8

Wenn ich eine schnelle Lösung der Rätsel erwartet hatte, die mich beschäftigten, oder ein schnelles Ende meiner Suche nach dem Ei der Priesterkönige, wurde ich enttäuscht — denn monatelang tat sich nichts.

Ich hatte gehofft, nach Turia gehen zu können, um dort das Geheimnis des Briefkragens zu ergründen, aber dazu kam es nicht, jedenfalls nicht vor dem Frühling.

»Wir haben das Omenjahr«, hatte Kamchak von den Tuchuks zu mir gesagt.

Die Herden wurden um Turia herumgetrieben, denn jetzt war die Zeit der Passage Turias — die erste Periode des Omenjahres, da sich die Wagenvölker versammelten und gemeinsam zu ihren Winterweiden vorstießen; die zweite Periode ist die Überwinterung, die im Norden von Turia stattfindet; der dritte und letzte Abschnitt ist die Rückkehr nach Turia im Frühling. So erhaschte ich einen Blick auf das ferne Turia nur vom Rücken meiner Kaiila aus — auf die Stadt mit ihren hohen Mauern und den neun Toren.

Aus der Ferne wirkte sie anmutig und schön, wie sie sich weißschimmernd aus der Ebene erhob.

»Sei geduldig, Tarl Cabot«, sagte Kamchak, der neben mir ritt. »Im Frühling finden die Spiele des Liebeskrieges statt, und ich reite dann nach Turia. Wenn du möchtest, kannst du mich begleiten.«

»Einverstanden«, sagte ich.

Ich würde also warten. Das schien mir nach gründlicher Überlegung doch das Beste zu sein. Das Geheimnis des Kragens war von sekundärer Bedeutung, und ich schlug es mir für den Augenblick aus dem Kopf. Mein Hauptinteresse, mein Ziel lag gewiß nicht im fernen Turia, sondern hier bei dieser Wagenkarawane.

Wir ritten zur Herde zurück.

Wie war es möglich, daß Kamchak im Frühling nach Turia ritt?

Ich spürte, daß er ein bedeutender Mann der Tuchuks war.

Vielleicht waren Verhandlungen zu führen, vielleicht ging es um die Spiele des Liebeskrieges, die mir bisher noch niemand erklärt hatte; vielleicht waren auch einfach Handelsgeschäfte der Grund. Ich hatte zu meiner Überraschung erfahren, daß gelegentlich Handelsverbindungen mit Turia aufgenommen wurden, wobei es besonders um Metalle und Tuche ging — Waren, die bei den Wagen hohe Preise erzielen. Tatsächlich sind die Kragen und Ketten der Sklavenmädchen meist turianischer Herkunft. Die Turianer ihrerseits nehmen als Bezahlung für ihre Waren — die sie selbst erzeugten oder von anderen Städten bezogen — Boskhörner und Felle. Auch erhalten die Turianer andere Waren von den Wagenvölkern — Beutestücke von Karawanen, die bis zu tausend Pasang von den Herden entfernt aufgebracht wurden, die vielleicht sogar auf dem Weg von oder nach Turia gewesen waren. Diese Überfälle bringen den Wagenvölkern mancherlei Dinge ein, die sie sonst bei den Turianern eintauschen — Juwelen, Edelmetalle, Gewürze, farbige Tafelsalze, Zaumzeug und Sättel für die schwerfälligen Tharlarions, Felle kleiner Flußtiere, landwirtschaftliche Werkzeuge, Tinte und Papier, Wurzelgemüse, getrocknete Fische, Medizin, Salben, Parfüms, und auch Frauen — gewöhnlich weniger ansehnliche Geschöpfe, die sie nicht selbst behalten wollen. Die Wagenvölker bieten den Turianern zuweilen auch erbeutete Seidenstoffe an — doch meistens behalten sie diese für ihre eigenen Sklavenmädchen, die diese in der Abgeschiedenheit der Wagen tragen. Zwei Dinge jedoch sind nicht in den Handel mit Turia einbezogen — lebendige Bosks und Mädchen aus Turia, die grundsätzlich als Sklavinnen behalten werden.

Der Winter brach mit unerwarteter Stärke über die Herde herein — einige Tage zu früh. Heftiger Schneefall setzte ein, ein eisiger Wind, der oft schon zweitausendfünfhundert Pasang zurückgelegt hatte, peitschte die Prärie, Schnee bedeckte das Gras, das schnell braun und brüchig wurde, und die Herden teilten sich in tausend kleine Gruppen auf, jede mit eigenen Wachreitern, Herden, die sich immer weiter verliefen, die den Schnee zerstampften und herumschnüffelten und das gefrorene Gras zu rupfen versuchten. Tiere begannen zu sterben, und die Frauen heulten und klagten so laut, als ständen ihre Wagen in Flammen und die Turianer wären ihnen auf den Fersen. Tausende von Angehörigen der Wagenvölker gruben Schnee, um nach einer Handvoll Gras zur Fütterung der Tiere zu suchen. Wagen mußten aufgegeben werden, da nicht die Zeit blieb, neue Bosks für das Geschirr auszubilden. Die Herden mußten in Bewegung bleiben. Siebzehn Tage nach Beginn der Schneefälle begannen die ersten Herden endlich ihre Winterweiden zu erreichen, weit im Norden in der Nähe des Äquators. Hier lag kaum Schnee, oft nur ein leichter Frosthauch, der in der Mittagssonne wieder schmolz, und das Gras war frisch und nahrhaft. Weitere hundert Pasang im Norden gab es überhaupt keinen Schnee mehr, und die Menschen begannen wieder zu singen und um ihre Feuer aus Boskdung zu tanzen.

