3. Kapitel

Das Büro des Chefpsychologen glich in vieler Hinsicht einer mittelalterlichen Folterkammer, und diese Ähnlichkeit wurde nicht nur durch die große Vielfalt an extraterrestrischen Liegen und Entspannungsmöbeln verstärkt, die mit Haltegurten versehen waren, sondern auch durch den angegrauten Torquemada im Monitorkorpsgrün mit den scharfkantigen Gesichtszügen, der darüber herrschte. Major O'Mara deutete auf einen physiologisch passenden Stuhl.

„Setzen Sie sich, Doktor“, begrüßte er Conway mit einem für ihn vollkommen untypischen Lächeln. „Entspannen Sie sich. In letzter Zeit sind Sie so viel in Ihrem Ambulanzschiff durch die Gegend gerast, daß ich Sie kaum zu Gesicht bekommen habe. Es ist höchste Zeit, daß wir uns einmal ausgiebig unterhalten.“

Conway spürte, wie ihm der Mund trocken wurde.

Das wird ganz schön haarig werden.

Aber was hatte er getan oder unterlassen, daß er eine solche Behandlung verdiente? Im Gesicht des Chefpsychologen konnte man ungefähr so gut lesen wie in einem verwitterten Stück Basalt — mit dem es sogar in mancherlei Hinsicht eine gewisse Ähnlichkeit aufwies —, doch seine Augen, mit denen er Conway musterte — das wußte letzterer aus langer Erfahrung —, enthüllten einen so scharf analytischen Verstand, daß der Major das besaß, was man fast als telepathische Fähigkeiten bezeichnen konnte. Conway schwieg, und auch O'Mara sagte lange Zeit keinen Ton.

Als Chefpsychologe eines Hospitals mit vielfältigen Umweltbedingungen war er für das geistige Wohlbefinden eines riesigen Mitarbeiterstabs verantwortlich, der sich aus mehr als sechzig verschiedenen Spezies zusammensetzte. Obwohl er innerhalb des Monitorkorps nur den Rang eines Majors bekleidete — den man ihm lediglich aus administrativen Gründen verliehen hatte —, waren seine Machtbefugnisse innerhalb des Hospitals nur schwer einzugrenzen. Für ihn waren die Mitarbeiter die eigentlichen Patienten, und eine seiner Aufgabe war es sicherzustellen, daß jedem einzelnen Patienten der für ihn geeignete Arzt zugeteilt wurde, sei er nun Terrestrier oder Extraterrestrier.

Selbst wenn man äußerste Toleranz und gegenseitigen Respekt beim Personal voraussetzte, gab es doch noch Anlässe genug zu Reibereien. Potentiell gefährliche Situationen entstanden in erster Linie durch Unwissenheit und Mißverständnisse, aber auch wenn ein Wesen — trotz der genauen psychologischen Durchleuchtung, der sich jeder Bewerber vor der Zulassung zum Studium am Orbit Hospital unterziehen mußte — eine neurotische Xenophobie entwickelte, die seine geistige Stabilität oder Leistungsfähigkeit oder beides zusammen beeinträchtigte. Ein Arzt von der Erde zum Beispiel, der eine unbewußte Angst vor Spinnen hatte, würde einem cinrusskischen Patienten niemals eine angemessene klinische Versorgung zuteil werden lassen können, die zu seiner Behandlung notwendig wäre. Und wenn jemand wie Prilicla solch einen terrestrischen Patienten zu behandeln hätte, dann.

Ein großer Teil von O'Maras Verantwortung bestand darin, solche Schwierigkeiten innerhalb des medizinischen Stabs zu entdecken und auszuräumen, während andere Mitglieder seiner Abteilung dafür sorgten, daß sich die Probleme nicht wiederholten — und zwar derart gründlich, daß in Fragen der Menschheitsgeschichte bewanderte Terrestrier diesen Vorgang als zweite Inquisition: bezeichneten. Nach O'Maras eigenen Angaben war das hohe Niveau der psychischen Stabilität unter seinen Schützlingen jedoch in Wirklichkeit darauf zurückzuführen, daß sie alle schlichtweg viel zuviel Angst vor ihm hatten, um die öffentliche Zurschaustellung selbst einer unbedeutenden Neurose zu riskieren.

