Es konnte kein Zweifel bestehen, daß ich in der abgetragenen Robe eines Kriegers und Kamchak in seiner schwarzen Tuchuk-Lederkleidung bei diesem Bankett Saphrars, des Kaufmanns von Turia, fehl am Platze schienen.
Es hatte mich einigermaßen überrascht, daß Kamchak und ich, die wir immerhin Botschafter der Wagenvölker waren, im Hause des Händlers Saphrar bewirtet und nicht in den Palast von Phanius Turmus geladen wurden, der Administrator von Turia war. Kamchaks Erklärung klang jedoch überzeugend. Es gab anscheinend zwei Gründe, einen offiziellen und einen wirklichen. Der offizielle Grund, von Administrator Phanius Turmus verkündet, besagte, daß die Angehörigen der Wagenvölker eine Bewirtung im Administrationspalast nicht verdient hätten; der wirkliche Grund, der wohl selten offen ausgesprochen wurde, lag darin, daß die Macht in Turia offenbar hauptsächlich bei der Kaste der Kaufleute lag, deren Anführer Saphrar war. Der Administrator war jedoch zweifellos unterrichtet. Er wurde bei diesem Bankett durch seine rechte Hand vertreten, Kamras aus der Kriegerkaste, ein Captain, der der beste Kämpfer der Stadt sein sollte.
Ich aß gewürztes Vulogehirn — und zwar mit einer goldenen Eßgabel, wie ich sie auf Go r noch nicht gesehen hatte. Dazu trank ich einen großen Schluck Paga. An dieser Stelle möchte ich einmal ausführen, daß die Kaste der Kaufleute der Tradition gemäß nicht zu den fünf Hohen Kasten Gors gehört — zur Kaste der Wissenden, Schriftgelehrten, Ärzte, Hausbauer und Krieger. In der Regel — ein leider unglückseliger Umstand — ist es nur Mitgliedern der fünf Hohen Kasten gestattet, Sitze in den Hohen Räten der Städte zu beziehen. Wie überall übt das Gold der Kaufleute einen nicht unbeträchtlichen Einfluß aus, besonders in den Städten, nicht immer vulgär durch Bestechungssummen und indirekte Zuwendungen, sondern oft auch sehr geschickt in der Form von Kreditzusagen oder -verweigerungen bei bestimmten Projekten, Wünschen und Bedürfnissen des Hohen Rates. Es gibt ein Sprichwort auf Gor: »Gold kennt keine Kaste« — ein Sprichwort, das die Kaufleute sehr lieben. Wie ich gehört habe, sehen sie sich insgeheim als die höchste Kaste überhaupt an, obwohl sie das natürlich nicht offen aussprechen, um die Mitglieder anderer Kasten nicht gegen sich aufzubringen. Der Anspruch ist nicht ganz unbegründet, könnte man sagen, denn die Kaufleute sind oft auf ihre Art sehr mutig und geschickt; sie unternehmen lange Reisen, setzen ihre Waren aufs Spiel, riskieren Karawanen, handeln Tauschvereinbarungen aus, formulieren und entwickeln untereinander Handelsgesetze, der einzigen gesetzlichen Vereinbarungen überhaupt, die zwischen den goreanischen Städten bestehen. Die Händler veranstalten und leiten effektiv auch die vier großen Jahrmärkte, die jedes Jahr am Fuße des Sardargebirges abgehalten werden. Ich sage ›effektiv‹, weil diese Märkte eigentlich unter der Leitung eines Komitees der Kaste der Wissenden stehen, das sich jedoch weitgehend auf seine Zeremonien beschränkt und zufrieden ist, die schwierige Führung dieses gewaltigen kommerziellen Phänomens den Mitgliedern der niederen, verachteten Kaste der Kaufleute zu überlassen.
»Dies«, sagte Saphrar der Händler, »ist eine Portion cosianischen Flügelfisches.«
»Wie kommt es, daß du in Turia Fische von der Insel Cos servieren kannst?«
»Ich habe eine Kriegsgaleere in Port Kar«, erwiderte Saphrar, »die ich zweimal im Jahr nach Cos schicke, um Fische zu holen.« Saphrar war ein kleiner, dicker Mann mit rosiger Haut und kurzen Beinen und Armen; er hatte lebhafte Augen und einen winzigen rundlichen Mund; von Zeit zu Zeit bewegte er hastig seine rotlackierten Fingernägel, als befühlte er eine Tarnmünze oder einen vorzüglichen Stoff. Sein Kopf war glattrasiert, wie es in der Kaste der Kaufleute üblich ist, seine Augenbrauen waren ausgezupft, und über jedem Auge waren vier goldene Tropfen angebracht. Er stellte bei jedem Lächeln zwei goldene Zähne zur Schau, die beiden oberen Schneidezähne, die vermutlich Gift enthielten; Händler sind im Umgang mit Waffen selten geübt. Sein rechtes Ohr wies eine Kerbe auf, zweifellos ein Unfall. Kerben dieser Art werden gewöhnlich Dieben zugefügt, wenn sie zum erstenmal erwischt werden. In Saphrars Fall mußte die Kerbe sicher auf einen anderen Grund zurückzuführen sein; trotzdem hatte sie ihm bestimmt schon oft Kopfzerbrechen bereitet. Saphrar war ein angenehmer Bursche, der sich zu benehmen wußte, ein wenig träge vielleicht — bis auf die Augen und seine schnellen Finger. Auf jeden Fall war er ein guter und aufmerksamer Gastgeber.
