10

Mehrere Tage nach Saphrars Bankett — es war noch sehr früh am Morgen — kamen Kamchak und ich zusammen mit mehreren hundert Angehörigen der vier Wagenvölker zur Ebene der Tausend Pfähle, die einige Pasang von Turia entfernt liegt.

Schiedsrichter und Handwerker aus Ar, das Hunderte von Pasangs entfernt jenseits des Cartius liegt, waren bereits bei der Arbeit, inspizierten die Pfähle und bereiteten den Boden dazwischen vor. Diesen Männern war speziell für das große Ereignis freies Geleit in dieses Gebiet gewährt worden. Trotzdem war die Reise nicht ohne Gefahren, doch sie brachte auch gute Gewinne aus den Schatztruhen Turias und der Wagenvölker. Einige Schiedsrichter, die inzwischen ein Vermögen gemacht hatten, waren schon mehrfach im Amt gewesen. Das Honorar für einen einfachen Handwerker entsprach einem Jahreseinkommen im luxuriösen Ar. Wir ließen uns Zeit, ritten auf unseren Kaiila in vier langen Reihen — die Tuchuks, die Kassars, die Kataii, die Paravaci, etwa zweihundert Krieger aus jedem Stamm. Kamchak ritt fast an der Spitze der Tuchuks. Der Standartenträger, der eine Fahne mit den vier Boskhörnern präsentierte, ritt in unserer Nähe. Die Spitze unserer Kolonne bildete Kutaituchik, der mit geschlossenen Augen auf einer riesigen Kaiila saß und sich langsam hin- und herschaukeln ließ. Eine halb gekaute Kandakette baumelte in seinem Mund.

Neben ihm ritten drei andere Männer, die ich für die Ubar der Kassars, der Kataii und der Pravaci hielt. Nicht weit hinter ihnen entdeckte ich zu meiner Überraschung die drei anderen Männer, die ich getroffen hatte, als ich zu den Wagenvölkern kam — Conrad von den Kassars, Hakimba von den Kataii und Tolnus von den Paravaci. Wie Kamchak ritten auch sie ganz in der Nähe ihrer Standartenführer. Die Standarte der Kassars zeigte eine rote dreigewichtige Bola, während die Kataii einen gelben Bogen auf schwarzer Lanze zum Zeichen hatten; die Paravaci schließlich präsentierten stolz ein Banner voller Juwelen, die auf Golddraht aufgezogen die Umrisse eines Boskkopfes zeigten.

Barfuß wanderte Elizabeth neben Kamchaks Steigbügel her. Weder Dina noch das andere Kassarsklavenmädchen waren bei uns. Am Nachmittag des Vortags hatte Albrecht sein Sklavenmädchen Tenchika, das er trotz des Bisses in den Hals von Kamchaks Kaiila verloren hatte, zurückgekauft — für die unglaubliche Summe von vierzig Goldstücken, vier Quivas und einem Kaiilasattel. Das war eine der höchsten Preise, der bei den Wagenvölkern, je für ein Sklavenmädchen gezahlt worden war — ein sicheres Zeichen, daß Albrecht seine kleine Tenchika sehr vermißt hatte. Kamchak selbst hatte sich sehr über diesen Handel gefreut, was es Albrecht nicht gerade leichter machte. Der Tuchuk hatte immer wieder dröhnend gelacht und sich auf die Knie geschlagen, weil sich Albrecht offensichtlich in das Mädchen verliebt hatte. Dabei war sie nur eine Sklavin! Albrecht hatte seine Tenchika ärgerlich zweimal geschlagen und sie ein wertloses Ding genannt, während sie lachte und neben seiner Kaiila hin und her hüpfte und vor Freude weinte; zuletzt sah ich sie neben seinem Steigbügel herlaufen und den Kopf gegen seinen Pelzstiefel pressen.

Dina hatte ich, obwohl sie eine Sklavin war, zu mir in den Sattel genommen und war mit ihr fortgeritten, bis wir in der Ferne die weißen Mauern Turias erkennen konnten.

Als wir nahe genug heran waren, setzte ich das Mädchen ab und deutete auf die Stadt. »Das ist Turia«, sagte ich. »Deine Heimatstadt. Du bist frei.«

Das Mädchen senkte den Kopf. »Aber ich gehöre dir — ganz dir.«

»Du bist frei — das ist mein Wunsch.«

»Habe ich dir nicht gefallen?«

»Sehr sogar.«

»Aber warum verkaufst du mich nicht — ich bin wertvoll.«

»Wertvoller, als du ahnst.«

»Das verstehe ich nicht.«

Ich griff in meine Gürteltasche und gab ihr ein Goldstück. »Hier«, sagte ich. »Nun kehre nach Turia zurück, finde deine Familie und sei frei.«

Plötzlich begann sie zu zittern und klammerte sich an meinen Steigbügel.

