In den nächsten Tagen strich ich mehrmals in der Nähe des riesigen Wagens Kutaituchiks herum. Mehr als einmal verscheuchten mich die Wächter. Ich wußte, daß sich in diesem Wagen die goldene Kugel, zweifellos das Ei der Priesterkönige befinden mußte, wenn Saphrars Informationen stimmten.
Ich machte mir klar, daß ich mir irgendwie Zugang zu dem Wagen verschaffen, die Kugel an mich bringen und sie ins Sardargebirge transportieren mußte. Jetzt hätte ich einiges für einen Tarn gegeben. Meine Kaiila nützte mir wenig; ich war sicher, daß man mich schnell eingeholt hätte, wenn die Verfolger, wie es bei den Wagenvölkern üblich ist, jeweils einige frische Tiere mitführten. Meine Kaiila würde schnell ermüden, und ich wäre erledigt.
Die Prärie erstreckte sich auf Hunderte von Pasang in alle Richtungen. Deckung gab es kaum.
Natürlich war es denkbar, daß ich Kutaituchik oder Kamchak meine Mission offenbarte und dann einfach auf das Beste hoffte, aber ich erinnerte mich, daß Kamchak zu Saphrar gesagt hatte, die Tuchuks wären stolz auf die goldene Kugel; ich hatte also keine Hoffnung, ihnen das Ding abzuschwatzen. Ebensowenig verfügte ich über ein Vermögen wie Saphrar, um das Ei zu kaufen, wobei nicht einmal Saphrars konkrete Angebote auf Gegenliebe gestoßen waren.
Dennoch wollte ich mich nicht wie ein Dieb in den Wagen Kutaituchiks schleichen, denn die Tuchuks hatten mich auf ihre grobe Art in ihrer Mitte aufgenommen — besonders der ungeschliffene, lachende, schlaue Kamchak, in dessen Wagen ich wohnte. Es schien mir ungerecht, die Gastfreundschaft der Tuchuks zu mißbrauchen, indem ich einen Gegenstand an mich brachte, den sie offenbar selbst sehr hoch einschätzten. Ich fragte mich, ob einer der Tuchuks ahnte, wie groß der Wert dieser goldenen Kugel wirklich war, die zweifellos die letzte Hoffnung des Volkes der Priesterkönige barg. In Turia hatte ich leider keine Antwort auf das Rätsel des Briefkragens gefunden — auch nicht über das seltsame Auftauchen von Miß Elizabeth Cardwell auf den südlichen Ebenen Gors. Ich hatte jedoch zufällig den Aufbewahrungsort der goldenen Kugel herausbekommen und wußte, daß Saphrar, ein Mann der Macht, ebenfalls daran interessiert war. Diese Informationen waren nicht zu unterschätzen. Ich fragte mich, ob vielleicht Saphrar der Schlüssel des Geheimnisses war, dem ich mich gegenübersah. Das schien mir nicht unmöglich. Wie konnte es sein, daß er, ein Kaufmann Turias, von der goldenen Kugel wußte? Wie war es möglich, daß er, offenbar ein schlauer und intelligenter Mann, ein Vermögen für etwas ausgeben wollte, das er nur eine Kuriosität nannte? Hier schien etwas nicht in Übereinstimmung zu sein mit der rationalen Gier kaufmännischer Kalkulation, etwas, das selbst über die Verblendung eines begeisterten Sammlers hinausging — der zu sein er behauptete. Was immer Saphrar, Kaufmann aus Turia, sein mochte — ein Narr war er sicher nicht. Er oder jene, für die er arbeitete, mußten ahnen — oder wissen —, worum es sich bei der goldenen Kugel handelte. Wenn dies zutraf — was ich für wahrscheinlich hielt —, dann mußte ich das Ei so schnell wie möglich an mich bringen und es nach Möglichkeit in das Sardargebirge schaffen. Ich hatte keine Zeit mehr zu verlieren. Aber wie sollte ich mein Werk beginnen?