»Wie kommt es«, sagte ich, »daß ein Kaufmann aus Turia in Port Kar eine Kriegsgaleere unterhält?«
Saphrar lehnte sich auf seinen gelben Kissen zurück.
»Ich hatte nicht den Eindruck, daß Port Kar mit Binnenstädten freundschaftliche Beziehungen unterhält«, fuhr ich fort.
»Das trifft auch nicht zu«, sagte Saphrar achselzuckend. »Gold kennt eben keine Kaste.«
Ich aß ein Stück Fisch und spülte mit einem ordentlichen Schluck Paga nach. Saphrar beobachtete mich schaudernd.
Neben mir kratzte Kamchak seinen Teller leer, hielt ihn an den Mund und ließ das fantasievoll zubereitete Fleisch in seinen Mund gleiten.
Ich beobachtete Saphrar, der mit geschlossenen Augen ein zuckendes Etwas in den Mund schob.
»Saphrar aus der Kaste der Kaufleute hat die wahre Macht in Turia«, hatte mir Kamchak gesagt. Ich blickte den Tisch hinunter und musterte Kamras, die rechte Hand von Phanius Turmur, dem Administrator Turias. Er war ein großer starker Mann mit langem schwarzem Haar. Er saß wie ein Krieger. Er hatte von uns bisher noch keine Notiz genommen.
Kamchak und ich waren erst vor einigen Stunden in die neuntorige Stadt gekommen. Wir hatten einige Packkaiila mitgebracht. Auf diesen Tieren befanden sich Kisten mit kostbaren Schnitzereien und Juwelen, dazu Silbergefäße, Schmuck, Spiegel, Ringe, Kämme und goldene Tarnmünzen, die die Zeichen von einem Dutzend Städten trugen. Alles Geschenke für die Turianer, eine fast unverschämte Geste der Wagenvölker, die damit anzeigen wollten, wie unwichtig ihnen solche Dinge waren, so unwichtig, daß sie sie sogar den Turianern überließen. Turianische Besucher bei den Wagenvölkern, so selten sie kamen, versuchten diese Geschenke natürlich zu übertreffen. Kamchak hatte mir im Vertrauen gesagt, daß einige der Kostbarkeiten schon ein Dutzendmal hin und her gewandert waren. Nur eine kleine, flache Kiste wollte Kamchak den Dienern Phanius Turmus’ nicht überlassen, denen er am ersten Tor gegenübertrat. Er bestand darauf, den Behälter selbst zu tragen, der jetzt neben seinem rechten Knie am Tisch stand.
Mich freute dieser Besuch sehr, denn es interessiert mich immer, eine neue Stadt kennenzulernen.
Turia erfüllte meine Erwartungen. Es war eine Luxusstadt. Ihre Läden waren mit seltenen und interessanten Waren gefüllt. Ich roch unbekannte Gerüche. Mehr als einmal stießen wir auf Musikanten, die hintereinander die Straße entlangmarschierten und dabei spielten — wahrscheinlich waren sie unterwegs zu irgendeinem Fest. Freudig nahm ich wieder einmal die bunten Kastenfarben einer typischen goreanischen Stadt wahr, hörte zum erstenmal seit langer Zeit die altbekannten Rufe der Straßenverkäufer. Wir erregten kein Aufsehen, was mich zuerst verwunderte. Dann kam ich darauf, daß vermutlich Abgesandte der Wagenvölker jeden Frühling die Stadt aufsuchten. Wir wurden kaum beachtet, obwohl wir theoretisch Feinde Turias waren. Aber die Stadt war bisher noch nie besiegt worden; und seit über einem Jahrhundert hatte keine Belagerung mehr stattgefunden. Der Durchschnittsbürger machte sich also über die Wagenvölker keine Gedanken.
