Hossantir stieß einen Laut aus, der nicht übersetzt wurde, und seine Greiforgane, die die Instrumente mit den langen Griffen hielten, tasteten ungeheuer langsam in dem vollkommen vom Blut verdeckten Operationsfeld umher. Sein Assistent, dessen Bewegungen ebenfalls jede Eile vermissen ließen — was nur auf den subjektiven Eindruck der sich in Conways Kopf überschlagenden Gedanken zurückzuführen sein konnte —, führte eine Klammer ein, konnte jedoch nicht das blutende Gefäß finden. Dank der Übung, auf solche Notfälle schnell und sicher zu reagieren, bewegte sich Conway nicht langsam.
Er konnte sich überhaupt nicht bewegen.
Seine Hände, seine dummen fünfingrigen, terrestrischen und völlig fremdartigen Hände zitterten unkontrollierbar, während sich sein aus vielen Teilen bestehender Verstand verzweifelt zu entscheiden bemühte, was er mit ihnen anstellen sollte.
Daß Ärzten, die zu viele Bänder im Kopf gespeichert hatten, etwas Derartiges zustoßen konnte, wußte Conway, aber ihm war auch klar, daß es nicht zu oft geschehen durfte, wenn der betreffende Arzt hoffte, seinen Weg als Diagnostiker erfolgreich zu gehen. Krampfhaft versuchte er, die widerstreitenden Parteien in seinem Kopf zur Ordnung zu bringen, indem er sich an O'Mara erinnerte, der, was konfuses Denken betraf, absolut kein Mitgefühl besaß — vor allem erfuhr er aus der Erinnerung an den Chefpsychologen, was die Schulungsbänder bedeuteten und — noch wichtiger — was sie nicht bedeuteten.
Egal, welche subjektiven Eindrücke er hatte, die fremden Persönlichkeiten, die offenbar den Verstand mit ihm teilten, übernahmen nicht die Kontrolle darüber — sein terrestrisches Gehirn hatte lediglich eine große Menge extraterrestrischen Wissens erhalten, aus dem es schöpfen konnte. Doch es war äußerst schwierig, sich selbst davon zu überzeugen, da die Kenntnisse von anderen Spezies in seinem Kopf von Ärzten stammten, die ganz eigene Vorstellungen davon hatten, wie er auf diesen Notfall reagieren sollte.
Diese Vorstellungen waren äußerst gut, besonders die des melfanischen und des tralthanischen Bestandteils. Doch sie erforderten den Einsatz der Zangen der ELNTs beziehungsweise der primären Greiforgane der FGLIs, nicht terrestrischer Finger, und Conway wurde dazu gedrängt, zu viele Dinge auf einmal mit den falschen Organen zu tun.
Hossantirs melfanischer Assistent, dessen Kennkarte, wie alles in unmittelbarer Nähe des Operationsfelds, durch den blutigen Sprühnebel nicht zu erkennen war, rief in eindringlichem Ton: „Ich kann nichts mehr sehen. Mein Visier ist völlig.“
Schnell säuberte ihm eine der Schwestern den Helm vor den Augen, ohne Zeit mit dem Rest der durchsichtigen Kugel zu verschwenden. Aber während Conway hinsah, wurde das runde Etwas schon wieder von einem feinen, gelben Sprühnebel bedeckt. Und das war nicht das einzige Problem, denn die Lichtquellen der Instrumente tief im Operationsfeld waren genauso getrübt.
Der tralthanische Chefarzt war der Blutfontäne am nächsten gewesen, deshalb war nur der Vorderteil seines Kugelhelms betroffen. Eins seiner Augen schwenkte nach hinten, um Conway durch die immer noch durchsichtige hintere Hälfte zu betrachten.
„Wir benötigen Hilfe, Conway. Können Sie uns einen Vorschlag machen?“ setzte Hossantir an. Dann bemerkte er die zitternden Hände des Diagnostikers in spe und fragte: „Ist Ihnen nicht gut?“
Langsam ballte Conway die Fäuste — alles schien im langsamsten Zeitlupentempo abzulaufen — und antwortete: „Das ist nur vorübergehend.“
das hoffe ich jedenfalls, fügte er im stillen hinzu.
