1. Kapitel

Irgend etwas kam Conway an der neuesten Gruppe von Auszubildenden merkwürdig vor, als er zur Seite trat, um ihnen den Vortritt auf die Zuschauergalerie der hudlarischen Kinderstation zu lassen. Dabei spielte es weder eine Rolle, daß die vierzehn Studenten fünf grundverschiedenen Lebensformen angehörten, noch daß sie Conway — der immerhin Chefarzt an dem größten Hospital mit vielfältigen Umweltbedingungen der Galaxis war — mit einer Herablassung behandelten, die an Unverschämtheit grenzte.

Um zum Studium für Fortgeschrittene am Orbit Hospital im galaktischen Sektor zwölf zugelassen zu werden, mußte der Bewerber nicht nur über ein hohes Maß an medizinischen und chirurgischen Fähigkeiten verfügen, sondern auch in der Lage sein, sich vorbehaltlos den verschiedensten Lebensformen und — umständen anzupassen, wie er sie sich im Krankenhaus seines Heimatplaneten nie hätte träumen lassen. Zu Hause wäre ein außerplanetarischer Patient eine echte Seltenheit, während man am Orbit Hospital gar keine anderen Patienten zu behandeln pflegte. Darüber hinaus hatten viele der neuen Studenten Probleme damit, nicht mehr als ein hochgeschätztes Mitglied der heimatlichen Ärzteschaft, sondern nur noch als einfacher Student am Orbit Hospital angesehen zu werden, aber daran gewöhnten sich die meisten schon bald.

Conway kam zu dem Schluß, daß ihm sein Verstand einen Streich spielte — wahrscheinlich, weil ihm im Moment so viel durch den Kopf ging. So gab es das Gerücht, daß Veränderungen bezüglich der Organisation seines Ambulanzschiffes vorgesehen seien, und am frühen Nachmittag stand für ihn eine einstündige Unterredung mit dem Chefpsychologen auf dem Programm — was man stets als ein äußerst unangenehmes Unterfangen bezeichnen konnte.

Außerdem war Conway wütend darüber, daß man ihm offenbar einen weit mehr als angemessenen Anteil an kurzfristigen Projekten und medizinischen Gelegenheitsarbeiten aufgedrückt hatte — wie zum Beispiel die Aufgabe, mit den Studenten den ersten Besichtigungsrundgang durchs Hospital zu machen — auch wenn die Besatzung seines speziellen Ambulanzschiffes in den letzten Monaten nur sehr wenige Einsätze gehabt hatte.

„Bei den Patienten auf der Station unter uns handelt es sich um Hudlarer im Kindesalter“, erklärte Conway, als die Studenten, hinter ihm und um ihn herum einen unordentlichen Halbkreis gebildet hatten. „Sie gehören einer Spezies mit einer ungeheuren Körperkraft an und sind als Erwachsene gegen Verletzungen und Krankheiten äußerst widerstandsfähig; und zwar in dem Maße, daß ihnen der Begriff der medizinischen Heilbehandlung noch bis vor kurzem unbekannt gewesen ist. Auf Hudlar gibt es keinen medizinischen Beruf, und die hohe Kindersterblichkeitsrate wurde einfach hingenommen. Von der ersten Minute der Geburt an werden die hudlarischen Kinder von einer großen Anzahl einheimischer Krankheitserreger befallen, und diejenigen unter ihnen, die keine Abwehrkräfte dagegen geerbt haben oder diese nicht rasch entwickeln können, gehen zugrunde. Das Hospital versucht zwar, ein breitgefächertes, in der pränatalen Phase durchzuführendes Immunisierungsverfahren zu entwickeln, doch sind diese Bemühungen bisher leider kaum von Erfolg gekrönt.“

Conway deutete auf einen jungen Hudlarer, der direkt unter ihnen stand und zu ihnen heraufblickte. „Aus der allgemeinen Haltung und der Muskulatur dieses Individuums werden Sie bestimmt schon gefolgert haben, daß sich die Spezies auf einem Planeten mit sehr hoher Schwerkraft und verhältnismäßig hohem atmosphärischem Druck entwickelt hat, unter Umweltbedingungen also, die hier auf der Station reproduziert werden. Außerdem werden Sie keine Betten oder Sitzmöbel bemerken; bewegungsfähige Patienten streunen einfach nach Lust und Laune umher. Da ihre Körperhaut so widerstandsfähig ist, sind gepolsterte Ruhebereiche überflüssig. Aufgrund der Schwierigkeiten, die andere Spezies damit haben, Hudlarer auseinanderzuhalten, sind an dem Metallstreifen an der linken Vordergliedmaße mittels Magneten die Erkennungsmarke und die Krankengeschichte des Patienten befestigt. Die sechs Gliedmaßen können dem Hudlarer sowohl als Greif- als auch als Fortbewegungsorgane dienen.