Ich ließ meinen Blick an den Tischen des Banketts entlangwandern, die wie ein Hufeisen angeordnet waren, so daß Sklaven vor die Gäste treten und sie bedienen konnten. Natürlich bot sich so auch die Gelegenheit, im freien Mittelteil Künstler auftreten zu lassen. An einem Ende stand ein kleiner Altar für die Priesterkönige; dort brannte ein Feuer. Auf dieses Feuer hatte der Oberdiener Saphrars zu Beginn des Essens einige Brocken Korn, etwas farbiges Salz, einige Tropfen Wein geschüttet. »Ta-Sardar-Gor«, hatte er gesagt ,»für die Priesterkönige Gors«, und diese Worte waren von den Anwesenden wiederholt worden. Nur Kamchak fiel in den Satz nicht ein, der das seinem Himmel nicht zumuten wollte. Ich selbst sagte die Worte in Ehrerbietung vor den Priesterkönigen und in Erinnerung an meinen Freund Misk.
Ein Turianer, der einige Schritte von mir entfernt saß, bemerkte, daß ich die Lippen bewegt hatte, und sagte: »Ich sehe, daß du nicht bei den Wagenvölkern groß geworden bist.«
»Nein«, sagte ich.
»Das ist Tarl Cabot aus Ko-ro-ba«, sagte Saphrar.
»Wie kommt es, daß du meinen Namen kennst?«
»Man hört so allerlei«, sagte der Kaufmann geheimn isvoll.
Ich hätte ihn weiter ausgefragt, aber er wandte sich an einen Mann hinter ihm, und ich vergaß meine Frage.
Während auf den Straßen die Frauen verhüllt gegangen waren, was mich sehr betrübte, belohnte man uns hier um so mehr mit schönen Gesichtern. Mehrere freie Frauen saßen als Gäste am Tisch; Sklavinnen halfen bei der Bedienung. Die freien Frauen legten, wie es der prüde Kamchak empfinden mußte, schamlos ihre Schleier ab und genossen das Fest. Dadurch gewann das Bankett sehr, wenn ich mich auch des Eindrucks nicht erwehren konnte, daß dieses unverschleierte Auftreten etwas ungewöhnlich war, zumal noch in Anwesenheit von zwei Tuchukkriegern.
Zwischen den Gängen waren verschiedene Unterhalter aufgetreten, Jongleure, Feuerschlucker und Akrobaten. Auch ein Zauberer hatte seine Tricks vorgeführt, die Kamchak besonders gefielen, außerdem ein Mann, der einen Sleen zum Takt seiner Peitsche tanzen ließ.
Ich erhaschte einige Worte des Gesprächs zwischen Kamchak und Saphrar und erriet daraus, daß sie einen Treffpunkt zum Austausch von Waren aushandelten. Später am Abend, als mich der Paga betrunkener gemacht hatte als es eigentlich ratsam war, hörte ich eine Diskussion, die sich nur um jene Spiele drehen konnte, die Kamchak die Spiele des Liebeskrieges genannt hatte — dabei ging es um Zeit, Waffen, Schiedsrichter und dergleichen. Dann hörte ich den Satz: »Wenn sie teilnehmen soll, mußt du uns die goldene Kugel überlassen.«
Abrupt wurde ich munter, und sofort ließ die Wirkung des Alkohols nach. Es durchlief mich wie ein Schock. Ich begann zu zittern, hielt mich jedoch am Tisch fest und versuchte mir nichts anmerken zu lassen.
»Ich kann dafür sorgen, daß sie für die Spiele ausgesucht wird«, sagte Saphrar, »aber das muß sich für mich lohnen.«
»Wie kannst du dafür sorgen, daß sie für die Spiele ausgesucht wird?« fragte Kamchak.
»Mein Gold sorgt dafür«, erwiderte Saphrar, »und auch dafür, daß sie nicht gut verteidigt wird.«
Aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, daß Kamchaks schwarze Augen blitzten. Dann hörte ich den Oberdiener rufen; seine Stimme ließ alles andere verstummen, die Gespräche und sogar die Musik. Die Akrobaten, die gerade zwischen den Tischen turnten, verschwanden. »Die Lady Aphris von Turia.«
Alle wandten sich um und blickten auf eine breite Marmortreppe zur Linken des riesigen Bankettsaals im Hause Saphrars des Kaufmanns.
In einem bodenlangen weißen Seidenkleid, mit Goldstreifen durchwirkt, kam Aphris aus Turia langsam die Treppe herab. Ihre Sandalen waren aus Gold, und sie trug dazu passende goldene Handschuhe.
Ihr Gesicht war von einem weißseidenen Schleier verborgen, und um den Kopf trug sie die Robe der Verhüllung, so daß auch ihr Haar nicht zu erkennen war.