Aber die fremden Persönlichkeiten, die nicht wirklich da waren, verlangten immer noch lautstark um Aufmerksamkeit. Er versuchte, immer alle bis auf eine zur Zeit zu ignorieren, wobei ihm dunkel das Prinzip des divide et impera vorschwebte, doch das funktionierte auch nicht. Alle seine Gehirnpartner boten ihm medizinischen oder chirurgischen Rat an, alle besaßen unter den gegenwärtigen Umständen potentielles Gewicht, und alle verlangten eine sofortige Reaktion. Die einzigen vorhandenen Kenntnisse, die sich nicht in den Vordergrund drängten, waren die versehentlich von Khone bereitgestellten gogleskanischen Informationen, und die waren sowieso von geringem Wert. Doch aus irgendeinem Grund kehrten Conways Gedanken immer wieder gerade zu ihnen zurück und klammerten sich an diese erschreckte, aber willensstarke fremde Persönlichkeit, als wäre sie eine Art psychologischer Rettungsinsel.
Khones Ausstrahlung war überhaupt nicht wie die deutlichen, intensiven und künstlich verstärkten Eindrücke, die die Schulungsbänder hervorriefen. Er stellte fest, daß er sich auf die geistigen Eindrücke des kleinen Wesens konzentrierte, obwohl die merkwürdigen und optisch furchterregenden Kreaturen rings um das Operationsgestell drohten, es zu einer Panikreaktion zu verleiten. Aber zum gogleskanischen Wissen gehörten auch Kenntnisse über Conways Arbeit am Orbit Hospital, und die hatten Khone bis zu einem gewissen Grad auf genau solch ein Erlebnis wie dieses vorbereitet. Außerdem gehörte Khone zu einer Spezies von Individualisten, deren Denkvorgänge geschickt jede Berührung mit den Wesen in ihrer Nähe vermieden, beziehungsweise deren Einfluß überwanden.
Khone wußte besser als jedes andere Lebewesen, das Conway kannte, wie man andere ignorierte.
Ganz plötzlich zitterten seine Hände nicht mehr, und das Stimmengewirr der Aliens in seinem Kopf war zu einem leisen Murmeln geworden, das er nach Belieben überhören konnte. Er tippte dem melfanischen Assistenten Hossantirs hart auf den Panzer.
„Bitte treten Sie zurück, und lassen Sie die Instrumente an ihrem Platz“, sagte er. An den tralthanischen Chefarzt gewandt, fügte er hinzu: „Das Blut schlägt sich auf allem im Operationsfeld nieder, auch auf den Lupen und Lichtquellen der Instrumente und, wenn wir nahe herankommen, auf den Visieren. Wir müssen.“
„Die Absaugpumpe funktioniert nicht, Conway!“ fiel ihm Hossantir ins Wort. „Solange die Blutung nicht an der Austrittsstelle gestoppt wird, kann sie das auch gar nicht. Aber die Austrittsstelle können wir nicht sehen!“
„Benutzen Sie die Scanner in Verbindung mit Ihren Händen und Augen“, fuhr Conway in ruhigem Ton fort und umfaßte die kleinen, hohlkegelförmigen Griffe der melfanischen Klammer mit seinen terrestrischen Fingern.
Da das normale Sehvermögen wegen der unmittelbaren Nähe des Helms zum Sprühnebel aus der Wunde nutzlos war, hatte Conway die Absicht, Hossantir die beiden Scanner so angewinkelt halten zu lassen, daß sie aus zwei verschiedenen Blickwinkeln und so großer Entfernung wie möglich auf das Operationsfeld gerichtet waren. Das würde ein exaktes, räumliches Bild von den Vorgängen ergeben, die ihm der Chefarzt beschreiben könnte, und gleichzeitig wäre Hossantir in der Lage, die Bewegungen der Klammer zu dirigieren. Conway wollte blind operieren, aber nur so lange, bis er das blutende Gefäß gefunden und verschlossen hatte. Danach konnte die Operation auf normale Weise fortgesetzt werden. Hossantir standen ein paar äußerst unangenehme Minuten bevor, in denen zwei seiner vier Augen bis an den Rand des abgeflachten, ovalen Helms ausgestreckt werden mußten. Außerdem solle er sich vorübergehend von der Operation zurückziehen, erklärte ihm Conway in entschuldigendem Ton, um seine Scanner und den Helm nicht mit dem Sprühnebel in Berührung kommen zu lassen.
„Dadurch könnten meine Augen zwar anfangen, für immer zu schielen, aber das macht mir nichts“, stellte Hossantir fest.
Keins von Conways Alter egos konnte an der Vorstellung von einem großen elefantenartigen Tralthaner, der mit zweien seiner vier Augen schielte, irgend etwas Komisches entdecken. Zum Glück war ein unterdrücktes terrestrisches Lachen unübersetzbar.