Plötzlich lächelte O'Mara und sagte: „Ich finde, mit dem respektvollen Schweigen übertreiben Sie es heute ein wenig, Doktor. Schließlich möchte ich mich gern mit Ihnen unterhalten, und im Gegensatz zu meinem üblichen Verfahren dürfen Sie freche Antworten geben. Sind Sie mit Ihrem Dienst auf dem Ambulanzschiff zufrieden?“

Normalerweise hatte der Chefpsychologe eine beißende, sarkastische und bis an maßlose Unverschämtheit grenzende Art an sich. Als Erklärung führte er gerne an, daß er sich in Gesellschaft von Kollegen entspannen und sich von seiner üblichen schlecht gelaunten, unausstehlichen Seite zeigen konnte, während er bei potentiellen Patienten Mitgefühl und Verständnis an den Tag legen mußte. Aber auch mit diesem Wissen im Hinterkopf fühlte sich Conway durch den in uncharakteristischer Weise freundlichen Chefpsychologen überhaupt nicht besser.

„Ziemlich zufrieden“, antwortete Conway zurückhaltend.

„Am Anfang waren Sie damit gar nicht zufrieden.“ O'Mara musterte ihn aufmerksam. „Soweit ich mich erinnern kann, Doktor, haben Sie es damals als unter der Würde eines Chefarzts erachtet, die medizinische Leitung auf einem Ambulanzschiff übernehmen zu müssen. Haben Sie irgendwelche Probleme mit den Schiffsoffizieren oder dem medizinischen Team? Gibt es irgendwelche personellen Veränderungen, die Sie vorschlagen möchten?“

„Das alles war doch, bevor mir klargeworden ist, daß es sich bei der Rhabwar um ein ganz besonderes Ambulanzschiff handelt“, erwiderte Conway, indem er die Fragen der Reihe nach beantwortete. „Probleme gibt es nicht. Das Schiff läuft einwandfrei, die Besatzung vom Monitorkorps leistet erfolgreiche Arbeit und verhält sich kooperativ, und die Mitglieder des medizinischen Teams sind. Nein, ich kann mir keinen möglichen Wechsel vorstellen, den man beim Personal vornehmen sollte.“

„Ich schon.“ Für den Bruchteil einer Sekunde flammte in der Stimme des Chefpsychologen ein sarkastischer Unterton auf, als versuchte der alte O'Mara, den Conway nur zu gut kannte und den er nicht besonders schätzte, durchzubrechen. Dann lächelte der Chefpsychologe und fuhr fort: „Sie werden doch bestimmt über die Nachteile, die Unannehmlichkeiten und die Unterbrechungen nachgedacht haben, die die ständige Bereitschaft für einen Ambulanzschiffseinsatz mit sich bringt. Und Sie müssen sich doch ein wenig darüber geärgert haben, daß für jede Operation, die Sie am Orbit Hospital durchführen, ein Ersatzchirurg bereitzustellen hat, falls Sie plötzlich abberufen werden. Außerdem bedeutet der Dienst auf dem Ambulanzschiff, daß Sie an einigen der Projekte nicht teilnehmen können,

zu denen Sie dank Ihres höheren Dienstalters berechtigt wären. Lehren und forschen, die eigene Erfahrung an andere weitergeben, statt auf Rettungseinsätzen durch die gesamte Galaxis zu rasen und.“

„Die personelle Veränderung werde also ich sein“, unterbrach ihn Conway verärgert. „Aber wer soll denn mein Nachfol.?“