Ich sprang ab und machte ihre Hände los. »Du bist frei! Soll ich dich in die Stadt bringen und über die Mauer werfen?«

Sie lachte. »Nein!« Plötzlich warf sie die Arme um meinen Hals und küßte mich. Als ich sie wieder abgesetzt hatte, bemerkte ich in der Ferne eine Staubwolke, die vor den Mauern der Stadt aufstieg. Wahrscheinlich einige Krieger auf Tharlarions. Ich machte mich von dem Mädchen los, sprang in den Sattel und winkte Dina zu.

Im nächsten Augenblick zischte mir ein Pfeil über den Kopf.

Ich lachte, riß die Kaiila herum und galoppierte davon, wobei die schwerfälligen Tharlarions schnell zurückfielen.

Die Verfolger kehrten bald um und fanden ein freies Mädchen, das in einer Hand ein Goldstück umklammerte und lachend und weinend einem Feind nachwinkte.

Als ich zu den Wagen zurückkehrte, waren Kamchaks erste Worte: »Ich hoffe, du hast einen guten Preis für sie erzielt.«

Ich lächelte.

Elizabeth Cardwell, die sich gerade um das Feuer im Wagen kümmerte, war erstaunt, als ich ohne Dina zurückkehrte. »Du ... hast sie ... verkauft?« fragte sie ungläubig. »Verkauft?«

»Vielleicht verkaufe ich dich auch«, sagte Kamchak.

Elizabeth wirkte plötzlich verschreckt. Sie warf mir einen flehenden Blick zu. Kamchaks Worte beunruhigten mich auch. Elizabeth musterte mich ungläubig und schüttelte den Kopf. Ich hielt es nicht für gut, ihr zu sagen, daß ich Dina freigegeben hatte — damit machte ich ihr das Leben nur schwer, und sie gab sich vielleicht der sinnlosen Hoffnung hin, daß ihr Kamchak eines Tages ein ähnliches Geschenk machen würde. Damit konnte sie kaum rechnen. Ich lächelte vor mich hin. Kamchak, der einer Sklavin die Freiheit gab? Undenkbar!

»Ja«, sagte Kamchak, »ich glaube, ich verkaufe dich.«

Elizabeth zitterte vor Entsetzen.

»Aber vielleicht könnte ich sie auch ausbilden lassen ...« überlegte er.

»Damit ließe sich ein besserer Preis erzielen«, sagte ich, wobei ich auch daran dachte, daß ein gutes Training wahrscheinlich einige Monate dauern würde.

»Sie ist eine kleine Barbarin«, sagte Kamchak und blinzelte mir zu. »Aber eine hübsche kleine Barbarin, nicht wahr?«

Ich folgte Kamchak vor den Wagen, wo er sich zu meiner Verblüffung an mich wandte: »Du warst ein Narr, als du Dina freigelassen hast.«

»Woher willst du wissen, daß ich sie freigelassen habe?«

»Ich habe gesehen, wie du sie vorn in den Sattel gehoben hast und in Richtung Turia geritten bist«, sagte er. »Ich weiß, daß du sie mochtest. Außerdem ist dein Beutel nicht dicker geworden.«

Ich lachte.

Kamchak deutete auf mein Geldtäschchen. »Du müßtest jetzt vierzig Goldstücke darin haben. Soviel ist sie mindestens wert — vielleicht sogar mehr. Eine geübte Bolaläuferin wie sie ...« Kamchak lachte. »Albrecht war ein Narr, aber Tarl Cabot ist ein noch größerer.«

»Vielleicht.«

»Jeder, der sich in ein Sklavenmädchen verliebt, ist ein Narr!«

»Vielleicht ist eines Tages auch Kamchak von den Tuchuks an der Reihe.«

Daraufhin warf Kamchak den Kopf in den Nacken und begann brüllend zu lachen. Als er sich wieder beruhigt hatte, schlug er mir auf die Schulter. »Komm, betrinken wir uns!«

»Aber morgen kämpfst du auf der Ebene der Tausend Pfähle — deshalb sollten wir lieber schlafen gehen!«

»Ich bin ein Tuchuk — also betrinke ich mich.« Wir spuckten dann um die Wette, um zu bestimmen, wer die Flasche Paga bezahlen mußte. Er gewann, indem er beim Spucken schnell den Kopf drehte und seitlich zielte. Im Vergleich zu seiner Fertigkeit fiel mein Versuch deprimierend einfallslos und geradlinig aus. Der schlaue Tuchuk hatte mich natürlich zuerst spucken lassen.

Am Morgen darauf erreichten wir die Ebene der Tausend Pfähle.