Seine Hände und die Instrumente erweckten den Eindruck, schwer und unbeholfen zu sein, und zwar nicht nur, weil er melfanische Klammern benutzte. Das Schwerkraftneutralisierungsfeld um ihn herum erstreckte sich zwangsläufig nicht auf den Patienten, deshalb war alles im Operationsbereich viermal so schwer wie normal. Doch der Tralthaner benutzte die Scanner, um ihn durch Worte zu dem Blutgefäß zu leiten, von dem die massive Blutung ausgehen mußte, und angesichts des hohen Blutdrucks der hudlarischen Lebensform rechnete Conway damit, beim Abklemmen des Gefäßes Widerstand zu spüren.
Aber da war keiner, und die Blutung hielt mit unverminderter Stärke an.
Eines seiner Alter ego hatte während einer Transplantation bei einer vollkommen anderen Lebensform schon einmal etwas Ahnliches wie diese Situation erlebt, und zwar bei einem kleinen Nidianer, dessen Blutdruck nur einen Bruchteil von dem des Hudlarers betrug. In dem Fall hatte die Blutung ebenfalls aus einem feinen Sprühnebel und nicht aus dem für eine offene Arterie typischen pulsierenden Strahl bestanden, und das Problem war nicht auf eine schlechte Operationstechnik, sondern auf mechanisches Versagen zurückzuführen gewesen.
Zwar wußte Conway nicht genau, ob das auch hier das Problem war, doch da sich ein Teil seines vielfach zusammengesetzten Verstands sicher war, entschloß er sich, diesem Teil zu vertrauen.
„Schalten Sie das künstliche Herz aus“, sagte er in bestimmtem Ton. „Stoppen Sie die Blutzufuhr zu der betreffenden Stelle.“
„Den Blutverlust können wir zwar leicht ausgleichen“, wandte Hossantir besorgt ein, „aber die Blutzufuhr für mehr als ein paar Minuten zu stoppen könnte der Patientin das Leben kosten.“
„Schalten Sie es aus!“ sagte Conway.
Innerhalb weniger Sekunden war der leuchtend gelbe Sprühnebel erst schwächer geworden und schließlich ganz versiegt. Eine Schwester reinigte Conway das Visier, während Hossantir mit der Absaugpumpe das Operationsfeld säuberte. Sie brauchten keine Scanner, um zu sehen, was geschehen war.
„Techniker, schnell!“ rief Conway.
Bevor er das zweite Wort über die Lippen gebracht hatte, schwebte neben seinem Ellbogen schon ein kleiner, pelziger Nidianer, der in seinem durchsichtigen Operationsanzug wie ein als Geschenk verpackter Teddybär aussah.
„Das Rückschlagventil im Verbindungsschlauch hat sich in geschlossener Stellung verklemmt“, stellte der Nidianer in seiner abgehackten, bellenden Sprechweise fest. „Ich würde sagen, das wurde durch eins der chirurgischen Instrumente verursacht, das versehentlich gegen das Ventil gestoßen ist und die Einstellung verändert hat. Dadurch ist der Blutstrom aus dem künstlichen Herzen gestaut worden und hat sich durch die Aussparung der Reguliervorrichtung des Ventils einen Weg nach draußen gebahnt, daher der feine, mit hohem Druck ausgetretene Sprühnebel. Das Ventil selbst ist nicht beschädigt, und wenn Sie das Organ anheben würden, damit ich Platz habe, um das Ventil nachzustellen.“
„Ich würde das Herz lieber nicht bewegen“, entgegnete Conway. „Wir haben sehr wenig Zeit.“
„Ich bin kein Arzt“, sagte der Nidianer verärgert. „Diese Reparatur sollte eigentlich auf einer Werkbank durchgeführt werden oder zumindest in einem Raum, wo ich Platz für meine zugegebenermaßen kleinen Ellbogen habe. In enger Berührung mit lebendem Gewebe zu arbeiten ist. ist mir zuwider. Trotzdem sind meine Werkzeuge für solche Notfälle sterilisiert und bereit.“
„Ist Ihnen übel?“ erkundigte sich Conway besorgt, da er den kleinen Nidianer sich schon in den Helm erbrechen sah.
