2. Kapitel

Zwischen dem Rand der Galaxis und den dicht besiedelten Sternsystemen der Großen Magellanschen Wolke schwebte in der interstellaren Dunkelheit des galaktischen Sektors zwölf das Orbit Hospital wie ein riesiger, zylindrischer Weihnachtsbaum. Auf den dreihundertvierundachtzig Ebenen konnten die Umweltbedingungen sämtlicher der galaktischen Föderation bekannten intelligenten Spezies reproduziert werden; ein biologisches Spektrum, das bei den unter extremen Kältebedingungen lebenden Methanarten begann und über die eher normalen Sauerstoff- und Chloratmer bis hin zu den seltsamen und außergewöhnlichen Lebensformen reichte, die nicht atmeten und nicht einmal Nahrung zu sich nehmen mußten, sondern ausschließlich von der direkten Umwandlung harter Strahlung lebten.

Hinsichtlich seiner technischen Leistungsfähigkeit wie auch seiner psychologischen Betreuung stellte das Orbit Hospital gleich ein doppeltes Wunder dar. Für den Nachschub und die Wartung war in erster Linie das Monitorkorps verantwortlich, das auch administrative und polizeiliche Aufgaben wahrnahm und dem Gesetz der Föderation Geltung verschaffte. Die sonst üblichen Reibereien zwischen militärischen und zivilen Mitarbeitern traten hier allerdings so gut wie nie auf. Genauso selten waren ernsthafte Meinungsverschiedenheiten unter den ungefähr zehntausend Mitarbeitern des medizinischen Personals, das sich aus mehr als sechzig verschiedenen Lebensformen mit ebenso vielen unterschiedlichen Verhaltensweisen, Körpergerüchen und Lebensanschauungen zusammensetzte.

Platz stand im Orbit Hospital immer hoch im Kurs, und deshalb sollten die Wesen, die zusammen arbeiteten, auch möglichst miteinander essen — aber natürlich nicht vom selben Teller.

Die Studenten hatten das Glück, zwei freie aneinandergrenzende Tische zu finden, jedoch insofern Pech, als daß die Sitze und die Bestecke für die zwergenhaften nidianischen DBDGs vorgesehen waren. Der riesige Speisesaal war für die warmblütigen sauerstoffatmenden Personalangehörigen ausgelegt, und durch einen Blick in die Runde wurde einem deutlich, daß fast immer verschiedene Spezies gemeinsam an ein und demselben Tisch aßen, fachsimpelten oder einfach miteinander plauderten. Sitze von der falschen Größe stellten eine Unannehmlichkeit dar, an die sich die Neuankömmlinge würden gewöhnen müssen, und in ihrem Fall hätte es noch sehr viel schlimmer sein können.

Die Mundwerkzeuge der Melfaner befanden sich in der richtigen Höhe über dem Tisch, und für die ELNTs war es nicht unbequem, im Stehen zu. essen. Die Tralthaner machten auf ihren sechs klobigen Füßen einfach alles, sie schliefen sogar darauf. Die Kelgianer waren in der Lage, sich mit ihrer raupenähnlichen Gestalt an fast jedes Möbelstück anzupassen, und die Orligianer, wie auch Conway selbst, konnten ohne allzu großes Unbehagen auf den Armlehnen der Stühle sitzen. Die kleinen Duwetz hatten überhaupt keine Schwierigkeiten, und der vielgestaltige Danalta hatte sich in einen Duwetz verwandelt.

„Der Automat für die Bestellung und Auslieferung des Essens funktioniert hier praktisch genauso wie auf den Schiffen, mit denen Sie hergekommen sind“, erklärte Conway, wobei er von einem Tisch zum anderen blickte. „Wenn Sie Ihre physiologische Klassifikation eingeben, erscheint auf dem Display die Speisekarte in Ihrer jeweiligen Schriftsprache. Außer bei Danalta. Die TOBS-Lebensform hat vermutlich keine speziellen Ernährungsbedürfnisse, aber bestimmt besondere Vorlieben, oder? Danalta!“

„Entschuldigen Sie, Chefarzt Conway“, entgegnete der TOBS. Während er den Kantineneingang beobachtete, war sein Körper in für einen Duwetz anatomisch unmöglicher Weise verdreht. „Meine Aufmerksamkeit war ganz von den unglaublich verschiedenartigen Lebensformen in Anspruch genommen, die hier ein und aus gehen.“

„Was möchten Sie essen, Danalta?“ erkundigte sich Conway geduldig.

