16

Der Weg nach Turia, den mir Harold der Tuchuk zeigte, war nicht angenehm, aber ich ließ mich nicht beirren.

»Kannst du schwimmen?« fragte er.

»Ja«, sagte ich. »Ich war früher Badesklave in den öffentlichen Bädern Turias. Jede Nacht wurden die Becken geleert und gesäubert, und ich gehörte zu den Männern, die sich darum kümmern mußten«, sagte er. »Ich war erst sechs Jahre alt, als ich nach Turia kam, und ich lebte elf Jahre in der Stadt.«

»Sind die Mädchen, die sich bei Tag um die Badenden kümmern, wirklich so hübsch, wie behauptet wird?« fragte ich.

»Vielleicht«, sagte er. »Ich habe sie nämlich nie gesehen — am Tag waren ich und die anderen Sklaven in einem dunklen Raum angekettet, um Kräfte für die Nachtarbeit zu sammeln.«

»Wie konntest du dann fliehen?«

»Nachts, wenn wir die Becken reinigen mußten, wurden uns die Ketten abgenommen — damit sie nicht rosteten. Man fesselte uns nur mit Halsbändern aneinander. An das Seil kam ich übrigens erst mit vierzehn — vorher durfte ich mich nach Belieben in den Becken tummeln und machte auch Botengänge für den Bademeister — in diesen Jahren lernte ich schwimmen und wurde mit den Straßen Turias vertraut. Als ich siebzehn war, fand ich mich plötzlich am Ende des Seils, kaute es durch und versteckte mich, in dem ich mich an einem Brunnenseil herabließ. Das Wasser unten war in Bewegung, und ich tauchte hinab und fand einen Spalt, den ich durchschwamm. Ich kam in einen Tunnel und erreichte schließlich ein flaches Becken, das Überlaufbecken für den Brunnen; wieder schwamm ich unter Wasser und erreichte schließlich einen Felstunnel, durch den ein Fluß strömte, zum Glück nicht ganz bis obenhin. Und der Tunnel endete — hier.«

Harold deutete auf einen Spalt zwischen zwei Felsen, knapp dreißig Zentimeter breit, durch den ein unterirdischer Bach quoll und in einem kleinen Fluß mündete, aus dem Aphris und Elizabeth oft Wasser für die Wagenbosks geholt hatten.

Wortlos steckte Harold seine Quiva zwischen die Zähne, befestigte ein Seil mit Haken an seinem Gürtel und verschwand unter Wasser. Ich folgte ihm, mit Quiva und Schwert bewaffnet. An die nun folgende Reise erinnere ich mich nicht gern. Ich bin zwar ein guter Schwimmer, aber es schien mir, als müßten wir pasangweit gegen eine starke Strömung anschwimmen. An einer Stelle im Tunnel verschwand Harold plötzlich unter Wasser und ich folgte ihm. Schweratmend tauchten wir in dem kleinen Becken auf, das aus dem Unterwasserfluß gespeist wurde. Hier verschwand Harold erneut, und ich machte es ihm nach. Erst nach langer Zeit kamen wir wieder ins Freie, diesmal am Grund eines gekachelten Brunnenschachtes. Es war ein ziemlich großer Brunnen vielleicht fünf Meter im Durchmesser. Einige Zentimeter über uns hing eine große schwere Trommel, die etwas zur Seite geneigt war. Sie faßte Hunderte von Litern; zwei Seile führten herab; ein kleines zum Abfüllen, und ein großes Halteseil; dieses Seil war mit einer Kette verstärkt, die mit einer Art Harz gegen Wassereinflüsse geschützt war.

Ich hörte Harolds Stimme in der Dunkelheit, von den Fliesen hohl zurückgeworfen. »Die Fliesen müssen regelmäßig kontrolliert werden«, sagte er, »und zu diesem Zweck gibt es Halteschleifen am Seil.«

Ich atmete erleichtert auf, denn der Brunnenschacht ragte wirklich endlos über uns auf.

