28 Eine lang erwartete Begegnung

Als Forral erwachte, mußte er zu seinem Erschrecken feststellen, daß die Hälfte seiner Gefährten verschwunden war. Wo steckten die beiden Katzen? Wo waren Aurian und das Windauge? Er sprang auf.

»Pst – du wirst noch alle wecken! Deine Freunde sind in Sicherheit.«

»Was? Wer im Namen aller Schöpfung war das denn?« Aber Forral hatte – dank seiner früheren Erfahrung mit der Gedankenrede mit Shia – bereits eine ziemlich genaue Vorstellung. »Bist du dieser Basileus, von dem das Windauge gesprochen hat?«

»In der Tat. Du hättest mich schon früher hören können, als wir anderen uns unterhalten haben. Du hättest dich nur ein wenig mehr bemühen müssen.«

»Da hast du wohl recht«, gab Forral kleinlaut zu. »Ich kann mich nur einfach nicht an die Gedankenrede gewöhnen. Diese Fähigkeit scheint so sehr ein Teil von Anvar zu sein – sie gehört ihm, nicht mir. Ich möchte sie im Grunde gar nicht benutzen. Es kommt mir fast so vor, als würde ich in sein Haus gehen, während er fort ist, und sein Eigentum benutzen.« Er zögerte einen Augenblick. »Basileus – hast du Anvar auch gekannt?«

»Natürlich. Er war sehr tapfer, obwohl er sich selbst niemals für besonders mutig hielt. Er …«

»Wo sind denn die anderen nur?« Das Letzte, was Forral im Augenblick brauchte, war eine Auflistung von Anvars Tugenden.

»Das Windauge und Aurian sind oben auf diesem Turm in Chiamhs Kammer der Winde.« In der Stimme des Moldan schwang ein leiser Tadel mit. »Sie haben den Stab der Erde neu geschaffen. Es wäre nicht klug, sie zu stören, aber sie müßten nun auch bald zurückkehren. Die beiden Katzen sind …« Die gedämpfte Gedankenstimme des Moldan wurde plötzlich schrill vor Entsetzen. »Sie sind fort, sie sind fort! Es ist zu spät, um sie aufzuhalten. In ihrer Torheit sind sie zu Stahlklaue gegangen!«

»Was? Was soll das heißen?« fragte Forral. »Es heißt, daß der Blinde Gott eure Anwesenheit hier bemerken wird – oder bereits bemerkt hat!«

»Miathan, wie?« knurrte der Schwertkämpfer. »Das paßt mir gut. Meinetwegen kann er gar rächt schnell genug hierher kommen.«

»Du verstehst nicht, Mensch. Es ist unwahrscheinlich, daß er hier zum Schlag gegen die Magusch ausholen wird, in dieser Sterblichenwelt, wo sie des Beistands ihrer Gefährten sicher sein kann. Gegenwärtig befindet sie sich im Anderswo, Jenseits der Welt, im Reich des Geistes und der Gedanken, dem einstigen Exil der Phaerie. Sie hat gerade ein furchtbares Martyrium hinter sich, um den Erdenstab wiederzuerlangen – sie wird wahrscheinlich müde und desorientiert sein. Wenn dieser Miathan schnell handelt und sie jetzt erwischt, in diesem verletzlichen Zustand, hat sie keine Chance. Oh, wenn doch nur Anvar hier wäre!« rief der Moldan. »Ein weiterer Magusch könnte die Waagschale zu ihren Gunsten senken …«

»Vergiß Anvar«, stieß Forral wütend hervor. »Er ist nicht hier, aber ich bin es – und in seinem Körper muß ich doch gewiß Zugang zu seinen magischen Kräften haben, sonst könnte ich jetzt nicht mit dir reden. Was muß ich tun, Basileus? Sag mir, wie ich zu Aurian kommen und ihr helfen kann.«

»Lehn dich zurück, entspann dich, laß deine Gedanken schweifen … Denk an Aurian. Denk daran, daß du zu ihr gehen willst, ihr helfen … Laß dich treiben, weg von deinem Körper, dorthin, wo Aurian ist …«

Forral ließ sich von den Worten des Moldan einlullen. Energisch verbannte er jeden Gedanken an Gefahr oder an Aurian, die in Schwierigkeiten war und ihn brauchte. Er konzentrierte sich einfach auf das Bild des geliebten Gesichtes der Magusch und ließ sich von Basileus’ Worten tragen, ließ sich von ihm führen und unterweisen …

Es geschah ganz anders, als er es sich vorgestellt hatte. Mit einer Plötzlichkeit, die ihn schockierte, war Forral von einer Sekunde zur anderen an einem vollkommen fremden Ort – in einer unheimlichen, unirdischen Welt, die von einem schillernden, grünen Licht durchzuckt wurde.

