Ich ließ die Plane hinter mir zufallen und blieb verblüfft stehen.
Auf der anderen Seite des Wagens stand jenseits der winzigen Feuerstelle ein Mädchen, das sich hastig nach mir umdrehte. Das Licht einer Tharlarionlampe fiel auf ihr Gesicht.
»Du!« rief sie.
Sie hielt die Hände vor das Gesicht, um den goldenen Nasenring zu verbergen.
Ich sagte nichts, sondern starrte Elizabeth Cardwell nur sprachlos an.
»Du lebst!« sagte sie und begann zu zittern. »Aber du mußt fliehen!«
»Wieso denn?«
»Er wird dich hier entdecken.«
»Wer denn?«
»Mein Herr! Der Besitzer dieses Wagens!« sagte sie weinend. »Ich kenne ihn noch nicht.«
Plötzlich wurden mir die Knie weich, aber ich rührte mich nicht von der Stelle und ließ mir nichts anmerken. Jetzt wußte ich Bescheid.
»Wo ist denn dein Herr?« fragte ich schließlich.
»Irgendwo in der Stadt — er kann jeden Augenblick kommen.«
»Ich fürchte ihn nicht«, sagte ich.
Sie wandte sich ab.
»Welchen Namen trägst du auf dem Kragen?«
»Man hat ihn mir gezeigt«, sagte sie, »aber ich kann die Zeichen nicht lesen.«
Das stimmte natürlich — sie vermochte die goreanische Sprache zwar zu sprechen, kannte aber das geschriebene Alphabet nicht.
Ich ging um die Feuerstelle herum und näherte mich dem Mädchen.
»Du darfst mich nicht anschauen«, rief sie und wandte sich ab.
Ich griff zu und drehte ihren Kragen herum. Ich sah sofort das Zeichen der vier Boskhörner und das Zeichen der Stadt Ko-ro-ba, gefolgt von der goreanischen Inschrift: »Ich bin Tarl Cabots Mädchen«. Ich rückte den Kragen wieder zurecht und trat einige Schritte zurück.
»Was steht darauf?« fragte sie.
Ich schwieg.
»Wem gehört dieser Wagen?« wollte sie wissen.
Ihre Augen sahen mich furchtsam an. »Wessen Sklavin bin ich?« fragte sie leise.
»Der Wagen gehört mir«, sagte ich.
Sie starrte mich sprachlos an. Das ist nicht möglich!« Der Wagen gehört einem Kommandanten.«
»Ich bin Kommandant einer Tausendschaft.«
Sie schüttelte wie betäubt den Kopf. »Und der Kragen?«
»Darauf steht: ›Ich bin Tarl Cabots Mädchen‹.«
»Dein Mädchen?«
»Ja«, sagte ich.
Tränen strömten ihr über die Wangen, und sie sank weinend in die Knie.
»Es ist alles vorbei, liebe Elizabeth«, sagte ich. »Du brauchst keine Angst mehr zu haben. Du bist keine Sklavin mehr. Du bist frei, Elizabeth.«
Ich entfernte den Kragen und den Ring.
Sie sank mir in die Arme, und wir küßten uns.
In der Feuchtigkeit und Dunkelheit der goreanischen Nacht warteten die Streitkräfte Kamchaks den Zeitpunkt ab. Sie umlagerten Saphrars Anwesen; hier und dort blitzte eine Waffe im schwachen Licht der Monde, von Zeit zu Zeit war leises Flüstern zu hören.
Kamchak, Harold und ich standen zusammen mit einigen Männern auf dem Dach eines Gebäudes, das den Außenmauern am nächsten lag.
Hinter den Mauern hörten wir von Zeit zu Zeit die Postenrufe der Wachen.
Vor über einer Stunde hatte ich den Wagen des Kommandanten verlassen, von einem meiner Wächter geweckt. Ich hatte Elizabeth schlafen lassen.
Unterwegs war mir Harold begegnet, und wir hatten schnell etwas getrocknetes Boskfleisch gegessen und an einem der zahlreichen Versorgungswagen in der Stadt unseren Durst gestillt.
Die Tarns, die Harold und ich vor einigen Tagen aus Saphrars Burg gestohlen hatten, waren in die Stadt gebracht worden und standen in der Nähe bereit, denn man hielt es für möglich, daß sie gebraucht wurden — wenn auch nur für Nachrichtenzwecke. Auch hatte man Hunderte von Kaiila in die Mauern Turias gebracht.
Ich hörte Kaugeräusche neben mir und sah, daß sich Harold noch immer mit einem Streifen Boskfleisch beschäftigte. »Es ist fast Morgen«, murmelte er mit vollem Mund.
Ich sah, wie sich Kamchak vorbeugte und die Hände auf die Dachmauer stützte. Er wirkte seltsam gebeugt in der Dunkelheit. Er hatte sich seit einer Viertel-Ahn nicht mehr gerührt. Er wartete auf den Anbruch der Morgendämmerung.
»Ich würde vorschlagen«, sagte Harold, »zuerst die Tarnkavallerie über die Mauern zu schicken, und ihr dabei mit Tausenden von Pfeilen Deckung zu geben. In einer zweiten Welle würde ich dann Dutzende von Kriegern mit Seilen auf den Dächern der wichtigsten Gebäude absetzen.«
»Aber wir haben keine Tarnkavallerie«, wandte ich ein.
»Das ist der Nachteil meines Vorschlags.«
Ich schloß kurz die Augen und starrte wieder zu den düsteren Befestigungsanlagen hinüber. Schließlich wandte ich mich an den Kommandanten einer Hundertschaft neben mir, der meine Armbrustschützen befehligte. »Sind irgendwelche Tarns drüben gestartet oder gelandet?«
»Nein«, sagte der Mann.
»Bist du sicher«?
»Es war Mondlicht. Wir haben nichts gesehen.« Er sah mich an. »Nach meiner Schätzung befinden sich drei oder vier Tarns innerhalb der Befestigungen.«
»Die dürfen unter keinen Umständen entkommen.«
»Wir werden uns Mühe geben«, sagte er.
Im Osten wurde es heller. Ich machte einen tiefen Atemzug.
Kamchak hatte sich noch immer nicht gerührt.