»Die Bosks sind in Sicherheit«, sagte Kamchak. Ich hatte gesehen, wie starke Männer vom Rücken ihrer Kaiila sprangen und mit Tränen in den Augen das frische grüne Gras küßten. »Die Bosks sind in Sicherheit!« hatten sie gerufen, und der Schrei war von den Frauen aufgenommen und von Wagen zu Wagen weitergereicht worden. »Die Bosks sind in Sicherheit!«

In diesem Jahr, vielleicht weil es das Omenjahr war, zogen die Wagenvölker nicht noch weiter nach Norden. Man blieb auf dieser Seite des Cartius, um nicht Auseinandersetzungen mit anderen Völkern herauszufordern.

Die Überwinterung war nicht unangenehm, obwohl es auch am Äquator empfindlich kalt sein konnte; die Wagenvölker und ihre Sklaven trugen Boskfelle und Pelzstiefel und Mützen mit Ohrenschützern gegen die Kälte.

Auf dem Rücken einer Kaiila, die schwarze Lanze in der Hand, im Sattel vorgebeugt, so galoppierte ich an einem Holzstab vorbei, auf dessen Spitze eine trockene Tospit lag, eine schrumplige pfirsichähnliche Frucht, etwa so groß wie eine Pflaume. Sie ist bitter, aber eßbar.

»Gut!« rief Kamchak, als er sah, daß ich die Tospit aufgespießt hatte, deren Hälften nun am Lanzenschaft herabgerutscht war.

Dieser Stoß brachte zwei Punkte.

Ich hörte Elizabeth Cardwells Freudenschrei und sah, daß sie in die Luft sprang. Sie trug einen Sack Tospits auf der Schulter.

»Tospit!« brüllte Conrad von den Kassars, dem Blutvolk, und das Mädchen legte hastig eine Frucht auf den Pfahl.

Das Donnern von Kaiilahufen ertönte, und Conrad schwang die Tospit mit seiner roten Lanze geschickt vom Pfahl; die Spitze drang kaum in die Frucht ein, weil er die Waffe im letzten Moment geschickt zurückgezogen hatte. »Ausgezeichnet!« rief ich ihm zu. Mein eigener Stoß war mit voller Kraft ausgeführt worden, eine Taktik, die mich bei einem Kampf hätte gefährden können, weil ich die Lanze dann vielleicht nicht mehr von meinem Gegner freibekam. Sein Stoß dagegen, das mußte ich offen eingestehen, war seine drei Punkte wert.

Nun ritt Kamchak an, und er holte wie Conrad die Frucht mühelos vom Pfahl, wobei sein Speer vielleicht noch einige Millimeter weniger tief in die grüne Haut eindrang.

Der Krieger, der zu Conrad gehörte, donnerte nun auf den Pfahl zu.

Ein Schrei der Enttäuschung ertönte, als die Speerspitze die Frucht nur teilte und vom Pfahl schlug. Das brachte nur einen Punkt.

Wieder stieß Elizabeth einen Freudenschrei aus, denn sie gehörte zum Wagen Kamchaks und Tarl Cabots.

Der Reiter, der den mißglückten Stoß vollführt hatte, ließ seine Kaiila plötzlich herumwirbeln, und das Mädchen sank auf die Knie. Sie erkannte natürlich sofort, daß sie ihre Freude über seinen Fehlschlag nicht so offen hätte zeigen dürfen. Ich erstarrte, aber Kamchak lachte nur und hielt mich zurück. Die Kaiila des Reiters hatte sich über dem Mädchen aufgerichtet. Der Krieger beruhigte sein Reittier, hob geschickt seine Lanze unter das Kinn des Mädchens, damit sie ihn ansah.

Es freute mich, wie gut Elizabeth in den vergangenen Monaten mit der Sprache zurechtgekommen war. Kamchak hatte drei turianische Sklavinnen zu ihrer Ausbildung gemietet, und sie hatte sehr schnell gelernt.

Das Leben als Sklavin war für Elizabeth Cardwell nicht leicht gewesen, besonders nicht in den ersten Wochen. Es ist auch keine so einfache Veränderung — der Wechsel aus einem angenehmen klimatisierten Büro an der Madison Avenue in New York in den Wagen eines Tuchukkriegers.

Auch Kamchak war sich bewußt, daß er hier ein ungewöhnliches Mädchen vor sich hatte. Ihre Reaktionen verwirrten ihn mehr als einmal, doch seltsamerweise sah er von strengen Maßregelungen ab. Zu meiner Überraschung zwang er das Mädchen auch nicht, Sklavenkleidung anzulegen, was bei den anderen Sklavenmädchen im Lager nicht wenig Aufregung verursachte. Auch brachte er nicht sein Brandzeichen an, ebensowenig mußte sie einen Kragen tragen; nur ihr Haar hatte offen zu sein, was auf Gor seit jeher ein Zeichen für den Sklavenstand gewesen ist. Sie durfte sich ein eigenes ärmelloses Kleidungsstück aus dem Fell eines roten Larl nähen, das zuerst ziemlich lang ausfiel, von ihrem Herrn aber schnell gekürzt wurde. Sie war anders als jedes Sklavenmädchen, das er bisher besessen hatte. Sie war seine erste Barbarin. Er wußte nicht recht, was er von ihr halten sollte, denn er war Mädchen gewohnt, die durch ihre Erziehung auf die Möglichkeit der Sklaverei vorbereitet waren. Doch im ganzen behandelte er sie bemerkenswert gut — für einen Tuchuk. Damit will ich nicht sagen, daß sie nicht schwer arbeiten mußte und gelegentlich auch zurechtgewiesen wurde, aber im Vergleich zu einem normalen Sklavendasein lebte sie nicht schlecht.