Trotz des wilden Abends schien Kamchak guter Laune zu sein, blickte sich pfeifend um und trommelte von Zeit zu Zeit einen kleinen Rhythmus auf seinem Sattel. Ich vermutete, daß Kamchak in Gedanken bei Aphris aus Turia war; offenbar rechnete er fest damit, dieses Mädchen zu gewinnen.

Ich weiß nicht, ob es auf der Ebene der Tausend Pfähle wirklich tausend Pfähle gibt — jedenfalls ist ihre Zahl sehr groß. Diese Pfähle, etwa zwei Meter hoch und vielleicht fünfzehn Zentimeter im Durchmesser, stehen sich in zwei parallelen Reihen paarweise gegenüber — der Zwischenraum zwischen den Reihen beträgt etwa fünfzehn Meter; innerhalb einer Reihe sind die Pfähle rund zehn Meter voneinander entfernt. Die beiden Pfahlreihen erstrecken sich vier Pasang weit über die Prärie. Eine dieser Reihen liegt zur Stadt hin, die andere zu den Prärien. Wie ich feststellte, waren die Pfähle kürzlich bunt angemalt worden, jeder in anderen Farben und in verschiedenen Mustern. Es war ein farbiges Bild, ein Bild der Lebensfreude. Ich mußte daran denken, daß zwischen diesen beiden Pfahlreihen in Kürze Männer kämpfen und sterben würden.

Ich bemerkte, daß Arbeiter an einigen Pfählen noch kleine Ringe anbrachten, etwa anderthalb Meter über dem Boden.

Ich hörte einige Musiker, die etwa fünfzig Meter hinter den turianischen Pfählen leichte Weisen spielten.

Zwischen den beiden Pfahlreihen war für jedes gegenüberliegende Pfahlpaar ein Kreis in das Gras gemäht, ein Kreis, der etwa zweieinhalb Meter groß war. Das Rund war mit Sand ausgelegt.

Zwischen den Männern der Wagenvölker drängten sich kühn Händler aus Turia und verkauften Kuchen, Wein und Fleisch, auch Ketten und Sklavenkragen.

Kamchak warf einen Blick auf die Sonne, die ihren Himmelsweg etwa zu einem Viertel zurückgelegt hatte. »Die Turianer kommen immer zu spät«, sagte er.

»Sie kommen aber«, sagte ich und deutete auf eine Staubwolke. Bei den Tuchuks entdeckte ich jetzt den jungen Harold, den Hereena vom Ersten Wagen so herablassend behandelt hatte. Das Mädchen selbst war nicht zu sehen. Der junge Bursche machte auf mich einen guten Eindruck, auch wenn er keine Narbe trug. Das hatte zur Folge, daß er an den heutigen Wettkämpfen nicht teilnehmen konnte — ohne Narbe durfte er auch nicht um eine freie Frau werben, einen eigenen Wagen besitzen oder mehr als fünf Bosks und drei Kaiila sein Eigentum nennen. Die Mutnarbe hat also nicht nur eine kämpferische, sondern auch eine soziale und wirtschaftliche Bedeutung.

Lange Reihen von Tharlarions näherten sich von der Stadt. Die Morgensonne blitzte auf den Helmen der turianischen Krieger, auf ihren langen Lanzen und auf den Metallverstärkungen ihrer ovalen Schilde. Ich hörte das Dröhnen der beiden Tharlariontrommeln, die die Geschwindigkeit der Prozession bestimmten — wie das Klopfen eines Herzens. Neben den Tharlarions schritten andere Bewaffnete und sogar Bürger Turias sowie weitere Händler und Musiker, die die Spiele sehen wollten.

Turia selbst zeigte sich in vollem Flaggenschmuck; auf den Mauern drängten sich die Menschen, die die Wettkämpfe zweifellos durch die langen Gläser der Kaste der Hausbauer beobachten wollten.

Etwa zweihundert Meter vor den Pfahlreihen zog sich die Formation der turianischen Krieger in die Breite, bis sie fast der Länge der Pfahlreihen entsprach. Dann setzten sich auf ein plötzliches Signal der Trommel die mächtigen Tharlarions in Bewegung, die Lanzen senkten sich, die Reiter begannen zu brüllen, und die ganze Reihe donnerte heran.

»Verrat!« brüllte ich.

Gegen den Angriff einer Tharlarionarmee gab es keinen Schutz.

Zu meiner Verblüffung schienen sich die Krieger der Wagenvölker wenig um die gefährliche Lawine zu kümmern, die sich ihnen näherte. Einige feilschten gelassen mit den Händlern, andere unterhielten sich in aller Ruhe.

Elizabeth hatte die Hände vor das Gesicht geschlagen, und ich machte Anstalten, sie auf meinen Sattel zu ziehen und die Flucht zu ergreifen.