In der Höhle öffnete Wolf ein Auge und betrachtete Forrals reglosen Leib. »Ich nehme an, ich könnte das auch«, sagte er.

»Das könntest du wohl tatsächlich«, erwiderte Basileus. »Möchtest du es versuchen?«

Aurian sah den sich windenden Knoten aus Dunkelheit an, der der Erzmagusch war. Gut, dachte sie. Bringen wir diese Sache endlich hinter uns.

Ohne Vorwarnung schwammen die Zwillingsgestalten der Schlangen der Hohen Magie zwischen Aurian und den Erzmagusch. Sie waren nicht länger so klein, daß sie an Aurians Stab paßten, sondern ragten wie eine riesige Gestalt über den beiden Magusch auf.

»Hier, im Jenseits der Welten, gelten die Regeln von Gramarye«, sagte die Schlange der Macht plötzlich mit klarer Stimme. »In dieser höheren Sphäre der Existenz ist es verboten, die Magie ohne irgendwelche Beschränkungen anzuwenden. Ihr dürft weder magische Waffen noch andere Werkzeuge benutzen, um eure Kräfte zu vergrößern – diesen Wettbewerb müßt ihr mit Hilfe eurer eigenen, angeborenen Fähigkeiten entscheiden und, wichtiger noch, mit der Stärke eures Willens. Wenn ihr kämpft, muß euer Kampf klar strukturiert sein. Ihr müßt die Gestalt von Geschöpfen aus eurer eigenen körperlichen Welt annehmen und eure Kraft in die Dinge legen, die ihre natürlichen Waffen wären: Fangzähne, Stachel oder Klauen. Die Arena, in der ihr kämpft, und die dazugehörigen körperlichen Gestalten, die ihr annehmen müßt, werden den Elementen Luft, Feuer, Wasser und Erde entsprechen. Es wird einer gegen einen kämpfen, und niemand darf sich einmischen. Wollt ihr die Herausforderung aussprechen?«

Aurian sah den Erzmagusch an. »Nun?« fragte sie. »Willst du mich herausfordern?«

Miathans Antwort war das Letzte, was sie erwartet hätte. »Aurian, ich wollte niemals, daß es so wird. Das ist alles mein Schuld – gemeinsam hätten wir eine Größe erreichen können, von der noch in tausend Jahren die Legenden gesprochen hätten – hätte ich nicht alles zerstört. Aber selbst du mußt doch einsehen, daß jetzt Eliseth unsere eigentliche Feindin ist? Sie hat bereits den Kessel, und sie hat das Schwert erobert, auch wenn sie es nicht benutzen kann. Ihr seid gleichermaßen gerüstet, ihr beide – also gibt es keine Garantie, daß du sie besiegen kannst. In letzter Zeit scheinen sämtliche Scharmützel zu ihren Gunsten ausgegangen zu sein. Aber gemeinsam, Aurian, gemeinsam könnten wir sie für alle Zeit vom Antlitz der Erde entfernen! Aurian, ich habe dich immer geliebt, von Anfang an. Bitte, willst du es dir nicht anders überlegen? Willst du nicht jetzt noch auf meine Seite treten?«

Aurian dachte an Anvar, der in die Sklaverei verkauft worden war, dem der Erzmagusch seine magischen Kräfte gestohlen hatte. Sie dachte an den Tag, als sie ihr lang ersehntes Kind geboren und statt dessen einen Wolf vorgefunden hatte. Sie dachte an Forral, der so bleich und still und kalt im Tod gewesen war, und ihr Herz krampfte sich in ihrem Leib zusammen.

»Sprichst du die Herausforderung aus?« wiederholte sie, und ihre Stimme war wie Stein und Stahl und wie die endlose Leere zwischen den Sternen.

