»Das erste Mal habt Ihr mich gerettet«, sagte Robin.

»Und danach?«

»Ich... erinnere mich nicht genau, Herr«, antwortete Robin. »Es ging alles so schnell, und es war... so schrecklich. Ich hatte Angst.«

»Du erinnerst dich nicht. In jener Nacht in Abbés Kammer hast du dich ganz gut erinnert.«

»Nur an das, was vorher war«, sagte Robin nervös.

»Vorher?«

»Vor dem Überfall auf das Dorf«, antwortete Robin. »Danach ... ist zu vieles passiert. Es ging alles so schnell. Ich hatte Angst, und... und meine Mutter war tot. Ich weiß kaum noch etwas. Sie haben mich niedergeschlagen und an einen Baum gebunden, und... und dann hat er versucht, mir die Kehle durchzuschneiden.«

»Er?«

»Der Mann mit der Narbe.«

»Otto?«

»Ja«, antwortete Robin. Dann verbesserte sie sich. »Ich glaube. Ich ... ich erinnere mich nicht. Nicht... genau.«

»Du erinnerst dich nicht«, wiederholte Gernot nachdenklich. »Aber an das, was vorher war, schon. In der Kapelle, meine ich.«

»Nicht an viel«, sagte Robin. »Ich hatte Angst. Ich habe die Reiter gesehen und mich versteckt.«

»Die Reiter. Die Tempelherren, meinst du? Sonst niemanden?« Gernots Augen wurden noch schmaler, und Robin konnte regelrecht sehen, wie es hinter seiner Stirn arbeitete. Aber sie spürte auch, wieviel von ihren nächsten Worten abhing. Vielleicht ihr Leben.

»Ich weiß nicht«, sagte sie. »Ich hatte Angst. Ich habe mich versteckt.«

»Und du hast sonst niemanden gesehen und auch nichts gehört?« Gernot seufzte. »Auch später nicht, als sie versucht haben, dich umzubringen... du bist ein sehr kluges Kind, weißt du das?«

»Herr?«

Gernot lachte. »Weißt du was? Du gefällst mir. Das einzig Schlimme ist, daß ich nicht weiß, ob ich dir trauen kann.«

»Herr?« fragte Robin noch einmal.

Gernot machte eine herrische Geste. »Du erinnerst dich sehr genau«, sagte er, plötzlich leise, aber in schneidendem, fast drohendem Ton. »Du erinnerst dich an alles. Leugne es nicht.«

»Aber ich...«

»Ich bin ein Lügner, Robin«, unterbrach sie Gernot kalt. »Du solltest nie versuchen, einen Lügner zu belügen. Du erinnerst dich ganz genau. Du bist nur zu dem Schluß gekommen, daß es besser ist, dich an gewisse Dinge nicht mehr zu erinnern. Besser für mich und auch besser für dich. War es so?«

Robin schwieg.

»Es war so«, sagte Gernot. »Mir scheint, du bist neben allem anderen auch noch ein sehr kluges Kind. Aber wie soll ich dir trauen? Woher soll ich die Sicherheit nehmen, daß du dein Gedächtnis nicht wiederfindest? In einer Woche, einem Monat oder einem Jahr?«

»Weil ich weiterleben will«, sagte Robin.

»Eine kluge Antwort. Aber es bleibt dabei: Du bist eine Gefahr für mich. Was also sollte mich daran hindern, dich zu töten - gleich hier und jetzt?« Hinter Gernot teilten sich die Schatten des Waldrandes, und Salim trat hoch zu Roß hervor. Er hatte den Schild wieder am linken Arm und das Krummschwert in der Rechten. »Ich«, sagte er. »Denn bevor Ihr sie tötet, müßt Ihr erst mich töten, Gernot. Wollt Ihr es versuchen?«

Gernot starrte ihn an. Seine Hand glitt weiter auf das Schwert in seinem Gürtel zu, berührte es aber nicht. Seine Miene blieb ausdruckslos, aber Robin spürte genau, daß er Angst vor Salim hatte.

»Was willst du, Heide?« fragte er verächtlich.

»Die Frage ist, was Ihr wollt, Gernot«, sagte Salim. »Seid Ihr nur hier, um ein unschuldiges Mädchen zu bedrohen? Wenn ja, dann habt Ihr es ja jetzt getan und könnt wieder Eurer Wege gehen.«

»Verstehe ich dich richtig, Sklave?« fragte Gernot. Er versuchte, seine Stimme wütend klingen zu lassen, aber es gelang ihm nicht. »Du wagst es, mir zu sagen, daß ich verschwinden soll?«

»Laßt es mich anders ausdrücken, Gernot von Elmstatt«, sagte Salim spöttisch. »Vielleicht mit Euren eigenen Worten: Was sollte mich daran hindern, Euch zu töten - gleich hier und jetzt?«

Gernot wurde sichtbar blaß. Er ergriff nun sein Schwert, aber es sah vielmehr so aus, als klammere er sich an der Waffe fest, als daß er sie wirklich zücken wollte. »Du wagst es, mich zu bedrohen, Sklave? Dafür könnte ich dich auf der Stelle erschlagen!«

»Macht Euch nicht lächerlich«, sagte Salim.

Gernot schwieg. Seine Kiefer mahlten, so daß Robin sich fast einbildete, seine Zähne knirschen zu hören.

»Seid vernünftig, Gernot«, fuhr Salim fort. »Noch ist kein wirklicher Schaden angerichtet. Robin wird bei ihrer Version bleiben, und Ihr solltet Euch damit zufriedengeben. So bleibt sie am Leben - und Ihr auch.«

»Damit ist es nicht vorbei«, grollte Gernot. Er starrte Robin an. »Die Tempelherren werden nicht immer hier sein. Und ihr heidnischer Sklave auch nicht.«

Damit riß er sein Pferd mit einer fast schon brutalen Bewegung herum und sprengte davon. Robin sah ihm besorgt hinterher.

»Hältst du das für klug?« fragte sie leise.

»Was?« gab Salim zurück. »Dir das Leben zu retten? Er hätte dich getötet.«

»Ihn zu bedrohen«, antwortete Robin. »Er wird...«

»Ein paar ziemlich unangenehme Stunden erleben«, unterbrach sie Salim. »Und eine schlaflose Nacht oder auch mehr. Ich gönne sie ihm. Aber er wird es nicht wagen, etwas gegen dich zu unternehmen.«

»Wenigstens jetzt noch nicht«, fügte Robin hinzu. »Solange ihr noch hier seid.«

Salim sah sie traurig an, steckte sein Schwert ein und glitt mit einer fast lautlosen Bewegung von Shalimas Rücken. »Ein Grund mehr, den Rest des Tages zu nutzen und noch ein wenig zu üben«, sagte er. »Heb dein Schwert auf.«

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