„Sie haben großes Glück gehabt“, versicherte Conway seiner Patientin, „wirklich sehr großes Glück, daß weder Ihr Kind noch Sie selbst bleibende Schäden davongetragen haben.“
Medizinisch gesehen war das ganz richtig, sagte er sich. Aber der Hudlarer in seinem Kopf dachte da ganz anders, genauso wie die Mitarbeiter der Genesungsstation, die sich auf diskrete Entfernung zurückgezogen hatten, um es der Patientin und ihrem Arzt zu ermöglichen, ein vertrauliches Gespräch zu führen.
„Nachdem ich Ihnen das gesagt habe“, fuhr Conway fort, „muß ich Ihnen leider mitteilen, daß Sie persönlich den langwierigen und emotional womöglich schmerzlichen Auswirkungen Ihrer Verletzungen nicht entkommen sind.“
Er wußte, daß er nicht besonders feinfühlig an das Problem heranging, aber in vielerlei Hinsicht waren die FROBs genauso offen und direkt wie die Kelgianer, wenn auch wesentlich höflicher.
„Das kommt daher, weil wir eine Herztransplantation vornehmen mußten, um Sie beide am Leben zu erhalten“, erklärte er, indem er in der Hoffnung an die Mutterinstinkte der Patientin appellierte, die gute Nachricht über den jungen Hudlarer würde das Gefühl des Unglücks, das sich jeden Moment bei der FROB einstellen dürfte, in gewissem Maße verringern. „Ihr Nachkomme wird ohne Komplikationen geboren werden, gesund sein und ein ganz normales Leben auf seinem Heimatplaneten oder woanders führen können. Sie werden dazu leider nicht mehr in der Lage sein.“
Mit vibrierender Sprechmembran stellte die Hudlarerin die erwartete Frage.
Bevor er antwortete, dachte Conway einen Moment lang nach, weil er keine zu elementare Erklärung geben wollte. Die Hudlarerin war eine Bergbauspezialistin und hochintelligent; ansonsten hätten sie und ihr Lebensgefährte nicht auf den Asteroiden des Meneldensystems gearbeitet.
Folglich erklärte er FROB dreiundvierzig, daß junge Hudlarer zwar hin und wieder schwer erkranken und einige sogar sterben könnten, erwachsene hingegen niemals etwas hätten und bis zum Eintritt der Altersschwäche keinerlei körperliche Schäden nähmen. Das lag daran, daß sie eine Immunität gegen die Krankheitserreger ihres Heimatplaneten entwickelten, die so lückenlos und perfekt war, wie es bei einem rein biochemischen System überhaupt möglich war, und damit konnte sich keine andere der Medizin der Föderation bekannte Spezies messen. Das Immunsystem der FROBs war so beschaffen, daß es keiner, wie auch immer beschaffenen fremden biologischen Substanz gestattete, sich mit dem Körper eines Hudlarers zu verbinden, ohne sofort mit der Abwehrreaktion zu beginnen. Zum Glück ließ sich das übergründliche Immunsystem, wenn nötig, neutralisieren, und dazu bestand unter anderem dann Veranlassung, wenn lebenswichtige Organe oder Glieder von einem Spender eingepflanzt beziehungsweise angenäht werden mußten.
Conway hatte versucht, den Sachverhalt so einfach und genau wie möglich zu erklären, doch es war offensichtlich, daß FROB dreiundvierzig mit den Gedanken ganz woanders war.
„Was ist mit meinem Lebensgefährten?“ erkundigte sie sich ängstlich, als ob Conway nie etwas gesagt hätte.
Vorübergehend nahm vor Conways geistigem Auge ein Bild des übel zugerichteten Körpers von FROB achtzehn Gestalt an, das zwischen ihm und der Patientin zu schweben schien. Sein eigenes medizinisches Wissen und das seines hudlarischen Gehirnpartners führten dazu, daß ihm der Fall plötzlich sehr naheging. Schließlich räusperte er sich verlegen und entgegnete: „Es tut mir außerordentlich leid, aber Ihr Lebensgefährte war so schwer verletzt, daß wir ihn nicht am Leben erhalten, geschweige denn operativ heilen konnten.“
„Er hat uns mit seinem Körper zu schützen versucht. Wußten Sie das?“ seufzte die Hudlarerin.