Ich kam zu dem Schluß, daß die beste Gelegenheit für den Diebstahl die Tage der Omenfindung sein würden. Zu dieser Zeit hielten sich Kutaituchik und andere hohe Persönlichkeiten der Tuchuks — zweifellos auch Kamchak — in den flachen Hügeln rings um das Omental auf, in dem auf Hunderten von Steinaltären die Haruspexe der vier Wagenvölker ihrem geheimnisvollen Beruf nachgingen und die Omen befragten, um zu bestimmen, ob die Zeit richtig war für die Wahl eines Ubar San, eines Hohen Ubar für alle Wagenvölker. Wenn so ein Mann gewählt wurde, dann hoffte ich zum Besten der Wagenvölker, daß die Wahl nicht auf Kutaituchik fiel. Er war bestimmt einmal ein großer Mann gewesen und ein vorzüglicher Krieger, aber nun war er nur noch schläfrig und dick und dachte allenfalls an den Inhalt seines goldenen Kandakastens. Andererseits mochte eine solche Wahl im Sinne der goreanischen Städte liegen; unter Kutaituchik zogen die Wagen bestimmt nicht nach Norden, nicht einmal vor die Tore Turias. Dann überlegte ich, daß es wahrscheinlich gar nicht zu der Wahl kommen würde — es hatte seit über hundert Jahren keinen Ubar San mehr gegeben — und die Wagenvölker in ihrer Wildheit und Unabhängigkeit gar keinen Ubar San mehr haben wollten.
Wie schon mehrmals zuvor fiel mir plötzlich eine maskierte Gestalt auf, die mir überallhin zu folgen schien — ein Mann in der Tracht des Klans der Folterer. Ich nahm an, daß er neugierig war, weil ich, obwohl weder Händler noch Sänger, bei den Wagen lebte. Wenn ich den Mann anschaute, wandte er sich ab. Vielleicht bildete ich mir auch nur ein, daß er mich verfolgte. Eimal beschloß ich, mich umzudrehen und ihn auszufragen, aber er war verschwunden.
Ich kehrte zu Kamchaks Wagen zurück. Ich freute mich auf den Abend.
An jenem Abend führte ein Sklavenmädchen den Kettentanz vor. Sie gehörte dem Mann, der im Tuchuklager Paga feilhielt und war uns am Vorabend des Liebeskrieges bereits aufgefallen. Ich wußte noch, daß Kamchak das Mädchen am liebsten selbst gekauft hätte.
Schon hatte man nahe dem Wagen des Händlers ein Viereck abgeteilt. Gegen Geld ließ der Wagenbesitzer Zuschauer eintreten. Dieses Arrangement irritierte mich etwas, denn gewöhnlich finden die traditionellen Sklaventänze am offenen Lagerfeuer statt. Aber vielleicht war dieses kleine Mädchen aus Port Kar etwas besonderes. Kamchak, der sich sonst nicht so leicht von einer Tarnmünze trennte, schien besondere Informationen zu haben. Ich beschloß, diesmal nicht mit ihm um das Eintrittsgeld zu wetten.
Ich eilte die Stufen hinauf und betrat den Wagen.
Nur die beiden Mädchen waren anwesend, und Aphris kniete hinter Elizabeth und kämmte ihr Haar. Sie schienen ziemlich aufgeregt zu sein. Vielleicht hatte Kamchak ihnen ein Geschenk versprochen.
»Sei gegrüßt, Herr«, sagten beide Mädchen im Chor.
»Seid gegrüßt. Wo ist Kamchak?«
»Er kommt gleich«, versicherte Elizabeth.
»Kamchak nimmt uns heute abend mit zu einem Kettentanz«, sagte Aphris.
Ich war erstaunt. Wie kam Kamchak dazu, die Mädchen mitzunehmen? Der Händler würde bestimmt auch für die Mädchen Eintritt verlangen.
»Ho!« brüllte Kamchak, als er in den Wagen stapfte. »Fleisch!« verlangte er.
Elizabeth und Aphris sprangen auf und kümmerten sich draußen um das Kochfeuer. Er setzte sich mit untergeschlagenen Beinen auf den Teppich in der Nähe des Feuers.
Dann musterte er mich schräg von der Seite und zog zu meiner Überraschung eine Tospit aus seinem Beutel — eine gelblich-weiße bittere Frucht, die einem Pfirsich ähnelt, aber nur die Größe einer Pflaume hat. Er warf mir die Tospit zu.
»Gerade oder ungerade?« fragte er. Ich hatte mich entschlossen, mit Kamchak nicht mehr zu wetten, aber jetzt bot sich mir eine Gelegenheit zur Rache, die ich dringend brauchte. Die gewöhnliche Tospit hat fast immer eine ungerade Zahl von Kernen. Andererseits hat die seltene langstielige Tospit in der Regel eine gerade Anzahl Kerne. Beide Früchte sind äußerlich nicht zu unterscheiden. Ich konnte sehen, daß bei dieser Tospit der Stengel abgedreht worden war, bestimmt kein Zufall. Es mußte sich also um die seltene langstielige Sorte handeln.