Ohne seinen duwetzischen Kopf herumzudrehen, antwortete der TOBS: „Praktisch alles, was nicht radioaktiv oder chemisch ätzend ist, Chefarzt Conway. Falls nichts anderes vorhanden sein sollte, könnte ich mit meinem Stoffwechsel innerhalb kurzer Zeit auch das Material verarbeiten, aus dem der Kantinentisch besteht. Aber ich esse nur selten und werde erst in mehreren Ihrer Tage wieder Nahrung aufnehmen müssen.“

„Schön.“ Über die Tastatur bestellte sich Conway ein Steak, bevor er fortfuhr: „Und noch etwas, Danalta: Es ist zwar sehr erfreulich, in angemessener Form und mit Respekt angesprochen zu werden — in diesem Krankenhaus kommt das nur selten vor —, aber es kann auch lästig sein. Darum ist es üblich, Medizinalassistenten, Assistenz- und Chefärzte und selbst Diagnostiker einfach mit Doktor anzureden. Haben Sie schon einen physiologischen Typus entdeckt, den Sie nicht nachahmen können?“

Allmählich ärgerte sich Conway darüber, daß Danalta während seiner Ausführungen fortwährend auf den Eingang starrte, und er fragte sich, ob es sich dabei um ein für diese Spezies charakteristisches Merkmal handelte und dieses unhöfliche Verhalten nicht beabsichtigt war. Dann mußte er fast nach Luft ringen, als er sah, daß der TOBS aus der Rückseite des Kopfes ein kleines Auge ausgestülpt hatte, um ihn anzusehen.

„Meinen Fähigkeiten sind gewisse Grenzen gesetzt, Doktor“, entgegnete Danalta. „Die Gestalt zu verändern ist zwar relativ einfach, aber Körpermasse kann ich nicht einfach abwerfen. Dies hier“, er deutete auf sich selbst, „ist ein kleiner, aber äußerst schwerer Duwetz. Und das Lebewesen, das gerade hereingekommen ist, wäre tatsächlich sehr schwer nachzuahmen.“

Conway folgte der Blickrichtung von Danaltas übrigen Augen, stand dann plötzlich auf und winkte.

„Prilicla!“

Bei dem kleinen Wesen, das gerade in die Kantine gekommen war, handelte es sich um einen cinrusskischen GLNO — ein sechsbeiniges, ungeheuer zerbrechlich wirkendes Insekt mit Ektoskelett und zwei Flügelpaaren. Auf seinem Heimatplaneten herrschte weniger als ein Achtel der Erdanziehungskraft, und nur ein doppelter Satz Schwerkraftneutralisatoren bewahrte Prilicla davor, auf dem Boden regelrecht zermalmt zu werden. Erst durch diese G-Gürtel konnte er überhaupt fliegen oder sicher an der Decke oder den Wänden entlangtrippeln, wenn seine überaus zerbrechlichen Gliedmaßen und sein Leben durch die gedankenlosen Bewegungen der kräftigeren Kollegen bedroht waren. Cinrussker auseinanderzuhalten war für Außerplanetarier unmöglich; sogar Cinrussker selbst konnten zwischen Angehörigen der eigenen Spezies lediglich durch die Identifizierung der individuellen emotionalen Ausstrahlung unterscheiden. Doch zum Hospitalpersonal gehörte nur ein einziger GLNO-Empath; also mußte es sich bei diesem hier um Chefarzt Prilicla handeln.

Während der kleine Empath langsam mit seinen breiten, schimmernden, fast durchsichtigen Flügeln auf sie zugeflogen kam, wurde er von der Tischrunde aufmerksam beobachtet. Als er schließlich vorsichtig über der Gruppe schwebte, bemerkte Conway an den sechs bleistiftdünnen Beinen des Empathen ein schwaches, unregelmäßiges Zittern, und auch der Schwebeflug wies deutliche Anzeichen von Instabilität auf.

Irgend etwas beunruhigte den kleinen Cinrussker, doch Conway sagte lieber nichts, weil er wußte, daß seine eigene Besorgnis von dem Empathen bereits wahrgenommen wurde. Plötzlich fragte er sich, ob durch den Anblick des GLNO bei einem der Neuankömmlinge irgendeine tiefsitzende Phobie ausgelöst worden sein könnte und dieser jetzt so große Angst oder starken Abscheu ausstrahlte, daß Priliclas harmonisches Zusammenwirken der Muskeln in Mitleidenschaft gezogen wurde.

Dergleichen mußte er einen Riegel vorschieben.