»Da — ein Tarn!« rief plötzlich einer der Männer.
Ein winziger Fleck war am Himmel erschienen — ein Tarn, der mit voller Geschwindigkeit auf Saphrars Anwesen zuhielt. Er kam anscheinend aus der Richtung des Turms, den Ha-Keels Männer besetzt hielten.
»Achtung — Armbrüste fertigmachen!« rief ich.
»Nein«, befahl Kamchak.» Laßt das Tier landen.«
Die Männer schossen nicht, und der Tarn setzte mit präzisen Flügelschlägen zur Landung an und ging auf die Spitze der Burg nieder.
»Nun kann Saphrar vielleicht entkommen«, sagte ich.
»Nein«, erwiderte Kamchak. »Für Saphrar gibt es kein Entkommen. Sein Blut gehört mir.«
»Wer ist der Reiter?« fragte ich weiter.
Ha-Keel, der Söldner«, sagte Kamchak. »Er will mit Saphrar verhandeln — aber welche Bedingungen der Kaufmann auch anbietet, ich kann ihn überbieten, denn ich habe alles Gold und alle Frauen der Stadt zur Verfügung, und bis Sonnenuntergang habe ich auch Saphrars Armee auf unsere Seite gezogen.«
»Aber die Tarnkämpfer können uns entscheidend schlagen«, sagte ich warnend.
Harold lachte leise. »Die tausend Tarnreiter Ha-Keels haben heute morgen die Stadt verlassen und sind nach Port Kar geflogen. Der Turm ist verlassen.«
»Aber wieso ...?«
»Sie wurden gut bezahlt. Mit turianischem Gold, wovon wir wirklich ausreichend haben.«
»Dann ist Saphrar ja allein«, sagte ich.
»Seine Lage ist schlimmer als er ahnt. Du wirst sehen«, orakelte Harold.
Nun wurde es langsam heller, und ich konnte die Gesichter der Kämpfer unten auf der Straße erkennen. Einige trugen Strickleitern mit Metallhaken an den Enden, andere Sturmleitern. Der Angriff auf die Festung schien unmittelbar bevorzustehen. Das Haus Saphrars war von Tausenden von Soldaten umzingelt.
Wir waren den Verteidigern zahlenmäßig etwa zwanzig zu eins überlegen. Der Kampf würde hart werden, aber am Ergebnis konnte kein Zweifel bestehen — besonders nachdem die Tarnkämpfer Ha-Keels die Stadt verlassen hatten, die Satteltaschen ihrer Tarns schwer von turianischem Gold. Nun ergriff Kamchak wieder das Wort. »Ich habe lange auf das Blut Saphrars gewartet«, sagte er. Er hob die Hand, und ein Mann in seiner Nähe stieg auf die Dachmauer und stieß in sein Boskhorn.
Ich hielt dies für das Signal, daß der Angriff beginnen möge. Aber niemand rührte sich.
Zu meiner Verblüffung öffnete sich vielmehr ein Tor des Anwesens, und mehrere Soldaten, die Waffen gezogen, schwere Beutel schleppend, traten vorsichtig heraus. Sie bildeten unten auf der Straße eine Reihe, von den Tuchukkriegern mit verächtlichen Blicken gemustert. Nacheinander nahmen sie an einem langen Tisch Aufstellung, auf dem viele Waagen aufgebaut waren. Jedem Manne wurden zehn goreanische Kilo Gold abgewogen. Die Männer ließen ihren Schatz in den Beuteln verschwinden und eilten durch eine Gasse fort, die von Tuchukkriegern gebildet wurde. Von ihnen wurden sie bis vor die Stadt geleitet. Zehn goreanische Kilo entsprechen etwa fünfzehn irdischen Kilo und in Gold stellt dieses Gewicht ein Vermögen dar.
Ich war sprachlos, und begann zu zittern. Der Zug nahm kein Ende — viele hundert Männer wanderten langsam unter uns vorbei.
»Ich ... ich verstehe das nicht«, wandte ich mich schließlich an Kamchak.
Er blickte geradeaus, starrte zur stillen Festung des Kaufmanns hinüber. »Saphrar aus Turia soll am Golde sterben«, sagte er.
Erst jetzt begriff ich die Tiefe des Hasses, den Kamchak für Saphrar empfinden mußte.
Mann um Mann, Kilo um Kilo Gold starb Saphrar. Seine Mauern und Befestigungen wurden ihm stückweise genommen, rannen ihm durch die Finger. Sein Gold vermochte nicht die Herzen der Männer zu kaufen. Kamchak hielt sich mit der Grausamkeit des Tuchuks im Hintergrund und kaufte Münze um Münze, Stück um Stück seinen Gegner aus.
Ein- oder zweimal hörte ich Schwertergeklirr hinter den Mauern; vielleicht wollten einige Saphrar ergebene Männer den Auszug von Bestochenen verhindern, aber diese Scharmützel schienen keinen Einfluß zu haben, da der Exodus seinen Fortgang nahm. Ich sah sogar einige Sklaven das Grundstück verlassen — und sie erhielten die gleiche Menge Gold — wohl um die freien Männer, die die Bestechungssumme nahmen, um so mehr zu erniedrigen. Saphrars Macht hatte stets auf der Verlockung des Goldes basiert — eine Politik, die ihn jetzt das Leben kostete.
Auf Kamchaks Gesicht zeigte sich keine Regung.
Endlich — vielleicht eine Ahn nach Sonnenaufgang — kamen keine Männer mehr aus dem Tor, das weit offenstand.
Nun verließ Kamchak das Dach und bestieg seine Kaiila. Langsam ritt er auf das Haupttor des Anwesens zu. Harold und ich begleiteten ihn zu Fuß, gefolgt von mehreren Kriegern. Rechts von Kamchak schritt ein Sleenmeister, der zwei der bösartigen Raubtiere an Ketten mitführte.
Um Kamchaks Sattelknopf waren mehrere Goldsäcke gebunden, die jeweils zehn goreanische Kilo schwer waren. Dahinter folgten einige turianische Sklaven, zu denen auch Kamras, der Erste Kämpfer der Stadt, und der Administrator Phanius Turmus gehörten; sie schleppten weitere Geldsäcke.