„Nein“, antwortete der Techniker, „ich bin nur verärgert.“
Conway zog die melfanischen Instrumente zurück, um dem Techniker mehr Platz zum Arbeiten zu verschaffen. Inzwischen hatte eine Schwester neben ihm am Gestell ein Tablett mit Instrumenten für terrestrische DBDGs befestigt, und mit der Zeit hatte sich Conway die Instrumente ausgesucht, die er brauchen würde, sobald der Nidianer die verklemmte Ventilklappe befreit hatte. Er bedankte sich gerade bei dem Techniker für die schnelle Reparatur, als ihn Hossantir unterbrach.
„Ich schalte jetzt wieder das künstliche Herz an“, sagte er.
„Nein, warten Sie“, entgegnete Conway scharf. Er hatte auf den Monitor geblickt und das Gefühl bekommen — ein sehr vages Gefühl, das nicht einmal stark genug war, um die Bezeichnung Ahnung zu verdienen —, daß jede weitere Verzögerung gefährlich wäre.
„Mir gefallen die Lebenszeichen nicht. Es ist nichts da, was nicht da sein sollte, obwohl die Blutzufuhr vom künstlichen Herzen unterbrochen war, zuerst durch das verklemmte Ventil im Verbindungsschlauch und später, als das Gerät für die Reparatur abgeschaltet worden ist. Mir ist bewußt, daß im Gehirn nicht rückgängig zu machende Veränderungen stattfinden werden, die zum Tod führen, wenn das künstliche Herz nicht innerhalb der nächsten Minuten eingeschaltet wird. Trotzdem habe ich das Gefühl, es wäre besser, das künstliche Herz nicht wiederanzuschalten, sondern statt dessen sofort das Spenderherz einzusetzen.“
Ihm war klar, daß Hossantir protestieren und lieber den sicheren Weg einschlagen wollte, erneut das künstliche Herz in Betrieb zu nehmen und zu warten, bis man sicher war, daß der Blutkreislauf des Patienten wieder optimal funktionierte, um dann wie ursprünglich geplant fortzufahren. Normalerweise hätte Conway nichts dagegen einzuwenden gehabt, da er es selbst ebenfalls vorzog, keine unnötigen Risiken einzugehen. Doch in seinem Hinterkopf — oder in einem seiner Hinterköpfe — nörgelte irgend jemand herum, und dabei ging es um die Auswirkungen von langwierigen seelischen Schocks auf gewisse schwangere, unter hoher Schwerkraft lebende Wesen, und dieser Eindruck war so nachhaltig, daß er ihm gehorchen mußte. Beim Sprechen hatte Conway seine Instrumente in die Hand genommen, um Hossantir auch ohne Worte — damit er die Gefühle des Chefarzts nicht allzusehr verletzte — zu verstehen zu geben, daß er nicht vorhatte, über diese Frage zu diskutieren.
„… würden Sie bitte die Verbindung zum Absorptionsorgan herstellen und dabei den Monitor im Auge behalten?“ bat er abschließend den Chefarzt.
Conway teilte sich das Operationsfeld mit dem Tralthaner und arbeitete in dem beschränkten Raum schnell und sorgfältig. Er klemmte die Arterie an der Verbindung mit dem künstlichen Herzen ab, machte sie los und verband sie mit dem kurzen Arterienstück, das aus dem Spenderorgan ragte. Anders als in den ersten schrecklichen Sekunden der vorherigen Blutung schien die Zeit jetzt viel schneller zu verstreichen. Conways Hände und die Instrumente befanden sich ein gutes Stück außerhalb des Neutralisatorenfelds unter vierfacher Erdanziehungskraft und schienen deshalb ungeheuer langsam und unbeholfen zu sein. Mehrmals stießen seine Instrumente laut klirrend mit Hossantirs zusammen. Mit dem Chirurgen, der aus Versehen gegen das Verbindungsschlauchventil gekommen war und die Einstellung verändert hatte, konnte er mitfühlen, wer immer es gewesen war. Er mußte sich scharf konzentrieren, um die Instrumente davon abzuhalten, ein Eigenleben zu entwickeln.
Hossantirs Arbeit beobachtete er nicht, denn der Tralthaner beherrschte sein Fach, und für chirurgische Beobachtungen war keine Zeit.
Er legte Stütznähte an, um die Arterie an beiden Seiten des Verbindungsstücks zu fixieren, das sowohl die Enden der Ader beim Wiedereinsetzen des Blutkreislaufs fest an ihrem Platz halten als auch das körpereigene und neu eingepflanzte Gewebe trennen sollte, um postoperative Abstoßungsprobleme zu vermindern. Zuweilen wunderte sich Conway, weshalb ein hochentwickelter und komplizierter Organismus immunologisch gesehen sein eigener schlimmster Feind sein sollte. Als nächstes stellte er die Verbindung zu dem Gefäß her, das einen der Hauptherzmuskel mit Nährstoffen aus dem Absorptionsorgan versorgte.