„Die Leitung des medizinischen Teams der Rhabwar wird Prilicla übernehmen“, unterbrach ihn O'Mara. „Allerdings hat er die neue Aufgabe nur unter der Bedingung akzeptiert, daß er seinem Freund Conway dadurch keinen ernsthaften Kummer bereitet. In dem Punkt ist er für einen Cinrussker ziemlich unerbittlich gewesen. Obwohl ich ihn gebeten habe, Ihnen gegenüber kein Wort zu erwähnen, bis Sie offiziell davon unterrichtet worden sind, habe ich damit gerechnet, daß er mit der Neuigkeit direkt zu Ihnen läuft.“

„Das ist er allerdings wirklich. Aber er hat nur etwas von einer Beförderung erwähnt, sonst nichts. Ich bin gerade mit einer neuen Studentengruppe zusammengewesen. Prilicla interessierte sich mehr für einen vielgestaltigen Empathen namens Danalta, aber daß unserem kleinen Freund etwas zu schaffen machte, konnte ich deutlich sehen.“

„Prilicla haben mehrere Dinge zu schaffen gemacht“, klärte O'Mara ihn auf. „So wußte er nicht nur, daß er in Ihre Position aufsteigen würde, als Sie das letztenmal die Rhabwar verließen, sondern auch, daß Danalta bereits dafür ausgewählt worden war, seine Stelle einzunehmen. Doch der TOBS weiß bisher noch nichts davon, deshalb konnte Ihnen Prilicla keine Einzelheiten erzählen. Hätte Danalta nämlich von seiner Ernennung aus zweiter Hand erfahren, hätte er zu der Überzeugung gelangen können, durch die selbstverständliche Voraussetzung seines Einverständnisses beleidigt worden zu sein. Bei den TOBS handelt es sich um eine sehr begabte Spezies, die zu Recht auf ihre Fähigkeiten stolz ist, und Danaltas psychologisches Persönlichkeitsdiagramm deutet darauf hin, daß er an solchen Verfahrensweisen zweifellos Anstoß nehmen würde. Aber die Stelle, die wir ihm anbieten, bedeutet für jemanden, der verschiedene Gestalten annehmen kann, eine physiologische Herausforderung, und ich rechne fest damit, daß Danalta sofort zugreifen wird.

Haben Sie gegen diese Veränderungen irgendwelche ernsthaften Bedenken anzumelden, Doktor?“ beendete O'Mara seine Ausführungen.

„Nein.“ Conway wunderte sich selbst, warum er über den Verlust einer Position, um die ihn seine Kollegen beneideten und die er selbst für aufregend und beruflich anspruchsvoll hielt, keine größere Verärgerung und Enttäuschung empfand. Mürrisch fügte er hinzu: „Wenn solche Veränderungen überhaupt notwendig sind.“

„Sie sind notwendig“, erwiderte O'Mara in ernstem Ton. „Wie Sie wissen, liegt es mir nicht besonders, Komplimente zu verteilen. Meine Aufgabe besteht darin, die Leute auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen und nicht, sie abheben zu lassen. Und über die Gründe, aus denen ich bestimmte Maßnahmen oder Entscheidungen treffe, diskutiere ich nicht. Aber der Fall, um den es sich hier dreht, ist keine alltägliche Angelegenheit.“

Seine fast quadratischen Hände hatte der Chefpsychologe mit gespreizten Fingern vor sich auf den Schreibtisch gelegt und betrachtete sie beim Sprechen mit vorgeschobenem Gesicht.

„Zunächst einmal sind Sie schon auf dem Jungfernflug der Rhabwar Leiter des medizinischen Teams gewesen“, fuhr er fort. „Seitdem haben Sie viele erfolgreiche Rettungsaktionen durchgeführt, die Bergungs- und Behandlungsmethoden von Überlebenden sind perfektioniert worden, und Sie verlassen ein äußerst gut funktionierendes Ambulanzschiff, auf dem lediglich aufgrund einer unbedeutenden Veränderung der Besatzung überhaupt nichts Ernsthaftes passieren kann. Vergessen Sie nicht, Prilicla, Murchison und Naydrad werden ja immer noch an Bord sein. Und Danalta. Also, mit zwei Empathen im Team, von denen einer über Muskeln verfügt, nach Belieben die Gestalt verändern und in normalerweise unzugängliche Bereiche eines Schiffswracks vordringen kann, könnte es sogar zu einer Verbesserung der für die Bergungen benötigten Zeit kommen.