Auf dieser Station werden zwar die Schwerkraft und der atmosphärische Druck reproduziert“, fuhr Conway fort, „aber nicht die genauen Bestandteile der Atmosphäre des Heimatplaneten der Hudlarer. Diese Atmosphäre ähnelt einer dicken, zähflüssigen Suppe voller kleiner, schwebender Nahrungsteilchen, die von speziell entwickelten Hautbereichen aufgenommen und wieder ausgeschieden werden. Wir halten es für praktischer, die Hudlarer in regelmäßigen Abständen mit einem Nahrungspräparat zu besprühen, so, wie es gerade zwei der gepanzerten Krankenpfleger tun.

Möchte angesichts der Fakten, die Sie jetzt kennen, jemand von Ihnen diese Lebensform klassifizieren?“ fragte Conway in die Runde.

Einen Augenblick lang kam keine Antwort. Die orligianischen DBDGs bewegten sich unruhig hin und her, aber der Ausdruck auf ihren humanoiden Gesichtszügen wurde von der dichten Behaarung verdeckt. Das silbrige Fell der raupenähnlichen kelgianischen DBLFs befand sich zwar in ständiger Bewegung, doch die dadurch ausgedrückten Gefühle konnten nur von einem Angehörigen derselben Spezies oder von einem Wesen verstanden werden, das ein kelgianisches Physiologieband im Kopf gespeichert hatte. Und was die elefantenähnlichen tralthanischen FGLIs und die kleinen duwetzischen EGCLs anging, so waren deren Ausdrucksmerkmale zu sehr über den gesamten Körper verstreut, um sie als Ganzes auf die Schnelle deuten zu können, während die harten, knochigen Mundwerkzeuge und die tiefliegenden Augen der melfanischen ELNTs vollkommen ausdruckslos waren.

Als erster brach einer der vier melfanischen Studenten das Schweigen. „Sie gehören der physiologischen Klassifikation FROB an“, brummte es kurz aus dem Translator.

Melfaner auseinanderzuhalten war normalerweise schon schwierig genug, da alle erwachsenen ELNTs die gleiche Körpergröße hatten und der einzig sichtbare Unterschied in den feinen Abweichungen der Rückenpanzerzeichnungen bestand. Zwei der vier melfanischen Studenten schienen zudem eineiige Zwillinge zu sein, so daß es noch schwieriger fiel, sie auseinanderzuhalten, zumal einer von den beiden gerade gesprochen hatte.

„Sehr gut“, lobte Conway den ELNT. „Wie heißen Sie, Doktor?“

„Danalta, Chefarzt Conway.“

Höflich ist er auch, dachte Conway. „Schön, Danalta. Trotzdem haben Sie für diese Klassifikation relativ lange gebraucht, auch wenn Ihre Studienkollegen noch langsamer als Sie waren. Sie alle müssen lernen, fremde Spezies schnell und genau zu klassifizieren…“

„Bei allem Respekt, Chefarzt Conway“, unterbrach ihn der Melfaner, „ich wollte nicht unaufgefordert mit meinen medizinischen Kenntnissen protzen — so beschränkt diese im Moment auch leider noch sein mögen —, bevor meine Studienkollegen Gelegenheit zu einer Antwort hatten. Über das hier angewandte physiologische Klassifikationssystem habe ich alles gelesen, was ich in die Hände bekommen konnte. Aber ich komme von einem rückständigen Planeten, auf dem das Niveau der technologischen Entwicklung sehr niedrig ist und wo kaum interplanetarischer Kulturaustausch stattfindet; was medizinische Informationen über dieses Hospital angeht, hinken wir völlig hinterher.

Übrigens ist die hudlarische Lebensform einzigartig und unverwechselbar und kann nur zur Klassifikation FROB gehören“, fügte er noch hinzu.

Weder Conway noch irgendein anderes Mitglied der galaktischen Föderation hätte Melf als einen rückständigen Planeten bezeichnet, darum mußte dieser Danalta aus einer der kürzlich von Melf gegründeten Kolonien stammen. Um sich mit einem solchen Werdegang für das Orbit Hospital zu qualifizieren, brauchte man sowohl Entschlossenheit als auch Fachkompetenz. Es spielte keine Rolle, daß der Melfaner mit seinem Gehabe eine seltsame Mischung aus Höflichkeit, Zurückhaltung und Schlaumeierei an den Tag legte — das Wort, auf das es ankam, war schlau, und die besten Assistenten, die sich ein mit Arbeit überlasteter Chefarzt wünschen konnte, waren diejenigen, die sich bemühten, ihren Vorgesetzten überflüssig zu machen. Deshalb entschloß sich Conway, Danaltas Fortschritte genau im Auge zu behalten — natürlich aus rein egoistischen Gründen.