Conway nickte mitfühlend und begriff dann, daß einem FROB die geringfügige Bewegung eines terrestrischen Kopfs nichts sagte. Die nächsten Worte wählte er sorgfältig, denn er war sich sicher, daß FROB dreiundvierzig auf eine emotionale Behandlung des Themas äußerst empfindlich reagieren könnte — schließlich war sie durch den erst kürzlich erfolgten umfangreichen operativen Eingriff stark geschwächt, stand kurz vor der Geburt ihres Nachkommen und der darauffolgenden Zugehörigkeit zum männlichen Geschlecht. Nach Ansicht seines hudlarischen Alter ego könnte das schlimmstenfalls zu vorübergehenden psychischen Qualen führen, während seine eigene Erfahrung mit fremden Lebensformen in ähnlichen Situationen darauf hindeutete, daß er vielleicht etwas Gutes tat. Doch für die Patientin waren die Umstände einzigartig, so daß sich Conway über gar nichts sicher sein konnte.
Über eins war er sich allerdings ganz sicher. Irgendwie mußte er die Patientin davon abhalten, in zu starke Selbstbetrachtung über die eigene Lage zu versinken, damit sie mehr an ihr ungeborenes Kind dachte als an sich selbst, wenn sie mit den wirklich schlechten Nachrichten konfrontiert wurde. Aber bei dem Gedanken, die Empfindungen der FROB in dieser Weise zu beeinflussen, kam er sich im wahrsten Sinne des Wortes wie eine äußerst niedrige Lebensform vor, irgendwo auf der Stufe einer terrestrischen Laus.
Er fragte sich, warum er nicht daran gedacht hatte, vor dem weiteren Vorgehen den Fall mit O'Mara zu besprechen — ernst genug, um den Chefpsychologen zu Rate zu ziehen, konnte die Sache allemal werden. Wenn er die Situation jetzt vermasselte, wäre er möglicherweise trotzdem noch gezwungen, sich an O'Mara zu wenden.
„Wir wissen alle, daß Ihr Lebensgefährte versucht hat, Sie zu schützen“, sagte er schließlich. „Unter Spezies von höherer Intelligenz ist diese Form des Verhaltens verbreitet, insbesondere, wenn sich das betreffende Wesen opfert, um das Leben des Partners oder eines Kinds zu retten. In diesem Fall konnte Ihr Lebensgefährte beides retten und hat überdies dazu beigetragen, zwei schwerverwundeten Unfallopfern — eins davon sind Sie — das Leben und die uneingeschränkte Bewegungsfähigkeit zu erhalten, die andernfalls trotz seines früheren Opfers gestorben wären.“
Diesmal hört die Patientin genau zu, ermahnte er sich in Gedanken.
„Ihr Lebensgefährte hat die unverletzten Gliedmaßen und eins seiner Absorptionsorgane dem Patienten gespendet, den Sie am anderen Ende der Station sehen können“, fuhr Conway fort. „Dieser Patient wird, genau wie Sie, bis auf einige lästige Einschränkungen, was die Umweltbedingungen und Unternehmungen innerhalb einer Gruppe von Mitgliedern der eigenen Spezies betrifft, in einem fast makellosen körperlichen Gesundheitszustand weiterleben können. Und Ihr Lebensgefährte hat Sie und Ihr Kind nicht nur während des Unfalls geschützt, sondern Ihnen beiden auch später das Überleben ermöglicht, indem er Ihnen eins der Herzen, das jetzt in Ihrem Körper schlägt, gespendet hat.