Jetzt blickte der Kassar, der das vor ihm kniende Mädchen gemustert hatte auf, lachte und hob seine Lanze.

Ich atmete erleichtert auf.

Der Krieger ritt zu Kamchak hinüber. »Was möchtest du für deine hübsche kleine Barbarensklavin?« fragte er.

»Sie steht nicht zum Verkauf.«

»Wollen wir um sie wetten?« drängte der Reiter. Er hieß Albrecht und war aus dem Volk der Kassars. Er hatte zusammen mit Conrad gegen mich und Kamchak gekämpft.

Mein Herz begann zu hämmern.

Kamchaks Augen blitzten. Er war ein Tuchuk. »Deine Bedingungen?«

»Um den Ausgang unseres Wettstreits«, sagte Albrecht und deutete auf zwei Mädchen, die ihm gehörten und am Rande des Kampfplatzes auf ihn warteten, »gegen diese beiden.« Die Mädchen stammten aus Turia. Sie waren keine Barbarinnen und waren beide sehr schön. Zweifellos wußten beide, wie sie einem anspruchsvollen Krieger der Wagenvölker gefallen konnten.

»Gemacht!« rief Kamchak.

Einige Männer, Kinder und Sklavenmädchen hatten unserem Kampf zugesehen. Kaum war Kamchak auf Albrechts Vorschlag eingegangen, als mehrere Sklavinnen auf die Wagen zuliefen und laut »Wettstreit! Wettstreit!« zu rufen begannen. Zu meinem Mißvergnügen fand sich schnell eine große Anzahl Tuchuks, begleitet von ihren freien Frauen oder Sklavinnen, am Kampfplatz ein. Die Bedingungen des Kampfes sprachen sich schnell herum. In der Menge waren auch einige Kassars und Paravaci und sogar ein Kataii. Die Sklavinnen wirkten besonders aufgeregt. Ich hörte, wie Wetten abgeschlossen wurden. Die Tuchuks, wie viele Bewohner Gors, lieben das Spiel. Tatsächlich soll es vorgekommen sein, daß ein Tuchuk seine ganze Boskherde auf ein einziges Kaiilarennen setzte oder daß bei Spielen bis zu einem Dutzend Sklavinnen den Besitzer wechselten, nur weil ein Vogel eine andere als die gewettete Richtung einschlug oder die Anzahl von Kernen in einer Tospitfrucht nicht stimmte.

Die beiden Mädchen Albrechts standen mit leuchtenden Augen am Rande der Wettkampfbahn und versuchten ihr freudiges Lächeln zu unterdrücken. Zu meiner Überraschung schien sich auch Elizabeth Cardwell zu freuen, obwohl ich mir den Grund nicht recht vorstellen konnte.

Sie kam zu mir herüber, stellte sich auf Zehenspitzen neben meine Kaiila und hielt meinen Steigbügel. »Sie werden gewinnen«, sagte sie.

Ich wünschte, ich wäre so zuversichtlich wie sie.

Ich war zweiter Reiter für Kamchak, so wie Albrecht zweiter Reiter für Conrad von den Kassars war.

Zwar ist die Position des ersten Reiters höher, aber die von beiden Kämpfern erzielten Punkte zählen gleich. Gewöhnlich ist der erste Reiter der erfahrenere, geschicktere Mann.

In der nun folgenden Stunde erwies sich mein Training als vorteilhaft. In den letzten Monaten hatte ich mich, wenn ich nicht gerade mit Kamchak Herdenritte unternahm, sehr für die Jagdund Kampfwaffen der Tuchuks interessiert, was für einen Krieger stets eine zufriedenstellende Beschäftigung ist. Kamchak war ein guter Lehrer in dieser Beziehung und überwachte meine stundenlangen Übungen mit Lanze, Quiva und Bola. Auch lernte ich den Umgang mit dem Lasso und dem Bogen. Dem Bogen fehlt wegen seiner geringen Größe die Schußweite und Durchschlagskraft des goreanischen Langbogens oder der Armbrust; doch auf kurze Entfernungen, schnell und kräftig abgeschossen, bildet er eine nicht zu unterschätzende Waffe. Am besten kam ich mit dem ausbalancierten Sattelmesser, der Quiva, zurecht; sie ist etwa dreißig Zentimeter lang, die Klinge hat zwei Schneiden und eine gefährliche Spitze. Ich erwarb mir im Umgang mit der Quiva einige Geschicklichkeit. Auf zwölf Meter vermochte ich eine geworfene Tospit zu treffen, und auf dreißig Meter eine Bosklederscheibe, die knapp zehn Zentimeter Durchmesser hatte.

Kamchak freute sich über meine Erfolge.

Meine Kenntnisse wurden nun auf die Probe gestellt. Im Verlauf des Tages sammelten beide Parteien Punkte, und die Führung wanderte dabei hin und her, lag zuerst bei Kamchak und bei mir und schließlich bei Conrad und Albrecht.

Vom Rücken meiner Kaiila bemerkte ich das Mädchen Heerena aus dem Ersten Wagen in der Menge — das Mädchen, das mir schon an meinem ersten Tag im Lager der Tuchuks aufgefallen war. Sie war sehr lebhaft und stolz, und der winzige goldene Nasenring tat ihrer Schönheit keinen Abbruch. Sie und andere waren von Kind auf in dem Glauben erzogen worden, daß sie einen guten Preis bei den Spielen des Liebeskrieges abgeben würden. Turianische Krieger, so hatte mir Kamchak berichtet, hatten Freude an den wilden Mädchen der Wagenvölker. Ein junger Mann, blauäugig, blond, ohne Narbe, stieß im Gedränge gegen die Steigbügel des Mädchens. Sie schlug ihm zweimal heftig mit ihrer Lederpeitsche gegen den Hals, wo sofort ein blutiger Striemen erschien.