„Da die Möglichkeit besteht, daß einige Ihrer Studienkollegen über dieses Thema weniger gut informiert sind als Sie, werde ich das System zur Bestimmung von Lebensformen, dessen wir uns hier im Hospital bedienen, ganz kurz umreißen“, antwortete Conway, ohne auf den Melfaner weiter einzugehen. „Ihre Fachausbilder werden Sie später noch ausführlicher darin unterrichten.“

Er blickte sich nach Danalta um, doch die Studenten hatten ihren Standort gewechselt, und Conway konnte nicht mehr sagen, welcher der beiden gleich aussehenden Melfaner wer war. „Falls Sie nicht bereits in einem Hospital mit vielfältigen Umweltbedingungen gearbeitet haben, werden Sie normalerweise immer nur außerplanetarischen Patienten einer Spezies zur selben Zeit begegnet sein, wahrscheinlich kurzfristig aufgrund eines Schiffsunfalls oder irgendeiner Notlage, und diese nach ihren Herkunftsplaneten bezeichnet haben“, fuhr Conway fort. „Doch hier im Orbit Hospital — wo die schnelle und genaue Identifizierung eintreffender Patienten lebenswichtig ist, weil sich die Verletzten allzuoft nicht in dem körperlichen Zustand befinden, die benötigten physiologischen Informationen über sich selbst geben zu können — haben wir ein aus vier Buchstaben bestehendes Klassifikationssystem entwickelt, das folgendermaßen funktioniert.

Der erste Buchstabe zeigt den Stand der physikalischen Evolution an, den die Spezies beim Erwerb von Intelligenz erreicht hatte“, fuhr er fort. „Der zweite weist auf die Art und Verteilung der Gliedmaßen, Sinnesorgane und Körperöffnungen hin, und die restlichen beiden Buchstaben bezeichnen die Kombination aus dem Metabolismus und der erforderlichen Nahrung und Atmosphäre in Verbindung mit den Schwerkraft- und atmosphärischen Druckverhältnissen des Heimatplaneten, was wiederum ein Hinweis auf die physische Masse und auf die Beschaffenheit der schützenden Epidermis des Wesens ist.“

Conway lächelte, obwohl er wußte, daß eine lange Zeit vergehen würde,

bevor auch nur einer der Studenten in der Lage sein würde, diese für Terrestrier eigentümliche Grimasse als das zu erkennen, was sie war.

„An diesem Punkt des Vertrags pflege ich einige unserer extraterrestrischen Bewerber normalerweise darauf hinzuweisen, daß sie aufgrund des ersten Buchstabens der auf sie zutreffenden Klassifikation keine Minderwertigkeitskomplexe bekommen müssen, da der Stand der physikalischen Evolution von Umweltfaktoren gesteuert wird und praktisch keine Schlüsse auf den Intelligenzgrad einer Spezies zuläßt.“

Weiterhin erklärte er, daß Spezies mit A, B oder C als erstem Buchstaben Wasseratmer seien. Auf den meisten Planeten war das Leben im Wasser entstanden, und diese Wesen hatten Intelligenz entwickelt, ohne das nasse Element verlassen zu müssen. Die Buchstaben D bis F bezeichneten warmblütige Sauerstoffatmer — unter diese Klassifikation fielen die meisten intelligenten Wesen der Föderation. G bis K waren auch Sauerstoffatmer, aber insektenartige Wesen. Die Lebensformen der Kategorie L und M besaßen Flügel und lebten unter geringer Schwerkraft.

Die Chloratmer waren in die Gruppen O und P eingeteilt, darauf folgten die eher exotischen, die physikalisch höher entwickelten sowie einige völlig absonderlich anmutende Spezies. In diese Kategorien fielen die Strahlungsverwerter, die starrblütigen oder kristallinen Wesen und Lebensformen, die ihre körperliche Gestalt beliebig verändern konnten. Diejenigen, die so hochentwickelte übersinnliche Kräfte besaßen, daß sie nicht einmal mehr Fortbewegungs- oder Greiforgane benötigten, hatten unabhängig von Form und Größe als ersten Buchstaben das V.