»Gerade«, sagte ich.
Kamchak sah mich an, als hätte er Zahnweh. »Tospits haben aber fast immer eine ungerade Zahl von Kernen«, sagte er.
»Gerade«, beharrte ich.
»Na gut«, räumte er ein, »dann iß die Tospit und sieh nach.«
»Warum sollte ich sie essen?« fragte ich. Die Tospit ist immerhin ziemlich bitter. Warum sollte Kamchak sie nicht essen? Er hatte die Wette vorgeschlagen.
»Ich bin ein Tuchuk«, sagte Kamchak. »Ich komme vielleicht in Versuchung, einen Kern zu verschlucken.«
»Dann schneiden wir sie auf.«
»Da verpaßt man vielleicht ein Körnchen.«
»Vielleicht könnten wir die Tospit zerdrücken?«
»Aber macht das nicht zuviel Arbeit? Davon bekommt auch der Teppich Flecke.«
»Dann zerdrücken wir sie eben in einer Schale.«
»Aber dann müßten wir die Schale auswaschen.«
»Das stimmt.«
»Alles in allem«, sagte Kamchak, »meine ich, daß du die Frucht essen solltest.«
»Da hast du wohl recht.«
Ich biß tapfer in die Frucht, die sich tatsächlich als sehr bitter erwies.
»Außerdem«, sagte Kamchak, »mag ich Tospits nicht sehr.«
»Das kann ich verstehen.«
»Sie sind sehr bitter.«
»Allerdings«, stimmte ich zu.
Ich aß die Frucht — und stellte fest, daß sie sieben Fruchtkerne hatte. Wütend spuckte ich sie auf die Handfläche.
»Die meisten Tospits«, sagte Kamchak, »haben eine ungerade Anzahl von Kernen.«
»Ich weiß.«
»Warum hast du dann auf eine gerade Zahl gesetzt?«
»Ich nahm an, daß du eine langstielige Tospit gefunden hattest.«
»Aber die gibt’s doch erst gegen Ende des Sommers.«
»Oh.«
»Da du verloren hast«, sagte Kamchak, »halte ich es für fair, daß du heute abend den Eintritt bezahlst!«
»Na gut.«
»Die Sklavinnen kommen mit.«
»Natürlich.«
Ich nahm einige Münzen aus meinem Geldbeutel und reichte sie Kamchak, der sie in der Tasche verschwinden ließ. Als ich ihm das Geld überreichte, warf ich nachdenkliche Blicke auf die juwelenund geldgefüllten Truhen und Schalen in der Ecke des Wagens.
»Da kommen die Sklavinnen. Jetzt gibt’s etwas zu essen.«
Mit meinem Geld, fair gewonnen, bezahlte Kamchak unseren Eintritt, und wir drängten uns in das verhängte Viereck.
Zahlreiche Männer und auch einige Mädchen hatten bereits Platz genommen. Auch Kassars und Paravaci waren gekommen und einer der Kataii, die sich sonst in den Lagern der anderen Völker selten sehen ließen. Natürlich waren die Tuchuks zahlenmäßig am stärksten vertreten; sie saßen mit untergeschlagenen Beinen um ein großes Feuer in der Mitte der Einfriedung. Sie waren bester Laune und lachten und fuchtelten wild mit den Händen, während sie ihre Taten schilderten, die offenbar recht zahlreich waren. Es war die Jahreszeit der Karawanenüberfälle. Zu meiner Freude stellte ich fest, daß das Feuer nicht mit Boskdung genährt wurde, sondern mit Holz — Holzplanken, die zum Wagen eines überfallenen Händlers gehört hatten. Das war weniger schön. Etwas abseits, auf der anderen Seite einer kleinen freien Fläche, saß eine Gruppe von neun Musikern. Sie spielte noch nicht. Einer der Männer trommelte geistesabwesend einen Rhythmus auf einer kleinen Handtrommel; zwei andere stimmten ihre Saiteninstrumente. Bei einem der Instrumente handelt es sich um eine achtsaitige Czehar — eine Art flacher, länglicher Kasten; der Spieler sitzt mit untergeschlagenen Beinen und hat das Instrument quer auf den Knien, während er es mit einem Stück Holz zupft; das andere ist die Kalika, ein sechssaitiges Instrument, ebenfalls flach; die Saiten werden mit kleinen Holzkurbeln