Den Tuchuk hätte ich mit meinem schweren goreanischen Kriegsspeer vielleicht töten können — die anderen aber hätten dann ein leichtes Spiel mit mir gehabt. So setzte ich im letzten Augenblick alles auf den Respekt der Wagenvölker vor dem Mut eines Mannes und machte keine Anstalten, mich zu verteidigen. Das Herz schlug mir bis zum Hals, doch ohne mir etwas anmerken zu lassen, ja, mit verächtlichem Gesichtsausdruck wartete ich den Angriff ab.
Im letzten Augenblick, wenige Handbreiten vor mir, zuckten die Lanzen zurück und die Kaiila wurden gezügelt.
»Aieee!« schrie der Krieger der Kataii.
Ich hatte mich nicht bewegt. »Mein Name ist Tarl Cabot«, sagte ich. »Ich komme in Frieden.«
Die vier Reiter zogen sich zurück und berieten sich. Ich stützte mich auf meinen Speer und gähnte ostentativ.
Mein Puls raste. Hätte ich mich bewegt, wäre ich jetzt nicht mehr am Leben. Ich hätte natürlich kämpfen können, aber es entsprach nicht meiner Absicht, mich den Wagenvölkern als Feind vorzustellen.
Endlich löste sich der Tuchuk von den drei anderen Kriegern und verhielt seine Kaiila ein Dutzend Schritte vor mir.
»Du bist ein Fremder«, sagte er. »Du trägst keine Insignien. Wie war der Name der Stadt, aus der du kommst?«
»Ich komme aus Ko-ro-ba.«
Die Männer gerieten in Bewegung. »Ich habe von Ko-ro-ba singen hören«, sagte der Tuchuk grinsend.
Vor langer Zeit hatten sich Ar und Ko-ro-ba erfolgreich gegen eine Invasion der Wagenvölker aus dem Süden gewehrt, und die Erinnerung an diesen Kampf mochte bei den Wagenvölkern noch wach sein.
»Was suchst du bei den Wagenvölkern?«
»Wie du siehst, trage ich keine Insignien.«
Der Tuchuk lachte. »Du bist ein Narr, wenn du bei den Wagenvölkern Schutz suchst.«
Ich hatte ihn überzeugt, daß ich tatsächlich ein Geächteter war, ein Flüchtling.
»Kämpfen wir«, sagte ich.
»Korobaner«, schaltete sich der Kassar ein. »Hast du keine Angst vor unseren Lanzen gehabt?«
»Doch«, sagte ich wahrheitsgemäß.
»Aber du hast deine Angst nicht gezeigt. Das scheint mir wahrer Mut zu sein. Hoffentlich fällt die Lanze mir zu.«
Ich blickte ihn verständnislos an.
»Wo sind deine Männer?« fragte nun der Kataii. »Willst du spionieren?«
»Ich bin kein Spion«, sagte ich. »Und ich bin allein.«
»Die Turianer haben dich geschickt.«
»Nein — ich komme in Frieden.«
»Weißt du, daß die Wagenvölker jeden Fremden umbringen?« wollte der Paravaci wissen.
»Ja, ich habe davon gehört.«
»Das Gerücht stimmt«, sagte er, und die vier Reiter ritten einige Schritte davon.
Der Tuchuk nahm seine lange, schmale Lanze und steckte sie mit der Spitze nach oben in den Boden. Langsam begannen die vier Krieger nun im Kreis zu reiten, um die Lanze herum. Sie waren bereit, die Waffe in dem Augenblick zu greifen, da sie umzusinken begann.
Der Wind schien zuzunehmen.
Ich wußte, daß es eine Ehre für mich war — daß die Krieger meine Haltung anerkannten und nun das Los entscheiden ließen, wer mich gewann, wessen Waffen mein Blut fließen lassen würden, unter wessen Kaiila ich zertrampelt werden sollte.
Ich sah, wie die Lanze zitterte, bemerkte die Spannung der Krieger, die die Spitze nicht aus den Augen ließen. Bald mußte sie fallen.
Inzwischen waren die Herden nähergekommen; ich konnte schon die einzelnen Tiere erkennen, auch Reiter, die auf ihren schnellen Kaiila die Herden bewachten.
Bald würden die Tiere im Kreis geführt, bis sie zur Ruhe kamen und über Nacht friedlich grasen durften. Die Wagen folgten der Herde. Die Herde bildet einen schützenden Keil für die Wagen, von denen es zahllose geben soll, während die Herden selbst oft als unendlich groß bezeichnet werden. Aber beides stimmt nicht, denn die Ubar der Wagenvölker wissen sehr wohl die Zahl ihrer Wagen und der gekennzeichneten Tiere; jede Herde besteht übrigens aus mehreren kleineren Herden mit eigenen Reitergruppen. Ich roch jetzt die Tiere, diesen satten, frischen, durchdringenden Geruch, vermischt mit dem Duft zertrampelten Grases und aufgewühlter Erde, das Aroma des Dungs, Urins und Schweißes von über einer Million Tieren. Die großartige Vitalität dieses Geruchs, der manche Menschen abstößt, verblüffte und erregte mich — war mir ein Zeichen für das Pulsieren des Lebens, widerstandsfähig, grob, überschäumend, unbesiegbar, primitiv, schnaubend, animalisch — eine Lawine aus Gewebe und Blut, ein großartiger, unaufhaltsamer Katarakt des Atmens und Stampfens und Sehens und Fühlens auf der süßen, gewellten, windzerzausten Mutter Erde. Ich spürte in diesem Augenblick, was der Bosk den Wagenvölkern bedeutete.
»Ho!« hörte ich einen Aufschrei, und als ich herumfuhr, sah ich die schwarze Lanze fallen, die im nächsten Augenblick von der Faust des narbenbedeckten Tuchukkriegers umschlossen wurde.