Ihre Kleidung entsprach den Farben der Kaste der Kaufleute, der sie anzugehören schien. Ich erinnerte mich, daß Kamchak einige Male von dieser Frau gesprochen hatte.
»Die reichste Frau in Turia«, sagte Kamchak.
»Wenn sie volljährig wird«, bemerkte Saphrar.
Bis dahin wurde ihr Vermögen zweifellos von Saphrar verwaltet.
Diese Vermutung wurde mir so später von Kamchak bestätigt. Saphrar war mit dem Mädchen nicht verwandt, sondern war von den turianischen Kaufleuten als Verwalter ihres Vermögens eingesetzt worden, nachdem ihr Vater bei einem paravacischen Überfall ums Leben gekommen war — der reichste Kaufmann der Stadt.
Das Mädchen, das die Blicke aller auf sich ruhen spürte, überschaute die Bankettszene. Ich fühlte, daß sie mich und Kamchak, die Fremden in diesem Kreis, sofort ausgemacht hatte. Ihre Haltung schien darauf hinzudeuten, daß sie ein wenig belustigt war.
»Ist sie die goldene Kugel nicht wert?« fragte der Kaufmann.
»Das läßt sich nicht so ohne weiteres sagen«, erwiderte Kamchak.
»Ich habe die Aussage ihrer Kammersklavinnen«, fuhr Saphrar fort. »Sie soll wunderschön sein. Die Kugel ist ja auch nicht wirklich aus Gold, sondern sieht nur so aus.«
»Trotzdem sind die Tuchuks stolz darauf.«
»Ich möchte das Ding ja auch nur als Kuriosität«, sagte Saphrar.
»Ich muß darüber nachdenken«, sagte Kamchak, ohne den Blick von Aphris zu wenden. Ich ließ mir nicht anmerken, daß ich jedes Wort mithörte, wobei es mir einige Mühe machte, die anmutige Gestalt nicht allzu sehr anzustarren, die jetzt auf das obere Ende des Tisches zuging. Auf ein Zeichen hin nahmen die Musiker ihre Instrumente wieder zur Hand, und die Akrobaten setzten ihre begonnene Schau fort.
»Es befindet sich im Wagen von Kutaituchik«, sagte Saphrar. »Ich könnte Tarn-Söldner aus dem Norden schicken — aber ich würde lieber keinen Krieg riskieren.«
Mein Herz begann heftig zu schlagen. Wenn Saphrars Informationen stimmten, befand sich das letzte Ei der Priesterkönige im Wagen Kutaituchiks, der Ubar der Tuchuks genannt wurde.
Ich bemerkte, wie Aphris von Turia näherkam, ohne sich um die anderen Gäste zu kümmern. Über ihrem Schleier nahm ich jetzt zwei mandelförmige schwarze Augen wahr; ihre Haut, soweit zu erkennen, war hell, wenn auch nicht ganz weiß.
»Die goldene Kugel gegen Aphris aus Turia«, flüsterte Saphrar in Kamchaks Ohr.
Kamchak wandte sich an den kleinen dicken Händler, und sein narbiges Gesicht verzerrte sich zu einem breiten Grinsen. »Die Tuchuks sind sehr stolz auf die goldene Kugel.«
»Na gut«, sagte Saphrar heftig, »dann bekommst du auch die Frau nicht — dafür sorge ich schon —, während ich mir irgendwie die Kugel aneigne. Das verstehst du doch!«
Das Mädchen ging jetzt hinter uns entlang, und Saphrar sprang auf und verbeugte sich vor ihr. »Verehrte Aphris aus Turia«, sagte er, »die ich liebe wie meine eigene Tochter.«
Das Mädchen neigte den Kopf. »Verehrter Saphrar«, sagte sie.
Saphrar machte ein Zeichen, und zwei Sklavinnen brachten eine Seidenmatte und ein Kissen und legten sie zwischen Saphrar und Kamchak.
Aphris setzte sich und sah sich um. Nach kurzem Schweigen sagte sie: »Ich rieche Boskdung.«
Der Oberdiener starrte sie entsetzt an, grinste und breitete entschuldigend die Arme aus. »Es tut mir leid, Lady, aber unter den Umständen...«
Sie sah sich um und schien nun erst Kamchak zu entdecken. »Ah!« sagte sie. »Jetzt verstehe ich — ein Tuchuk!«
Obwohl Kamchak mit untergeschlagenen Beinen am Tisch saß, schien er sich zu verbeugen, dann schlug er mit der Faust auf den Tisch, daß das Geschirr klirrte. »Großartig!« brüllte er.