gespannt und gestimmt. Sie sieht nicht wie ein Kasten aus, sondern ähnelt unserem Banjo, wenn es auch ganz anders klingt, die Saiten werden wie bei der Czehar gezupft. Auf Gor hatte ich übrigens noch kein Streichinstrument gesehen, ebensowenig wie geschriebene Musik; ich weiß nicht, ob es eine Notenschrift gibt; Melodien werden vom Vater an den Sohn vom Meister an den Lehrling weitergegeben. Ein zweiter Kalikaspieler hielt sein Instrument ruhig im Schoß und beobachtete die Sklavinnen unter den Zuschauern. Die drei Flötisten polierten ihre Instrumente und unterhielten sich; offensichtlich ging es um musikalische Dinge, denn ab und zu unterstrich einer der Musiker seine Behauptung mit einer Passage auf seiner Flöte, und dann versuchten die anderen seinen Versuch zu verbessern oder zu berichtigen; ihre Diskussion fiel bald ziemlich temperamentvoll aus. Ein zweiter Trommler wartete ruhig seine Zeit ab, während ein anderer junger Mann ernst vor einer Sammlung verschiedener Dinge hockte — ein gekerbter Stock, der gegen einen anderen Stock gerieben wurde, Zimbeln verschiedener Art, ein Tambourin und verschiedene andere Schlaginstrumente, Metallstücke an Drähten, kieselgefüllte Behältnisse. Sklavenglöckchen an Handringen und dergleichen. Diese Dinge wurden während des Spiels nicht nur von ihm sondern auch von den anderen Mitgliedern der Gruppe benutzt, wahrscheinlich besonders vom zweiten Kaskaspieler und dem dritten Flötisten. Bei den goreanischen Musikern genießen übrigens die Czeharspieler das größte Prestige; in dieser Gruppe gab es nur einen, der den Führer spielte; dann folgen die Flötisten, dann die Kalikaspieler, dann kommen die Trommler, und ganz am Ende steht der Mann, der die verschiedenen Instrumente aufbewahrt und spielt und nach Bedarf an die anderen Spieler verteilt. Schließlich möchte ich noch erwähnen, daß Musiker auf Gor niemals in die Sklaverei verkauft werden; wer Musik macht, muß frei sein — wie der Tarn und die Voskmöwe.
Innerhalb der Einfriedung befand sich auch der Boskwagen des Händlers, zur einen Seite hin offen. Die Bosks waren abgeschirrt und fortgeführt worden. Man konnte hinübergehen und sich eine Flasche Paga kaufen.
»Wir sind durstig«, sagte Kamchak.
»Ich kaufe den Paga«, sagte ich.
Kamchak zuckte die Achseln. Immerhin hatte er ja von seinem — gewonnenen — Geld den Eintritt bezahlt.
Als ich mit der Flasche zurückkehrte, muße ich mich vorsichtig zwischen den Tuchuks hindurchdrängen. Zum Glück wurde meine Ungeschicklichkeit nicht als Herausforderung angesehen. Jemand sagte sogar: »Verzeih, daß ich dir im Weg sitze.« Nach der Art der Tuchuks versicherte ich ihm, daß ich keineswegs beleidigt sei, und schwitzend gelangte ich schließlich ans Ziel. Kamchak hatte sich inzwischen einen ziemlich guten Platz besorgt; wahrscheinlich hatte er sich zwei Männer ausgesucht, die ziemlich dicht beisammen saßen und hatte sich grob zwischen sie gesetzt. Aphris hockte zu seiner Rechten und Elizabeth zu seiner Linken.
Ich zog den Korken der Pagaflasche mit den Zähnen heraus und reichte sie Kamchak, wie es die Höflichkeit erforderte. Etwa ein Drittel des Inhalts fehlte, als Elizabeth, die wegen des Pagageruchs das Gesicht verzog, mir die Flasche zurückreichte.
Aphris, deren schwarzes Haar offen herabfiel, blickte sich interessiert um. Ich sah, daß mehrere Tuchuks sie bewundernd musterten. Auch Elizabeth zog manchen anerkennenden Blick auf sich.