Die Wolke der Dunkelheit schien in sich zusammenzufallen. »Gibt es keine Vergebung?« flüsterte Miathan.

Die Stille lastete schwer auf ihnen, eine immer tiefer werdende Kluft zwischen der Magusch und dem, der einst ihr Lehrer gewesen war, ihr Beschützer – und ihr Verräter. Aurian empfand keinen Haß für ihn – sie stand jetzt weit jenseits solcher Gefühle. Sie empfand überhaupt nichts für ihn, bis auf eine stählerne Entschlossenheit, ihn endgültig loszuwerden. Miathan war in ihren Augen nicht mehr als Ungeziefer, eine Ratte, die nur um ihre eigene Haut zu retten, zu diesen jämmerlichen Tönen der Reue griff. Solange man ihm gestattete, in der Welt zu leben, würde seine Bosheit kein Ende finden – aber wie alle in die Enge getriebenen Ratten würde er jetzt so gefährlich sein wie nie zuvor. Aurian wußte, wenn Miathan die Herausforderung nicht aussprach, mußte sie es tun – was bedeutete, daß er dann in dem magischen Kampf, der der Herausforderung folgen würde, den ersten Schlag hätte und das Terrain bestimmen durfte. Und es waren noch andere Dinge zu bedenken. »Was ist mit dem Fluch, mit dem du meinen Sohn belegt hast?« fragte sie ihn.

»Wenn du zu mir kommst, werde ich den Fluch von ihm nehmen – das verspreche ich.« Miathan stürzte sich begierig auf ihre Worte – ein wenig zu begierig.

»Aber brauchst du dazu nicht den Gral?« fragte Aurian argwöhnisch.

»Ich – o ja – natürlich. Verstehst du denn nicht? Wir müssen uns zusammentun. Wenn wir Eliseth nicht den Gral abnehmen können, wie soll ich dann je den Fluch von deinem armen …«

»Du kannst es nicht, oder? Du hast mein Kind verflucht, und jetzt weißt du nicht, wie du den Ruch rückgängig machen sollst.« Aurian hörte, wie ihre Stimme im Zorn immer lauter wurde.

»Warum verschwendest du deine Zeit mit leerem Gerede? Töte sie! Sofort!« Plötzlich stand eine weitere schwarze Gestalt neben Miathan – aber diese war riesig wie ein gewaltiges Geschöpf des Meeres, mit einem Nest ineinander verflochtener Tentakel, einem einzigen bleichen Auge und einem klaffenden Maul in der Mitte, in dem endlose Reihen spitzer Zähne aufblitzten.

»Halte du dich da raus, Ghabal – oder ich sorge dafür, daß du wünschst, du wärest geblieben, wo du hingehörst – eingesperrt in einem Maguschgrab!«

Aurian drehte sich um – und keuchte. Das mußte Basileus sein – aber sie hatte nie gedacht, daß er so aussehen würde! Er trug eine Gestalt, die dem schauerlichen Erscheinungsbild Ghabals ähnelte – aber der Moldan des Windschleiers war herrlich und strahlend anzusehen; sein leuchtend goldenes Auge funkelte, und seine vielen Gliedmaßen waren ein Gewirr aus durchscheinender Farbe. Dieses wunderschöne Gewebe wurde von Punkten und Streifen beweglichen Lichtes durchzogen, die sich unter der Oberfläche seiner glitzernden Haut aus eigenem Antrieb zu bewegen schienen.

Vor Aurians Augen strebten die beiden Titanen einander mit wohlerwogener, aber wilder Gewalt entgegen, und ihre zuckenden Tentakel griffen zu, wo immer sie Halt fanden. Dann wurde der Magusch plötzlich von einer Mauer bösartiger Dunkelheit der Blick verstellt. Miathan hatte, ohne die Herausforderung laut auszusprechen, ihre Verwirrung ausgenutzt und angegriffen.

So groß war Aurians Zorn, daß ihre körperliche Gestalt sich mit einem Gewand aus flüssigem, knisterndem Feuer überzog. Miathan schrie laut auf, verlor seinen Halt und sprang hastig zurück.