Sie wandte sich an ihn. »Es will mir scheinen, als wären wir uns schon einmal begegnet.«
»Vor zwei Jahren — du nanntest mich damals einen Tuchuksleen.«
»Ja, ich glaube, ich erinnere mich.«
»Ich hatte dir ein fünffaches Diamantarmband zum Geschenk gemacht, denn ich hatte gehört, du seiest wunderschön.«
»Oh«, sagte Aphris, »ja — ich habe es einem meiner Sklaven geschenkt.«
Wieder schlug Kamchak belustigt auf den Tisch. »Damals, als du mich einen Tuchuksleen nanntest, damals schwor ich mir, dich zu meiner Sklavin zu machen.«
Aphris lachte nun nicht mehr.
Saphrar war sprachlos.
Stille herrschte ringsum.
Kamras, Erster Kämpfer der Stadt Turia, sprang auf und wandte sich an Saphrar. »Gestatte mir, daß ich Waffen holen lasse.«
Kamchak trank von seinem Paga und tat, als hätte er Kamras’ Bemerkung nicht gehört.
»Nein! Nein«, rief Saphrar. »Der Tuchuk und sein Freund sind Gäste und Botschafter der Wagenvölker — ihnen darf hier nichts geschehen.«
Aphris aus Turia lachte fröhlich, und Kamras kehrte verlegen an seinen Platz zurück.
»Bringt Essenzen!« rief Aphris, und ein Sklave brachte ein Tablett mit verschiedenen Flaschen. Aphris nahm zwei zur Hand, hielt sie sich unter die Nase und versprühte dann Parfüm auf Kissen und Tisch. Ihre Handlung amüsierte die Turianer sehr.
»Dafür«, sagte Kamchak, »verbringst du deine erste Nacht in einem Dungsack.«
Aphris lachte und wandte sich an mich. »Und wer bist du?«
»Ich bin Tarl Cabot aus der Stadt Ko-ro-ba.«
»Die liegt weit im Norden«, bemerkte sie.
»Ja.«
»Wie kommt es, daß ein Korobaner im stinkenden Wagen eines Tuchuksleens lebt?«
»Der Wagen stinkt nicht«, sagte ich, »und Kamchak von den Tuchuks ist mein Freund.«
»Du bist natürlich ein Geächteter«, stellte sie fest.
Ich zuckte nur die Achseln.
Das Mädchen wandte sich an Saphrar. »Vielleicht möchten die Barbaren unterhalten werden.«
Diese Bemerkung verwunderte mich, denn wir waren schon den ganzen Abend gut unterhalten worden.
Saphrar hatte ärgerlich den Kopf gesenkt. »Vielleicht«, sagte er. Vielleicht war er noch verärgert, weil Kamchak ihm die goldene Kugel nicht geben wollte. Ich begriff die Motive meines Freundes nicht — es sei denn, er wußte, worum es sich handelte. Dann war das Gebilde für ihn natürlich von unschätzbarem Wert. Aber ich hatte das Gefühl, daß er den wahren Wert nicht begriff und trotzdem einen höheren Preis anzustreben schien als den, den Saphrar zahlen wollte.
»Sind die Frauen Turias nicht schön?« fragte mich Aphris.
»Allerdings«, sagte ich. »In meiner Stadt ist es freien Frauen nicht gestattet, sich vor Fremden ohne Schleier zu zeigen.«
Das Mädchen lachte fröhlich und wandte sich an Kamchak. »Was meinst du dazu, mein süßer Boskdung?«
Kamchak zuckte die Achseln. »Es ist allgemein bekannt, daß die Frauen Turias schamlos sind.«
»Das glaube ich nicht«, sagte Aphris ärgerlich.
»Ich sehe sie doch«, sagte Kamchak grinsend und breitete die Arme aus.
»Ich glaube nicht«, sagte das Mädchen.
Kamchak sah sich verwirrt um.
Zweimal klatschte das Mädchen in die Hände, und zu meiner Überraschung standen die Frauen am Tisch auf, stellten sich hastig in Position und warfen zur Freude der Gäste ihre kostbaren Roben ab. Jede der Frauen, die ich für frei gehalten hatte, trug den Sklavenkragen.
Kamchak war wütend.
»Hast du wirklich angenommen«, fragte Aphris arrogant, »daß wir es einem Tuchuk gestatten würden, in das Gesicht einer freien turianischen Frau zu blicken?«
Kamchak hatte die Fäuste auf dem Tisch geballt, denn ein Tuchuk läßt sich nicht gern zum Narren halten.
Kamras lachte laut, und sogar Saphrar kicherte zwischen seinen gelben Kissen. Kamchak schwieg und hob seinen Pagakrug, leerte ihn und beobachtete die Sklavinnen, die sich nun zwischen den Tischen zur Musik wiegten.