»Sklave!« zischte sie.

Er sah sie ärgerlich an. »Ich bin kein Sklave«, sagte er. »Ich bin Tuchuk.«

»Turianischer Sklave!« spottete sie. Kamchak hatte mir von dem jungen Mann erzählt. Im Lager war er ein Nichts. Er übernahm alle Arbeiten, half bei den Herden und erhielt dafür ab und zu ein Stück Fleisch. Er wurde Harold gerufen, ein englischer Vorname. Solche Vornamen sind auf Gor nicht unbekannt und werden teilweise schon seit tausend Jahren weitervererbt — wahrscheinlich der Name eines Urahns, der vielleicht von den Priesterkönigen bei einer Akquisitionsreise nach Gor geholt worden war. Ich hatte mich natürlich in einem Gespräch mit Harold davon überzeugt, daß der junge Mann wirklich Goreaner war, ein Abkomme der Wagenvölker. Das Problem des jungen Mannes bestand darin — vielleicht auch der Grund, warum er noch keine Mutnarbe errungen hatte —, daß er in seiner Kindheit von Turianern entführt worden war und mehrere Jahre in der Stadt verbracht hatte; als Jüngling war er unter großen Gefahren aus Turia geflohen und hatte sich mühsam über die Prärie geschleppt, um wieder bei seinem Volk zu sein. Zu seiner großen Enttäuschung hatten ihn seine Landsleute nicht wieder aufgenommen, sondern hielten ihn mehr für einen Turianer als für einen Tuchuk. Seine Eltern und Bekannten waren dem turianischen Überfall, bei dem er geraubt wurde, zum Opfer gefallen. Zum Glück hatte sich ein Jahresbewahrer an den Überfall erinnert. So war er nicht umgebracht worden und durfte bei den Tuchuks bleiben. Allerdings hatte er keinen eigenen Wagen und auch keine Bosks. Ihm gehörte nicht einmal eine Kaiila. Er hatte Waffen an sich genommen, die andere fortwarfen, und übte für sich. Doch niemand, der feindliche Karawanen überfiel oder die Stadt und ihre Außenfelder angriff oder Racheakte gegen Nachbarn wegen Boskdiebstahls unternahm, wollte ihn als Krieger akzeptieren. Zwar bewies er, daß er mit den Waffen umgehen konnte, doch man lachte ihn nur aus. »Du hast ja nicht mal eine Kaiila«, sagte man. »Du hast auch noch keine Mutnarbe.« Wahrscheinlich brachte es der junge Mann nie zu dieser Narbe, ohne die er bei den strengen, grausamen Tuchuks ständig verspottet und verachtet wurde.

Ich schlug mir das Mädchen Heerena und den jungen Harold aus dem Kopf. Albrecht zog seine Kaiila herum und löste die Bola von seinem Sattel.

»Legt eure Pelze ab«, sagte er zu seinen beiden Mädchen.

Sie gehorchten sofort und standen nun in ihren kurzen Sklaventuniken vor ihm im Gras.

Sie würden für uns laufen.

Kamchak galoppierte mit seiner Kaiila zur Menge hinüber, wo er hastig mit einem Krieger diskutierte, einem Mann, dessen Wagen unserer Kolonne folgte. Von diesem Krieger hatte Kamchak auch die beiden Mädchen gemietet, die Elizabeth Cardwell die goreanische Sprache beigebracht hatten. Ich sah eine kupferne Tarnmünze aufblitzen, und eines der Mädchen, es war Tuka, ein attraktives turianisches Geschöpf, zog ihren Pelzumhang aus.

Sie würde für einen der Kassars laufen, sicher für Conrad.

Tuka mochte Elizabeth nicht, ein Gefühl, das von der irdischen Sklavin erwidert wurde. Ich machte mir Sorgen, daß Tuka vielleicht nicht gut laufen würde und wir den Wettstreit daher verlieren könnten, wenn sie sich absichtlich leicht fangen ließ.

Aber dann kam ich zu dem Schluß, daß das nicht zu erwarten war. Wenn Kamchak und ihr Herr der Meinung waren, daß sie sich nicht die größte Mühe gegeben hatte, mußte sie mit Schwierigkeiten rechnen. Ob sie nun Elizabeth haßte oder nicht — sie würde gut laufen. Denn in gewisser Weise ging es um ihr Leben.

Kamchak riß seine Kaiila herum und kam zu uns herüber. Er deutete mit der Lanze auf Elizabeth Cardwelll. »Zieh deine Pelze aus«, sagte er.

Elizabeth gehorchte wortlos.

Obwohl es schon dem Abend zuging, leuchtete die Sonne noch hell am Himmel. Die Luft war kalt. Wind bewegte das Gras.

In etwa vierhundert Metern Entfernung wurde eine schwarze Lanze in den Prärieboden gestoßen. Natürlich rechnete niemand damit, daß eines der Mädchen dieses Ziel erreichte. Bei dem Lauf ging es um die Zeit, um Tempo und die Geschicklichkeit des Mädchens und des Kaiilarreiters. Die Tuchukmädchen, Elizabeth und Tuka, würden für die Kassars laufen; die beiden Kassarmädchen liefen für Kamchak und mich; natürlich versuchte jedes der Mädchen, Vorteile für ihren Herrn herauszuholen, indem sie ihrem Verfolger auswich.

Bei solchen Rennen wird die Zeit nach dem Herzschlag einer stehenden Kaiila gemessen. Schon hatte man ein Tier herbeigeführt. Ganz in der Nähe war eine lange Boskpeitsche zu einem Kreis ausgelegt worden, der etwa drei Meter Durchmesser hatte. Das Mädchen begann ihren Lauf aus diesem Kreis. Der Reiter mußte versuchen, sie so schnell wie möglich zu fangen, zu fesseln und in den Peitschenkreis zurückzubringen.