Ich wußte auch, daß Aphris, die nun zwar schon mehrere Tage im Wagen Kamchaks wohnte, von Kamchak noch nicht zum Sklavenmeister geschickt worden war. Das Mädchen war also noch ohne Brandzeichen und auch ohne Nasenring. Ich fand das bemerkenswert. Außerdem hatte er sie nach den ersten Tagen kaum noch gescholten, nur einmal hatte er sie ziemlich verprügelt, als sie eine Schale fallen ließ.
Aphris ihrerseits schien den Plan aufgegeben zu haben, ihren Herrn mit einer Quiva zu töten. Das war vielleicht auch klüger so, denn welches Schicksal ihr nach vollbrachter Tat drohte, konnte sie sich bestimmt ausmalen. Auch mochte sie in der Angst leben, wieder in den Dungsack gesteckt zu werden, wenn ihr der Mordanschlag erneut mißlang — in den Sack, der ständig am linken Hinterrad des Wagens hing. Ihre erste Nacht im Lager schien eine Erfahrung zu sein, die sie auf keinen Fall noch einmal durchmachen wollte.
Sehr gut erinnerte ich mich an den Tag nach jenem lebhaften Abend. Wir hatten lange geschlafen, und als Kamchak endlich aufstand und ein spätes Frühstück zu sich genommen hatte, öffnete er den Sack, und sie kam rückwärts herausgekrochen. Auf der Stelle hatte sie darum gebeten, Wasser für die Bosks holen zu dürfen, wofür es noch etwas früh war — aber es schien offensichtlich, daß das hübsche Mädchen so eine Nacht nicht noch einmal durchmachen wollte.
»Lauf, du faules Mädchen«, hatte Kamchak gesagt, »die Bosks brauchen ihr Wasser.«
Dankbar hatte Aphris aus Turia die Ledereimer genommen und war zum Wasser gelaufen.
Kamchak wandte sich an mich und sagte: »Hier, paß auf die Barbarin auf.«
Elizabeth sah ihn erstaunt an.
So eine Bitte war ungewöhnlich, denn Elizabeth gehörte ja nicht mir.
Schüchtern sah mich das Mädchen an. Ihr Atem ging schneller.
Kamchak reichte mir Elizabeths Schlüssel, und ich überprüfte ihre Fußbänder.
Der Tuchuk legte Aphris den Arm um die Schulter und sagte: »Bald wirst du sehen, was eine ausgebildete Frau vermag.«
»Sie ist doch auch nur eine Sklavin.«
Elizabeth musterte mich ängstlich. »Hat das etwas zu bedeuten?« fragte sie.
»Nichts.«
Sie senkte den Blick. »Er mag Aphris. Werde ich jetzt verkauft?«
»Möglich«, sagte ich ehrlich.
»Tarl Cabot«, flüsterte sie. »Wenn ich verkauft werden soll — kaufe mich!«
Ich musterte sie ungläubig. »Warum denn?«
Sie senkte den Kopf.
Kamchak langte an Elizabeth vorbei und zerrte mir die Pagaflasche aus der Hand. Dann rang er mit Aphris, bog ihr den Kopf zurück, kniff ihr die Nase zu und schob ihr den Flaschenhals zwischen die Zähne. Sie wehrte sich und lachte und schüttelte den Kopf. Dann mußte sie atmen, und ein großer Schluck Paga brannte ihr im Hals, so daß sie zu keuchen und zu husten begann. Ich ahnte, daß sie ein so starkes Gebräu bisher noch nicht getrunken hatte; sie kannte wahrscheinlich nur die sirupsüßen Weine Turias. Sie würgte und schüttelte den Kopf, und Kamchak klopfte ihr kräftig auf den Rücken.
»Warum?« wiederholte ich meine Frage an Elizabeth. Aber da hatte das Mädchen schon mit schnellem Griff die Pagaflasche an sich gebracht und setzte sie zu Kamchaks Verblüffung an die Lippen. Ohne die Folgen ihrer Handlung zu bedenken, nahm sie fünf mächtige Schlucke zu sich. Als ich die Flasche gerettet hatte, riß sie plötzlich die Augen auf und blinzelte mehrmals schnell hintereinander. Sie atmete langsam aus, als stände ihr Hals in Flammen, und dann schüttelte sie sich und begann heftig zu husten, so daß ich ihr aus Angst, sie könnte ersticken, mehrmals auf den Rücken schlug. Endlich, vorgebeugt nach Atem ringend, schien sie wieder zu sich zu kommen. Ich umfaßte ihre Schultern, und plötzlich drehte sie sich um und warf sich quer über meinen Schoß. Sie reckte sich wollüstig, und ich starrte verblüfft auf sie hinab. »Weil ich besser bin als Dina und Tenchika«, sagte sie.