„Zwar wissen wir heute, daß dieses System nicht ganz fehlerfrei ist“, räumte der Chefarzt ein, „aber schuld daran ist einfach die mangelnde Vorstellungskraft der Urheber gewesen. AACPs sind zum Beispiel eine Spezies mit vegetarischem Metabolismus. Normalerweise weist das A als deren erster Buchstabe auf Wasseratmer hin. Da das System mit seiner Klassifikation jedoch erst bei den fischähnlichen Lebensformen beginnt und die AACPs als pflanzliche Wesen noch vor den Fischen eingestuft werden müßten, hat man sie einfach dieser Gruppe zugeordnet.“

Plötzlich deutete Conway auf eine Schwester, die am anderen Ende der Station einen jungen Hudlarer mit dem Nahrungspräparat besprühte, wobei er sich Danalta zuwandte. „Vielleicht hätten Sie ja Lust, auch diese Lebensform für uns zu klassifizieren, Doktor.“

„Ich bin nicht Danalta“, protestierte der von Conway aufgeforderte Melfaner. Obwohl durch den Übersetzungsvorgang gewöhnlich emotionale Untertöne aus Äußerungen herausgefiltert wurden, klang der ELNT leicht ungehalten.

„Oh, das tut mir leid“, entschuldigte sich Conway und blickte sich — vergeblich — nach dem Zwilling des Melfaners um. Er gelangte zu dem Schluß, daß sich Danalta aus irgendwelchen Gründen hinter der Gruppe tralthanischer Studenten versteckt hatte. Bevor Conway die Frage an jemand anderen richten konnte, wurde sie von einem der Tralthaner beantwortet.

„Das Lebewesen, auf das Sie deuten, steckt in einem schweren Schutzanzug“, sagte der große FGLI, wobei die tiefen, polternden Laute seiner Muttersprache den schwerfälligen und pedantischen Stil der übersetzten Worte noch verstärkten. „Der einzige für mich sichtbare Teil des Wesens ist der kleine Bereich hinter dem Visier, und der ist durch die von der Stationsbeleuchtung herrührenden Spiegelungen verschwommen. Da der Schutzanzug über einen Eigenantrieb verfügt, sind keinerlei Anhaltspunkte für die Zahl und Art der Fortbewegungsorgane vorhanden. Doch die Größe und Form des Anzugs insgesamt sowie die Lage der vier rings um den Ansatz des kegelförmigen Kopfabschnitts verteilten mechanischen Greifer veranlassen mich — vorausgesetzt, diese mechanischen Verlängerungen entsprechen aus ergonomischen Gründen annähernd den Positionen der darunterliegenden natürlichen Gliedmaßen —, mit einem gewissen Maß an Sicherheit zu behaupten, daß es sich bei dem fraglichen Lebewesen um eine Kelgianerin der physiologischen Klassifikation DBLF handelt. Flüchtige Eindrücke einer grauen, pelzartigen Haut sowie eines sich — wenn auch undeutlich — durch den kleinen Bereich des Visiers zeigenden Organs, das das Sehorgan der Kelgianerin zu sein scheint, untermauern diese Klassifizierung.“

„Sehr gut, Doktor!“ Aber bevor Conway den Tralthaner nach dessen Namen fragen konnte, schwang die Einlaßschleuse der Station auf, und ein großes, kugelförmiges Fahrzeug auf Raupenketten rollte herein. Die Kugel war in der Waagerechten von etlichen Sensor- und Greifvorrichtungen umgeben und trug an einer sofort ins Auge fallenden Stelle auf der oberen Vorderfläche das Kennzeichen eines Diagnostikers. Conway deutete statt dessen also auf das Fahrzeug und fragte: „Kann jemand von Ihnen auch diesen Insassen klassifizieren?“

Diesmal meldete sich als erster einer der Kelgianer zu Wort.

„Nur durch Rückschlüsse und logische Ableitungen, Chefarzt Conway“, antwortete er, während ihm von der Nase bis zum Schwanz gleichmäßige Wellen über das Fell liefen. „Augenscheinlich handelt es sich bei der Kugel um ein Druckfahrzeug mit Eigenantrieb, das, nach der an der Kugel sichtbaren Außenversteifung zu urteilen, sowohl die Patienten und das medizinische Personal der Station als auch den Insassen selbst schützen soll. Die Fortbewegungsorgane, wenn der Insasse welche hat, sind durch die Druckhülle verborgen, und ich würde sagen, die Zahl der äußeren Sensor- und Greifvorrichtungen ist so groß, daß der Insasse aller Wahrscheinlichkeit nach nur wenige eigene Greif- und Sinnesorgane besitzt und die Außenvorrichtungen je nach Bedarf bedient. Da ich die Wanddicke des Druckfahrzeugs nicht kenne, verfüge ich über keinerlei genaue Informationen über die Größe und die Körpergestalt des Insassen.“