„Das hier ist Chefarzt Prilicla“, sagte Conway schnell, als wollte er den Empathen nur vorstellen. „Er stammt vom Planeten Cinruss, gehört zur physiologischen Klassifikation GLNO und verfügt über hochentwickelte empathische Fähigkeiten, die unter anderem für die Feststellung und Überwachung des Zustands tief bewußtloser Patienten von unschätzbarem Wert sind. Durch diese Fähigkeiten ist Prilicla auch sehr stark für die emotionale Ausstrahlung von Kollegen wie uns empfänglich, die bei Bewußtsein sind. In seiner Gegenwart müssen wir uns vor plötzlichen und heftigen Gefühlsreaktionen hüten, sogar vor unwillkürlichen Regungen wie instinktiver Furcht oder Abneigung beim Zusammentreffen mit einer Lebensform, die einem Raubtier auf dem Heimatplaneten einer anderen Spezies ähnelt oder Gegenstand einer Kindheitsphobie ist. Diese Gefühle und Reaktionen müssen Sie nach besten Kräften unter Kontrolle halten oder möglichst negieren, weil sie von dem Empathen noch stärker empfunden werden als von Ihnen selbst. Wenn Sie Prilicla erst einmal besser kennengelernt haben, werden Sie allerdings rasch feststellen, daß man ihm gegenüber gar keine unfreundlichen Gefühle hegen kann.

Und bei Ihnen, mein lieber Prilicla, möchte ich mich entschuldigen, daß ich Sie einfach zum Thema dieses improvisierten Vertrags gemacht habe, ohne Sie vorher um Erlaubnis gebeten zu haben.“

„Keine Ursache, mein Freund. Ich bin mir Ihrer Besorgnis bewußt, die letztendlich die Ursache für diesen Vortrag war, und danke Ihnen dafür. Aber von dieser Gruppe strahlt niemand unfreundliche Gefühle aus. Vielmehr setzt sich die emotionale Ausstrahlung der Anwesenden aus Erstaunen, Ungläubigkeit und starker Neugier zusammen, die ich mit dem größten Vergnügen stillen werde.“

„Aber Sie zittern immer noch.“, warf Conway leise ein, doch entgegen seinen sonstigen Gepflogenheiten überhörte der Cinrussker ihn einfach.

„… außerdem bin ich mir der Anwesenheit eines zweiten Empathen bewußt“, führ Prilicla fort, wobei er zwischen den Tischen entlangflog, bis er über dem falschen Duwetz mit dem zusätzlichen Auge schwebte. „Sie müssen die kürzlich eingetroffene polymorphe Lebensform von Fotawn sein. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit Ihnen, Freund Danalta. Das hier ist meine erste Begegnung mit der überaus begabten TOBS-Klassifikation.“

„Und meine erste mit einem GLNO, Doktor Prilicla“, antwortete Danalta, wobei seine Duwetz-Gestalt in sich zusammensackte und langsam über den Stuhl floß, was eine freudige Reaktion über eine derartige Äußerung von einem Chefarzt sein mußte. „Aber meine empathischen Fähigkeiten sind nicht annähernd so feinfühlig und gut ausgebildet wie Ihre. Bei meiner Spezies haben sie sich zusammen mit der Gabe der Metamorphose als eine Frühwarnung vor den Absichten in der Nähe befindlicher Raubtiere entwickelt. Im Gegensatz zu den Fähigkeiten Ihrer Spezies, die als wichtigstes Verständigungsmittel ohne Worte genutzt werden, habe ich meine unter willkürlicher Kontrolle, so daß ich die emotionale Ausstrahlung, die meine Rezeptoren erreicht, von der Stärke her nach Belieben verringern oder sogar ganz von mir abhalten kann, falls mich die Empfindungen in meiner näheren Umgebung zu sehr beunruhigen.“

Die Möglichkeit, Emotionen von sich abprallen zu lassen, hielt auch Prilicla für nützlich, und ohne Conway zu beachten, unterhielten sich die beiden Empathen über die Umweltbedingungen ihrer Heimatplaneten, über die freundliche Welt von Cinruss, auf der geringe Schwerkraft herrschte, und den durch und durch schrecklichen und feindseligen Planeten Fotawn, auf dem die TOBS lebten. Die übrigen Studenten, für die Cinruss und Fotawn nur wenig mehr als Namen waren, verfolgten das Gespräch mit großem Interesse und unterbrachen es nur hin und wieder durch Fragen.

Conway, der, wenn ihm keine andere Wahl blieb, genauso geduldig sein konnte wie jedes andere Wesen, konzentrierte sich lieber darauf, sein Gericht aufzuessen, bevor es durch den von Priliclas Flügeln erzeugten Wind zur Ungenießbarkeit abgekühlt war.