Die Fußschleifen waren zusätzlich angebracht und mit Harz übergossen. Sie standen jeweils etwa drei Meter auseinander, so daß der Aufstieg auch so ziemlich anstrengend war, trotz der vielen Pausen, die man einlegen konnte. Mich beunruhigte die Aussicht, auf dem Rückweg das goldene Ei bei mir zu haben und es unter Wasser aus der Stadt schaffen zu müssen. Auch war mir nicht klar, wie Harold — sollte seine Mission erfolgreich verlaufen — sein Mädchen auf diesem Wege entführen wollte.

Ich fragte ihn, als wir noch etwa sechzig Meter unter dem Brunnenrand waren.

»Für den Rückweg«, sagte er, »stehlen wir uns zwei Tarns und fliegen einfach fort.«

»Es freut mich, daß du einen Plan hast.«

»Natürlich — ich bin doch ein Tuchuk.«

»Bist du je auf einem Tarn geritten?«

»Nein«, tönte seine Stimme von oben. »Aber du bist doch Tarnkämpfer.«

»Allerdings.«

»Na also — dann bringst du es mir bei.«

Ein Tarn merkt sehr schnell, wer ein Tarnkämpfer ist und wer nicht — und er bringt alle um, die es nicht sind.«

»Dann muß ich das Tier eben täuschen.«

»Wie willst du das schaffen.«

»Fällt mir bestimmt nicht schwer«, sagte Harold. »Ich bin doch ein Tuchuk.«

Ich überlegte, ob ich wieder hinabsteigen und ins Tuchuklager zurückkehren sollte. Vielleicht ergab sich morgen noch einmal eine Gelegenheit, in die Stadt einzudringen. Aber ich hatte keine Lust, den mühsamen Weg durchs Wasser noch einmal zurückzulegen.

»Die Sache müßte die Mutnarbe wert sein«, sagte Harold von oben, »was meinst du?«

»Was?« fragte ich.

»Ich meine, wenn ich mir aus dem Hause Saphrars ein Mädchen stehle und sie auf einem gestohlenen Tarn zurückbringe.«

»Zweifellos«, knurrte ich. Ich überlegte, ob es bei den Tuchuks so etwas wie eine Idiotennarbe gab — dann hätte ich den jungen Mann dafür vorgeschlagen.

Trotzdem mußte ich den zuversichtlichen jungen Burschen irgendwie bewundern.

Ich mußte mir auch eingestehen, daß meine eigenen Erfolgsund Überlebenschancen kaum besser standen — und da hing ich, sein Kritiker, am Trommelseil, naß, unterkühlt, außer Atem, ein Fremd er in Turia — und ich wollte einen Gegenstand stehlen, der bestimmt so gut bewacht wurde wie der Heimstein dieser Stadt. Ich beschloß, Harold und mich für die Idiotennarbe vorzuschlagen und den Tuchuks die Entscheidung zu überlassen.

Erleichtert legte ich schließlich den Arm um den Windenbaum und zog mich hoch. Harold hatte bereits am Brunnenrand Stellung bezogen und sah sich wachsam um. Die turianischen Brunnen haben übrigens keine hohen Schutzmauern, sondern nur einen wenige Zentimeter hohen Rand. Ich schwang mich zu Harold hinüber. Wir befanden uns in einem von hohen Mauern umschlossenen Brunnenhof, um den Verteidigungsgänge verliefen. Die Mauern boten so die Möglichkeit zur Verteidigung, und die verschiedenen Brunnen der Stadt, von denen einige durch Quellen gespeist werden, bilden eine Anzahl von abgeschlossenen Verteidigungseinheiten, falls Teile der Stadt in feindliche Hände fallen sollten. Ein Torbogen stand einladend offen. So leicht hatte ich mir den Zugang zur Stadt nicht vorgestellt.

»Ich war vor fünf Jahren das letztemal hier«, sagte Harold.

»Ist es weit bis zum Hause Saphrars?«

»Ziemlich weit«, antwortete er. »Aber die Straßen sind dunkel.«

»Gut, dann los.« Es war kühl, und meine nasse Kleidung ließ mich frösteln. Harold schien das alles nichts auszumachen.