Hossantir war inzwischen mit dem Anschluß des zweiten Absorptionsorgans fertig und hatte sich dem kleineren Gefäß zugewandt, das die eine Hälfte der Gebärmutter versorgte, wenn der Hudlarer gerade dem weiblichen Geschlecht angehörte — das zweite, unbeschädigte Herz hatte seit Operationsbeginn die doppelte Arbeit geleistet. Die Zeit wurde ihnen knapp, wenn auch bisher noch nicht in gefährlichem Maße, als der Tralthaner mit einem freien Tentakel auf den Monitor deutete.
„Herzrhythmusstörungen“, sagte Hossantir. „Alle fünf, nein, alle vier Schläge ein normaler. Der Blutdruck sinkt. Den Anzeichen nach wird das Herz zu flattern anfangen und sehr schnell zum Stillstand kommen. Der Defbrillator ist bereit.“
Conway warf einen raschen Blick auf den Bildschirm, auf dem die unregelmäßige Herzfrequenz alle vier Schläge einmal in den normalen Rhythmus verfiel. Aus Erfahrung wußte er, wie schnell das in ein schnelles, unkontrollierbares Flattern ausarten und durch den sich daraus ergebenden Verlust der Pumpleistung zum Herzversagen führen konnte. Zwar würde der Defibrillator das Herz mit seinen Stromstößen ganz sicher wieder zum Arbeiten bringen, konnte aber nicht eingesetzt werden, solange noch die Operation am Spenderherz durchgeführt wurde. Conway setzte seine Arbeit in verzweifeltem Tempo, aber dennoch sorgfältig fort. Seine Konzentration war so groß, daß alle Gehirnpartner wieder miteinbezogen wurden, ihre Sachkenntnis beisteuerten und gleichzeitig ihre Verärgerung kundtaten, weil zwei terrestrische Hände die Arbeit vollbrachten und nicht die verschiedenartigen Greiforgane, Zangen und Finger der Alter egos. Als Conway schließlich aufsah, stellte er fest, daß Hossantir und er die Herstellung der Verbindungen zur gleichen Zeit abgeschlossen hatten. Doch ein paar Sekunden später fing das andere Herz zu flattern an und kam kurz darauf zum Stillstand. Nun wurde die Zeit wirklich knapp.
Sie lockerten die Klammern an der Hauptschlagader und den untergeordneten Blutgefäßen, beobachteten, wie sich das schlaffe Spenderherz langsam aufblähte, während es sich mit dem Blut von FROB dreiundvierzig füllte, und überprüften es mit den Scannern auf die Bildung einer möglichen Luftembolie. Da keine vorhanden waren, setzte Conway die vier kleinen Elektroden an die entsprechenden Stellen, um die Anregung des Spenderherzens vorzubereiten. Anders als die für das andere Herz benötigte Stromspannung des Defibrillators, die mehr als fünfundzwanzig Zentimeter zähe Hudlarerhaut und darunterliegendes Gewebe durchdringen mußte, würden die Elektroden direkt auf die Oberflächenmuskulatur des Spenderherzens wirken und deshalb nur mit relativ schwacher Spannung arbeiten.
Der Defibrillator erzielte keinen Erfolg. Für ein paar Augenblicke flatterten beide Herzen unregelmäßig und blieben dann stehen.
„Noch mal!“ rief Conway.
„Das Herz des Embryos ist zum Stillstand gekommen“, meldete Hossantir plötzlich.
„Das hatte ich erwartet“, entgegnete Conway, der zwar nicht allwissend klingen wollte, aber auch keine Zeit für Erklärungen hatte.
Jetzt wußte er, warum er die Verbindungen zum Spenderherzen nach dem Notfall mit der Pumpe so schnell hatte herstellen wollen. Es war keine Ahnung gewesen, sondern eine Erinnerung aus der Vergangenheit, als er Assistenzarzt gewesen war, und diese Erinnerung stammte von ihm selbst.