Daß die beiden Empathen gut miteinander auskamen, überraschte ihn keineswegs — das war ein Naturgesetz. Ein für Emotionen empfängliches Lebewesen, das durch eigene gedankenlose Handlungen beim Gesprächspartner Gefühle des Zorns oder des Kummers hervorrief, bekam nämlich dieselben Empfindungen seines Gegenübers in voller Stärke buchstäblich ins Gesicht zurückgeschlagen; deshalb lag es im eigenen Interesse eines Empathen, die Atmosphäre für alle Beteiligten so angenehm wie möglich zu gestalten. Offenbar sah es im Falle Danaltas insofern ein wenig anders aus, da dieser die auf ihn eindringende emotionale Strahlung nach Belieben von sich abhalten konnte.

Genausowenig war Conway über die Tatsache überrascht, daß der TOBS so gut über Cinruss und dessen empathischen Bewohner informiert war — seine weitreichenden Kenntnisse über alles und jeden hatte Danalta ja schon bewiesen. Was ihn allerdings überraschte, war, daß Prilicla offensichtlich eine Menge Kenntnisse über Fotawn besaß, die im gegenwärtigen Gespräch noch nicht angeschnitten worden waren, und allmählich gewann er den Eindruck, daß sich der GLNO dieses Wissen erst vor kurzem angeeignet hatte. Aber von wem?

Auf jeden Fall gehörten diese Kenntnisse nicht zum Allgemeinwissen im Orbit Hospital, dachte Conway, während er die Augen auf das Dessert gerichtet hielt und nur gelegentlich einen flüchtigen Blick nach oben warf, wo Prilicla immer noch unruhig schwebte. Die verschiedenen unappetitlichen und zum Teil übelriechenden Gerichte, die die Studenten eifrig zu sich nahmen, sah er aus Gewohnheit nicht an. Wären Neuigkeiten über den Planeten Fotawn und den anstehenden Besuch eines TOBS durchgesickert, hätten schon im Vorfeld der Ereignisse sämtliche Töpfe in der Gerüchteküche des Hospitals auf Hochtouren gekocht. Warum also hatte allein Prilicla diese Informationen erhalten?

„Ich brenne vor Neugier“, warf Conway in der nächsten Gesprächspause ein.

„Ich weiß.“ Für einen Augenblick verstärkte sich das Zittern von Priliclas Beinen. „Schließlich bin ich ein Empath, mein Freund.“

„Und ich fürchte, daß ich nach den vielen Jahren unserer Zusammenarbeit bereits ein gewisses Maß an Empathie für Sie entwickelt habe, mein kleiner Freund“, erwiderte Conway lächelnd. „Es gibt ein Problem.“

Das war eher eine Aussage als eine Frage, und Priliclas Schwebeflug wurde noch unruhiger, so daß er sich auf einer freien Stelle des Tisches niederlassen mußte. Bei seiner Antwort schien er die Worte mit großer Sorgfalt zu wählen, und Conway rief sich ins Gedächtnis zurück, daß der Empath keinesfalls vor Notlügen zurückscheute, wenn er dadurch in seiner Umgebung ein angenehmes emotionales Ausstrahlungsniveau aufrechterhalten konnte.

„Ich hatte eine längere Unterredung mit O'Mara, in deren Verlauf ich einige unangenehme Neuigkeiten erfahren habe“, erzählte Prilicla.

„Und die wären?“ Conway fand, er hätte längst einen akademischen Grad in extraterrestrischer Zahnheilkunde verdient, denn aus Prilicla Informationen herauszuholen war wie das Ziehen von Zähnen.

„Ich bin mir sicher, daß ich mich mit der Zeit darauf einstellen werde“, antwortete der Empath. „Machen Sie sich um mich keine Sorgen. Ich. ich bin befördert worden und bekleide jetzt eine Position mit viel größerer Verantwortung und Machtbefugnis. Bitte haben Sie Verständnis, mein Freund, aber ich habe diese Beförderung nur mit Widerwillen angenommen.“

„Meinen Glückwunsch!“ freute sich Conway für den Empathen. „Ihren Widerwillen hätten Sie sich dabei ruhig sparen können, und ein schlechtes Gefühl brauchen Sie auch nicht zu haben. O'Mara hätte Ihnen diese Aufgabe bestimmt nicht anvertraut, wenn er sich nicht absolut sicher gewesen wäre, daß Sie der Richtige dafür sind. Was genau sollen Sie denn tun?“