Auch wenn Ihnen nur die Erinnerung an ihn geblieben ist“, fügte Conway voller Mitgefühl hinzu, „würde die Behauptung, daß er gestorben ist, zumindest nicht ganz der Wahrheit entsprechen.“
Aufmerksam betrachtete er FROB dreiundvierzig, um zu sehen, wie sie seinen unverfrorenen emotionalen Angriff aufnahm, doch die Haut auf dem Körper war zu hart und glatt, als daß sie irgendwelche Hinweise auf die wirklichen Gefühle der Hudlarerin hätte geben können.
„Ich habe mir größte Mühe gegeben, Sie am Leben zu erhalten“, fuhr er fort, „und deshalb, glaube ich, sind Sie es dem Andenken Ihres Lebensgefährten schuldig, sich weiterhin nach besten Kräften anzustrengen, am Leben zu bleiben, obwohl Momente kommen werden, in denen Ihnen das nicht leichtfallen wird.“
Und nun zu den schlechten Nachrichten, dachte Conway.
Behutsam fuhr er damit fort, die Folgen der Ausschaltung des Immunsystems der FROB zu beschreiben: die keimfreie Umgebung, die die Patientin von nun an brauchte, die speziell zubereitete und behandelte Nahrung und die auf der Pflege- und Isolierstation erforderlichen Schutzmaßnahmen gegen das mögliche Eindringen eines FROB-Infektionskeims in den seiner Abwehrkräfte vollkommen beraubten Körper. Sogar das Kind müsse man der Mutter direkt nach der Geburt wegnehmen. Sie dürfe es nur sehen, da das Kind in jeder Hinsicht normal sein werde und deshalb für die Patientin, die sämtlichen Krankheiten schutzlos ausgeliefert sei, ein Gesundheitsrisiko darstelle.
Wie Conway wußte, würde das Kind auf Hudlar aufgezogen und gut versorgt werden — sowohl die Familien- als auch die Gesellschaftsstrukturen der FROBs waren höchst komplex und flexibel, und von Waisen hatte man überhaupt keinen Begriff. Dem Kind würde es an nichts fehlen.
„Falls Sie auf Ihren Heimatplaneten zurückkehren sollten“, sagte Conway in festerem Ton, „wären dieselben Schutzmaßnahmen erforderlich, um Sie am Leben zu erhalten, allerdings würden Ihre Freunde zu Hause nicht über die Ausrüstung und Erfahrung des Orbit Hospitals verfügen. Sie wären an die eigene Wohnung gefesselt, dürften keinen Körperkontakt mit einem anderen Hudlarer haben, und auch das normale Maß an körperlicher Betätigung und Arbeit wäre Ihnen verboten. Darüber hinaus müßten Sie mit der ständigen Sorge leben, Ihre Schutzhülle könnte einreißen oder das Nahrungspräparat infiziert sein, was Ihren Tod zur Folge hätte, da Sie über keine natürlichen Abwehrkräfte gegen Krankheiten verfügen.“
Da die auf dem Planeten Hudlar lebenden FROBs in medizinischer Hinsicht noch lange nicht so fortgeschritten waren, um derart komplizierte Schutzmaßnahmen aufrechtzuerhalten, wäre der Tod von FROB dreiundvierzig unausweichlich.
Während seiner Erklärungen hatte ihn die Patientin kein einziges Mal aus dem Auge gelassen. Plötzlich begann ihre Sprechmembran zu vibrieren.
„Unter den von Ihnen beschriebenen Umständen würde ich mir wahrscheinlich keine großen Sorgen ums Sterben machen“, sagte sie schließlich.
Zuerst wollte Conway FROB dreiundvierzig an all die Mühen und Arbeit erinnern, die man in die Erhaltung ihres Lebens gesteckt hatte, um damit anzudeuten, daß sie nach seinem Dafürhalten zuwenig Dankbarkeit zeigte. Doch sein hudlarischer Gehirnpartner verglich den normalen Lebensstil der FROB mit dem, den ihr Conway bot. Vom Standpunkt der Patientin hatte er ihr keinen Gefallen getan, höchstens den, daß er das Leben ihres zukünftigen Kinds gerettet hatte. Conway seufzte.