Es war während des ersten Vertrags über FROBs geschehen, den er besucht hatte und der vom leitenden Diagnostiker der Pathologie, Thornnastor, gehalten worden war. Conway hatte die Bemerkung gemacht, daß sich die hudlarische Spezies glücklich preisen könne, weil sie über ein Ersatzherz verfügte, falls eins versagen sollte. Das hatte er als Witz gemeint, aber Thornnastor war — figürlich gesprochen — mit allen sechs Beinen über ihn hergefallen, weil Conway eine derartige Bemerkung von sich gegeben hatte, ohne vorher die Physiologie der Hudlarer in allen Einzelheiten studiert zu haben. Danach hatte der Pathologe die Nachteile beschrieben, die zwei Herzen mit sich brachten, besonders, wenn es sich bei dem Betreffenden um eine schwangere, gerade dem weiblichen Geschlecht angehörende Hudlarerin handelte, und Conway über das Nervengeflecht ins Bild gesetzt, das die unwillkürliche Muskulatur steuerte und das empfindliche Gleichgewicht zwischen den Impulsen zu vier Herzen, den beiden der Mutter und den beiden des Embryos, aufrechterhielt. Gerade in einem solchen Stadium konnte das Versagen eines Herzens ganz schnell zum Stillstand der übrigen drei führen.
„Und noch mal!“ rief Conway beunruhigt. Damals war der Zwischenfall beim Vortrag nicht der Erinnerung wert gewesen, weil man eine allumfassende Chirurgie bei FROBs in jenen Tagen für unmöglich gehalten hatte. Er fragte sich bereits, ob die Hudlarerin jetzt keine Überlebenschancen mehr hatte, als plötzlich beide Herzen zuckten, noch einmal zögerten, und dann kräftig und gleichmäßig zu schlagen begannen.
„Die Herzen des Fötus arbeiten auch wieder!“ jubelte Hossantir und fügte wenige Sekunden später hinzu: „Pulsschlag optimal.“
Die auf dem Sensorendisplay angezeigten Gehirnströme waren für eine tief bewußtlose Hudlarerin normal und ließen erkennen, daß es durch das mehrminütige Aussetzen des Blutkreislaufs zu keinen Gehirnschäden gekommen war. Allmählich entspannte sich Conway. Seltsamerweise wurden jedoch jetzt, nachdem der Notfall vorbei war, seine übrigen Gehirnpartner unangenehm aufdringlich. Es war, als ob sie ebenfalls erleichtert wären und mit viel zuviel Begeisterung auf die Umstände reagierten. Verärgert schüttelte Conway den Kopf und hielt sich noch einmal vor Augen, daß es sich bloß um Gedächtnisaufzeichnungen handelte, um simple, gespeicherte Massen an Informationen und Erfahrungen, die seinem Gehirn zur Verfügung standen, um benutzt oder ignoriert zu werden, ganz so, wie er es für angebracht hielt. Doch dann kam ihm der unbehagliche Gedanke, daß auch sein eigener Verstand aus nichts weiter als einer Ansammlung von Kenntnissen, Eindrücken und Erfahrungen bestand, und was machte dieses im Gehirn gespeicherte Wissen soviel wichtiger und bedeutender als das der anderen?
Diesen plötzlich erschreckenden Gedanken versuchte er zu verdrängen, indem er sich daran erinnerte, daß er immer noch lebte und in der Lage war, neue Eindrücke zu empfangen und durch sie ständig seine gesamte Erfahrung zu verändern, während das Material auf dem Band bei der Aufnahme in seinem damaligen Zustand eingefroren worden war. Auf jeden Fall waren die Urheber schon lange tot oder weit vom Orbit Hospital entfernt. Trotzdem hatte Conway das beklemmende Gefühl, als zweifelte sein Verstand allmählich die eigene Autorität an, und auf einmal fürchtete er um seine geistige Gesundheit.
Wenn O'Mara gewußt hätte, daß Conway derartigen Gedanken nachhing, wäre er fuchsteufelswild geworden. Nach Ansicht des Chefpsychologen war ein Arzt sowohl physisch als auch psychisch für seine Arbeit und die Mittel verantwortlich, die ihm das Verrichten dieser Arbeit ermöglichten. Konnte der Arzt seine Aufgabe nicht zur vollen Zufriedenheit erfüllen, dann sollte sich der Betreffende eine Beschäftigung suchen, die weniger hohe Anforderungen stellte.
Beschäftigungen, die höhere Anforderungen als die eines Diagnostikers stellten, gab es kaum.