Schon hatte ein grauhaariger Tuchuk seine Hand auf das seidige Fell der stehenden Kaiila gelegt.

Kamchak gab der barfüßigen Tuka ein Zeichen, die verschreckt in den Kreis trat.

Conrad löste seine Bola vom Sattel. Zwischen den Zähnen hielt er eine bosklederne Schnur, die etwa einen Meter lang war.

»Lauf«, sagte Conrad leise.

Tuka hastete los. Die Menge begann zu schreien, begann sie anzufeuern. Conrad, die Schnur im Mund, die Bola still an der Seite, beobachtete sie. Sie erhielt eine Vorgabe von fünfzehn Schlägen des großen Kaiilaherzens — eine Zeit, in der sie etwa die halbe Strecke zur Lanze zurücklegte.

Der Schiedsrichter zählte laut die Schläge.

Bei zehn begann Conrad langsam die Bola zu schwingen, die ihre höchste Drehgeschwindigkeit erst erreichen würde, wenn er in vollem Galopp war und sein Opfer fast erreicht hatte.

Bei fünfzehn gab Conrad der Kaiila die Sporen — geräuschlos, um das Mädchen nicht zu warnen.

Die Menge reckte die Hälse. Der Schiedsrichter hatte erneut zu zählen begonnen, wobei er wieder mit Null anfing, die zweite Zählung, die die Zeit des Reiters bestimmte.

Das Mädchen war schnell, und das bedeutete Zeit für uns, auch wenn es sich nur um einen Schlag handelte. Sie mußte mitgezählt haben, denn einen Augenblick nach Conrads Start warf sie einen Blick über die Schulter und sah ihn näherkommen. Dann zählte sie offenbar weitere zehn Schläge ab, denn nun begann sie Haken zu schlagen, begann hin und her zu huschen, um dem Reiter eine schnelle Annäherung zu erschweren.

»Sie läuft gut«, sagte Kamchak.

Das tat sie, aber im nächsten Augenblick sah ich die Bola aufblitzen, sah sie fast drei Meter weit ausschwingen, auf die Fußgelenke des Mädchens zu. Die schmale Gestalt stürzte.

Kaum zehn Schläge später hatte Conrad die sich wehrende Tuka bereits gefesselt und vor sich über den Sattel gezogen, war mit kreischender Kaiila zurückgerast und hatte das Mädchen gefesselt in den Peitschenkreis geworfen.

»Dreißig«, sagte der Schiedsrichter.

Conrad grinste.

Tuka versuchte sich aus ihren Fesseln zu befreien. Brachte sie eine Hand frei oder vermochte sie die Fesseln zu lockern, war Conrad disqualifiziert.

Nach einigen Sekunden sagte der Schiedsrichter: »Halt«, und Tuka lag gehorsam still. Der Richter untersuchte die Fesseln. »Das Mädchen ist gefesselt«, verkündete er.

Erschreckt blickte Tuka zu Kamchak auf, der auf seiner Kaiila saß.

»Du bist gut gelaufen«, sagte er.

Sie schloß erleichtert die Augen.

Ein Tuchukkrieger zerschnitt ihre Fesseln, und Tuka sprang auf und eilte zu ihrem Herrn. Dort zog sie hastig ihre Pelze wieder an.

Die nächste Läuferin, ein schlankes Kassarmädchen, trat in den Kreis, und Kamchak löste seine Bola. Es wollte mir scheinen, als liefe die Kleine besonders umsichtig, aber Kamchak fing sie mühelos. Zu meinem Ärger gelang dem Mädchen ein Trick. Als Kamchak bereits wieder auf den Peitschenkreis zugaloppierte biß das Mädchen der Kaiila in den Hals. Das Tier stieg hoch, kreischte und zischte und biß seiner gefesselten Last ins Bein. Als Kamchak das Mädchen zu Boden geworfen und vor der Wut der Kaiila gerettet hatte, waren fünfunddreißig Schläge vergangen.

Er hatte verloren.

Als das Mädchen mit blutendem Bein losgebunden wurde, strahlte sie vor Freude.

»Gut gemacht«, sagte Albrecht, ihr Herr.

Sie war ein mutiges Mädchen. Es war leicht zu sehen, daß sie mit Albrecht mehr verband als ein Stück Sklavenkette.

Auf ein Zeichen Kamchaks hin trat nun Elizabeth Cardwell in den Peitschenkreis. Sie hatte Angst. Sie und ich hatten angenommen, daß Kamchak besser abschneiden würde als Conrad. Dann hätte uns nämlich auch meine Niederlage gegen Albrecht, die mir sicher zu sein schien, nicht sonderlich geschadet. Wenn ich nun auch noch unterlag, war sie eine Sklavin der Kassars.

Albrecht grinste, schwang die Bola neben seinem Steigbügel leicht hin und her.

Er sah sie an. »Lauf«, sagte er.

Elizabeth Cardwell sprintete los.

Sie hatte natürlich die Läufe Tukas und des Kassarmädchens beobachtet und versuchte sich danach zu richten, aber sie hatte keinerlei Erfahrung — zum Beispiel wußte sie die richtige Schlagzahl nicht zu berechnen. Einige Mädchen der Wagenvölker sind speziell darauf trainiert, einer Bola auszuweichen, und so ein Mädchen, das manche Wette erfolgreich übersteht, ist ihrem Herrn viel wert. Eine der besten Läuferinnen war nach allgemeiner Auffassung eine Kassarsklavin, ein turianisches Mädchen namens Dina. Sie war mehr als zweihundertmal im Wettbewerb gelaufen; fast immer hatte sie ihren Verfolger irgendwie stören und ihre Rückkehr in den Peitschenkreis verzögern können; vierzigmal, eine unglaubliche Zahl, war es ihr sogar gelungen, die Lanze zu erreichen.