»Also wirklich!« sagte Kamchak tadelnd.

Ich richtete mich auf und sah, daß die Kette der Tharlarionreiter zischend und stampfend haltgemacht hatte — etwa fünfzehn Meter vor den Pfählen. »Ein alter turianischer Scherz«, sagte Kamchak. »Sie freuen sich ebenso auf die Spiele wie wir und wollen sich den Spaß nicht verderben.« Und er lachte.

Ich wandte mich verlegen ab.

In diesem Augenblick entstand Bewegung bei den Turianern, die lachend mit den Lanzen gegen ihre Schilde schlugen. Kaiilahufe donnerten hinter uns auf, und eine große Anzahl langhaariger Reiter stürmte in das Lager der Wagenvölker.

Ja, sie waren großartig, die wilden Mädchen der Wagenvölker, und ich sah, daß die stolze Hereena keine geringe Rolle unter ihnen spielte. Ihr Blick fiel auf Harold, neben dem sie von ihrer Kaiila sprang und ihm die Zügel zuwarf. »Bring das Tier fort, Sklave«, sagte sie frech.

Wütend nahm er die Zügel und führte das Tier zur Seite.

Nun wurde es auch bei den Wagenvölkern laut, als hinter den Reihen der Turianer verhüllte Sänften abgesetzt wurden, denen die Damen der Stadt entstiegen, um die es bei den Spielen gehen sollte.

Die Einrichtung des Liebeskrieges zwischen den Turianern und den Wagenvölkern ist eine alte Tradition, älter sogar als das Omenjahr. Die theoretische Begründung für diese Spiele besteht für die Turianer darin, daß sich hier eine ausgezeichnete Gelegenheit bietet, die Wildheit und Geschicklichkeit turianischer Krieger unter Beweis zu stellen und so die kühnen Krieger der Wagenvölker zu entmutigen. Wahrscheinlich kämpft der turianische Krieger gern und bringt im Kampf seine Frauen an sich. Die Turianer sind ohnehin der Meinung, daß ihre Krieger zu wenig mit den Wagenvölkern kämpfen, die sich als ausweichender Gegner erwiesen haben, schnell zuschlagend und schnell wieder in der Versenkung verschwunden. Ich fragte einmal Kamchak, ob auch die Wagenvölker einen Grund für den Liebeskrieg hätten. Er bejahte meine Frage und deutete lachend auf die Sklavenmädchen Tenchika und Dina, die damals noch in seinem Wagen lebten. »Das ist der Grund«, sagte Kamchak. Jetzt erst ging mir auf, daß die beiden Sklavenmädchen vielleicht bei einem Kampf im Liebeskrieg gewonnen worden waren.

Eine nach der anderen entstiegen die stolzen Damen Turias nun ihren Sänften, in Roben der Verhüllung gekleidet. Nicht jede durfte sich als Preis für die Kämpfe zur Verfügung stellen; nach allgemeiner Übereinkunft konnten überhaupt nur die schönsten ausgewählt werden.

Ich hörte einen Schiedsrichter rufen: »Erster Pfahl! Aphris aus Turia!«

»Ha!« brüllte Kamchak und schlug mir so heftig auf den Rücken, daß ich fast aus dem Sattel gestürzt wäre.

Ich war verblüfft. Das turianische Mädchen mußte wirklich von großer Schönheit sein, wenn sie für den Ersten Pfahl bestimmt wurde.

In ihrer weißen und goldenen Robe wurde Aphris nun von dem Schiedsrichter zum ersten Pfahl auf der Seite der Wagenvölker geführt. Die Präriemädchen würden an den Pfählen auf der Stadtseite stehen. So konnten die turianischen Mädchen ihre Stadt und ihre Krieger sehen, während die Mädchen der Wagenvölker die Ebene und ihre Kämpfer betrachten konnten.

Ich sah, daß Hereena aus dem Ersten Wagen am Dritten Pfahl stand, obwohl die beiden Kassarmädchen vor ihr nicht hübscher zu sein schienen. Sie war darüber sichtlich erbost, konnte jedoch die Entscheidung der Schiedsrichter nicht anfechten.

Ich blickte die Pfahlreihen entlang. Die Mädchen der Wagenvölker standen stolz vor ihren Pfählen, zuversichtlich, daß ihre Kämpfer, die noch nicht bestimmt waren, durch einen Sieg ihre Rückkehr zum eigenen Volk sicherstellen würden; die Mädchen aus der Stadt taten ebenso gelassen, aber auch sie waren sicher aufgeregt.

Kamchak ritt auf seiner Kaiila durch die Menge auf den ersten Pfahl zu.

Ich folgte ihm.