»Die Dunkelheit wird die Nässe unserer Kleidung verbergen — und wenn wir unser Ziel erreichen, sind wir vielleicht schon trocken.«

»Natürlich«, sagte Harold. »Das gehörte ja zu meinem Plan.«

»Oh.«

»Andererseits möchte ich vielleicht noch mal richtig baden — ich war noch nie als Kunde in den Bädern.«

»Das ist alles ganz schön und gut«, sagte ich, »aber ich halte es für besser, wenn wir gleich auf unser Ziel losgehen.«

»Wie du willst«, sagte Harold. »Schließlich kann ich ja noch oft genug baden, wenn wir die Stadt genommen haben.«

»Die Stadt genommen?« fragte ich ungläubig. »Hör mal, die Bosks ziehen schon wieder ab. Die Wagen werden morgen früh folgen. Die Belagerung ist vorbei. Kamchak gibt auf!«

Harold lächelte. »Ach was?« sagte er.

Arm in Arm schritten wir durch das Tor, das den einzigen Zugang zum Brunnenhof bildete.

Kaum hatten wir die Schwelle erreicht und einige Schritte auf der Straße zurückgelegt, als ein metallisches Rasseln zu hören war. Verblüfft blickten wir auf und sahen, wie sich ein Stahlnetz über uns legte.

Sofort hörten wir mehrere Männer auf die Straße springen. Die Schnüre des Drahtnetzes wurden enger gezogen. Harold und ich vermochten uns nicht mehr zu bewegen und standen, vom Netz eingeschlossen, wie die Idioten auf der Stelle, bis ein Wächter uns einen Tritt versetzte.

»Zwei Fische aus dem Brunnen«, sagte eine Stimme.

»Das bedeutet natürlich, daß auch andere von dem Brunnen wissen«, sagte ein anderer.

»Wir verdoppeln die Wachen«, bemerkte ein Dritter.

Ich versuchte mich umzudrehen. »Hat das auch zu deinem Plan gehört?«

Harold grinste säuerlich. »Nein«, sagte er.

Ich versuchte mich aus dem Netz zu befreien. Aber der schwere Draht hielt meinen Bemühungen stand.

Harold und ich waren mit einer turianischen Sklavenstange aneinandergefesselt, die von Hals zu Hals lief; außerdem waren uns die Hände auf dem Rücken gebunden.

Wir knieten vor einer niedrigen, von Teppichen und Kissen bedeckten Plattform, auf der Saphrar aus Turia ruhte. Der Kaufmann trug ein weißes und goldenes Seidengewand, und seine Sandalen waren ebenfalls aus weißem Leder mit goldenen Verzierungen. Seine Zehen- und Fingernägel schimmerten karmesinrot. Ich sah die Spitzen seiner goldenen Zähne.

Er war von zwei Kriegern flankiert, die sich mit untergeschlagenen Beinen auf der Plattform niedergelassen hatten. Der Mann links trug eine Robe und eine Kapuze, wie sie von den Mitgliedern des Klans der Folterer getragen wird. Etwas an seinem Körperbau und seiner Haltung kam mir bekannt vor — er mußte der Mann sein, der im Lager der Tuchuks mit einer Paravaci-Quiva nach mir geworfen hatte — ja, er trug auch jetzt eine Quiva dieses Volkes. Der andere Krieger war in der Lederkleidung eines Tarnkämpfers erschienen, allerdings mit Juwelen verziert. Um seinen Hals hing eine Tarnmünze aus Ar. Neben ihm lagen Speer, Helm und Schild.

»Ich freue mich, daß du uns besuchst, Tarl Cabot aus Ko-ro-ba«, sagte Saphrar. »Wir rechneten schon damit, daß du es versuchen würdest — aber wir wußten natürlich nicht, daß du den Passagebrunnen kennst.«

Harold neben mir zuckte zusammen. Er hatte offensichtlich bei seiner Flucht einen Ausweg aus der Stadt entdeckt, der gewissen Turianern nicht unbekannt war.