Bei fünfzehn galoppierte Albrecht mit wirbelnder Bola lautlos an. Elizabeth hatte nicht mitgezählt oder die Schnelligkeit der Kaiila unterschätzt, denn als sie sich vorsichtig umsah, war ihr Verfolger schon heran; im nächsten Augenblick wirbelte sich die Bola um ihre Beine. Albrecht riß sie auf seine Kaiila, und fünf oder sechs Schläge später wurde Elizabeth gefesselt zu Füßen des Schiedsrichters ins Gras geworfen.

»Fünfundzwanzig!« verkündete der Unparteiische.

Jubel brach in der Menge aus, die zwar weitgehend aus Tuchuks bestand, einen guten Ritt aber zu schätzen wußte.

Weinend zerrte Elizabeth an den Fesseln, die ihre Handgelenke umspannten.

Der Schiedsrichter untersuchte die Fesseln und verkündete: »Das Mädchen ist gefesselt.«

Elizabeth stöhnte und rührte sich nicht mehr. »Ich hab’s versucht«, sagte sie.

»Einige Mädchen haben diesen Lauf schon hundertmal gemacht. Manche werden besonders darin ausgebildet.«

»Gesteht ihr eure Niederlage ein?« wandte sich Conrad an Kamchak.

»Nein«, sagte Kamchak. »Mein zweiter Reiter war noch nicht dran.«

»Er gehört ja nicht einmal zu den Wagenvölkern«, sagte Conrad.

»Trotzdem wird er reiten«, sagte Kamchak.

Fünfundzwanzig schlägt er nicht«, sagte Conrad.

Kamchak zuckte die Achseln. Ich wußte, daß fünfundzwanzig eine sehr gute Zeit war. Albrecht war ein vorzüglicher Reiter und sehr erfahren in diesem Sport, und natürlich war er diesmal nur gegen eine untrainierte barbarische Sklavin geritten, die noch nie gegen eine Bola gelaufen war.

»In den Kreis«, sagte Albrecht zu dem anderen Kassarmädchen.

Stolz trat sie vor. Sie wirkte sehr intelligent. Ihre Fußgelenke waren ein wenig stämmiger als gewöhnlich. Offenbar war sie gut im Training.

Ich wünschte, ich hätte sie schon einmal laufen sehen, denn die meisten Mädchen haben ein bestimmtes Schema, auch in ihren Ausweichmanövern, einen Rhythmus, den man dann voraussehen kann. Auch kann man an ihrem Lauf ablesen, wie so ein Mädchen denkt; man kann sich ihren Gedankengängen anpassen. Sie atmete mehrmals tief ein.

»Wenn du gewinnst«, sagte Albrecht grinsend, »erhältst du heute abend ein Silberarmband und fünf Meter rote Seide.«

»Ich werde für dich gewinnen, Herr.«

Albrecht sah mich an. »Dieses Mädchen«, sagte er, »ist noch nie in weniger als zweiunddreißig Schlägen eingebracht worden.«

Ich bemerkte, wie Kamchak interessiert den Kopf hob, aber er sagte nichts.

Zu meiner Überraschung sah mich das Mädchen kühn an. »Ich wette«, sagte sie, »daß ich die Lanze erreiche.«

Ihre Offenheit verärgerte mich etwas.

»Ich halte dagegen«, sagte ich.

»Sie lachte. »Wenn ich gewinne, gibst du mir deine Bola, die ich dann meinem Herrn übergebe.«

»Einverstanden«, sagte ich. »Und wenn ich gewinne?«

»Das wirst du nicht«, erwiderte sie. »Aber wenn, gebe ich dir einen Goldring und eine Silberschale.«

»Wie ist es möglich, daß eine Sklavin solche Dinge besitzt?« wollte ich wissen.

Sie warf hochmütig den Kopf in den Nacken.

»Ich habe ihr oft Wertgegenstände geschenkt«, sagte Albrecht.

Ich vermutete, daß dieses Mädchen keine typische Sklavin war.

»Ich will deinen Ring und deine Schale nicht«, sagte ich.

»Was dann?«

»Wenn ich gewinne, möchte ich als Preis den Kuß eines unverschämten Mädchens!«

»Tuchuksleen!« fauchte sie mit blitzenden Augen.

Conrad und Albrecht lachten. Albrecht sagte zu dem Mädchen: »Ich bin einverstanden.«

»Also gut, Tharlarion!« sagte das Mädchen. »Deine Bola — gegen einen Kuß.« Ihre Schultern zitterten vor Wut. »Ich werde dir zeigen, wie ein Kassarmädchen laufen kann«

»Der Mut wollte mich verlassen. Ich erinnerte mich an Albrechts Bemerkung, daß dieses Mädchen noch nie unter zweiunddreißig Schlägen eingeholt worden war.