»Wir haben viele Mädchen bei uns, die ebenso schön sind.«
»Oh?« fragte Aphris.
»Ja«, sagte Kamchak, »turianische Sklavinnen — so wie du eine sein wirst.«
»Du weißt natürlich, daß ich dich töten lassen würde, wenn du nicht Botschafter der Wagenvölker wärst«, sagte sie.
Kamchak lachte. »Es ist eine Sache, den Tod eines Tuchuks anzuordnen — etwas anderes ist es aber, ihn tatsächlich umzubringen.«
»Ich bin sicher, daß sich beides arrangieren ließe«, bemerkte Aphris.
Kamchak lachte. »Es wird mir Freude machen, dich zu besitzen«, sagte er.
Das Mädchen lachte. »Du bist ein Tor«, sagte sie und fügte ernst hinzu: »Aber nimm dich in acht! — Wenn du mich nicht mehr amüsierst, verläßt du diesen Tisch nicht lebend!«
»Und jetzt die anderen!« rief sie und klatschte in die Hände. Saphrar neigte ergeben den Kopf.
Der Oberdiener gab ein Zeichen und entließ die Mädchen. Gleich darauf ertönte das Läuten von Sklavenglocken. Neue Mädchen traten ein. Meine Hand krampfte sich um den Weinkrug. Aphris aus Turia war wirklich kühn. Ich fragte mich, ob Kamchak einen Zwischenfall heraufbeschwören würde.
Die Mädchen, die nun barfuß vor uns die temperamentvollen Liebestänze der Kataii, der Kassars, der Paravaci und der Tuchuks vorführten, waren Angehörige der Wagenvölker. Es wurde schnell deutlich, warum die turianischen Männer so großen Gefallen an den Präriemädchen fanden.
Kamchak hatte mit zusammengepreßten Lippen zugesehen und wandte sich nun an die schöne Aphris. »Ich werde dafür sorgen«, sagte Kamchak, »daß man dir als meiner Sklavin diesen Tanz beibringt.«
Aphris erstarrte, doch sie ließ sich nichts anmerken.
Kamchak wartete, bis die Mädchen der Wagenvölker ihren Tanz beendeten. Als sie den Raum verlassen hatten, stand er auf. »Wir müssen gehen«, sagte er.
Ich nickte und rappelte mich auf. »Was ist in dem Kasten?« fragte Aphris aus Turia, als sie sah, daß Kamchak den kleinen schwarzen Behälter aufnahm, der während des Essens an seinem rechten Knie gestanden hatte.
Sie war sichtlich neugierig.
Kamchak zuckte die Achseln.
Ich erinnerte mich, daß er Aphris vor zwei Jahren ein fünffaches Diamantarmband geschenkt hatte, das sie damals ausschlug und einem Sklaven gab.
Trotzdem interessierte sie sich jetzt für die Schachtel.
»Es ist nichts«, sagte Kamchak, »nur eine Kleinigkeit.«
»Aber ist sie für jemanden?« fragte sie.
»Ich hatte gehofft«, sagte Kamchak, »dieses Etwas dir geben zu können.«
»Oh?« fragte Aphris, die diese Vorstellung sichtlich begrüßte.
»Aber dir würde es nicht gefallen«, sagte er.
»Woher willst du das wissen«, sagte sie ziemlich von oben herab. »Ich habe es ja noch gar nicht gesehen.«
»Ich nehme es wieder mit nach Hause.«
»Wie du willst.«
»Aber du kannst es natürlich haben«, sagte er.
»Ist es denn etwas anderes als ein schlichtes Diamanthalsband?« Aphris aus Turia war nicht dumm. Sie wußte sehr wohl, daß die Wagenvölker in ihren Reichtümern anderen goreanischen Völkern nicht nachstanden.
»Ja«, sagte Kamchak, »es handelt sich um etwas anderes als ein Diamantenhalsband. Aber du willst es natürlich nicht haben.«
»Du hast es doch für mich mitgebracht, nicht wahr?« fragte sie.
Kamchak zuckte die Achseln.
»Ich möchte es haben«, sagte Aphris plötzlich. »Gib es mir!«
Kamchak blickte zweifelnd auf den Kasten in seiner Hand. »Na gut, aber ich möchte es dir selbst anlegen.«
Kamras, Erster Kämpfer Turias, erhob sich von seinem Sitz. »Das war kühn, Tuchuksleen!« zischte er.