„Darüber würde ich mich lieber nicht hier und jetzt mit Ihnen unterhalten, mein Freund.“ Als sich Prilicla dazu gezwungen sah, etwas zu sagen, das für ihn offensichtlich ans Unangenehme grenzte, zitterte er wieder stärker. „Dies ist weder die Zeit noch der Ort zum Fachsimpeln.“

Conway verschluckte sich an seinem Kaffee. An diesem Ort bestanden die Gespräche normalerweise aus nichts anderem als Fachsimpelei, und das wußten sie beide. Was noch wichtiger war, die Anwesenheit der Neuankömmlinge hätte kein Hindernis sein sollen, da die Studenten bestimmt daran interessiert gewesen wären, ein Gespräch zwischen ranghöheren Personalmitgliedern über Themen zu verfolgen, die sie zwar momentan noch nicht gänzlich verstanden, die sie aber schon bald begreifen würden. Ein derartiges Verhalten hatte er bei Prilicla noch nie erlebt, und Conways immense Neugier brachte den Empathen noch stärker zum Zittern.

„Was hat O'Mara denn nun zu Ihnen gesagt?“ drängte Conway in bestimmtem Ton und fügte hinzu: „Und zwar den genauen Wortlaut, bitte.“ „Er hat gesagt, ich solle mehr Verantwortung übernehmen, lernen, Befehle zu erteilen, und ganz allgemein meinen Einfluß geltend machen. Mein Freund, es ist doch so: Meine Körpergröße ist unbedeutend, meine Muskeln sind praktisch gar nicht vorhanden, und ich glaube, die Gedankengänge des Chefpsychologen sind nur schwer zu ergründen. Aber jetzt muß ich mich entschuldigen. Ich habe auf der Rhabwar noch ein paar routinemäßige Sachen zu erledigen und hatte mir sowieso vorgenommen, auf jeden Fall auf dem Ambulanzschiff Mittag zu essen.“

Man mußte kein Empath sein, um zu wissen, daß sich Prilicla unbehaglich fühlte und keine weiteren Fragen beantworten wollte.

Wenige Minuten, nachdem sich Prilicla entfernt hatte, übergab Conway die Studenten den anderen Ausbildern, die bereits geduldig auf das Ende der Mahlzeit gewartet hatten, und danach standen ihm noch ein paar weitere Minuten zum Nachdenken zur Verfügung, bis sich ein kelgianisches Schwesterntrio an den Nachbartisch setzte und in Begleitung wilder Fellbewegungen zu zetern und zu keifen begann. Er schaltete den Translator aus, damit er nicht durch ihre rege Unterhaltung, eine höchst skandalöse Klatschgeschichte über ein anderes Mitglied ihrer Spezies, abgelenkt wurde.

Nur weil der Cinrussker über seine Beförderung informiert worden war, würde Prilicla nicht eine permanente emotionale Unruhe an den Tag legen. Große medizinische und chirurgische Verantwortung hatte er früher schon oft tragen müssen. Genausowenig dürfte es ihm etwas ausmachen, Befehle zu erteilen. Stimmt, er verfügte über keinen Einfluß, den er hätte geltend machen können, aber andererseits gab er seine Anweisungen immer auf solch höfliche und friedfertige Art, daß seine Untergebenen lieber gestorben wären, als ihn durch Gehorsamsverweigerung unglücklich zu machen. Und die Neuankömmlinge hatten keine unangenehmen Emotionen ausgestrahlt und Conway selbst auch nicht.

Aber angenommen, Prilicla hätte ihm Einzelheiten über die neue Aufgabe erzählt, und er, Conway, hätte sich daraufhin unwohl gefühlt. Das könnte eine Erklärung für das untypische Verhalten des Empathen sein, zumal Prilicla allein die Vorstellung, womöglich die Gefühle eines anderen Wesens zu verletzen, äußerst unangenehm wäre — insbesondere, wenn es sich bei dem Betreffenden um einen engen Freund wie Conway handelte. Und aus einem unerfindlichen Grund wollte oder konnte Prilicla vor den Neuankömmlingen — oder vielleicht auch nur vor einem der Neuankömmlinge — nicht über seine neue Stellung reden.

Womöglich war es gar nicht die neue Aufgabe, die Prilicla beunruhigte, sondern etwas, das er während der Unterredung mit O'Mara erfahren hatte, etwas, das Conway selbst betraf und das der Cinrussker nicht preisgeben durfte. Conway blickte auf die Uhr, stand schnell auf und entschuldigte sich bei den Schwestern.

Die Antwort darauf — und, wie er aus langjähriger Erfahrung wußte, höchstwahrscheinlich auch ein ganzes Bündel neuer Probleme — würde im Büro des Chefpsychologen zu finden sein.

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