Conways Hände fühlten sich schon wieder irgendwie falsch an, und die fetten, rosa und seltsam unbeholfenen Finger zitterten. Er räumte die DBDG-Instrumente beiseite, wandte sich an Hossantirs melfanischen Assistenten, dessen Kennkarte immer noch blutverschmiert und nur zum Teil zu lesen war, und fragte: „Möchten Sie weitermachen, Doktor?“
„Sehr gerne sogar, Sir“, antwortete der ELNT. Offenbar hatte er wegen Conways Einschreiten die Befürchtung gehabt, der Diagnostiker auf Probe habe ihn für nicht imstande gehalten, seine Aufgabe zu erfüllen.
Dabei ist es im Moment eher genau umgekehrt, dachte Conway grimmig.
„Niemand erwartet von Ihnen, alles selbst zu machen, Conway“, stellte Hossantir in ernstem Ton fest.
Dem Tralthaner war ganz offensichtlich bewußt, daß mit Conway irgend etwas nicht stimmte — Hossantirs Augen entging nichts, selbst wenn alle vier in verschiedene Richtungen blickten. Ein paar Minuten sah Conway noch zu, bis das Team zusammengerückt war, dann verließ er FROB dreiundvierzig, um die Fortschritte bei den anderen beiden Patienten zu überprüfen.
FROB zehn war das Absorptionsorgan bereits erfolgreich eingepflanzt worden, und Edanelt und sein Team befaßten sich jetzt mit den an den neuen Gliedmaßen erforderlichen mikrochirurgischen Eingriffen. Der Patient befand sich jedenfalls außer Gefahr, da das frisch eingepflanzte Organ durch das Auftragen des Nahrungspräparats getestet worden war und die Sensoren anzeigten, daß es zufriedenstellend arbeitete. Während er dem Team zu seiner Arbeit gratulierte, starrte Conway auf die schweren Klammern, die die Ränder der Wunde zusammenhielten — sie waren so eng zusammengepreßt, daß die Wunde wie ein riesiger Reißverschluß aussah. Doch um die harte, dicke und unglaublich widerstandsfähige Haut eines FROBs fest zusammenzuhalten, war dieses Vorgehen absolut erforderlich, und die Klammern wiesen eine instabile Molekularstruktur auf, damit man sie nach Abschluß des Heilungsprozesses zum Abnehmen elastisch machen konnte.
Doch eine fast unsichtbare Narbe dürfte wohl das geringste Problem des Patienten sein, beteuerte der hudlarische Teil in seinem Gehirn.
Auf einmal überfiel ihn das Gefühl, vor dieser ganzen großen Chirurgie und den damit verbundenen postoperativen Problemen am liebsten weglaufen zu müssen, als noch eine Untersuchung am dritten hudlarischen Patienten vorzunehmen.
Yarrence hatte seine Bemühungen auf die Schädelverletzungen konzentriert und die Bauchwunde von FROB drei den Ärzten überlassen, die durch den Tod von FROB achtzehn frei geworden waren, während die übrigen Mitglieder beider Teams mit der Amputation und dem Annähen der Gliedmaßen beschäftigt waren. Schon nach wenigen Minuten stand fest, daß sie zwar eine äußerst komplizierte, aber glatt ablaufende Operation durchführten.
Den rings ums Gestell geführten Gesprächen entnahm Conway, daß es sich zudem um eine noch nie dagewesene Operation handelte. Die fehlenden Vorderglieder durch zwei der hinteren zu ersetzen, hatte Conway für die naheliegendste Lösung des Problems von FROB drei gehalten. Obwohl sie sich nicht so präzise bewegen ließen wie die ursprünglichen Glieder, sollten sie in jeder Hinsicht wesentlich befriedigender sein als Prothesen, und außerdem dürfte es keine Abstoßungsprobleme geben. In den alten medizinischen Lehrbüchern hatte er von terrestrischen Armamputierten gelesen, die gelernt hatten, mit den Füßen zu zeichnen, zu schreiben und sogar zu essen, und hudlarische Beine waren sehr viel anpassungsfähiger als die von terrestrischen DBDGs. Doch von der Bewunderung, die diese einfache Lösung beim Team hervorgerufen hatte, war Conway peinlich berührt, denn unter den gegenwärtigen Umständen hätte jeder darauf kommen können.
Was noch nie dagewesen war, waren die Umstände: die Katastrophe im Meneldensystem, die sowohl die Ursache für schwerverletzte Hudlarer gewesen war, an denen Transplantationen vorgenommen werden mußten, als auch für prompt verfügbare Spenderorgane. Die Möglichkeit, daß einer der Transplantationsfälle mit der Zugabe von einem Paar Vordergliedern auf seinen Heimatplaneten zurückkehren konnte, die beinahe so gut waren wie die ursprünglichen, war ein Gedanke, der jedem moralischen Feigling wie ihm hätte kommen können, der sich vor den postoperativen Gesprächen mit Patienten fürchtete, deren Transplantate nicht von ihnen selbst, sondern von normalen Spendern stammten.