»Sehr wohl«, sagte Aphris, »du darfst es mir selbst umlegen.«
Kamchak stellte sich also hinter Aphris, die aufrecht am Tisch kniete. In ihren Augen schimmerte die Neugier. Ich sah, daß sie schneller atmete.
Kamchak öffnete seinen Kasten.
Als Aphris den Deckel aufklappen hörte, mußte sie sichtlich an sich halten, um sich nicht umzudrehen. Nun ging alles ungeheuer schnell. Kamchak nahm aus der Schachtel einen Gegenstand, der tatsächlich dazu gedacht war, am Hals getragen zu werden, aber es handelte sich um einen runden Metallring — einen turianischen Sklavenkragen. Das feste Schloß hinten am Kragen klickte hörbar, als sich das Metall um den Hals Aphris’ legte. Im gleichen Augenblick riß Kamchak die Verblüffte hoch und zerrte ihr mit beiden Händen den Schleier vom Gesicht! Ehe jemand einschreiten konnte, raubten seine kühnen Lippen der starren Aphris aus Turia einen Kuß! Dann schleuderte er sie rückwärts über den niedrigen Tisch, so daß sie in der Mitte des Hufeisens zu Boden fiel. Wie durch Zauberhand erschien eine Quiva in seinem Ärmel und bewahrte die Umstehenden vor unüberlegten Handlungen.
Das Mädchen kniete nun und versuchte sich von dem Kragen zu befreien.
Kamchak schaute auf sie hinab. »Unter deinen weißgoldenen Roben«, sagte er, »rieche ich den Körper eines Sklavenmädchens!«
»Sleen! Sleen!« wimmerte sie.
»Leg deinen Schleier wieder an!« befahl Saphrar.
»Mach sofort den Kragen ab!« befahl Kamras, der Erste Kämpfer des Administrators Phanius Turmus.
Kamchak lächelte. »Ich habe den Schlüssel vergessen.«
»Dann schickt nach jemandem aus der Kaste der Metallarbeiter!« rief Saphrar.
Überall wurden Schreie laut: »Tötet die Tuchuksleens!« »Foltert sie!« »In das Öl der Tharlarions mit ihnen!« »Aufspießen!« »Fesseln und ins Feuer!« Aber Kamchak ließ sich davon nicht beeindrucken. Niemand wagte es, sich ihm zu nähern, denn in seiner Hand schimmerte die Quiva. Er wäre kein Tuchuk gewesen, wenn er damit nicht hätte umgehen können.
»Tötet ihn!« kreischte Aphris. »Tötet ihn!«
»Leg deinen Schleier wieder vor«, sagte Saphrar eindringlich. »Schämst du dich denn nicht?«
In ihren Augen stand Wut. Er, ein Tuchuk, hatte ihr Gesicht gesehen!
Obwohl ich es nie zugegeben hätte, freute mich Kamchaks Kühnheit, denn sie hatte ein Gesicht, um das es sich zu kämpfen lohnte — herrliche Züge, jetzt allerdings wutverzerrt, schöner als die hübschesten Sklavenmädchen, die uns bedient oder mit ihren Tänzen erfreut hatten.
»Ihr vergeßt natürlich«, sagte Kamchak, »daß ich Abgesandter der Wagenvölker bin und in euren Mauern Schutz genieße.«
»Spießt ihn auf!« brüllten die Turianer.
»Es ist ein Witz!« rief Saphrar. »Ein Tuchuk-Witz!«
»Tötet ihn!« rief Aphris außer sich.
»Süße Aphris«, sagte Saphrar leise. »Du mußt dich beruhigen. Bald kommt einer von den Metallarbeitern und befreit dich von diesem ... Du solltest dich jetzt zurückziehen.«
»Nein!« rief Aphris. »Erst muß dieser Tuchuk sterben!«
»Das ist nicht möglich, meine Liebe«, sagte Saphrar.
»Du bist herausgefordert!« sagte Kamras und spuckte vor Kamchak aus.
Einen Augenblick sah ich Kamchaks Augen aufblitzen und dachte schon, er würde die Herausforderung des Ersten Schwertkämpfers der Stadt auf der Stelle annehmen. Aber dann zuckte er nur die Achseln und grinste. »Warum sollte ich kämpfen?« fragte er.
Das hörte sich gar nicht nach meinem Kamchak an.
»Du bist ein Feigling!« brüllte Kamras.
Ich fragte mich, ob Kamras die Bedeutung dieses Wortes kannte, mit dem er den Träger einer Tuchuk-Mutnarbe bedachte.
Aber zu meiner Verblüffung lächelte Kamchak nur. »Warum sollte ich kämpfen? Was ist damit zu gewinnen?«
»Aphris aus Turia!« rief das Mädchen.
Rufe des Entsetzens und des Protests liefen um den Tisch.