»Dann darf ich also annehmen«, sagte ich beiläufig zu Albrecht, »Daß die Kleine hier schon öfter gegen die Bola gelaufen ist.«

»Ja«, sagte Albrecht. »Das stimmt. Du hast vielleicht schon von ihr gehört. Es ist Dina aus Turia.« Conrad und Albrecht schlugen sich vor Vergnügen auf die Schenkel und lachten brüllend. Auch Kamchak fiel in das Gelächter ein; Tränen rannen ihm über das narbige Gesicht. Er deutete auf Conrad. »Schlauer Kassar!« lachte er. Das war ein Witz, da gewöhnlich die Tuchuks mit der Bezeichnung ›schlau‹ belegt wurden. Die Tuchuks und die Kassars mochten diesen Witz als lustig empfinden — ich wollte den Trick jedoch nicht so einfach hinnehmen. Wie geschickt waren wir hereingelegt worden! Wir hatten keine Ahnung gehabt, daß eines der beiden Mädchen Dina war, die natürlich nicht gegen den erfahrenen Kamchak, sondern gegen seinen ungeschickten Freund Tarl Cabot laufen sollte, der nicht einmal zu den Wagenvölkern gehörte! Conrad und Albrecht waren vielleicht sogar mit dieser Absicht ins Lager der Tuchuks gekommen. Was konnten sie auch verlieren? Bestenfalls hätten wir ein Unentschieden herausgeholt, falls Kamchak Conrad geschlagen hätte. Aber das war nicht eingetreten; dafür hatte das hübsche kleine turianische Mädchen gesorgt, das sich mit ihrem Biß übrigens in Lebensgefahr begeben hatte.

Auch Dina, in diesem Sport wohl die erfahrenste Sklavin überhaupt, hatte zu lachen begonnen, hing sich an den Steigbügel Albrechts und schaute zu ihm auf. Ich bemerkte, daß seine Kaiila halb über dem Peitschenkreis stand, in dem sich das Mädchen aufhielt. Sie hatte sich etwas hochgezogen, so daß ihre Füße nicht auf dem Boden standen, und hielt den Kopf an seinen Pelzstiefel gepreßt.

»Lauf«, sagte ich.

Sie stieß einen ärgerlichen kleinen Schrei aus, in den Albrecht einfiel, und Kamchak lachte. »Lauf, du Närrin!« brüllte Conrad. Das Mädchen ließ den Steigbügel los, und ihre Füße berührten den Boden. Sie war etwas aus dem Gleichgewicht, fing sich aber wieder und rannte mit ärgerlichem Ruf los. Durch mein überraschendes Startzeichen hatte ich vielleicht zehn oder fünfzehn Meter gewonnen.

Ich zog die Lederfessel aus meinem Gürtel und steckte sie zwischen die Zähne.

Ich begann die Bola zu schwingen.

Während ich die Bola langsam auf Geschwindigkeit brachte, ohne den Blick von dem Mädchen zu nehmen, wich Dina plötzlich vom geraden Kurs ab. Kaum fünf Meter vom Peitschenring entfernt, begann sie Ausweichmanöver durchzuführen, wobei sie natürlich die Richtung zur Lanze beibehielt. Das verwirrte mich. Sie hatte sich bestimmt nicht verschätzt. Während der Schiedsrichter laut weiterzählte, prägte ich mir ihre Taktik ein, zwei Haken nach links, gefolgt von einem weiten Schwenk nach rechts, um die Richtung zu korrigieren; zwei links, dann nach rechts; zwei links, dann wieder nach rechts.

»Fünfzehn!« rief der Schiedsrichter, und ich beugte mich vor und spornte meine Kaiila an. Ich ritt sofort in höchstem Tempo los, denn ich durfte keinen Schlag verlieren. Auch wenn ich Glück hatte und Albrechts Zeit erreichte, gehörte Elizabeth den Kassars, denn Conrad hatte Kamchak klar besiegt. Es ist natürlich gefährlich, ein hakenschlagendes Mädchen mit voller Geschwindigkeit anzureiten, denn es ist dann schwer, das Tier herumzureißen, sollte das Mädchen überraschend ausweichen. Aber ich konnte Dinas Lauf abschätzen, zwei nach links und einen Schwenk nach rechts; also lenkte ich die Kaiila mit vollem Tempo auf einen vorausberechneten Treffpunkt zwischen Dina und Bola zu. Die Primitivität ihres Laufes überraschte mich, und ich wunderte mich, wieso so ein Mädchen selten in weniger als zweiunddreißig Schlägen eingebracht worden war, wieso sie vierzigmal sogar die Lanze erreicht hatte.

Gleich wollte ich die Bola werfen, wenn sie den zweiten Haken nach links machte. Doch dann dachte ich an die Intelligenz, die aus ihren Augen geschimmert hatte, an ihre Zuversicht, und ich setzte alles auf eine Karte, auf den ersten Bruch ihres Zwei-links-einmal-rechts-Schemas, hoffte auf einen überraschenden Rechtshaken. Ich hörte ihren verblüfften Aufschrei, als sich die Bola um ihre Schenkel wickelte; blitzschnell riß ich meine Kaiila herum, fing das Mädchen im Fallen an den Haaren auf, zerrte sie hoch und begann sie zu fesseln, während ich mein Tier zurückrasen ließ, Sekundenbruchteile, ehe ich sie zu Füßen des Schiedsrichters in den Kreis fallen ließ, hatte ich die Knoten geschlossen.

»Zeit!« brüllte Kamchak.

Der Schiedsrichter blickte verblüfft auf, als könnte er dem Ergebnis nicht trauen. »Siebzehn«, flüsterte er.

Die Menge schwieg einen Augenblick und begann dann zu jubeln. Kamchak klopfte dem verwirrten Albrecht auf die Schulter.

Dina versuchte sich aus ihren Fesseln zu befreien, die jedoch vom Schiedsrichter gleich darauf anerkannt wurden.

Ich blickte auf Dina hinab, die sich zu meinen Füßen wand, und zerrte sie hoch. »Es sieht so aus, als könnte ich meine Bola behalten«, sagte ich.