Zweitens ist da Prilicla. Sie wissen genausogut wie ich, daß er zwar zu unseren besten Chefärzten gehört, aber auch, daß er aus rein psychologischen Gründen sowie Ursachen, die mit der Evolution der cinrusskischen Spezies zusammenhängen, ungeheuer schüchtern und feige ist und überhaupt kein Durchsetzungsvermögen besitzt. Prilicla in eine Position zu versetzen, in der er — am Schauplatz einer Katastrophe — die ganze Verantwortung und Machtbefugnis in Händen hält, wird ihn mit der Vorstellung vertraut machen, ohne die Hilfe von Vorgesetzten Befehle zu erteilen und Entscheidungen zu treffen. Daß Priliclas Befehle womöglich nicht nach Befehlen klingen werden und man sie nur befolgen wird, weil niemand seine Gefühle durch Einwendungen verletzen will, ist mir klar. Aber mit der Zeit müßte ihm das Befehlen zur Gewohnheit werden, und in den Pausen zwischen den Rettungseinsätzen wird sich diese Gewohnheit auf seine Arbeit im Krankenhaus übertragen. Sehen Sie das auch so?“

Conway versuchte zu lächeln, als er antwortete: „Ich bin froh, daß unser kleiner Freund nicht hier ist, denn meine emotionale Ausstrahlung ist alles andere als angenehm. Aber ansonsten sehe ich das auch so.“

„Dann ist ja gut“, entgegnete der Major und fuhr lebhaft fort: „Und drittens haben wir da den Chefarzt Conway. In diesem Fall sollten wir uns um Objektivität bemühen, was auch der Grund ist, weshalb ich von Ihnen in der dritten Person spreche. In mancher Hinsicht ist dieser Conway ein merkwürdiger Mensch, und das ist er bereits, seit er damals bei uns angefangen hat. In der Anfangszeit legte er ein wenig ein Verhalten wie ein ungezogenes Gör an den Tag und war sehr von sich selbst überzeugt, aber er hat auch gewisse Ansätze gezeigt. Trotz dieser Eigenschaften ist er ein Einzelgänger geblieben, pflegte kaum zwischenmenschliche Kontakte und zog es offenbar vor, sich in der Gesellschaft seiner extraterrestrischen Kollegen zu befinden. Psychologisch gesehen ist das zwar ein höchst verdächtiges Verhalten, aber in einem Hospital mit vielen verschiedenen Spezies bietet ein solches Vorgehen entscheidende Vorteile, weil.“

„Aber Murchison ist doch.“, begann Conway.

„… keine Extraterrestrierin“, beendete O'Mara den Satz für ihn. „Das ist mir klar. So weit ist die Altersschwäche bei mir noch nicht fortgeschritten,

daß ich nicht bemerken würde, daß es sich bei ihr um eine terrestrische Frau der Klassifikation DBDG handelt — und um was für eine! Aber abgesehen von Murchison setzen sich Ihre Freunde aus Wesen wie der kelgianischen Oberschwester Naydrad, dem melfanischen Chefarzt Edanelt, Prilicla und natürlich dem SNLU-Ernährungswissenschaftler mit dem unaussprechlichen Namen von Ebene dreihundertzwei und sogar dem Diagnostiker Thornnastor zusammen. Das ist höchst bezeichnend!“

„Wofür denn?“ fragte Conway, wobei er inständig hoffte, der Chefpsychologe würde aufhören zu reden und ihm Zeit zum Nachdenken lassen.