Er beugte sich aus dem Sattel. »Guten Morgen, kleine Aphris«, sagte er.

Sie erstarrte, würdigte ihn aber keines Blicks. »Bist du zum Sterben bereit, Sleen?« fauchte sie.

»Nein«, sagte Kamchak. »Wie ich sehe, trägst du den Kragen nicht mehr. Aber das macht nichts — ich habe noch einen für dich.«

»Ich freue mich schon darauf, wenn du im Sand kniest, und Kamras aus Turia um den tödlichen Streich bittest!«

»Die nächste Nacht, kleine Aphris, wirst du im Dungsack verbringen, wie ich es dir versprochen habe.«

Er lachte laut und lenkte seine Kaiila weiter. Nun wurden die Mädchen auf beiden Seiten an den Pfählen festgemacht; sie mußten die Hände durch die Ringe stecken, die sodann geschlossen wurden. Die Schlüssel wurden an kleinen Haken über ihren Köpfen befestigt.

Ich sah, wie Aphris unauffällig die Hände in ihren Fesseln bewegte, um sie herauszuziehen; aber das ging natürlich nicht. Nun war es zu spät, aus dem Liebeskrieg auszusteigen.

»Sind die Frauen gefesselt?« fragte der Oberrichter, der auf einer kleinen Plattform am Ende der Pfahlreihen stand — in diesem Jahr auf der Seite der Wagenvölker.

»Sie sind gefesselt!« tönte es.

»Dann sollen sich die Kämpfer finden!« rief der Schiedsrichter.

Nun gerieten die Krieger der Wagenvölker und die Turianer in Bewegung, strömten in das Gebiet zwischen den Pfahlreihen. Die Präriemädchen waren natürlich unverschleiert, was es den Turianern leicht machte. Die Krieger der Wagenvölker mußten sich an die Schiedsrichter wenden, wenn sie ein turianisches Mädchen sehen wollten; diese lüfteten dann kurz den Schleier. Natürlich würde kein Angehöriger der Wagenvölker sein Leben für ein Mädchen riskieren, das er gar nicht gesehen hatte.

»Ich möchte mir gern die hier ansehen«, sagte Kamchak und deutete mit dem Daumen auf Aphris.

»Erinnerst du dich nicht an mein Gesicht, Sleen!« fauchte die Verschleierte.

»Mein Gedächtnis ist nicht mehr gut«, sagte Kamchak. »Hier begegnen einem so viele Gesichter.«

Der Schiedsrichter löste Aphris’ weißen und goldenen Schleier. Das Mädchen war wirklich unglaublich schön.

»Was meinst du?« fragte mich Kamchak.

»Sie ist großartig«, sagte ich.

»Wahrscheinlich gibt es noch bessere weiter unten«, sagte Kamchak. »Sehen wir uns lieber erst noch mal um.«

Aphris Gesicht rötete sich vor Zorn, und sie schrie hinter ihm her: »Komm zurück, du Sleen!«

»Willst du nicht für sie kämpfen?« fragte ich Kamchak.

»Aber natürlich«, grinste er.

Trotzdem schauten wir uns nacheinander alle turianischen Mädchen an und kehrten erst nach langer Zeit an den Anfang der Pfahlreihen zurück.

»Ein trauriger Haufen dieses Jahr«, wandte sich Kamchak an Aphris.

»Kämpfe für mich!«

»Möchtest du das?« fragte Kamchak interessiert.

Sie zitterte vor Wut. »Ja! Ich möchte es!«

»Na gut«, sagte Kamchak. »Dann kämpfe ich für dich.«

Es wollte mir scheinen, als lehnte sich Aphris aus Turia erleichtert gegen ihren Pfahl. Sie musterte Kamchak erfreut. »Du wirst vor meinen Füßen sterben.«

Kamchak zuckte die Achseln, ohne die Möglichkeit zu verneinen. Dann wandte er sich an den Schiedsrichter: »Will sonst noch jemand für sie kämpfen?«

»Nein«, sagte der Schiedsrichter.

Wollen mehr als zwei Männer für ein Mädchen kämpfen, entscheidet gewöhnlich Rang und Ansehen über den Vortritt; es ist verpönt, daß sich etwa zwei Angehörige der Wagenvölker um ein Mädchen schlagen — besonders in Anwesenheit des Feindes.

»Dann scheint sie ja ziemlich unansehnlich zu sein«, bemerkte Kamchak.

»Nein«, sagte der Schiedsrichter. »Es liegt daran, daß Kamras sie verteidigt.«

»O nein!« rief Kamchak sichtlich erschrocken und fuhr zurück.

»Du wirst dich doch noch erinnern?« lachte Aphris höhnisch.

»Ich habe damals viel Paga getrunken«, gestand Kamchak.