»Aber nicht besser als Aphris«, rief Aphris.
»Auf, auf, kleiner Sleen«, sagte Kamchak amüsiert, »oder ich muß dich aufspießen lassen, um meine Ehre zu retten.«
Elizabeth starrte mich an.
»Sie ist betrunken«, sagte ich zu Kamchak.
»Vielleicht mag jemand ein Barbarenmädchen kaufen«, sagte Elizabeth.
Ich stemmte Elizabeth wieder hoch.
»Niemand will mich kaufen«, klagte sie laut.
Sofort kamen vier oder fünf Angebote aus der Menge, und ich hatte schon Sorge, daß sich Kamchak auf der Stelle von Elizabeth trennen würde, wenn die Preise noch etwas besser wurden.
»Verkaufe sie«, sagte Aphris.
»Sei ruhig, Sklavin«, sagte Elizabeth.
Kamchak lachte dröhnend auf.
Der Paga machte Miß Cardwell offenbar sehr zu schaffen. Sie konnte kaum knien, und schließlich gestattete ich ihr, daß sie sich an mich lehnte, wobei sie das Kinn auf meine rechte Schulter legte.
»Weißt du«, sagte Kamchak, »die kleine Barbarin mag dich.«
»Unsinn«, erwiderte ich.
»Ich habe gesehen, wie du bei den Spielen des Liebeskrieges Elizabeth retten wolltest, als die Turianer angriffen.«
»Ich wollte nicht, daß dein Besitz Schaden nimmt.«
»Du magst sie«, verkündete Kamchak.
»Unsinn!«
»Unsinn«, sagte Elizabeth schläfrig. Dann hob sie den Kopf und sagte auf Englisch: »Ich heiße Elizabeth Cardwell, Mr. Cabot. Würden Sie mich kaufen?«
»Nein«, antwortete ich auf Englisch.
»Das dachte ich mir«, erwiderte sie und legte den Kopf wieder auf meine Schulter.
»Hast du ihre Reaktion gesehen, als ich dir ihren Schlüssel gab?« fragte Kamchak.
»Ich habe nicht darauf geachtet.«
»Möchtest du sie kaufen?«
»Nein«, sagte ich.
»Nein«, sagte Elizabeth.
Das letzte, was ich bei meiner bevorstehenden gefährlichen Mission brauchte, war ein Sklavenmädchen, das mir nur hinderlich sein konnte.
»Du solltest sie aber kaufen!« sagte Kamchak.
»Nein.«
»Ich mache dir einen guten Preis.«
O ja, sagte ich mir, einen guten Preis und dann — ha-ha-ha.
»Nein«, sagte ich.
»Na gut«, sagte Kamchak.
Ich atmete auf.
In diesem Augenblick erschien eine schwarzgekleidete Frau auf den Stufen des Händlerwagens. Ich hörte, wie Kamchak seine Sklavinnen anstieß. »Paßt auf, ihr beiden Kochhexen — hier könnt ihr noch etwas lernen.«
Stille breitete sich aus. In diesem Augenblick fiel mein Blick auf eine verhüllte Gestalt, die die Kleidung des Klans der Folterer trug. Ich war sicher, daß es sich um den Mann handelte, der mir im Lager verschiedentlich gefolgt war.
Aber ich achtete nicht weiter auf ihn, weil nun die langerwartete Vorstellung beginnen sollte. Aphris sah aufmerksam zu, und Kamchaks Augen blitzten. Elizabeth hob etwas den Kopf, um besser sehen zu können.
Die verschleierte Gestalt der Frau kam die Stufen herab. Unten angekommen, verharrte sie einen Augenblick, ohne sich zu rühren. Dann begannen die Musiker zu spielen — zunächst einen knappen, aufrüttelnden Trommelrhythmus. Zum Klang der Musik lief die Gestalt wie erschreckt hierhin und dorthin, wich eingebildeten Hindernissen aus oder warf die Arme hoch, lief, so wollte es mir scheinen, durch die aufgescheuchten Massen einer brennenden Stadt — allein, doch irgendwie von verfolgten Mitmenschen umgeben. Im Hintergrund tauchte nun die Gestalt eines Kriegers in scharlachrotem Umhang auf. Er kam näher, obwohl er sich kaum zu bewegen schien, und wohin sich das Mädchen auch wandte, immer versperrte ihr dieser Mann den Weg. Und dann hatte er schließlich die Hand auf ihre Schulter gelegt, und sie warf den Kopf zurück und hob die Hände und ihr ganzer Körper drückte Elend und Verzweiflung aus ... Er drehte sie zu sich um und zerrte ihr mit beiden Händen Kapuze und Schleier vom Kopf.