In Gedanken notierte sich Conway, FROB drei von FROB zehn und dreiundvierzig zu trennen, bevor sie das Bewußtsein wiedererlangten und sich miteinander unterhalten konnten. Die Atmosphäre zwischen FROB zehn und seinen beiden weniger glücklichen Kollegen dürfte sich, gelinde gesagt, als angespannt herausstellen und ihre Genesung sich schon schwierig genug gestalten, ohne daß zwei der drei vor Neid platzen würden.
Das Erwägen der Probleme der FROBs hatte wieder den hudlarischen Teil von Conways Verstand in den Vordergrund gerückt, und es war schwierig, bei dem Gedanken an die Lebensweise des Patienten nach der Operation nicht mitzufühlen und mitzuleiden. Er versuchte, die Meinung der tralthanischen, melfanischen und kelgianischen Teile einzuholen, die als Ärzte einer anderen Spezies den Sachverhalt etwas nüchterner hätten betrachten müssen. Doch auch sie hatten allzuviel Mitleid und reagierten schmerzlich berührt. Verzweifelt rief er das Gedächtnis von Khone, der Gogleskanerin, wach, die sich ihren gesunden Verstand und ihre Intelligenz erhielt, indem sie sich von jedem engen Kontakt mit ihren Gefährten abschottete.
Das gogleskanische Gedächtnis hatte überhaupt keine Ähnlichkeit mit denen vom normalen Schulungsband. Es war plastischer, direkter, als würde tatsächlich ein anderes Wesen das Gehirn mit einem teilen, mit welchem Widerwillen auch immer. Bei diesem hohen Maß an Verständnis, das zwischen Conway und Khone herrschte, fragte er sich, was es für ein Gefühl wäre, die Gogleskanerin wiederzusehen und mit ihr zu sprechen.
Im Hospital war diese Begegnung so gut wie ausgeschlossen, da war sich Conway sicher, denn die Eindrücke des Aufenthalts am Orbit Hospital würden Khone wahrscheinlich in den Wahnsinn treiben, und O'Mara gäbe sowieso nie seine Erlaubnis dazu. Einer der strengsten Grundsätze des Chefpsychologen lautete, daß sich Urheber und Träger eines Bands nie begegnen dürften, und zwar aufgrund des in seiner Stärke unberechenbaren psychologischen Traumas, das sich einstellen könnte, wenn zwei Lebewesen von vollkommen verschiedenen Spezies, aber mit identischen Persönlichkeiten, Gedanken auszutauschen versuchten.
Im Licht dessen, was Conway auf Goglesk widerfahren war, mußte O'Mara diesen Grundsatz vielleicht abändern.
Und jetzt verlangten auch die Probleme der Gogleskaner nach Conways Aufmerksamkeit, genau wie seine tralthanischen, kelgianischen, melfanischen und illensanischen Gehirnpartner. Er zog sich bis zu einer Stelle zurück, von der aus er in der Lage war, die Tätigkeiten rings um alle drei Operationsgestelle zu verfolgen, ohne daß die Mitglieder der Teams seine inneren Qualen sehen konnten. Doch das Stimmengewirr der Aliens in seinem Kopf war so schlimm, daß er kaum sprechen konnte, und nur mit großer Mühe war es ihm möglich, sich zu irgendeinem Gesichtspunkt der Arbeit kritisch zu äußern oder einem der Ärzte ein lobendes Wort zu sagen. Auf einmal wollte er nur noch raus und vor seinen vielen Ichs, die allesamt zu hohe Anforderungen an ihn stellten, einfach fliehen.
Mit gewaltiger Anstrengung führte er seine fremdartigen Finger zur Sendetaste für die Kommunikation auf sämtlichen Kanälen und sagte vorsichtig: „Sie sind alle viel zu gut, und für mich gibt es hier nichts zu tun. Falls Schwierigkeiten auftauchen sollten, rufen Sie mich auf der Rot-drei-Frequenz. Auf der Methanebene wartet eine Angelegenheit auf mich, um die ich mich sofort kümmern muß.“
Als er den OP verließ, bog Hossantir einen Augenstiel in seine Richtung und sagte mit ernster Stimme: „Immer ruhig Blut, Conway!“