Das Grundstück jenseits der Mauern schien verlassen zu sein; auf den Mauern zeigte sich kein Mann. Die frei Fläche zwischen den Mauern und den ersten Gebäuden war leer.
Kamchak zügelte seine Kaiila und sah sich um; der Blick seiner dunklen, brennenden Augen wanderte langsam über Dächer und Fenster.
Dann spornte er sein Tier an und näherte sich dem Haupteingang der Gebäude. Zwei Krieger tauchten auf, die offenbar Widerstand leisten wollten. Hinter ihnen entdeckte ich zu meiner Überraschung eine in Weiß und Gold gekleidete Gestalt, die einen in ein purpurnes Tuch geschlagenen Gegenstand in den Armen hielt. Saphrar!
Die beiden Wächter zogen ihre Waffen.
Kamchak zügelte seine Kaiila.
Hinter mir hörte ich Hunderte von Leitern und Seilhaken gegen die Mauern schlagen, und als ich mich umwandte, sah ich, wie unzählige Männer über die Schutzwälle und durch die offenen Tore in die verlassene Festung strömten.
Kamchak sagte: »Kamchak von den Tuchuks, dessen Vater Kutaituchik von Saphrar aus Turia getötet wurde, möchte Saphrar aus Turia sprechen!«
»Werft eure Speere!« kreischte Saphrar aus dem Hintergrund.
Die beiden Männer zögerten.
»Übermittelt Saphrar aus Turia meine Grüße«, sagte Kamchak ruhig.
Einer der Wächter wandte sich mit starren Bewegungen um.
»Kamchak von den Tuchuks«, sagte er, »entbietet Saphrar aus Turia seinen Gruß.«
»Tötet ihn!« forderte Saphrar. »Tötet ihn!«
Stumm nahm ein Dutzend Bogenschützen der Tuchuks Aufstellung und hob die Waffen. Kamchak löste wortlos zwei Beutel Gold von seinem Sattel und warf sie neben seinem Tier zu Boden.
»Kämpft!« kreischte Saphrar außer sich.
Die beiden Wächter kamen zögernd näher, nahmen je einen Beutel auf und flohen zwischen den Tuchuks hindurch auf die Straße.
»Sleen!« zischte Saphrar, machte kehrt und verschwand wieder seinem Palast.
Ohne sich zu beeilen, lenkte Kamchak seine Kaiila die Vortreppe hinauf und in die Vorhalle des Haupthauses. Hier sah er sich um, ritt über die breite Marmortreppe und nahm in aller Ruhe die Verfolgung des entsetzten Saphrar auf.
Immer wieder stießen wir auf Wächter — doch sobald Saphrar hinter ihnen Schutz suchte, ließ ihnen Kamchak Gold hinwerfen, das sie mit schnellem Griff an sich brachten, um damit zu verschwinden. Saphrar, schweratmend, den schweren Gegenstand im Arm, eilte weiter. Er verschloß Türen hinter sich, die jedoch eingeschlagen wurden. Er warf Möbelstücke die Treppen hinab, doch wir ließen uns nicht aufhalten. Die Jagd führte von Raum zu Raum, durch einen Saal nach dem anderen. Wir passierten den großen Bankettsaal, wo uns der Kaufmann vor langer Zeit bewirtet hatte, und kamen durch Küchen- und Vorratsräume schließlich in die Privatgemächer Saphrars. Hier schien unsere Mission plötzlich zu Ende zu sein, denn Saphrar war verschwunden, aber Kamchak zeigte keinerlei Unruhe.
Er stieg ab, nahm ein Kleidungsstück von einem Hocker und hielt es den beiden Jagdsleen vor die Schnauzen. »Sucht!« sagte er.
Die beiden Sleen schienen den Duft des Stoffes einzusaugen und begannen zu zittern. Ihre Köpfe zuckten hin und her. Gleich darauf näherten sie sich einer Wand, sprangen sie an und begannen zu wimmern und zu zischen.
»Brecht durch!« befahl Kamchak.
Wenige Sekunden später zeigte sich hinter der dünnen Trennwand ein dunkler Tunnel. Kamchak gab seine Kaiila nun in die Obhut eines Untergebenen, ließ sich eine Fackel geben und stieg hinter den schnaubenden Sleen in den Tunnel, gefolgt von Harold und mir und den übrigen Männern. Die Sleen hatten keine Mühe, Saphrars Spur durch die Gänge zu folgen, die sich oft verzweigten.
Einmal blieb Kamchak stehen und verlangte nach Planken. Auf etwa drei Metern Breite fehlte der Fußboden, der zurückgeklappt zu sein schien. Harold warf einen Stein in die Öffnung, und es dauerte etwa zehn Ihn, ehe er auf Wasser aufschlug.
Kamchak schien die Verzögerung nicht weiter zu stören. Mit untergeschlagenen Beinen saß er reglos vor der Öffnung, bis die Planken gebracht wurden; dann gingen er und die Sleen als erste hinüber. Dann wieder rief er uns eine Warnung zu und verlangte nach einer Lanze, mit der er einen Fallstrick in der Passage auslöste. Vier Speere zuckten aus den Wänden und verschwanden in kleinen Öffnungen an der gegenüberliegenden Tunnelwand. Kamchak trat mit dem Stiefel die Sperrschäfte entzwei und machte den Weg wieder frei.
Schließlich erreichten wir einen großen Audienzsaal mit Dachkuppel. In diesem Raum waren Harold und ich verhört worden.
Vier Personen warteten auf uns.
Auf dem Ehrenplatz saß der hagere, narbige Tarnsöldner des Kaufmanns Saphrar, Ha-Keel. Er war damit beschäftigt, seine Schwertklinge einzuölen.
Vor der Plattform trippelte Saphrar auf und ab; er umklammerte das purpurne Objekt. Er wurde beobachtet von dem Paravaci, der noch immer die Maske des Klans der Folterer trug und in Saphrars Gesellschaft gewesen war, als ich in den Gelben See springen mußte.
Ich hörte Harolds erfreuten Ruf, als er den Mann erblickte und der Paravaci fuhr mit gezückter Quiva herum. Der vierte Mann war jung und hatte dunkles Haar, ein einfacher Soldat, knapp zwanzig Jahre alt. Er trug die rote Robe eines Kriegers. Er stellte sich zwischen uns und die anderen.