»Unser Freund«, sagte Saphrar und deutete auf den Maskierten, »ist schon vor euch durch den Brunnen gekommen. Da wir ständig mit ihm in Verbindung standen und ihm den Brunnen gezeigt hatten, hielten wir es für ratsam, eine Wache aufzustellen — wie gut.«

»Wer ist dieser Verräter der Wagenvölker?« fragte Harold. Sein Blick fiel auf die Quiva. »Ah — ich verstehe — ein Paravaci natürlich.«

Der Mann erstarrte, und seine Hand ballte sich um den Griff der Quiva.

»Ich habe mich oft gefragt«, sagte Harold unbeeindruckt, »woher die Paravaci ihren Reichtum beziehen.«

Mit einem Wutschrei sprang der Maskierte auf, wurde jedoch von Saphrar zurückgehalten.

Der andere Krieger schwieg. Er hatte ein markantes, narbiges Gesicht und kluge, dunkle Augen. Er musterte uns, wie ein Krieger seinen Feind betrachtet.

»Ich würde euch gern unseren maskierten Freund vorstellen«, sagte Saphrar, »aber nicht einmal ich kenne seinen Namen oder sein Gesicht — ich weiß nur, daß er bei den Paravaci eine hohe Position bekleidet und mir daher sehr nützlich gewesen ist.«

»Ich kenne ihn«, sagte ich. »Er ist mir im Lager der Tuchuks öfter gefolgt — und hat versucht, mich umzubringen.«

»Ich hoffe, daß uns das beim zweitenmal besser gelingt.«

»Gehörst du wirklich dem Klan der Folterer an?« fragte Harold den verhüllten Mann.

»Das wirst du bald genauer wissen«, antwortete der Maskierte.

»Glaubst du, daß ich dich um Gnade anflehen werde?«

Saphrar schaltete sich ein, ehe der andere antworten konnte. »Und das hier ist Ha-Keel aus Port Kar, Anführer der Tarnsöldner unserer Stadt.«

»Ist Saphrar bekannt«, fragte ich, »daß du Gold von den Tuchuks erhalten hast?«

»Natürlich«, sagte Ha-Keel.

»Du meinst vielleicht«, sagte Saphrar und lachte leise, »daß ich dies nun abstritte und daß du mich und meine Verbündeten auseinanderbringen könntest! Aber du mußt wissen, Tarl Cabot, daß ich Kaufmann bin und die Menschen und die Bedeutung des Goldes verstehe — ich habe also nichts gegen Ha-Keels kleine Geschäfte mit den Tuchuks.«

»Wie kommt es, daß Ha-Keel aus Port Kar eine Münze aus Ar um den Hals trägt?«

»Ich habe eine Zeitlang in Ar gelebt«, sagte Ha-Keel. »Tatsächlich erinnere ich mich an dich von der damaligen Belagerung Ars.«

»Es betrübt mich«, sagte ich, »daß sich ein Schwert, das einmal für die Verteidigung Ars geführt wurde, vom Locken des Goldes beeinflussen läßt.«

»Für diese Tarnmünze habe ich einen Mann umgebracht, um Seide und Parfüm für eine Frau zu kaufen — aber sie hat mich verlassen. Da konnte ich nicht in das herrliche Ar zurückkehren.«

»Ha-Keel begab sich klugerweise nach Port Kar, das Männer wie ihn nicht abzuweisen pflegte. Und dort begegneten wir uns«, sagte Saphrar.

»Ha! Die kleine Urt wollte mir den Beutel stehlen!«

»Dann warst du nicht immer Kaufmann?« fragte ich.

»Unter Freunden können wir ja offen sprechen«, sagte Saphrar lächelnd, »zumal ich sicher bin, daß du das erwiesene Vertrauen nicht mißbrauchen, kannst — du wirst nämlich bald sterben.«

»Ich verstehe«, sagte ich. »Ich war ein kleiner Verkäufer in einer Parfümerie in Tyros — bis man mich dabei erwischte, wie ich einige Parfumflaschen auf eigene Rechnung mitgehen ließ. Ich erhielt eine Ohrnarbe und wurde verbannt. Ich schlug mich nach Port-Kar durch, wo es mir einige Zeit sehr schlecht ging, bis ich ihn traf.«

»Wen?«

»Einen Mann, einen großen, düster wirkenden Mann mit steingrauem Gesicht und Augen wie Glas.«

Ich erinnerte mich sofort an Elizabeths Beschreibung des Mannes, der sie auf der Erde untersucht hatte.