„Eigentlich sollten Sie in der Lage sein, selbst darauf zu kommen“, entgegnete O'Mara in scharfem Ton und fahr dann fort: „Hinzu kommt, daß Conway über all die Jahre ausgezeichnete Arbeit geleistet hat, viele wichtige und ungewöhnliche Fälle erfolgreich zum Abschluß brachte und sich nicht scheute, für seine fachlichen Entscheidungen die persönliche Verantwortung zu übernehmen. Und nun gibt es erste Anzeichen dafür, daß er womöglich seinen Biß verliert.

Bisher ist diese Erscheinung zwar noch nicht ernst“, fuhr der Chefpsychologe schnell fort, bevor Conway reagieren konnte, „und im Grunde haben es bis jetzt weder die Kollegen noch der Betreffende selbst bemerkt, und es liegt kein Nachlassen der Fachkompetenz vor, aber ich habe Conways Fall sehr genau geprüft, und eine Zeitlang war es für mich offensichtlich, daß er allmählich in einen Trott verfällt und dringend.“

„In einen Trott? An diesem Krankenhaus?“ Conway mußte unwillkürlich lachen.

„Alles ist relativ“, entgegnete O'Mara gereizt. „Nennen wir es eine immer alltäglichere Reaktion auf das vollkommen Unerwartete, wenn Ihnen Trott zu simpel ist. Aber, um fortzufahren, ich bin der ernsthaften Ansicht, daß dieser Mensch völlig neue Aufgaben und Pflichten benötigt. Diesem Tätigkeitswechsel sollte die sofortige Entbindung von den Dienstpflichten auf dem Ambulanzschiff, ein wenig psychiatrischer Beistand und eine Phase der geistig-seelischen Neuorientierung vorausgehen.“

„Eine qualvolle Neuorientierung“, stöhnte Conway, wobei er erneut lachen mußte, ohne zu wissen, warum. „Neuorientierungen sollen nämlich immer qualvoll sein.“

Einen Moment lang musterte O'Mara ihn aufmerksam, dann atmete er langsam durch die Nase aus. Mit sarkastischem Unterton in der Stimme grummelte er: „Ich billige zwar kein unnötiges Leiden, Conway, aber wenn Sie sich bei Ihrer Neuorientierung unbedingt quälen wollen, nur zu.“

Wie Conway bemerkte, war der Major zu seiner normalen aggressiven Art zurückgekehrt. Offenbar betrachtete ihn O'Mara nun nicht mehr als Patienten — was auf angenehme beziehungsweise recht unangenehme Weise beruhigend war. Doch während Conway versuchte, die ganzen Auswirkungen dieser plötzlichen und dramatischen Veränderung seiner Situation in sich aufzunehmen und zu überdenken, fiel ihm nichts Vernünftiges dazu ein, und ihm wurde klar, daß er vorläufig zu keiner schlüssigen Antwort in der Lage war.

„Ich brauche Zeit, um darüber nachzudenken“, murmelte er schließlich.

„Natürlich“, pfichtete O'Mara ihm bei.

„Und ich möchte gerne noch einige Zeit auf der Rhabwar verbringen, um Prilicla Ratschläge zu.“

„Nein!“ O'Mara schlug mit der flachen Hand auf den Schreibtisch. „Um den größten Erfolg zu erzielen, muß Prilicla lernen, die Arbeit auf seine eigene Weise zu verrichten, so, wie es auch bei Ihnen der Fall gewesen ist. Sie werden sich vom Ambulanzschiff fernhalten und nicht mit dem Cinrussker sprechen, außer um ihm auf Wiedersehen zu sagen und viel Glück zu wünschen. Im Grunde möchte ich Sie so schnell wie möglich aus dem Hospital heraushaben. Von dieser Minute an gerechnet, fliegt in dreißig Stunden ein Aufklärungsschiff des Monitorkorps in Kurierdiensten ab, folglich werden Sie kaum Zeit für lange Abschiedsarien haben.