Kamchak musterte ihn. »Stör uns nicht, Junge. Hier haben Männer miteinander zu reden.«
»Tritt zurück, Tuchuk!« forderte der Jüngling ihn auf und zog sein Schwert.
Kamchak gab ein Zeichen, daß dem Soldaten ein Sack Gold hingeworfen werden sollte. Doch der Krieger rührte sich nicht. Kamchak warf ihm einen zweiten Sack Gold vor die Füße und schließlich einen dritten.
»Ich bin Krieger«, sagte der junge Mann stolz. »Du kennst unseren Kodex.«
»Wie du willst«, sagte Kamchak und gab seinen Bogenschützen ein Zeichen.
Mit einem turianischen Kriegsschrei stürzte sich der junge Mann auf den Häuptling der Tuchuks, wurde jedoch im nächsten Augenblick von einem Dutzend Pfeilen durchbohrt.
Er sank wimmernd zu Boden. Zu meiner Verblüffung bemerkte ich, daß ihn die Pfeile nur an Armen und Beinen getroffen hatten — was bestimmt kein Zufall war.
Kamchak wandte sich an einen Krieger hinter sich. »Laß seine Wunden verbinden, damit er überlebt. Dann soll er ins Lager gebracht werden. Steckt ihn in das Lederwams eines Tuchuks und bildet ihn an unseren Waffen aus. Wir brauchen Männer wie ihn bei den Wagen.«
Ich sah den verblüfften Blick des jungen Mannes, als er hinausgetragen wurde.
Kamchak drehte sich um und musterte die anderen drei Männer, den ruhigen Ha-Keel, den nervösen Saphrar und den großen Paravaci.
»Der Paravaci gehört mir!« rief Harold.
Der Mann wandte sich ärgerlich in seine Richtung, doch er blieb, wo er war, und hielt seine Quiva in der Hand.
Harold sprang vor. »Kämpfen wir!«
Auf ein Zeichen Kamchaks zog sich der junge Tuchuk wutschnaubend zurück.
»Kommt nicht näher!« rief Saphrar nervös, »oder ich vernichte die goldene Kugel!« Er zerrte das purpurne Tuch auseinander und enthüllte die goldene Kugel, die er im Arm gehalten hatte. Er hob das Gebilde über den Kopf. Mein Herz stockte. Ich streckte den Arm aus und berührte Kamchak am Arm.
»Das darf er nicht«, flüsterte ich.
»Warum nicht?« fragte Kamchak. »Das Ding ist wertlos.«
»Bleibt stehen!« kreischte Saphrar.
»Verstehst du mich nicht?« brüllte ich Kamchak an.
In Saphrars Augen blitzte es auf. »Hört auf den Korobaner!« sagte er. »Er weiß Bescheid! Er weiß Bescheid]«
»Macht das wirklich einen Unterschied«, wollt Kamchak wissen, »ob er die Kugel zerschmettert oder nicht?«
»Ja — auf Gor gibt es nichts Wertvolleres, sie ist vielleicht wertvoller als der ganze Planet!«
»Hört auf ihn!« schrie Saphrar. »Wenn ihr auch nur einen Schritt näherkommt, vernichte ich die Kugel!«
»Ihr darf nichts geschehen!« flehte ich.
»Warum?« fragte Kamchak.
Ich schwieg. Ich wußte nicht, wie ich ihm die Umstände erklären sollte.
Kamchak wandte sich an Saphrar. »Was hast du da überhaupt?« fragte er.
»Die goldene Kugel!«
»Aber was ist das — die goldene Kugel?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Saphrar, »aber ich weiß, daß es Männer gibt, die ein Vermögen dafür ausgeben, und ...«
»Ich«, sagte Kamchak, »würde dir nicht einmal eine kupferne Tarnmünze dafür zahlen.«
»Hört auf den Korobaner!« beharrte Saphrar.
»Die Kugel darf nicht zu Schaden kommen«, sagte ich.
»Warum?« fragte Kamchak noch einmal.
»Weil ... sie ist der letzte Samenkern der Priesterkönige, ein Ei, ein Kind ... die einzige Hoffnung der Priesterkönige, für sie alle ... für diese Welt, für das Universum!«
Die Männer ringsum murmelten überrascht, Saphrars Augen schienen aus ihren Höhlen zu treten. Ha-Keel blickte plötzlich auf und hatte sein Schwert ganz vergessen. Der Paravaci musterte Saphrar.
»Das glaube ich nicht«, sagte Kamchak. »Ich halte das Ding für ziemlich wertlos.«
»Nein — bitte!« sagte ich.
»Du bist doch nur wegen der goldenen Kugel zu den Wagenvölkern gekommen, nicht wahr?« fragte Kamchak.
»Ja«, sagte ich zögernd.
Die Männer ringsum sahen mich erstaunt und zum Teil feindselig an.
»Du hättest sie gestohlen — wie Saphrar?«
»Ja«, sagte ich. »Aber nicht wie Saphrar. Ich hätte Kutaituchik nicht getötet.«
»Warum hättest du das getan?«
»Um das Ei ins Sardargebirge zurückzubringen.«
»Nicht um es selbst zu behalten oder Reichtum damit zu erlangen?«
»Nein«, sagte ich,
»Ich glaube dir«, sagte Kamchak und sah mich offen an. »Wir wußten, daß eines Tages jemand aus dem Sardargebirge kommen würde. Wir wußten aber nicht, daß du dieser Mann sein würdest.«
»Ich wußte es auch nicht«, sagte ich.
Kamchak musterte den Kaufmann. »Willst du dir mit der goldenen Kugel dein Leben erkaufen?« fragte er.
»Wenn nötig — ja!« sagte Saphrar.
»Aber ich will die Kugel nicht«, erwiderte Kamchak grimmig. »Ich will dich!«
Saphrar erbleichte und hielt das Ei wieder über seinen Kopf.
Ich war froh, als Kamchak seinen Bogenschützen ein Zeichen gab, nicht zu schießen. Er winkte sie und seine anderen Männer einige Meter zurück — nur Harold und ich blieben neben ihm stehen.