»Du brauchst nicht zu kämpfen«, sagte der Richter, »dann fällt ihm das Kassarmädchen zu.«

Diese Aussicht schmeckte dem Kassarmädchen, das Aphris gegenüberstand, offenbar ganz und gar nicht. Sie blickte Kamchak erschrocken und flehend an.

Der zuckte die Achseln. »Na gut, dann kämpfe ich.«

»Du bist ein Narr«, sagte Kamras aus Turia.

Ich zuckte etwas zusammen, denn ich hatte nicht gemerkt, daß der Turianer so dicht hinter uns gestanden hatte. Er bot wirklich ein eindrucksvolles Bild. Er wirkte stark und schnell. Das lange schwarze Haar hatte er hinter dem Kopf zusammengebunden. Seine kraftvollen Handgelenke waren mit Boskleder umwickelt. In seiner Rechten trug er einen Speer und über der Schulter ein kurzes Schwert. Er überragte Kamchak um Haupteslänge.

»Beim Himmel«, sagte dieser und pfiff durch die Zähne, »du bist wirklich ein großer Bursche.«

»Fangen wir an«, forderte Kamras ungeduldig. Daraufhin ließ der Schiedsrichter den Kreis zwischen Aphris und dem Kassarmädchen frei machen. Zwei Männer kamen mit Harken und säuberten den Ring.

Zu Kamchaks Pech waren in diesem Jahr die Turianer mit der Waffenwahl an der Reihe. Glücklicherweise konnte aber der Krieger der Wagenvölker vom Kampf zurücktreten, solange sein Name in den offiziellen Listen der Spiele noch nicht eingetragen war. Wählte Kamras also eine Waffe, mit der Kamchak nicht zurechtkam, konnte der Tuchuk den Kampf ablehnen, womit das Kassarmädchen allerdings verloren war.

»Ah ja — die Waffen«, sagte Kamchak. »Was nehmen wir denn — die Kaiilalanze, Peitsche und Bola, vielleicht die Quiva?«

»Schwert«, sagte Kamras hart.

Diese Entscheidung stürzte mich in Verzweiflung. Seit ich bei den Wagenvölkern war, hatte ich noch keines von den goreanischen Kurzschwertern gesehen, die in den Städten so beliebt sind — wahrscheinlich, weil sich diese Waffe vom Rücken einer Kaiila aus nicht gut einsetzen läßt, so war denn zu erwarten, daß der arme Kamchak mit dem Schwert sicherlich wenig vertraut war. Gewöhnlich wählen turianische Krieger bei den Kämpfen des Liebeskrieges Morgenstern und Dolch, Axt und Morgenstern, Dolch und Peitsche, Axt und Netz oder zwei Dolche — mit der Einschränkung, daß die Quiva nicht geschleudert werden darf.

Kamras schien fest entschlossen. »Das Schwert«, wiederholte er.

»Aber ich bin doch nur ein armer Tuchuk«, jammerte Kamchak.

Kamras lachte. »Es bleibt dabei«, sagte er.

»Aber wie soll ich mich mit dem Schwert verteidigen — ich, ein armer Tuchuk?«

Kamras lächelte voller Verachtung. »Ich will großzügig sein — verzichte auf den Kampf!«

»Kämpfe, dreckiger Tuchuk!« wütete Aphris und zerrte an ihren Ringen.

»Laß ihm den Ausweg«, sagte Kamras. »Ganz Gor wird über ihn lachen — und das ist deine Rache.«

»Ich will, daß er stirbt!« schrie Aphris. »Er soll vor mir im Staub verbluten!«

Kamras zuckte die Achseln. »Na gut, dann töte ich ihn.« Er wandte sich an Kamchak. »Ich gestatte dir, eine Waffe zu wählen, die uns beiden recht ist.«

»Vielleicht kämpfe ich ja gar nicht«, sagte Kamchak.

Kamras ballte die Fäuste. »Gut, wie du willst.«

»Aber vielleicht kämpfe ich doch«, sagte Kamchak schnell. »Gut, ich kämpfe!« setzte er nach einer kleinen Pause hinzu.

Die beiden Mädchen stießen einen Freudenschrei aus.

Der Schiedsrichter trug Kamras und Kamchak in seine Listen ein.

»Welche Waffe wählt ihr?« fragte der Schiedsrichter. »Denkt daran, beide müssen mit der Wahl einverstanden sein.«

Kamchak wiegte gedankenverloren den Kopf und blickte schließlich seinen Gegner an. »Ich habe mich schon öfter gefragt, wie es ist, wenn man so ein Schwert hält.«

Der Schiedsrichter ließ fast seine Liste fallen.

»Ich nehme das Schwert«, sagte Kamchak kurzentschlossen.