„Es gibt eine Alternative“, sagte er und versuchte dabei, wenigstens etwas Begeisterung in seiner Stimme durchklingen zu lassen. „Es gibt für Sie eine Möglichkeit, ein aktives Arbeitsleben ohne Einschränkung der Bewegungsfreiheit zu führen. Sie könnten im Grunde durch die ganze Föderation fliegen, wieder beim Asteroidenbergbau arbeiten oder alle Berufe ausüben, auf die Sie sonst Lust hätten, solange Sie keinen Fuß auf Hudlar setzen.“
Die Membran der Patientin vibrierte kurz, aber der Translator blieb stumm; wahrscheinlich handelte es sich um einen Laut, der Überraschung ausdrücken sollte.
In den nächsten Minuten mußte Conway der Patientin die grundlegenden Lehrsätze der sich mit allen Spezies befassenden Medizin erläutern und sie darüber aufklären, daß Krankheiten und Infektionen nur zwischen Mitgliedern einer Spezies mit einer gemeinsamen Evolutionsgeschichte und denselben Umweltbedingungen übertragbar waren. Bei einem Terrestrier, der die ansteckendsten und bösartigsten terrestrischen Krankheiten hatte, waren beispielsweise ein Ianer oder ein Melfaner ganz sicher aufgehoben, weil die Erreger im Gewebe jeder anderen außerplanetarischen Spezies unwirksam waren — praktisch ignorierten sich Erreger und Gewebe gegenseitig völlig. Aus diesem Grund konnte sich ein Lebewesen eine Krankheit nur auf dem eigenen Planeten oder von einem Mitglied derselben Spezies zuziehen.
„Sie können sich selbst ausmalen, was das bedeutet“, fuhr Conway schnell fort. „Nachdem Ihre Wunden verheilt sind und Ihr Kind zur Welt gekommen ist, wird man Sie aus dem Hospital entlassen. Aber anstatt sich in ein keimfreies Gefängnis auf Ihrem Heimatplaneten einzusperren und jegliche Betätigung stark einzuschränken, könnten Sie sich einen anderen Planeten aussuchen, auf dem das Fehlen Ihrer Abwehrkräfte keine Rolle spielt, weil die dortigen Krankheitserreger kein Interesse an Ihnen hätten.
Ihr Nahrungspräparat würde vor Ort künstlich hergestellt werden und wäre kein Infektionsherd“, setzte er die Erläuterung der Vorzüge fort. „In regelmäßigen Abständen wird jedoch eine medikamentöse Behandlung zur Unterdrückung der Abwehrkräfte erforderlich sein, damit Ihr Immunsystem nicht wieder zu arbeiten beginnt und das fremde Herz abstößt. Die Behandlung würde von einem Arzt der nächstgelegenen Dienststelle des Monitorkorps durchgeführt, den wir natürlich vorher über Ihren Fall voll und ganz ins Bild setzen werden. Dieser Korpsarzt wird Sie auch vor unmittelbar bevorstehenden Besuchen von Mitgliedern Ihrer Spezies warnen. Wenn es dazu kommen sollte, dürften Sie sich nicht in deren Nähe begeben. Sie sollten nicht im gleichen Gebäude wohnen, falls möglich nicht einmal in derselben Stadt.“
Anders als die Transplantationspatienten von vielen anderen Spezies, die nach einer kurzen Behandlung mit Medikamenten zur Unterdrückung der Abwehrkräfte Spenderorgane ohne Abstoßungsschwierigkeiten vertrugen, mußte das Immunsystem der Hudlarer fortwährend außer Kraft gesetzt werden. Aber nach Conways Auffassung war das jetzt nicht der geeignete Moment, um der Liste noch eine weitere Hiobsbotschaft hinzuzufügen.