Der Paravaci wandte sich an Ha-Keel, der nun sein Schwert in die Scheide gesteckt hatte und aufgestanden war. »Du hast einen Tarn«, sagte der Paravaci. »Nimm mich mit. Ich kann dir die Hälfte des Reichtums der Paravaci versprechen — Bosks und Gold, Frauen und Wagen!«
Ha-Keel sagte ruhig: »Was du mir bieten könntest, dürfte nicht halb soviel wert sein wie die goldene Kugel. Und die gehört Saphrar!«
»Du kannst mich doch nicht hierlassen!« rief der Paravaci.
»Du bist überboten«, sagte Ha-Keel gelangweilt.
Der Paravaci erstarrte und fuhr herum. Er stürzte sich auf Saphrar. »Dann will ich die Kugel haben!« schrie er.
Saphrar versuchte verzweifelt das Gleichgewicht zu wahren.
Ich hätte mich in den Kampf gestürzt, wenn mich Kamchak nicht zurückgehalten hätte.
»Der goldenen Kugel darf nichts geschehen!« brüllte ich.
Der Paravaci war natürlich viel stärker als der kleine dicke Kaufmann und hatte die Kugel schnell an sich gebracht. Doch Saphrar begann wie wahnsinnig zu kreischen und biß dem Krieger in den Unterarm; seine beiden Goldzähne sanken tief in das Fleisch des Mannes. Der Paravaci schrie entsetzt auf, erschauderte, und die goldene Kugel fiel ihm, aus der Hand und wurde einige Meter weit fortgeschleudert.
Ein Entsetzensschrei kam über meine Lippen. Tränen schossen mir in die Augen, als ich mich über das zerschmetterte Ei beugte. Meine Mission war vergebens gewesen! Die Priesterkönige würden sterben! Gor und womöglich auch die Erde würden in die Hände der Unbekannten fallen, wer immer sie sein mochten.
Ich merkte kaum, wie sich der Paravaci neben mir stöhnend auf dem Boden wand und langsam an dem Gift aus Saphrars Zähnen starb.
Kamchak trat neben den Mann und riß ihm die Maske vom Gesicht, das sich verfärbt hatte und zu einer Fratze verzogen war.
Ich hörte Harold verblüfft sagen: »Das ist ja Tolnus!«
»Natürlich«, sagte Kamchak. »Der Mann mußte Ubar der Paravaci sein; wer sonst hätte dieses Volk in den Krieg gegen uns schicken können, wer sonst hätte einem Tarnsöldner die Hälfte der Besitztümer der Paravaci versprechen können?«
Ich hörte diese Unterhaltung wie aus weiter Ferne mit. Ich erinnerte mich an Tolnus; er war einer der vier Ubar der Wagenvölker gewesen, denen ich am ersten Tag auf der Ebene begegnet war.
Kamchak beugte sich zu dem Sterbenden hinab und riß ihm die kostbare Juwelenkette vom Hals. Er warf sie einem seiner Männer zu. »Gib dies den Paravaci«, sagte er, »Damit sie sich ihre Bosks und ihre Frauen von den Kataii und Kassars zurückkaufen können.«
Ich merkte von diesen Vorgängen kaum etwas, denn der Kummer hatte mich überwältigt. Ich weinte, ohne mich zu schämen.
Es ging mir nicht nur darum, daß ich versagt hatte, daß das, worum ich gekämpft hatte, vergangen und vernichtet war. Es ging nicht um den Krieg der Priesterkönige, in dem ich eine wichtige Rolle gespielt hatte, auch nicht um das Leben meines Freundes Misk und um das Schicksal der Erde und der Gegenerde, die jetzt den geheimnisvollen Unbekannten zufallen mochten — nein, mich betrübte jenes Wesen, das mit diesem Ei vernichtet worden war, das unschuldige Opfer von Intrigen, die sich schon jahrhundertelang hinzogen und die nun ganze Welten miteinander in Konflikt brachten. Es hatte nichts getan, womit es ein solches Schicksal verdient hätte, dieses Kind der Priesterkönige — so konnte man sagen — dieses Wesen, das eine neue Nestmutter hätte werden können.
Wie aus weiter Ferne hörte ich jemand sagen: »Saphrar und Ha-Keel sind geflohen!«
Über mir sagte Kamchak: »Laßt die Sleen frei. Sie sollen jagen.«
Ich hörte, wie die Tiere von den Ketten losgemacht wurden und wie sie mit blitzenden Augen davonrasten.
Jetzt hätte ich nicht mit Saphrar aus Turia tauschen mögen.
»Sei stark, Krieger aus Ko-ro-ba«, sagte Kamchak teilnahmsvoll.
»Du verstehst mich nicht, mein Freund«, sagte ich schluchzend.
Die Tuchuks standen reglos neben mir, der Sleenmeister etwas im Hintergrund, die Halteketten für die Tiere noch in der Hand. An der Tür warteten die Sklaven mit ihrer Goldlast.
Mir wehte plötzlich ein merkwürdiger Gestank in die Nase, ein Verwesungsgeruch, der von den Bruchstücken der goldenen Kugel ausging.
»Pfui Teufel, stinkt das Ding!« sagte Harold und kniete mit angewidertem Gesichtsausdruck nieder und betastete die lederartigen Bruchstücke und einige der goldenen Schalenreste. Er rieb ein Stück zwischen Daumen und Zeigefinger.
Ich hatte den Kopf gesenkt; mir war alles egal.
»Hast du dir das goldene Ei einmal genau angesehen?« fragte Kamchak.
»Dazu hatte ich nie Gelegenheit«, sagte ich.
»Dann tu’s jetzt.«
Ich schüttelte den Kopf.
»Schau«, sagte Harold und hielt mir seine Hand unter die Nase. An seinen Fingern leuchtete Goldfarbe.
»Das ist Farbe«, sagte er.
»Farbe?« fragte ich verständnislos.
Harold beugte sich vor und zog aus den Resten des Eis einen eingeschrumpften, halb verwesten Tharlarionembryo.
»Ich sagte dir doch«, bemerkte Kamchak freundlich, »daß das Ei wertlos ist.«
Ich rappelte mich auf und starrte auf die Reste des Eis hinab.