Die Menge schrie entzückt auf.
Das Gesicht des Mädchens war zur stilisierten Schreckensmaske aller Tänzer geschminkt — aber sie war schön. Ich hatte sie natürlich schon gesehen, aber ihr Anblick im Feuerschein verblüffte uns dennoch — ihr Haar fiel lang und seidig schwarz herab, ihre Augen waren dunkel, ihre Haut angenehm getönt.
Sie schien den Krieger anzuflehen, doch dieser bewegte sich nicht. Sie schien sich vor ihm zu winden und seinem Griff entfliehen zu wollen, aber er ließ nicht los.
Dann nahm er die Hände von ihren Schultern, und zum Aufschrei der Menge sank sie zu seinen Füßen nieder, ergab sich in ihr Schicksal als Sklavin.
Der Krieger drehte sich nun zur Seite und streckte seine Hand aus. Aus der Dunkelheit wurde ihm Kragen und Kette zugeworfen, die er dem Mädchen anlegte.
Das Mädchen drängte nun von ihm fort, und zum Rhythmus der Musik kämpfte sie gegen die Kette. Haß und Hast sprachen nun aus dem Tanz, der an Tempo gewann. Das Mädchen umkreiste den Krieger, drehte sich in dem weiten Kragen; der Krieger holte etwas Kette ein, bis sie ganz in seiner Nähe war, dann ließ er zu, daß sie sich wieder entfernte. Endlich erreichte seine Faust den eigentlichen Kragen, und erschöpft sank die Sklavin gegen ihn, wurde von ihm hochgehoben und davongetragen.
Kamchak und ich und viele Zuschauer warfen Goldstücke in den Sand beim Feuer.
»Sie war großartig!« rief Aphris.
»Und ich«, klagte Kamchak, »habe nur zwei miserable Kochsklavinnen!«
Kamchak und ich standen auf. Aphris schmiegte sich an ihren Herrn. Kamchak nahm das Mädchen in die Arme, lachte dröhnend und warf sie sich über die Schulter. Dann stapfte er zum Ausgang.
»Heute nacht!« brüllte er und wandte sich um, »gehört die kleine Barbarin dir!«
Lachend verschwand er nach draußen.
Elizabeth Cardwell starrte ihm nach und sah mich verstört an. »Das kann er doch nicht tun«, sagte sie.
»Natürlich.«
»Natürlich«, sagte sie langsam. »Warum auch nicht?«
»Es tut mir leid.«
»Ich bin wie ein Buch oder ein Stuhl für ihn. Nimm sie! Behalte sie bis morgen!« Tränen standen ihr in den Augen.
»Ich dachte, du hättest dir gewünscht, daß ich dich kaufe.«
»Verstehst du mich denn nicht?« fragte sie. »Er hätte mich auch jedem anderen geben können, nicht nur dir — irgendeinem, irgendeinem !«
»Das stimmt«, sagte ich. »Aber mach dir nichts daraus.«
»Wie mir scheint, gehöre ich also jetzt dir«, sagte sie und lächelte unter Tränen.
»Es scheint so«, sagte ich.
Ich bückte mich, nahm Kamchaks Schlüssel zur Hand und löste Elizabeths Fessel.
»Was machst du nun mit mir?«
Ich lächelte. »Nichts«, sagte ich. »Hab’ keine Angst.«
»Oh? Gefalle ich dir so wenig?«
»Aber ja.«
»Und warum . . .?«
Was konnte ich ihr sagen? Sie tat mir leid. Die kleine Sekretärin, die ihrer Heimatwelt so weit entrückt war, hatte sich noch längst nicht eingewöhnt. Für mich würde sie immer die unglückliche Elizabeth Cardwell sein, das unschuldige Opfer einer ungewollten Versetzung aus einer Welt in die andere.
Sie blickte mir lange in die Augen und senkte dann weinend den Kopf. Ich nahm sie tröstend in die Arme, doch sie stieß mich von sich, drehte sich um und lief aus der kleinen Arena.
Ich blickte ihr verwirrt nach.