»Und dein Glück wendete sich zum Besseren, als du diesen Mann kanntest?«

»Entschieden«, sagte Saphrar. »Er beschaffte mir mein Vermögen und schickte mich vor einigen Jahren von Port-Kar hierher.«

»Ah — jetzt verstehe ich, wieso du dort eine Kriegsgaleere unterhalten kannst. Und — natürlich! Das Rencepapier! Die Nachricht kam von dir.«

»Natürlich!« sagte Saphrar lächelnd, »Der Kragen wurde dem Mädchen in diesem Haus umgenäht. Sie gefiehl mir recht gut — nur mein Wohltäter, der sie mir auf dem Rücken eines Tarns brachte, bestand darauf, daß ich sie weiterschickte. Es ging darum, daß dich die Wagenvölker töten würden, wenn du dich durch deine Sprache verraten hättest. Sie haben es nicht getan — das macht nun keinen Unterschied mehr.«

»Wie kommt es«, fragte ich, »daß du damals beim Bankett meinen Namen wußtest, obwohl du mich noch nie gesehen hattest?«

»Der Mann mit dem grauen Gesicht hat dich gut beschrieben — und ich war sicher, daß es bei den Tuchuks keinen zweiten Mann mit rotem Haar gab.«

»Bringen wir sie doch endlich um«, sagte der Paravaci.

»Niemand hat dich zum Sprechen aufgefordert, Sklave«, sagte Harold.

»Überlaß mir den da«, wandte sich der Paravaci an Saphrar und deutete mit seiner Quiva auf Harold.

»Vielleicht«, sagte Saphrar. Dann stand der kleine Kaufmann auf und klatschte zweimal in die Hände. Zwei Bewaffnete traten ein. Sie trugen zwischen sich eine kleine Plattform, auf der das Ziel meiner Wünsche ruhte — die goldene Kugel.

Es war eindeutig ein Ei — das Gebilde war oval, vierzig Zentimeter lang und etwa dreißig Zentimeter dick.

»Weißt du, was das ist?« fragte ich, ohne den Blick von dem Ei losreißen zu können.

»Nein«, sagte Saphrar, »aber ich weiß, daß es den Priesterkönigen viel bedeutet.«

»Scheint ein Ei zu sein«, sagte Ha-Keel.

»Möglich — aber was sollten die Priesterkönige mit einem Ei wollen?« fragte Saphrar und sah mich an. »Deswegen also bist du nach Turia gekommen?«

»Ja«, sagte ich. »Und ich habe es ja auch schnell gefunden.«

Ha-Keel zog sein Schwert. »Ich werde ihn töten, wie es einem Krieger geziemt.«

»Nein«, sagte Saphrar fest. »Sie gehören beide mir.«

»Du hast das Ei in deinen Besitz gebracht — und viele Männer sind schon dafür gestorben —, nur um es dem grauen Mann zu geben?« fragte ich.

»Ja«, sagte Saphrar.

»Und er gibt es den Priesterkönigen zurück?«

»Das weiß ich nicht. Er gibt mir jedenfalls Gold dafür — viel Gold. Vielleicht ist er selbst ein Priesterkönig, denn wer würde sonst wagen, im Namen der Priesterkönige zu sprechen, wie er es in dem Brief getan hat?«