Daß es für mich irgendeine Möglichkeit gibt, Sie daran zu hindern, Murchison eine längere Abschiedsarie zu widmen, glaube ich allerdings kaum“, fuhr der Chefpsychologe in hämischem Ton fort. „Die Nachricht von Ihrer unmittelbar bevorstehenden Abreise wird Ihrer Frau bereits Prilicla beigebracht haben, und ich kann mir niemanden vorstellen, der das schonender bewerkstelligen könnte, denn Prilicla ist über das, was Sie in den nächsten paar Monaten erwartet, bereits unterrichtet worden.“

„Ich wünschte bloß, irgendwer würde auch mich davon unterrichten“, warf Conway mürrisch ein.

„Also schön“, willigte der Chefpsychologe ein und lehnte sich genüßlich im Stuhl zurück. „Sie sind für unbestimmte Zeit einem Planeten zugeteilt, der — in sehr frei nachempfundenen Lauten — Goglesk heißt. Dort steht man vor einem großen Problem. Die Einzelheiten sind mir zwar nicht bekannt, aber Sie werden nach Ihrer Ankunft jede Menge Zeit haben, sich selbst darüber zu informieren, falls es Sie interessiert. Die Lösung des Problems wird in diesem Fall nicht von Ihnen erwartet; Sie werden sich lediglich ausruhen und.“

O'Maras Gegensprechanlage summte, und eine Stimme sagte: „Entschuldigen Sie, Sir, aber Doktor Fremvessith ist zu früh zur Verabredung erschienen. Soll ich ihn bitten, später wiederzukommen?“

„Das ist der PVGJ, bei dem das Kelgianerband gelöscht werden soll. Da gibt es Probleme“, erklärte O'Mara und sagte dann in die Gegensprechanlage: „Nein, bitten Sie ihn zu warten, und geben Sie ihm, falls erforderlich, ein Beruhigungsmittel.“

An Conway gewandt fuhr er fort: „Wie ich schon gesagt habe, möchte ich, daß Sie sich während Ihres Aufenthalts auf Goglesk schonen, ganz gründlich über Ihre berufliche Zukunft nachdenken und sich viel Zeit für die Entscheidung nehmen, was Sie am Orbit Hospital tun oder nicht tun wollen. Um Ihnen dabei zu helfen, werde ich Ihnen ein Medikament zu Verfügung stellen, das das Erinnerungsvermögen verbessern und die Rückbesinnung auf Träume unterstützen soll. Langfristige Nebenwirkungen hat es nicht. Wenn Sie schon eine geistig-seelische Bestandsaufnahme machen, dann kann ich Ihnen wenigstens das ein oder andere Licht mitgeben, mit dem Sie die dunkleren Winkel Ihres Unterbewußtseins ausleuchten können.“

„Aber wieso?“ fragte Conway, und plötzlich war er sich nicht einmal mehr sicher, ob er die Antwort darauf überhaupt wissen wollte.

O'Mara musterte ihn aufmerksam. Sein Mund war ein dünner, ausdrucksloser Strich, doch in seinen Augen lag ein mitfühlender Blick. „Zu guter Letzt fangen Sie doch noch an, den Zweck dieser Unterredung zu begreifen, Conway. Aber um Ihr überanstrengtes Gehirn vor Abnutzung zu schützen, werde ich es für Sie einfach machen.

Das Orbit Hospital gibt Ihnen die Chance“, schloß er in sehr ernsten Worten, „sich um die Beförderung zum Diagnostiker zu bemühen.“

Zum Diagnostiker…!

Wie die Mehrheit der Ärzte am Orbit Hospital hatte auch Conway schon oft die beunruhigende Erfahrung gemacht, sein Gehirn mit einem fremdartigen Alter ego zu teilen. Bei einem dieser Anlässe war, wenn auch nur scheinbar, für einen relativ kurzen Zeitraum die Kontrolle über seinen Verstand sogar gleich von mehreren Extraterrestriern übernommen worden. Trotzdem hatte O'Mara nach diesem Erlebnis mehrere Tage damit verbringen müssen, die geistig-seelischen Bruchstücke des ursprünglichen Conways wieder zusammenzufügen.