Dann folgte ich ihr achselzuckend und überlegte, ob ich vielleicht noch etwas im Lager spazierengehen sollte, ehe ich zum Wagen zurückkehrte. Elizabeths Verhalten verwirrte mich; ich fand, sie hatte seltsam reagiert. Wahrscheinlich machte sie sich Sorgen, daß sie vielleicht bald ihre Stelle als Erstes Mädchen im Wagen Kamchaks verlieren könnte. Und diese Sorge mochte gar nicht so unbegründet sein. Natürlich könnte ich Kamchak ermutigen, sie an einen guten Herrn zu verkaufen, aber wenn Kamchak auch bereit sein mochte, mir bei diesem Wunsch entgegenzukommen, würde über den Verkauf letztlich nur der Preis entscheiden. Wenn ich das Geld zusammenbekam, konnte ich sie natürlich selbst kaufen und ihr ein gutes Heim suchen. Beispielsweise hielt ich Conrad von den Kassars für einen geeigneten Mann. Er hatte jedoch kürzlich ein turianisches Mädchen bei den Spielen gewonnen. Außerdem gibt sich nicht jeder Mann mit einer untrainierten barbarischen Sklavin zufrieden, die — selbst wenn sie als Geschenk in den Wagen kommt — immerhin ernährt werden muß. Außerdem herrschte in diesem Frühling kein Mangel an Mädchen.
Um in Ruhe darüber nachzudenken, erstand ich eine weitere Flasche Paga, die mir auf meinem einsamen Spaziergang Gesellschaft leisten sollte.
Ich hatte erst ein Viertel der Flasche getrunken und ging gerade an einem Wagen vorbei, als ich plötzlich einen Schatten über die lackierten Planken zucken sah. Instinktiv warf ich den Kopf zur Seite. Im gleichen Augenblick zischte eine Quiva an meinem Ohr vorbei und bohre sich mit dumpfem Laut fünf Zentimeter tief in die Holzflanke des Wagens.
Ich warf die Pagaflasche weg, wobei ich die hochprozentige Flüssigkeit in hohem Bogen verschüttete, fuhr herum und sah etwa fünfzig Meter entfernt eine dunkle Gestalt zwischen zwei Wagen stehen — meinen verhüllten Verfolger aus dem Klan der Folterer, der mich nicht zum erstenmal belästigte.
Der Unbekannte machte auf dem Absatz kehrt und sprintete davon. Ich zog mein Schwert und stolperte hinter ihm her, doch schon wurde ich von einer Reihe aneinandergebundener Kaiila aufgehalten, die ins Lager geführt wurden, nachdem sie auf der Ebene hatten jagen dürfen.
Als ich endlich den dichtgedrängten Körpern ausweichend mich unter dem Seil wegducken konnte, das die Tiere zusammenhielt, war mein Angreifer verschwunden. Meine Anstrengungen brachten mir nur die ärgerlichen Rufe des Mannes an der Spitze des Kaiilazuges ein. Eines der bösartigen Tiere schnappte sogar nach mir und zerriß mir den Ärmel meiner Tunika.
Wütend kehrte ich zum Wagen zurück und zog die Quiva aus dem Holz.
Inzwischen hatte sich auch der Wagenbesitzer eingefunden, den der Zwischenfall natürlich interessierte. Er hielt eine Fackel in die Höhe und untersuchte mürrisch den Schaden an seinem Wagen. »Ein ungeschickter Wurf«, grollte er unwillig.
»Vielleicht«, sagte ich.
»Aber«, sagte er und wandte sich an mich, »unter diesen Umständen war’s vielleicht ganz gut so.«
»Ja«, nickte ich. »Das mag wohl sein.«
Ich fand meine Pagaflasche wieder und stellte fest, daß noch ein Rest darin war. Ich wischte den Flaschenhals ab und reichte sie dem Mann. Er trank etwa die Hälfte, fuhr sich über den Mund und gab mir die Flasche zurück. Ich leerte sie vollends und warf sie in eins der Abfallöcher, die in regelmäßigen Abständen im Lager zu finden sind.
»Kein schlechter Paga«, sagte der Mann.
»Nein«, sagte ich, »der Paga ist ziemlich gut.«
»Darf ich die Quiva mal sehen?« fragte der Mann.
»Natürlich.«
»Interessant.«
»Was?«
»Die Quiva.«
»Aber was ist an ihr so interessant?«
»Es ist eine paravacische Quiva.«