»Ja!« rief Aphris. »Wenn du, Erster Kämpfer Turias, gegen Kamchak kämpfst, biete ich mich als Preis im Liebeskrieg!«
Kamchak schaute sie an. »Ich kämpfe«, sagte er.
Stille breitete sich aus.
Ich sah, wie Saphrar, der ein wenig im Hintergrund stand, die Augen schloß und langsam nickte. »Schlauer Tuchuk«, sagte er leise. Ja, sagte ich mir, schlauer Tuchuk. Kamchak hatte es geschafft, daß sie Aphris aus Turia aus verletztem Stolz für den Liebeskrieg zur Verfügung stellte. Das war etwas, das er nicht mit der goldenen Kugel von Saphrar dem Kaufmann zu kaufen brauche — so etwas vermochte er offensichtlich selbst zu arrangieren, mit der Schlauheit eines Tuchuks. Ich nahm natürlich an, daß Saphrar, der immerhin als Vormund dieses Mädchens galt, so etwas nicht zulassen würde. »Nein, meine Liebe«, sagte Saphrar zu dem Mädchen, »du darfst keine Rache für diese schreckliche Beleidigung erhoffen — du darfst nicht an die Spiele denken — du mußt diesen unangenehmen Abend vergessen — du darfst nicht an die Geschichten denken, die über dich im Umlauf sein werden — über die Tat des Tuchuks und sein Entkommen.«
»Nie!« sagte Aphris. »Ich melde mich zum Liebeskrieg, das sage ich dir!«
»Nein«, sagte Saphrar, »das kann ich nicht zulassen — es ist besser, wenn die Leute über Aphris lachen. In einigen Jahren vergessen sie die Sache.«
»Ich verlange, daß ich mich melden darf!« rief das Mädchen.
»Aber in wenigen Tagen wirst du volljährig und erhältst die Verfügungsgewalt über dein Vermögen — dann kannst du tun, was du willst.«
»Aber das ist erst nach den Spielen!« rief das Mädchen.
»Ja«, sagte Saphrar, als müßte er nachdenken. »Das stimmt.«
»Ich verteidige sie!« sagte Kamras. »Ich verliere bestimmt nicht.«
»Es stimmt, daß du noch nie verloren hast.«
»Gib deine Erlaubnis!« riefen mehrere Stimmen durcheinander.
»Wenn du es nicht gestattest«, flehte Aphris, »ist meine Ehre auf ewig befleckt.«
Mir fiel plötzlich ein, daß nach den goreanischen Zivilgesetzen alle Besitztümer einer Person, die der Sklaverei verfällt, automatisch dem nächsten männlichen Verwandten übertragen werden — oder dem nächsten Verwandten, oder — wenn kein Mann mehr in der Familie ist — dem Treuhänder. Wenn also Aphris an Kamchak fallen und Sklavin werden sollte, würde ihr Vermögen an Saphrar, Kaufmann aus Turia, übergehen. Um legale Komplikationen zu vermeiden und die Beträge für Investitionen frei zu machen, ist der Vermögensübertrag unwiderruflich; sollte der frühere Eigentümer wieder frei werden, hat er keinen Rechtsanspruch mehr auf die übertragenen Werte.
»Gut«, sagte Saphrar mit gesenktem Blick, als fälle er eine Entscheidung wider sein besseres Wissen, »ich erlaube es meinem Schützling, Lady Aphris aus Turia, sich als Preis für die Spiele des Liebeskrieges zur Verfügung zu stellen.« Ein Freudenschrei klang auf; alle waren überzeugt, daß der Tuchuksleen eine gerechte Strafe für seine freche Tat an der reichsten Tochter Turias erhalten würde.
»Danke, Vormund«, sagte Aphris, warf mit einem letzten bösen Blick auf Kamchak hochmütig den Kopf zurück und verließ mit königlichem Schritt die Tische.
»Wenn man sie so gehen sieht«, bemerkte Kamchak ziemlich laut, »glaubt man kaum, daß die den Kragen einer Sklavin trägt.«
Aphris wirbelte mit geballten Fäusten herum und sah ihn mit blitzenden Augen an.
»Ich meinte ja nur, kleine Aphris«, sagte Kamchak, »daß du deinen Kragen zu tragen verstehst.«
Das Mädchen stieß einen erstickten Wutschrei aus und stolperte die Treppe hinauf. Weinend, mit verrutschtem Schleier, mit beiden Händen am Kragen zerrend, verschwand sie in ihren Räumen.
»Keine Angst, Saphrar aus Turia«, sagte Kamras, »ich töte diesen Tuchuksleen — langsam und mit Vergnügen.«