Das Kassarmädchen stöhnte laut auf.

Kamras blickte Aphris aus Turia an. Er schien sprachlos zu sein. Auch das Mädchen wußte nichts zu sagen. »Er ist wahnsinnig«, brachte Kamras schließlich heraus.

»Tritt zurück«, sagte ich zu Kamchak.

»Zu spät«, sagte der Richter.

»Zu spät«, sagte Kamchak unschuldig und warf mir einen bedauernden Blick zu.

Innerlich stöhnte ich auf, denn in den letzten Monaten hatte ich den mutigen, schlauen Tuchuk sehr ins Herz geschlossen.

Schwerter wurden gebracht, goreanische Kurzschwerter, die in Ar geschmiedet worden waren.

Kamchak nahm seine Waffe zur Hand, als handelte es sich um einen Wagenhebel, der dazu dient, festgefahrene Wagen aus dem Schlamm zu stemmen.

Kamras und ich blickten uns entsetzt an.

Was Kamras nun sagte, muß ich ihm hoch anrechnen. Er wandte sich an Kamchak: »Tritt zurück.« Ich konnte ihn verstehen, er war ein Krieger und kein Schlächter.

»Zu meinen Füßen soll er verbluten!« fauchte die sanfte Aphris aus Turia. »Ein Goldstück für jeden Stich, Kamras!« rief sie.

Kamchak fuhr mit dem Daumen über die Klinge. Ich sah, wie sich die Haut spaltete und ein dicker Blutstropfen hervortrat.

Er blickte auf. »Scharf«, sagte er bewundernd.

»Ja«, sagte ich erschöpft und wandte mich ab. »Darf ich für ihn kämpfen?« fragte ich den Schiedsrichter.

»Das ist nicht gestattet«, erwiderte der Mann.

»Aber es wäre eine gute Lösung«, sagte Kamras.

Ich packte Kamchak an den Schultern. »Kamras will dich nicht abschlachten«, sagte ich. Es genügt ihm, dich zu beschämen. Tritt zurück.«

Plötzlich blitzte mich Kamchak an. »Möchtest du, daß ich in Schande zurücktrete?«

»Es ist besser, in Schande zurückzutreten, als tot zu sein.«

»Nein«, sagte er, »besser tot als in Schande zu leben.«

Ich ließ ihn in Ruhe. Er war ein Tuchuk. Er würde mir sicher sehr fehlen, dieser wilde, trinkfeste, stampfende, tanzende Kamchak von den Tuchuks.

Im letzten Augenblick rief ich ihm zu: »Um der Priesterkönige willen — du mußt die Waffe so halten!« Und ich versuchte ihm einen einfachen Griff zu zeigen, der ihm sowohl den Angriff als auch die Verteidigung gestattete. Aber als ich zurücktrat, hielt er seine Waffe wie eine goreanische Säge.

Auch Kamras schloß kurz die Augen, als könne er diesen Anblick nicht ertragen. Ich machte mir klar, daß Kamras den Tuchuk hatte erniedrigen wollen — er verspürte keinen Wunsch, den ungeschickten Tuchuk zu töten, der ja praktisch wehrlos war.

»Der Kampf soll beginnen«, sagte der Schiedsrichter.

Ich trat zurück, und Kamras näherte sich vorsichtig seinem Gegner.

Kamchak betrachtete die Kante seines Schwertes, drehte es hin und her und beschäftigte sich offenbar vergnügt mit den Reflexionen der Sonnenstrahlen auf dem Stahl.

»Paß auf!« brüllte ich.

Kamchak wandte sich um, um zu sehen, was ich meinte, und zu seinem Glück blitzte in diesem Augenblick der Lichtreflex genau in Kamras’ Augen, der plötzlich den Arm hochwarf und blinzelnd den Kopf schüttelte. Er konnte nichts sehen.

»Schlag zu!« kreischte ich.

»Was?« fragte Kamchak.

»Paß auf!« brüllte ich, denn Kamras ging erneut vor.

Kamras hatte natürlich die Sonne im Rücken, was ihm so selbstverständlich war wie einem Tarn, der seine Beute angeht.

Kamchak hatte unglaubliches Glück, daß die Klinge im rechten Augenblick aufgeblitzt war. Das hatte ihm wahrscheinlich das Leben gerettet. Kamras ging zum Angriff über, und es sah aus, als würfe Kamchak im letzten Augenblick den Arm hoch, als verlöre er das Gleichgewicht, und tatsächlich hoppelte er plötzlich nur noch auf einem Stiefel herum. Ich bemerkte kaum, wie Kamras’ Schlag heftig pariert wurde. Kamras begann seinen Gegner nun im Ring herumzujagen. Kamchak stolperte fast rückwärts aus dem Kreis und versuchte sein Gleichgewicht wiederzugewinnen. Bei seiner Verfolgung hatte Kamras ein Dutzendmal recht ungeschickt zugeschlagen, wobei Kamchak zu meiner Verblüffung jeden Schlag hatte abwehren können; er hielt sein Schwert jetzt wie einen Prügel.