Ich nahm das Mädchen in die Arme und kassierte nicht ohne Freude meinen Gewinn. Es lag nicht an ihrer anfänglichen Widerspenstigkeit, daß der Kuß länger ausfiel als beabsichtigt; es hatte mit der Wirkung zu tun, die unser Kontakt gegen ihren Willen auf Dina hatte. Mit verwirrtem Blick trat sie zurück.

Kamchak lachte, während Elizabeth mich zu meiner Verblüffung wütend ansah. Was war los mit ihr?

»Der Wettstreit endet unentschieden«, sagte Kamchak. »Die Punkte stehen gleich.«

»Einverstanden«, sagte Conrad.

»Nein«, sagte Albrecht. »Es muß einen Gewinner geben.«

»Ich bin heute schon genug geritten«, sagte Kamchak.

»Ich auch«, bemerkte Conrad. »Kehren wir zu den Wagen zurück.«

Albrecht deutete mit der Lanze auf mich. »Du bist herausgefordert. Lanze und Tospit. Lebendiges Ziel!«

Dieser Sport ist der gefährlichste überhaupt — der eigene Sklave muß für den Kämpfer stehen. Er oder sie hält dabei eine Tospitfrucht im Mund, die mit der Lanze aufgespießt werden muß. Schon mancher Sklave ist dabei schwer im Gesicht verletzt worden.

»Ich will nicht für ihn stehen!« rief Elizabeth Cardwell.

Aber sie konnte sich nicht dagegen wehren und bezog schließlich Position, seitlich zur Reitrichtung, die Tospit vorsichtig im Mund.

Elizabeth zeigte keine Furcht, wie ich erwartet hatte, sondern schien nur wütend zu sein. Sie rührte sich keinen Millimeter, als ich an ihr vorbeidonnerte und dabei die Tospit säuberlich aufspießte.

Das Mädchen, das in den Hals der Kaiila gebissen hatte, stand für Albrecht.

Mit fast verächtlicher Leichtigkeit galoppierte er an ihr vorbei.

»Drei Punkte für jeden!« verkündete der Schiedsrichter.

Albrecht rief: »Jetzt zur Lanzenspitze gewendet!«

»Ich will nicht mehr reiten«, sagte ich.

»Dann beanspruche ich den Sieg und die Frau!« brüllte Albrecht.

So blieb mir nichts anderes übrig, als zu reiten.

Elizabeth nahm etwa fünfzig Meter entfernt Aufstellung. Nun kam der schwierigste Lanzenstoß überhaupt. Der Reiter muß im entscheidenden Augenblick nicht nur die Frucht treffen, sondern seine Waffe auch mit der aufgespießten Tospit zurückziehen und um den Kopf der Sklavin herumschwingen lassen. Geschickt ausgeführt, ist es ein herrlicher Stoß. Doch von der Hand eines ungeschickten Reiters ist schon manche Sklavin entstellt oder gar getötet worden.

Ich hoffte, daß Elizabeth ohne Wunden davonkam. Die Kaiila kam schnell in Fahrt; ihr Galopp war gleichmäßig.

Die Menge brüllte auf, als ich an Elizabeth vorbeiraste, die Tospit auf der Lanzenspitze.

Krieger trommelten mit den Speeren gegen ihre lackierten Schilde. Männer brüllten.

Ich sah, wie Elizabeth zu schwanken begann, aber sie verlor das Bewußtsein nicht.

Albrecht von den Kassars senkte wütend die Lanze und galoppierte auf sein Mädchen zu. Eine Sekunde später war auch seine Lanzenspitze von einer Tospit gekrönt.

Das Mädchen hatte sich nicht von der Stelle gerührt und lächelte.

Die Menge bejubelte nun auch Albrecht.

Doch plötzlich wurde es still, denn der Schiedsrichter eilte zu Albrecht und bat um dessen Lanze. »Hier ist Blut an der Spitze«, sagte er.

»Ich habe sie nicht verletzt!« rief Albrecht

»Ich bin nicht verletzt!« rief das Mädchen.

Der Richter zeigte die Lanzenspitze herum. Ein winziger Blutfleck war an ihrer Spitze sichtbar, und auch die kleine grüne Frucht wies einen roten Striemen auf.

»öffne den Mund, Sklavin«, sagte der Richter.

Sie gehorchte nach anfänglichem Zögern, und der Richter entdeckte Blut in ihrem Mund. Das Mädchen hatte die Wunde zu verbergen versucht.

Mit einem kleinen Schreck wurde mir plötzlich klar, daß sie und Dina nun Kamchak und mir gehörten.

Lachend sprang Kamchak von seiner Kaiila und fesselte die beiden Mädchen.

»Ich weiß nicht, was wir mit all den Sklaven sollen«, sagte Elizabeth Cardwell. Sie sah mich mit zornblitzenden Augen an und wandte sich ab.

Kurze Zeit später ritten Kamchak und ich Seite an Seite zum Lager zurück, gefolgt von den drei Mädchen.

»Die Zeit des Kurzen Grases bricht an«, sagte Kamchak. »Morgen wenden sich unsere Herden in Richtung Turia.«

Ich nickte. Die Überwinterung war vorbei. Nun kam der dritte Abschnitt des Omenjahres, die Rückkehr nach Turia. Vielleicht erhielt ich jetzt Antwort auf die verschiedenen Fragen, die mich immer wieder beschäftigt hatten — auf die Frage nach dem Briefkragen, nach den seltsamen Begleitumständen dieser Sendung, nach dem goldenen Ei, dem letzten Ei der Priesterkönige.

»Ich nehme dich mit nach Turia«, sagte Kamchak.

»Gut«, erwiderte ich.

Die Überwinterung hatte mir Spaß gemacht, aber jetzt war sie vorbei. Bei Anbruch des Frühlings zogen die Bosks wieder nach Süden. Ich und die Wagen würden sie begleiten.

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