„Auch mit Ihren Freunden zu Hause sollten Sie Neuigkeiten ausschließlich über den Kommunikator austauschen“, fuhr Conway fort. „Diesen Punkt muß ich besonders hervorheben. Ein Besucher Ihrer Spezies und selbst ein Paket, das Sie von zu Hause geschickt bekommen, würden die einzigen Krankheitserreger tragen, die Sie infizieren und töten könnten, und zwar sehr schnell.“
Er hielt kurz inne, damit FROB dreiundvierzig die volle Bedeutung seiner Worte begreifen konnte. Sie sah ihn auch weiterhin lange aufmerksam an, und ihre Membran wies keine Anzeichen dafür auf, daß sie etwas sagen wollte. Sie war eine FROB weiblichen Geschlechts, und gegenwärtig galt ihre Hauptsorge der sicheren Geburt, der zukünftigen Gesundheit und dem späteren Glück ihres Nachkommen.
War die Geburt erfolgreich abgeschlossen, wie es ohne Zweifel geschehen würde, hätte der verstorbene männliche Lebensgefährte zugegen sein müssen, um für das Kind zu sorgen und allmählich das weibliche Geschlecht anzunehmen. Wegen seines Tods müßte die Versorgung des Kinds von engen Verwandten übernommen werden. Direkt nach der Geburt würde FROB dreiundvierzig jedoch die unvermeidbare, vollständige Wandlung zum männlichen Geschlecht durchmachen und in diesem Zustand vom Verlust des Lebenspartners besonders betroffen sein.
Bis zum heutigen Tag hatten etliche Lebewesen aller möglichen intelligenten Spezies immer wieder den Lebensgefährten verloren. Entweder hatten sie gelernt, damit zu leben, oder sie waren losgezogen und hatten jemand anderen gefunden, der sie akzeptierte. In diesem Fall war das Problem, daß FROB dreiundvierzig mit keinem anderen Mitglied ihrer Spezies in Körperkontakt treten durfte und deshalb für den Rest ihres Lebens dem männlichen Geschlecht angehören würde, was für einen noch jungen erwachsenen Hudlarer ein äußerst frustrierender und trauriger Zustand war.
Aus dem Schwall an hudlarischen Informationen, die in Zusammenhang mit geschlechtlichen Fragen standen und die sich nun über Conways Verstand ergossen, schälte sich ein rein terrestrischer Gedanke heraus. Wie wäre es, für immer von Murchison und jedem anderen Mitglied der eigenen Spezies getrennt zu sein? Solange er mit Murchison zusammenleben könnte, würde es ihm nichts ausmachen, nur mit einem Haufen Extraterrestrier zu sprechen und zu arbeiten — das war ja sowieso die tägliche Situation am Orbit Hospital. Aber von dem einen warmen, menschlichen, intimen und sowohl körperlich als auch geistig anregenden Kontakt abgeschnitten zu sein, den er so viele Jahre lang als selbstverständlich betrachtet hatte, er wußte wirklich nicht, wie er sich in dem Fall verhalten hätte. Die Frage war nicht zu beantworten weil die Situation unvorstellbar war.
„Ich verstehe“, sagte die Patientin plötzlich, „und ich danke Ihnen, Doktor.“
Sein erster Impuls war, den Dank zurückzuweisen und sich statt dessen zu entschuldigen. Durch das Hudlarerband verfügte er über das Verständnis, das ihm im Grunde auch zum Hudlarer machte, und er wollte der FROB sagen, wie aufrichtig leid es ihm tat sie dem Trauma dieser hochkomplizierten und fachlich schwierigen Operation ausgesetzt zu haben, das ihr durch so viele Jahre hindurch psychisches Leid bereiten würde. Aber ihm war ebenfalls klar, daß sein Verstand im Moment auf alles, was Hudlarer betraf überempfindlich reagierte, und in derart sentimentaler und unprofessioneller Weise sollte ein Arzt nicht mit einem Patienten reden.