»Das ist nicht das Ei der Priesterkönige«, fuhr Kamchak fort. »Glaubst du wirklich, wir würden unsre Gegner wissen lassen, wo sich solch ein wertvolles Ding befindet?«
Ich sah Kamchak an. Mir standen Tränen in den Augen.
Plötzlich hörten wir aus weiter Ferne einen schrillen Schrei und das Fauchen der beiden Sleens.
»Es ist vorbei«, sagte Kamchak.
Er wandte sich in die Richtung, aus der die Schreie kamen. Er ging ohne Hast. Wir folgten ihm.
Schließlich erreichten wir das Ufer des Gelben Sees von Turia. Auf der Marmorkante tobten die beiden Jagdsleen hin und her; sie zischten und fauchten und warfen ab und zu verzweifelt die Köpfe hoch und heulten. Ihre blitzenden Augen waren auf die Gestalt Saphrars aus Turia gerichtet, der wimmernd in der Masse des Sees stand. Seine Finger fuhren durch die Luft, als versuchten sie im Nichts Halt zu finden, als wollte er nach den Ranken greifen, die fünf Meter über ihm hingen.
Er versuchte sich in der schimmernden, funkelnden Substanz des Sees zu bewegen, kam jedoch nicht von der Stelle.
Sein dickes Gesicht war in Schweiß gebadet. Ihn umschwammen leuchtend weiße Kugeln, die ihn vielleicht beobachteten, ihn einkreisten. Die goldenen Tropfen, die Saphrar anstelle der Augenbrauen trug, fielen unbemerkt in die Flüssigkeit, die langsam an ihm emporstieg. Unter der Oberfläche ließ sich erkennen, daß seine Robe an verschiedenen Stellen bereits zerfressen war; wahrscheinlich drangen die Säfte des unheimlichen Seewesens bereits in seine Haut ein, nährten sich von seinem Körper.
»Senkt die Ranken!« flehte Saphrar. Er warf den Kopf zurück und begann wie verrückt an seinen Schultern und Armen zu kratzen. Schließlich streckte er Kamchak die Hände entgegen.
»Denk an Kutaituchik«, sagte dieser nur.
Saphrar schrie vor Schmerzen auf. Unter Wasser bemerkte ich eine Bewegung und entdeckte mehrere weiße Stränge, die seine Beine umschlossen und ihn unter die Oberfläche ziehen wollten.
Saphrar begann die verhärtete Masse ringsum mit den Fäusten zu bearbeiten, um ein weiteres Einsinken zu verhindern. Die Augen quollen ihm aus dem Kopf.
»Das Ei«, sagte Kamchak laut, »war das Ei eines Tharlarion. Es war wertlos.«
Der Kaufmann schien zusammenzusacken und versank langsam in der gallertartigen Flut. Einige Blasen zerplatzten träge an der Oberfläche. Schließlich verschwand der Kopf, und nur noch die Hände des Mannes waren zu sehen, hochgereckt, als wollte er nach den rettenden Ranken greifen.
Schließlich war es vorbei. Wir standen schweigend und starrten auf die ruhige Oberfläche des »Sees«.
»Bringt eine Fackel«, befahl Kamchak schließlich.
Er starrte in die lebendige schimmernde Flüssigkeit des Gelben Sees.
»Es war Saphrar aus Turia, der meinen Vater mit den Kandaketten bekannt machte. Er hat meinen Vater also zweimal getötet.«
Die Fackel wurde gebracht, und der See begann plötzlich seinen Dampf in schnellerem Rhythmus abzugeben. Seine Oberfläche geriet in Bewegung, schien sich von unserer Seite zurückzuziehen. Die seltsamen Stränge unter der Oberfläche zuckten nervös hin und her.
Kamchak nahm die Fackel und warf sie in die Mitte des Sees.
Plötzlich explodierte der See in Flammen, und wir alle hoben schützend die Arme vor die Gesichter und zogen uns einige Meter zurück. Im Becken begann es zu dröhnen, zu zischen und zu blubbern, und die Flammen loderten hoch auf. Auch die Ranken fingen Feuer. Das lebendige Seewesen versuchte, alle Flüssigkeit abzustoßen und sich vor der Gewalt der Flammen durch Bildung einer harten Kapsel zu schützen — aber die Flammen sprengten die Schutzhaut, und wieder war das ganze Becken voller züngelnder Flammen, immer wieder wurden Brocken in die Höhe geschleudert.
Über eine Stunde brannte das Feuer — und schließlich war das Becken leer und an vielen Stellen verkohlt, nur einige geschwärzte Knochen und Tropfen geschmolzenes Gold blieben zurück.
»Kutaituchik ist gerächt«, sagte Kamchak und wandte sich zum Gehen.
Vor dem Anwesen Saphrars, das nun in Flammen stand, bestiegen wir unsere Kaiila, um in das Wagenlager vor den Toren der Stadt zurückzukehren.
Ein Mann näherte sich Kamchak. »Der Tarnkämpfer«, berichtete er, »ist geflohen. Wir haben befehlsgemäß nicht auf ihn geschossen, da er Saphrar nicht bei sich hatte.«
Kamchak nickte. »Ich habe keinen Hader mit dem Söldner Ha-Keel«, sagte er und wandte sich an mich. »Du aber wirst ihm vielleicht noch einmal begegnen, nachdem er nun weiß, worum es hier geht. Saphrar ist tot, und seine Hintermänner brauchen einen neuen Helfershelfer. Vielleicht siehst du diesen Mann schneller wieder, als du jetzt glaubst.« Kamchak grinste mich an — das erste Lächeln seit dem Tod seines Vaters. »Es heißt, das Schwert Ha-Keels ist kaum weniger schnell als das von Pa-Kur, des Führers der Meuchelmörder.«
»Pa-Kur ist tot«, erwiderte ich. »Er kam bei der Belagerung Ars ums Leben.«
»Hast du die Leiche gesehen?«
»Nein«, sagte ich.