»Warte! Erzmagusch! Ich fordere dich heraus, du abscheuliches Stück Dreck! Ich fordere dich heraus!«

Die schwarze Wolke, die Miathan war, wurde dünner und war schließlich fast durchscheinend vor Erschrecken. »Du! Aber …« Dann brach er plötzlich in Gelächter aus. »Du hast einfach nicht genug Verstand, um zu wissen, wann du geschlagen bist, nicht wahr? Du Narr!«

Mit einem Zornesschrei fuhr Aurian herum, um festzustellen, wer ihr ihre Beute gestohlen hatte – und ihr Zorn verwandelte sich in Erschrecken. »Forral! Du kannst nicht …«

»Er hat.« Die Stimme der Schlange der Weisheit war ruhig, aber unerbittlich. »Die Herausforderung ist ausgesprochen und angenommen worden.«

Statt der amorphen Gestalten, die sich die anderen auf ihren Ausflug in das Anderswo gesucht hatten, war der Schwertkämpfer in seiner alten, wahren Gestalt erschienen. Aurian bemerkte plötzlich, daß sich ein sanftes Strahlen über ihre Züge gelegt hatte, ein Strahlen, das von erinnerter wie von erneuerter Liebe rührte. Was natürlich alles gut und schön war, aber …

»Im Namen aller Götter! Was hast du dir dabei nur gedacht, du Narr?« fragte sie. »Wieso bildest du dir ein, Miathan in einem magischen Kampf besiegen zu können?«

»Weil ich Anvars Körper besitze, besitze ich auch seine magischen Kräfte«, erklärte Forral. »Basileus hat mir gesagt, was ich tun muß. In Gedanken muß ich mir vorstellen, es handele sich um einen normalen Kampf mit Schwertern – also um die Art Kampf, auf die ich mich immer so gut verstanden habe. Und die körperliche Gestalt, die ich an diesem Ort annehme, wird den Rest ganz von allein erledigen.«

Bevor die Magusch auch nur ein weiteres Wort sagen konnte, wurden sie abermals von der Schlange der Macht unterbrochen. »Vergiß, was der Moldan gesagt hat – für seine Rasse gelten andere Regeln. Und nun setze die Herausforderung fort.«

Binnen einer Sekunde hatte das Licht innerhalb der Sphäre von Grün zu durchscheinendem Blau gewechselt. Noch in derselben Sekunde verschwand Forral, und ein goldener Adler schwebte an seiner Stelle in der Luft. Wo Miathan gewesen war, kreiste die dunkle, gewaltige Gestalt eines Kondors. Mit einem schrillen Aufschrei stürzte sich das große, schwarze Raubtier auf seinen Beute herab. Der Adler, kleiner, aber auch wendiger, wich zu einer Seite aus und verlor an Höhe, konnte aber den grausamen Krallen seines Widersachers entrinnen. Mit einem wütenden Kreischen versuchte der Kondor sich umzudrehen, unterschätzte aber sein Gewicht wie auch seine Größe und stürzte hilflos ab. Dann gelang es ihm mit unglaublicher Anstrengung, die großen Flügel aufzureißen – aber es war zu spät. Der flinke Adler durchschoß die Luft mit müheloser Leichtigkeit und tauchte blitzartig in der Flugschneise des Kondors auf, um mit seinen krummsäbelgewölbten Krallen nach den Augen des Kondors zu kratzen. Mit einem gräßlichen Aufschrei stürzte der Kondor zu Boden; aus einem Auge sickerte dunkles Blut, und …

Plötzlich war alles anders. Das Licht schien sich zu verdichten, und beißende Rauchsäulen stiegen auf. Die Luft pulsierte heiß, wie ein gewaltiges, schlagendes Herz. Ihre Farbe hatte sich abermals gewandelt; ein beklommenes, flackerndes Rot war an die Stelle des Blaus getreten. Statt des Kondors und des Adlers standen sich nun auf einer beweglichen Schicht brennender Kohlen zwei gewaltige Feuerdrachen gegenüber. Einer von ihnen hatte die Farbe von poliertem Kupfer, und da, wo eines der Juwelenaugen hätte sein sollen, war nur noch ein schartiges Loch, aus dem das Blut sickerte. Der andere, dessen Schuppenhaut aus reinem Gold war, stieß einen Atemzug aus zischendem Feuer aus und scharrte mit einem gewaltigen, krallenbewehrten Fuß über die Kohlen.