Statt dessen sagte er in beruhigendem Ton: „Ihre Spezies ist, was Arbeitsumgebungen angeht, äußerst anpassungsfähig und für Bauvorhaben auf Planeten und im All in der ganzen Föderation sehr begehrt, und Sie werden sich von der Operation vollkommen er holen. Mit gewissen persönlichen Einschränkungen, zu deren Überwindung Sie ein hohes Maß an geistig-seelischer Disziplin benötigen werden, können Sie sich auf ein sehr aktives und nützliches Leben freuen.“
Glückliches Leben wollte er lieber nicht sagen, denn solch ein großer Lügner war er nun auch wieder nicht.
„Ich danke Ihnen, Doktor“, sagte die Patientin erneut.
„Bitte entschuldigen Sie mich jetzt“, sagte Conway und floh.
Aber nicht für lange. Das rasche, unregelmäßige Klopfen sechs melfanischer Beine mit harten Spitzen signalisierte das Eintreffen von Chefarzt Edanelt.
„Das haben Sie wirklich sehr gut gemacht, Conway“, lobte ihn der Chefarzt. „Eine herrliche Mischung aus nüchterner Wahrheit, Mitgefühl und Aufmunterung, obwohl Sie mit der Patientin ein ganzes Stück mehr Zeit verbracht haben, als es für einen Diagnostiker normal ist. Jedenfalls ist für Sie eine Nachricht von Thornnastor eingegangen, in der er Sie um ein Treffen bittet, wann und wo es Ihnen beliebt. Er hat nichts Genaues gesagt, nur daß es sich um den Beschützer drehe und dringend sei.“
„Wenn ich Zeit und Ort wählen kann, wird es schon nicht allzu dringend sein“, entgegnete Conway langsam, der mit den Gedanken noch immer bei den zukünftigen Problemen von FROB dreiundvierzig war. „Wie ist es eigentlich um FROB drei und zehn bestellt?“
„Die müssen ebenfalls dringend beruhigt werden“, antwortete Edanelt. „FROB drei hat der Verantwortung von Yarrence unterstanden, der die komplizierte Operation der eingedrückten Schädelfraktur und des darunter liegenden Gewebes ganz hervorragend bewältigt hat. Allerdings war keine Organverpflanzung erforderlich. Rein optisch wird FROB drei für seine Kameraden ein ästhetisch ansprechendes Lebewesen sein und im Gegensatz zu FROB zehn und dreiundvierzig auch nicht lebenslang von seinem Heimatplaneten und seinen Angehörigen getrennt sein.
FROB zehn steht wohl vor denselben Langzeitproblemen wie FROB dreiundvierzig“, fuhr der Melfaner fort. „Die Verpflanzungen mehrerer Gliedmaßen und des Absorptionsorgans sind allesamt gut verlaufen, und die Prognose lautet auf vollständige Genesung unter der üblichen strengen Behandlung mit Medikamenten zur Unterdrückung der Ab Wehrkräfte. Da Sie wenig Zeit haben, sollte ich mich vielleicht mit dem einen unterhalten, während Sie mit dem anderen sprechen.
Ich bin zwar nur Chefarzt und kein grünschnäbeliger Diagnostiker wie Sie, Conway“, fügte er hinzu, „aber ich würde Thornnastor nicht zu lange warten lassen.“
„Danke“, erwiderte Conway. „Nehmen Sie FROB drei, und ich unterhalte mich dann mit FROB zehn.“
Im Gegensatz zu FROB dreiundvierzig gehörte FROB zehn derzeit dem männlichen Geschlecht an und sollte auf die emotionale Beeinflussung und auf gefühlsmäßige Argumente nicht so empfindlich wie die vorhergehende Patientin reagieren. Nebenbei hoffte Conway, Thornnastor würde nur wie gewöhnlich ungeduldig sein und es nicht wirklich eilig haben, ihn zu sehen.