»Töte ihn!« kreischte Aphris aus Turia.

Ich war in Versuchung, mich abzuwenden.

Das Kassarmädchen wimmerte vor Enttäuschung.

Als sei er ermüdet, setzte sich Kamchak plötzlich schweratmend in den Sand. Das Schwert hatte er vor das Gesicht gehoben, wo es ihn offensichtlich beim Sehen behinderte. Mit den Stiefeln drehte er sich im Kreis, so daß er stets Kamras ansah, aus welcher Richtung dieser auch angriff. Immer wieder schlug der Turianer zu, und ich erwartete bei jedem Hieb, Kamchak tot umsinken zu sehen, und jedesmal wollte mir das Herz in der Brust stocken, doch — ich verstand es nicht — stets im letzten Augenblick wehrte Kamchak mit einem müden kleinen Zucken seiner Klinge den Aufprall ab, so daß der turianische Stahl harmlos zur Seite glitt. Erst jetzt dämmerte mir, daß Kamchak nun schon seit drei oder vier Minuten das Ziel eines immer heftiger werdenden Angriffs war — eines Angriffs durch den Ersten Kämpfer Turias —, ohne daß er bis zu diesem Moment auch nur einen Kratzer davongetragen hatte.

Nun rappelte sich Kamchak müde wieder auf.

»Stirb, Tuchuk!« brüllte Kamras, der nun seine Wut kaum noch zügeln konnte und seinen Gegner bestürmte. Über eine Minute lang — ich wagte kaum zu atmen, und ringsum herrschte Stille bis auf das grelle Klirren der Waffen, — hielt Kamchak schwerfällig stand, den Kopf eingezogen der Körper fast unbeweglich — bis auf die schnellen Bewegungen seines Arms und das Zucken seines Handgelenks.

Kamras, erschöpft, kaum noch in der Lage, das Schwert zu heben, stolperte zurück.

Wieder zuckten die Sonnenstrahlen auf Kamchaks Schwert und stachen seinem Gegner direkt in die Augen.

Entsetzt schüttelte Kamras den Kopf und blinzelte, schlug wild mit dem Schwert um sich.

Dann stampfte Kamchak schwerfällig auf ihn zu. Ich sah, wie Kamras die ersten Wunden hinnehmen mußte, zuerst an der Wange, dann am linken Arm, dann am Bein, dann an einem Ohr.

»Töte ihn!« kreischte Aphris. »Töte ihn!«

Doch jetzt kämpfte Kamras wie ein Betrunkener um sein Leben, und der Tuchuk folgte ihm wie ein Bär überallhin — er bewegte sich nicht mehr als nötig, schlurfte durch den Sand, verwundete Kamras immer wieder mit seiner Klinge.

»Töte ihn!« heulte Aphris aus Turia.

Etwa eine Viertelstunde lang setzte Kamchak seinem Gegner nach, brachte ihm immer neue Wunden bei. Und dann sah ich zur Überraschung aller Kamras, den Ersten Kämpfer Turias, geschwächt vom Blutverlust in die Knie sinken. Der Tuchuk stand über ihm. Kamras versuchte sein Schwert zu heben, doch Kamchaks Stiefel drückte es in den Sand, und Kamras starrte betäubt in das unergründliche, narbige Gesicht des Tuchuks. Kamchaks Schwert lag ihm am Hals. »Sechs Jahre vor meiner ersten Narbe«, sagte Kamchak, »war ich Söldner bei den Wächtern von Ar und erkundete für mein Volk die Mauern und Verteidigungsanlagen dieser Stadt. Damals war ich Erster Schwertkämpfer der Wachen.«

Kamras fiel zu seinen Füßen in den Sand, er war zu schwach, um um Gnade zu bitten.

Kamchak tötete ihn nicht.

Er warf sein Schwert in den Sand, und obwohl er es nur von sich warf, grub es sich bis fast zum Griff in den Ring. Er blickte mich an und grinste. »Eine interessante Waffe«, versicherte er, »aber ich ziehe Lanze und Quiva vor.«

Jubelgeschrei wurde laut, und Lanzen wurden gegen Lederschilde geschlagen. Ich eilte zu Kamchak und warf ihm die Arme um die Schultern und drückte ihn lachend an mich. Er grinste von einem Ohr zum anderen.

Dann wandte er sich um und näherte sich dem Pfahl Aphris’, die ihm sprachlos vor Entsetzen entgegenblickte.

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