Diesmal war Miathan – die gekrümmte rote Echse – deutlich vorsichtiger. Aurian vermutete, daß der Erzmagusch, der ja nicht wissen konnte, wie Forral zu seiner Magie gekommen war, den Schwertkämpfer böse unterschätzt hatte. Das war ein Fehler, den er gewiß kein zweites Mal begehen würde.

Ohne Vorwarnung schossen weitere Flammen aus dem Maul des goldenen Drachen. Das rote Tier, das noch unter seinem Fehlschlag in der Luft litt, hatte eine Sekunde zu lange gezögert. Erschrocken sprang es zur Seite – und die ungewisse Schicht aus Kohlen verlagerte sich und gab unter seinen Füßen nach. Die rote Echse geriet ins Taumeln, stolperte und versank mit einem ihrer dicken Vorderbeine tief in dem feurigen Morast. Je verzweifelter er sich bemühte, seine Freiheit wiederzuerlangen, um so tiefer sank der von Panik befallene Feuerdrache ein.

Forral kroch mit übertriebener Sorgfalt über die Kohlen, wobei er sich bemühte, sein Gewicht so gut wie möglich auf seinen weit auseinanderstehenden Zehen zu verteilen. Der rote Drache spuckte gewaltige, unförmige Flammenschwälle in seine Richtung, aber er war allzusehr damit beschäftigt, sich aus dem Morast zu befreien, um sich auf seinen Feind konzentrieren zu können. Forrals Kiefer klafften weit auf, um zu dem tödlichen Angriff auszuholen, und …

Seine Gestalt schimmerte und verwandelte sich – wurde fest und stromlinienförmig: muskulös und herrlich gezeichnet, mit eleganten schwarzen und weißen Wölbungen. Aurian erinnerte sich, wie Ithalasa ihr einst vor langer Zeit die Geschichte der Verheerung erzählt hatte, indem er eine Reihe von Bildern in ihren Geist sickern ließ. Er hatte ihr von der Rasse der Leviathan-Krieger erzählt, den Orka, die geschaffen worden waren, um das Meeresvolk vor den aggressiven Magusch des Landes und der Luft zu retten – und hier hatte sie nun ein solches Geschöpf vor sich.

In dem Wasser um Forral herum schimmerten Licht und Schatten; alles war gold und meergrün. Der Orka besaß ein grimmiges Gebiß in einem Maul, das zu einem dauerhaften Lächeln gemeißelt zu sein schien. Mit einem einzigen Wirbel seines Schwanzes drehte er sich zu dem Erzmagusch um, griff an …

… und wurde von den rasierklingenscharfen Kiefern und dem ausdruckslosen, toten Blick eines gewaltigen Hais empfangen.

Augenblicklich übernahmen die Instinkte, die Forrals neuer Gestalt eingeboren waren, das Kommando. Mit einer schnellen Drehung seines muskulösen Körpers glitt er zu einer Seite herum und schoß von unten abermals auf den Hai zu.

Er hatte nicht geahnt, wie schnell der Hai sich bewegen konnte! Noch während er selbst in spitzem Winkel durch das Wasser nach oben schnellte und seinen Feind mit aller Kraft rammte, drehte sich der Hai einmal um sich selbst und bohrte dem Orka seine grausamen Zähne in die Flanke. Forral stieß einen schrillen Pfiff des Schmerzes aus, und an seiner Seite wurde ein langer Riß sichtbar. Eine Blutspur zog sich von der Wunde aus durchs Wasser, und Aurian vermutete, daß es in Wirklichkeit seine Lebenskraft war, die Forral verlor. Miathan war jedoch auch nicht ungeschoren davongekommen. Er schien zu sinken; er entfernte sich von ihr, krümmte sich und wandt sich, als wolle er die verräterische Verletzung verbergen, die Forral ihm kurz zuvor zugefügt hatte.

»Ich hoffe, das tut weh, du Bastard«, murmelte Aurian grimmig. Forral stürzte hinter ihm her; er wollte die Sache wohl zu einem schnellen Ende bringen, aber der Erzmagusch hatte sich mittlerweile so weit erholt, daß der Schwertkämpfer von hinterhältigen, schnappenden Zähnen empfangen wurde, die ihn zu einer hastigen Flucht zwangen. Forral tat so, als zöge er sich tatsächlich zurück, aber das war nur eine Finte; einen Augenblick später tauchte er auf der anderen Seite des Hais wieder auf und senkte seine Zähne in das harte Leder von Miathans Haut, bevor er wieder beidrehte und sich vor den tödlichen Kiefern des Hais in Sicherheit brachte.