Ich wußte natürlich, daß der Mann kein Priesterkönig war. Andererseits war mir klar, daß Saphrar keine Ahnung hatte, für wen er arbeitete. Jedenfalls handelte es sich um den Mann, der Elizabeth Cardwell auf diese Welt gebracht hatte, ein Mann, der über eine fortschrittliche Technik verfügen mußte, die ihm zumindest Raumflüge gestattete. Ich wußte natürlich nicht, ob diese Technologie seine eigene war oder ob sie ihm von anderen zur Verfügung gestellt wurde — von Wesen, die im Hintergrund blieben und die ein besonderes Interesse an Gor und an der Erde hatten. Wahrscheinlich war er ihr Agent — aber wer waren seine Hintermänner? Waren diese Wesen im Hintergrund eine Gefahr für die Priesterkönige? Aber die Unbekannten schienen die Priesterkönige auch zu fürchten, denn sonst hätten sie längst härter durchgegriffen, um die Nestbewohner auszulöschen. Ich überlegte angestrengt. Die Unbekannten mußten bis zu einem gewissen Grade Kenntnis haben von den Vorgängen unter dem Sardargebirge — sie wußten wahrscheinlich von den Priesterkönigen, deren Stellung kürzlich durch den unterirdischen Krieg erschüttert worden war. Nach diesem Ereignis wanderten nun viele Menschen auf Gor herum und berichteten von ihrem Leben unter dem Gebirge — Dinge, die von normalen Goreanern sicher lachend abgetan wurde — aber würden die Unbekannten nicht auf diese Versprengten hören?

Sie mußten also wissen, daß ein Großteil der Überwachungsanlagen der Priesterkönige vernichtet war, daß die technologischen Möglichkeiten dieses Volkes nur noch sehr beschränkt waren, zumindest in der nächsten Zeit. Ebenfalls konnten sie wissen, daß es bei dem Krieg um eine Generationenfrage gegangen war. Da die Mutter des Nestes, die als einzige Eier legen konnte, kurz vor dem Krieg gestorben war, mochten die Unbekannten daraus schließen, daß es irgendwo noch ein letztes Ei geben mochte, das erforderlich war, um eine neue Generation von Priesterkönigen entstehen zu lassen. Von dieser Überlegung zu meiner Mission in den südlichen Ebenen war es nur noch ein kleiner Schritt.

Waren sie wirklich zum richtigen Schluß gekommen, hätten sie bestimmt zuerst dafür sorgen wollen, daß ich das Ei nicht fand und daß sie selbst es in Besitz bekamen. Die sicherste Methode war mein Tod — also die Botschaft in Elizabeths Kragen. — Bei den Tuchuks, die sich selten zu unüberlegten Dingen hinreißen ließen, war dieser Plan allerdings fehlgeschlagen; dann kam der Anschlag mit der Paravaci-Quiva, und nun war ich Saphrar endgültig ausgeliefert, so daß das erste Ziel erreicht schien. Auch der zweite Plan war fast durchgeführt — das Ei war in Besitz Saphrars, der es zweifellos dem Unbekannten ausliefern würde, der es wiederum den Unbekannten aushändigte — wer immer sie sein mochten. Saphrar war schon seit mehreren Jahren in Turia. Das schien mir darauf hinzudeuten, daß die Unbekannten längst von der Mission der beiden Männer gewußt hatten, die das Ei aus dem Sardargebirge zu den Wagenvölkern brachten. Vielleicht hatten sie jetzt ganz offen und schnell zugeschlagen — aus Angst, daß ich das Ei als erster erreichen und zurückbringen könnte. Ich erinnerte mich auch, daß Saphrar von dem Versteck des Eis in Kutaituchiks Wagen gewußt hatte — woher hatte er diese Information? Es konnte sein, daß die Tuchuks gar kein Geheimnis aus der Existenz der goldenen Kugel gemacht hatten — womöglich weil sie deren Bedeutung nicht erkannten. Kamchak selbst hatte mir gesagt, das Ei sei wertlos. Die Entscheidung schien jedenfalls gefallen — zuungunsten der Priesterkönige, die dem sicheren Untergang entgegengingen. Wenn sie das Ei nicht erhielten, mochte der Tag nicht fern sein, da die Unbekannten auf Gor die Macht ergreifen würden.

»Möchtest du um dein Leben kämpfen?« fragte mich Saphrar.

»Natürlich«, sagte ich.

»Ausgezeichnet«, sagte der Kaufmann. »Das sei dir gestattet — im Gelben See von Turia.«

Загрузка...