Kamchak lächelte. Tarl Cabot, ich glaube, du gäbst nie einen richtigen Tuchuk ab.«
»Wieso?«
»Du bist zu vertrauensselig.«
»Pa-Kur wurde auf dem Justizzylinder Ars besiegt, und um der Gefangenschaft zu entgehen, stürzte er sich über den Rand in die Tiefe. Ich glaube nicht, daß er fliegen konnte.«
»Hat man die Leiche gefunden?« fragte Kamchak noch einmal.
»Nein«, sagte ich. »Aber was heißt das schon?«
»Einem Tuchuk würde das etwas ausmachen«, sagte Kamchak.
»Ihr Tuchuks seid eben ein mißtrauischer Haufen«, antwortete ich ärgerlich. »Wahrscheinlich wurde der Tote von der aufgebrachten Menge in Stücke gerissen.«
»Dann sieht es also so aus, als sei er tot?«
»Sicher.«
»Hoffen wir, daß es stimmt«, sagte Kamchak. »Um deinetwillen.«
Wir wendeten unsere Kaiila und ritten aus der Stadt. Eine Unterhaltung kam nicht mehr auf, aber zum erstenmal seit vielen Wochen pfiff Kamchak leise vor sich hin. Einmal wandte er sich an Harold. »Ich glaube, wir sollten ein paar Tage auf Tumitjagd gehen«, bemerkte er.
»Das würde mir Spaß machen«, erwiderte Harold.
»Willst du mitkommen?« fragte mich Kamchak.
»Ich glaube, ich werde die Wagen bald verlassen, denn ich habe meine Mission für die Priesterkönige nicht erfüllen können«, sagte ich.
»Was war das für eine Mission?« fragte Kamchak unschuldig.
»Ich sollte das letzte Ei der Priesterkönige finden«, sagte ich etwas gereizt, »und es ins Sardargebirge zurückbringen.«
»Warum erledigen die Priesterkönige solche Dinge nicht selbst?« fragte Harold.
»Sie vertragen die Sonne nicht«, sagte ich. »Sie unterscheiden sich sehr von den Menschen. Und wenn ein Mensch sie sähe» könnte er Angst vor ihnen bekommen und sie töten wollen. Dadurch käme das Ei in große Gefahr.«
»Eines Tages«, sagte Harold, »mußt du mir von den Priesterkönigen erzählen.«
»Sehr gern«, erwiderte ich.
»Ich dachte mir gleich, daß du der Mann bist«, warf Kamchak ein.
»Welcher Mann?«
»Der Mann, den mir die beiden Fremden ankündigten — die Männer, die damals das Ei brachten.«
»Die beiden sind tot. Ihre Städte haben einen Krieg gegeneinander geführt, und sie sind auf dem Schlachtfeld umgekommen.«
»Das tut mir leid«, sagte Kamchak. »Es schienen mir ausgezeichnete Krieger zu sein.«
»Wann kamen sie zu den Wagen?«
»Es ist erst zwei Jahre her«, antwortete er.
»Sie gaben dir das Ei?«
»Ja«, sagte er. »Ich sollte es für die Priesterkönige aufbewahren. Das war natürlich klug von ihnen, denn die Wagenvölker gehören zu den wildesten Stämmen Gors und leben viele hundert Pasang von den Städten entfernt in Freiheit — mit Ausnahme von Turia natürlich.«
»Weißt du, wo das Ei jetzt ist?« fragte ich.
»Natürlich«, sagte er.
Ich begann im Sattel meiner Kaiila zu zittern. Die Zügel fielen mir aus der Hand, und das Tier wurde unruhig.
»Sag mir nicht, wo es ist«, sagte ich, »oder ich wäre in Versuchung, es zu stehlen und ins Sardargebirge zu schaffen.«
»Aber bist du nicht der Mann, der von den Priesterkönigen kommt, um das Ei zu holen?«
»Doch.«
»Warum wolltest du das Ei dann stehlen und fortschleppen?«
»Ich habe keine Möglichkeit, zu beweisen, daß ich von den Priesterkönigen komme«, sagte ich. »Würdest du mir denn glauben?«
»Ja, weil ich dich kenne.«
Ich schwieg. »Ich habe dich eingehend beobachtet, Tarl Cabot aus Ko-ro-ba«, sagte Kamchak. »Einmal hast du mir das Leben geschenkt, und wir hielten Gras und Erde zusammen, und von diesem Augenblick an wäre ich für dich gestorben, selbst wenn du ein Geächteter gewesen wärst. Aber da hätte ich dir das Ei noch nicht geben können. Dann gingst du mit Harold in die Stadt, und da wußte ich, daß du für das Ei dein Leben opfern wolltest, denn deine Chancen standen sehr schlecht. Niemand, der nur auf Gold aus war, hätte ein derartiges Risiko auf sich genommen. Dadurch verdichtete sich meine Vermutung, daß du der von den Priesterkönigen Auserwählte sein könntest.«
»Und deshalb ließest du mich nach Turia ziehen«, sagte ich, »Obwohl du wußtest, daß die goldene Kugel wertlos war?«
»Ja«, sagte Kamchak.
»Und warum hast du mir das Ei hinterher nicht gegeben?«
Kamchak lächelte. »Ich brauchte noch eine letzte Bestätigung.«
»Und die wäre?«
»Ich wußte, daß du das Ei für die Priesterkönige haben wolltest und nicht zu deinem persönlichen Vorteil. Deshalb wollte ich die goldene Kugel zerschmettern. Ich hätte es selbst getan, wenn es nicht von allein soweit gekommen wäre — ich wollte sehen, ob dich der Verlust in Wut versetzte oder traurig stimmte, in Trauer um die Priesterkönige.« Kamchak lächelte. »Als du vorhin weintest, wußte ich, daß dein Herz an dieser Mission hängt, daß du wirklich nur wegen des Eies gekommen warst.«
Ich starrte ihn sprachlos an.
»Verzeih mir — ich war grausam. Ich bin eben ein Tuchuk. Aber obwohl ich sehr viel für dich empfinde, mußte ich mir in dieser Sache Gewißheit verschaffen.«
»Da ist nichts zu verzeihen«, sagte ich. »An deiner Stelle hätte ich wahrscheinlich nicht anders gehandelt.«
Kamchaks Hand schloß sich um die meine.
»Wo ist das Ei?« fragte ich.