Jetzt war es Miathans Blut, das floß. Das Blut im Wasser, das sowohl von ihm als auch von Forral stammte, schien ihn schier in den Wahnsinn zu treiben. Mit weit offenem Maul schoß er auf den Schwertkämpfer zu, und seine Augen waren blind von gedankenlosem, alles verzehrendem Haß. Für Forral gab es diesmal kein Entrinnen. Er floh, versuchte, Raum zwischen sich und den Hai zu legen, damit er abermals beidrehen und seinen Feind angreifen konnte. Er hatte die Geschwindigkeit des Geschöpfes jedoch abermals unterschätzt. Der Hai war bereits dicht hinter ihm; seine Zähne gruben sich in den Schwanz des Orkas und rissen dicke Heischbrocken aus der breiten, glatten Oberfläche …

Wolf begriff langsam, daß er und die anderen nicht wirklich unter Wasser waren, daß sie lediglich diese Gestalten angenommen hatten, um sich der unendlich veränderlichen Anderwelt anzupassen, in der dieser Kampf stattfand. Sobald ihm das klargeworden war, stellte er fest, daß er eine ähnliche Gestalt annehmen konnte wie die anderen. Obwohl er in den Künsten der Magie noch unerfahren war, war es ihm nicht weiter schwergefallen, das Bild eines gewaltigen Aals heraufzubeschwören. Nachdem er die Verwandlung zu seiner Zufriedenheit abgeschlossen hatte, stürmte er auf Forral und den Erzmagusch zu – aber da schlang sich plötzlich ein leuchtender Fangarm um seinen Körper und riß ihn zurück.

Wolf erkannte seine Mutter – und selbst in der Gestalt einer glitzernden Wolke sah sie sehr zornig aus. »Verflucht! Was denkst du dir dabei?« Sogar in seinen Gedanken hörte er das Beben ihrer Stimme. »Bleib, wo du bist«, befahl sie ihm. »Wir können nur zusehen.«

»Ist das der, der mich verflucht hat?« fragte Wolf voller Zorn.

»Ja. Aber dein Vater wird sich um ihn kümmern – hoffentlich.«

Mit einem furchtbaren Geräusch riß Forral seinen Schwanz aus den Kiefern des Hais heraus. Er drehte sich um, öffnete sein gewaltiges Maul, wollte sich dem Geschöpf zum Kampf stellen …

… und stand plötzlich auf einer weiten, grasbewachsenen Ebene mit einem tiefhängenden, grauen Himmel über sich. Er war wieder in seinem alten, so sehr vermißten Körper, und in seine Hand schmiegte sich der vertraute, tröstliche Griff seines alten Schwerts. Forral hätte am liebsten laut gelacht. Hier, im Element der Erde, entsprachen die gewählten Waffen weit mehr seinem Geschmack als Fangzähne, Klauen und Flammen es taten!

Das war aber auch sein einziger Trost. Warmes Blut sickerte aus einem nicht allzu tiefen Riß in seiner Seite, und eines seiner Beine war zerbissen und verwüstet und konnte kaum sein Gewicht tragen. Sein Gegner jedoch war nicht besser dran. Miathans Robe war von Blut durchweicht, und er konnte sich nur mit Mühe auf den Beinen halten. Sein Atem ging in kurzen, pfeifenden Stößen. Forral vermutete, daß er, als er den Hai gerammt hatte, Miathans menschlicher Gestalt eine Rippe gebrochen haben mußte. Der Erzmagusch hielt sein Schwert mit unsicherem Griff, denn eine Hand war geschwärzt und verbrannt – und einer der Juwelen war aus seinem Sockel verschwunden, so daß er nur noch mit einem Auge sehen konnte.