Zwar besaß das Orbit Hospital die notwendige Ausstattung, jede der galaktischen Föderation bekannte intelligente Lebensform zu behandeln, aber kein einzelnes Wesen hätte auch nur einen Bruchteil der für diesen Zweck benötigten physiologischen Daten im Kopf behalten können. Chirurgisches Geschick war eine Frage der Fähigkeiten und der Ausbildung, doch sämtliches Wissen über die physiologische Beschaffenheit eines Patienten wurde durch ein sogenanntes Schulungsband vermittelt. Auf einem solchen Band waren einfach die Gehirnströme einer medizinischen Kapazität aufgezeichnet worden, die der gleichen oder einer ähnlichen Spezies angehörte wie der zu behandelnde Patient.

Wenn zum Beispiel ein terrestrischer Arzt einen kelgianischen Patienten zu behandeln hatte, speicherte er ein DBLF-Physiologieband im Gehirn und behielt es so lange bei sich, bis die Behandlung abgeschlossen war. Danach ließ er es wieder löschen. Die einzigen Ausnahmen von dieser Regel stellten Chefärzte mit Lehraufträgen dar, deren geistige Stabilität erwiesen war, und natürlich die Diagnostiker.

Ein Diagnostiker gehörte zur geistigen Elite und war eines jener seltenen Wesen, deren Psyche und Verstand als ausreichend stabil erachtet wurden, permanent sechs, sieben oder gar zehn Bänder gleichzeitig im Kopf gespeichert zu haben. Ihren mit Daten vollgestopften Hirnen oblag in erster Linie die Aufgabe, medizinische Grundlagenforschung zu leisten und neue Krankheiten bislang unbekannter Lebensformen zu diagnostizieren und zu behandeln.

Mit einem Schulungsband wurden einem aber nicht nur die physiologischen Fakten einer Spezies ins Gehirn eingeimpft, sondern auch die Persönlichkeit und das Gedächtnis des Wesens, das dieses Wissen besessen hatte. Praktisch setzte sich ein Diagnostiker somit freiwillig einer höchst drastischen Form multipler Schizophrenie aus. Die fremden Persönlichkeiten, die seinen Geist scheinbar mit ihm teilten, konnten unangenehme und aggressive Wesen mit allen Arten von Reizbarkeit und Phobien sein — schließlich sind Genies nur selten charmante Persönlichkeiten. Bei der Durchführung einer Operation oder Behandlung machte sich das normalerweise nicht bemerkbar. Die schlimmsten Momente aber waren oftmals die, wenn sich der Bandbesitzer zum Einschlafen entspannen wollte.

Wie Conway wußte, konnten Alpträume von Aliens wirklich entsetzlich alptraumhaft sein. Und die sexuellen Phantasien von Aliens oder die Träume, in denen sich ihre Begierden erfüllten, reichten aus, um in dem Betreffenden den Wunsch hervorzurufen — falls er überhaupt noch imstande war, einen zusammenhängenden Wunsch zu äußern —, lieber tot zu sein. Conway schluckte.

„Ehrlich gesagt, erwarte ich schon irgendeine Reaktion von Ihnen“, merkte O'Mara sarkastisch an, wobei aus seinem Verhalten hervorging, daß er wieder ganz der alte unliebenswürdige Chefpsychologe war und die Unterredung mit Conway für ihn keinen Grund zur Besorgnis mehr darstellte. „Oder soll dieses Gaffen der Versuch einer Verständigung ohne Worte sein?“

„Ich. ich brauche Zeit, um darüber nachzudenken“, stammelte Conway.

„Zum Nachdenken werden Sie massenhaft Zeit haben“, antwortete O'Mara. Dann stand er auf, blickte demonstrativ auf die Schreibtischuhr und fügte hinzu: „Und zwar auf dem Planeten Goglesk.“

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