»Wo würdest du es denn suchen?«
»Ich hätte es bei Kutaituchik gesucht — im Wagen des Ubar der Tuchuk.«
»Aber ich bin Ubar der Tuchuks«, sagte Kamchak.
»Du meinst. . .?«
»Ja«, sagte Kamchak leichthin, »das Ei ist seit zwei Jahren in meinem Wagen.«
»Aber ich habe monatelang in deinem Wagen gelebt!« rief ich.
»Hast du denn das Ei nicht gesehen?«
»Nein — es muß gut versteckt sein.«
»Wie sieht das Ei aus?«
»Ich . . . ich weiß es nicht.«
»Du hast dir vielleicht vorgestellt, daß es oval ist und golden schimmert?«
»Ja.«
»Weißt du eigentlich warum?«
»Nein.«
»Dann paß auf. Wir malten das Ei eines Tharlarion golden an und legten es in den Wagen Kutaituchiks. Und dann verstreuten wir Gerüchte, es sehe so und so aus. So einfach ist das.«
Ich wußte nicht, was ich sagen sollte.
»Ich glaube, du hast das echte Ei der Priesterkönige oft herumliegen sehen«, fuhr er fort. »Tatsächlich haben es die Paravaci, die meinen Wagen ausraubten, nicht für wertvoll genug gehalten, es mitzunehmen.«
»Wie sieht es denn aus?« rief ich verzweifelt.
»Erinnerst du dich an die Kuriosität — das graue, ledrige Ding?«
Ich schüttelte ungläubig den Kopf. »Aber«, sagte ich fassungslos und mit zitternder Stimme. »Du hast es durch den Wagen gerollt, hast es herumgestoßen — einmal hast du ihm sogar einen Fußtritt versetzt, damit es zu mir herüber rollte und ich es mir anschauen konnte! Du hast sogar darauf gesessen!«
»Ich hoffe, daß mir die Priesterkönige das verzeihen — aber solche kleinen Szenen — die mir übrigens doch wohl ganz gut gelungen sind — gehörten zur Täuschung.«
Ich lächelte, als ich daran dachte, wie sehr sich Misk über das Ei freuen würde.
»Hab’ keine Angst — das Ei ist bestimmt nicht beschädigt — dazu wäre mindestens eine Axt oder ein Schwert erforderlich.«
»Ich hoffe, daß das Ei nach dieser langen Zeit noch lebt«, sagte ich.
Kamchak zuckte die Achseln. »Wir haben es bewacht — mehr können wir nicht tun.«
»Und ich und die Priesterkönige sind dir dankbar.«
Kamchak lächelte. »Ich bin aber doch froh, daß ich es los bin — außerdem kommt jetzt die Zeit für die Tumitjagd.«
»Übrigens, Ubar«, schaltete sich Harold ein und blinzelte mir zu. »Was hast du eigentlich für Aphris aus Turia bezahlt?«
Kamchak warf ihm einen bösen Blick zu.
»Du hast Aphris gefunden!« rief ich.
»Albrecht von den Kassars«, sagte Harold gelassen, »hat sie bei dem Überfall auf das Paravacilager an sich gebracht.«
»Herrlich!« rief ich.
»Sie ist nur eine Sklavin und ganz unwichtig!« knurrte Kamchak.
»Was hast du für sie bezahlt?« fragte Harold unschuldig.
»Die Tumits lassen sich jetzt am besten jagen«, bemerkte Kamchak. »Wir sollten in die Gegend des Cartius ziehen.«
»Ich würde sagen, daß ein schlauer Tuchuk nicht mehr als ein paar kupferne Tarnmünzen für das Mädchen zahlen würde«, sagte Harold.
Ich erinnerte mich noch daran, welchen Preis Kamchak gefordert hatte, als Albrecht seine Tenchika zurückkaufen wollte!
»Wichtig ist allein, daß Aphris wieder da ist«, sagte ich.
Wir ritten schweigend weiter. Schließlich fragte auch ich: »Also, was hast du denn nun für sie bezahlt?«
Kamchaks Gesicht war gerötet vor Zorn. Er starrte Harold an, der ihn unschuldig fragend anlächelte, und dann mich, der ich nur ehrlich neugierig war. Kamchaks Hände verkrampften sich um die Zügel.
»Zehntausend Goldbarren«, sagte er zähneknirschend.
Ich zügelte meine Kaiila und starrte ihn verblüfft an. Harold schlug auf seinen Sattel ein und wieherte vor Lachen.
»Also wirklich!« sagte ich, und in meiner Stimme schien wohl etwas Spott zu schwingen, denn nun wurde auch ich mit einem vernichtenden Blick bedacht.
Plötzlich funkelten seine Augen amüsiert, und er lächelte mich etwas dümmlich an. »Ja, Tarl Cabot, ich erinnere mich an unser Gespräch. Ich scheine wohl auch ein Narr zu sein — das habe ich jetzt erst gemerkt.«
»Meinst du nicht, Cabot«, sagte Harold, »daß er alles in allem — von einigen Dummheiten abgesehen — ein ausgezeichneter Ubar ist?«
»Im großen und ganzen schon«, sagte ich. »Abgesehen von solchen Dummheiten.«
Kamchak starrte Harold an, blickte zu Boden und kratzte sich am Ohr. Und dann brachen wir alle drei in Gelächter aus, und Tränen rannen Kamchak über das Gesicht.
»Du hättest ihm sagen sollen«, sagte Harold, »daß das Gold aus Turia stammte.«
»Ja!« rief Kamchak. »Das stimmt. Es war Saphrars Gold.«
»Das ist doch wohl etwas anderes!« sagte Harold.
»Allerdings!« rief Kamchak.
Wieder lachten wir und trieben unsere Kaiila an.
Als wir das Lager erreichten, sprang ich vom Rücken meines Tiers und lief auf meinen Wagen zu. Das Mädchen, das dort auf mich wartete, stieß einen Freudenschrei aus und lief mir entgegen, und ich riß sie hoch und schwenkte sie herum.
»Du bist am Leben!« rief sie. »Du bist in Sicherheit!«
»Ja«, sagte ich. »Ich bin am Leben, und du bist am Leben und in Sicherheit — die ganze Welt ist in Sicherheit.«
Damals glaubte ich noch fest daran.