Als er das Gespräch beendet hatte, befand er sich in viel schlechterer psychischer Verfassung als der Patient, der die ersten Schritte, sich mit seinem Los abzufinden, ohne allzu große Bekümmerung gemacht hatte — der wahrscheinliche Grund dafür war, daß er derzeit keine Lebensgefährtin hatte. Conway wollte seinen Kopf unbedingt von allen Dingen, die Hudlarer betrafen, frei machen, aber das erwies sich als äußerst schwierig. „Für zwei Hudlarer ohne Abwehrkräfte, die nicht auf ihrem Heimatplaneten leben, ist es theoretisch doch bestimmt möglich, sich ohne gegenseitige Gefährdung zu treffen, oder?“ erkundigte er sich bei Edanelt, als sie sich außer Hörweite der Patienten befanden. „Wenn bei beiden das Immunsystem ausgeschaltet ist, müßten sie von Krankheitserregern ihres Herkunftsplaneten frei sein, mit denen sie sich andernfalls gegenseitig infizieren würden. Vielleicht ist es möglich, regelmäßige Zusammenkünfte solcher Heimatlosen zu arrangieren, aus denen sich der Nutzen.“
„Eine nette Idee, die nicht nur von großer Gutherzigkeit, sondern auch, wenn ich das vielleicht mal so sagen darf, von großer Beschränktheit zeugt“, unterbrach ihn Edanelt. „Hätte nämlich einer der Heimatlosen eine angeborene Immunität gegen einen nicht direkt mit dem Abstoßungsprozeß in Verbindung stehenden Erreger, gegen den die übrigen Mitglieder der Gruppe nicht immun wären, dann befänden die sich in großer Gefahr. Aber versuchen Sie es mit der Idee doch einmal bei Thornnastor, der ist ja die anerkannte Autorität auf diesem Gebiet und wird Ihnen.“
„Thornnastor!“ rief Conway entsetzt. „Den hätte ich fast vergessen. Ist er schon.?“
„Nein“, antwortete Edanelt. „Aber O'Mara hatte hereingeschaut, um zu sehen, ob Sie bei den Gesprächen mit den Transplantationspatienten Hilfe benötigen. Mir hat er Ratschläge gegeben, wie ich an die Probleme von FROB drei herangehen sollte, aber er hat gesagt, Sie brauchten offensichtlich keine Hilfe, da Sie sich mit dem Patienten viel zu sehr zu amüsieren schienen, um gestört zu werden. Wollte er mit dieser Bemerkung seine Billigung zu verstehen geben oder nicht? Meiner Erfahrung aus der Arbeit mit terrestrischen DBDGs nach war das vermutlich einer der Fälle, in denen eine unrichtige Aussage in dem Glauben gemacht wird, der Zuhörer werde die gegenteilige Bedeutung für wahr halten. Aber ich begreife diese Form, die Sie Sarkasmus nennen, nicht.“
„Ob O'Mara etwas billigt oder nicht, weiß man nie, weil er immer unhöflich und sarkastisch ist“, bemerkte Conway trocken.
Trotzdem wurde ihm bei der Vorstellung, daß dem Chefpsychologen die Art und Weise, in der er das postoperative Gespräch mit FROB zehn geführt hatte, so sehr gefallen hatte, um ihn nicht einmal dabei zu stören, regelrecht warm ums Herz. Vielleicht hatte O'Mara aber auch geglaubt, Conway würde alles derart in den Sand setzen, daß sich der Chefpsychologe nicht getraut hatte, einem Diagnostiker auf Probe vor rangniedrigeren Personalangehörigen zu sagen, wie grenzenlos sich dieser irre.
Doch die Zweifel, die Conway verspürte, wurden von einem noch stärkeren Gefühl verdrängt, einem körperlichen Bedürfnis, das durch die plötzliche Erkenntnis bestärkt wurde, daß er in den letzten zehn Stunden nichts anderes als ein Sandwich zu essen gehabt hatte. Er begab sich rasch an das Computerterminal auf dieser Station und rief die Pläne mit den Dienstzeiten der warmblütigen sauerstoffatmenden Mitglieder des höheren Personals ab. Er hatte Glück: ihre Dienstpläne deckten sich.
„Würden Sie bitte Thornnastor anrufen und ihm ausrichten, daß ich mich mit ihm in dreißig Minuten in der Kantine treffen möchte?“ bat er Edanelt, bevor er die Station verließ.