»So – endlich ist alles vorüber«, zischte der Erzmagusch. Wachsam begann er den Schwertmeister zu umkreisen, und sein glitzernder, einäugiger Blick war hypnotisch und gnadenlos wie der einer Schlange. Forral quittierte die Konzentration und die unbeugsame Haltung seines Gegners mit Überraschung und Respekt. Er fragte sich, ob Miathan in seiner körperlichen Gestalt tatsächlich über solche Fähigkeiten verfügte. Forral drehte sich zu ihm um, versuchte aber ansonsten nicht, sein zerstörtes Bein allzustark zu belasten. Ihre vorangegangenen Kämpfe hatten sie beide verwundet und erschöpft – sollte Miathan doch die Arbeit tun!

Der Erzmagusch machte einen Satz nach vorn, um seinen Gegner auf die Probe zu stellen, aber wegen seiner versengten Hand brachte er nur einen jämmerlichen Vorstoß zustande. Forral parierte mühelos und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, welche Schmerzen sein verletztes Bein ihm bereitete. Miathan bedrängte ihn – und wieder schlugen ihre Schwerter mit einem lauten Klirren aufeinander.

Miathan begann seinen Gegner zu umkreisen, und immer wieder schnellte seine Klinge vor. Ständig suchte er nach einer Möglichkeit, den Schwertkämpfer zu einem falschen Schritt zu verlocken. Forral hielt ihn in Bewegung, reizte ihn stets aufs neue, achtete aber immer darauf, seine eigenen Kräfte zu schonen! Schon bald zeigte Miathan Zeichen der Ermüdung. Plötzlich schoß Forral wie eine Schlange auf ihn zu, blitzschnell und tödlich – und weit beweglicher, als es bisher den Anschein gehabt hatte. Schritt um Schritt begann er, den Erzmagusch zurückzutreiben.

Obwohl Miathan anfangs eine gute Figur gemacht hatte, verließen ihn nun langsam die Kräfte. Er atmete schwer, und seine Bewegungen wurden vor Müdigkeit fahrig. Forral registrierte mit kaltem Interesse, daß die verletzte Rippe es seinem Gegner erschwerte, die Arme über Schulterhöhe zu heben. Als die Spitze von Forrals Schwert sich oberhalb von Miathans Brust im Stoff seiner Robe verfing, hörte man das harsche Geräusch reißenden Stoffs. Verflucht – das war knapp gewesen!

Miathans Gesicht war fahlgrau vor Furcht geworden, und Forral grinste wölfisch. »Ich wette, du fragst dich, woher ich diese magischen Kräfte habe?« sagte er hämisch.

Der Erzmagusch grunzte nur und drosch blindwütig auf das Schwert seines Gegners ein. Forral machte sich Miathans eigenen Schwung zunutze, um den Schlag zu parieren, und zog schließlich seine Klinge mit einem verächtlichen Lachen zurück. »Nun, es ist Anvars Magie, um genau zu sein«, fuhr der Schwertkämpfer fort, während er mit einer mühelosen Drehung seines Handgelenks auch den nächsten Hieb parierte. »Mir gefällt der Gedanke, daß ich dies für uns beide tue.« Seine Klinge schnellte hervor, und abermals wurde das Geräusch berstenden Stoffs laut. Über dem klaffenden Riß an Miathans linkem Ärmel breitete sich ein roter Fleck aus. »Das war für Aurian«, sagte Forral.

»Und das ist für Wolf.« Wieder stieß der Schwertkämpfer zu und riß seine Klinge quer über die Rippen des Erzmaguschs. Miathan schrie vor Schmerz auf, verlor aber nicht den Kopf, sondern rammte sein Schwert in Forrals gesunden Schenkel. Der Schwertkämpfer taumelte zurück, und sein verletztes Bein gab unter ihm nach. Er fiel schwer auf den Rücken und konnte sich gerade noch zur Seite rollen, als Miathans Schwert niederstieß und ihn nur um Haaresbreite verfehlte – aber der Erzmagusch erholte sich mit einer gebrochenen Rippe und einem tiefen Riß quer über der Brust nur langsam. Bevor er sich wieder aufrichten konnte, zog Forral sich mühsam auf ein Knie hoch und bohrte seine Klinge in Miathans Herz.

Als der Erzmagusch zusammenbrach, hielt der Schwertkämpfer den Griff seiner Waffe fest umklammert und benutzte Miathans Gewicht, um seinem Gegner die Klinge noch weiter ins Heisch zu treiben. »Und das war für mich«, sagte er grimmig.

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