Der Kelgianer hielt kurz inne und lehnte sich auf seine hintersten Beine zurück, wobei er wie ein dickes, pelziges Fragezeichen aussah. Über seinen Rücken und die Flanken zogen weiterhin kleine silbrige Wellen, während das Fell seiner drei kelgianischen Studienkollegen wahllos zuckte, kleine Büschel bildete und sich wieder legte, als ob auf der Zuschauergalerie ein starker Wind bliese.

Die übrigen Gruppenmitglieder schienen von einer Unruhe befallen zu werden, die einer leichten Aufregung glich. Die Tralthaner hoben und senkten der Reihe nach die stämmigen, elefantenartigen Beine. Das ständige Klackern und Scharren stammte von den Melfanern, die mit ihren krabbenähnlichen Beinen auf den Boden pochten, während in den dunklen, behaarten Gesichtern der Orligianer die weißen Zähne schimmerten, wobei Conway hoffte, daß letztere Wesen nur lächelten.

„Mir sind nur zwei Lebensformen bekannt, die ein derartiges Druckfahrzeug benutzen“, fuhr der Kelgianer fort. „Von den benötigten Umweltbedingungen und der Physiologie her unterscheiden sie sich grundlegend, und von den gewöhnlicheren Sauerstoff- und chloratmenden Spezies würden sie in den exotischeren Kategorien eingeordnet werden. Bei der einen handelt es sich um einen kaltblütigen Methanatmer, der sich bei einer Umgebungstemperatur von nur wenigen Graden über dem absoluten Nullpunkt am wohlsten fühlt, da er sich auf einem der unter ständiger Dunkelheit liegenden Planeten entwickelt hat, die sich von ihrem ursprünglichen Sonnensystem getrennt haben und einsam durch den interstellaren Raum treiben.

Die Körpergröße der Methanatmer ist sehr gering“, setzte der Kelgianer seine Erklärungen fort, „und weist ungefähr ein Drittel der Körpergröße meiner Spezies auf Doch die große Kälte erzeugenden Lebenserhaltungsund Sinnesübertragungssysteme, die diese Wesen beim Kontakt mit fremden Spezies tragen müssen, sind riesengroß und kompliziert und müssen häufig wiederaufgeladen werden.“

Das ist jetzt schon der dritte, der sich so gut auskennt! dachte Conway und blickte sich nach dem Tralthaner um, der die DBLF im Schutzanzug richtig bestimmt hatte, und nach Danalta, dem melfanischen Studenten, der zuvor den FROB klassifiziert hatte, um die Reaktionen der beiden auf den äußerst gut unterrichteten Kelgianer zu beobachten — doch die Gruppenmitglieder liefen so wild durcheinander, daß er nicht genau sagen konnte, bei wem es sich um wen handelte. Gleich nachdem er an der Personaleinlaßschleuse des Hospitals die Leitung der Gruppe übernommen hatte, war ihm aufgefallen, daß an ihr irgend etwas ungewöhnlich war.

„…die zweite Lebensform lebt auf einem feuchten Planeten mit hoher Schwerkraft, der in sehr geringem Abstand um seine Sonne kreist“, fuhr der Kelgianer unbeirrt fort. „Diese Spezies atmet heißen Dampf und besitzt einen recht interessanten Metabolismus, über den ich allerdings nur lückenhaft informiert bin. Auch bei ihr handelt es sich um eine kleine Lebensform, und die enorme Größe der Druckhülle erklärt sich aus der für das Wohlergehen des Insassen unumgänglichen Installation von Heizgeräten sowie von Kühlaggregaten und einer Oberflächenisolierung, damit andere Lebewesen in unmittelbarer Nähe des Gefährts überleben können.

Die Luft auf der Hudlarer-Station ist warm und hat einen hohen Feuchtigkeitsgehalt. Die von einem methanatmenden SNLU benötigte niedrige Innentemperatur würde unabhängig von der Wirksamkeit der Isolierung in einem gewissen Maß bis zur Außenhaut des Druckfahrzeugs geleitet werden, auf der dann kondensiertes Wasser zu sehen wäre. Da dies nicht der Fall ist, enthält das Fahrzeug höchstwahrscheinlich einen Vertreter der unter hohen Temperaturen lebenden Spezies, von der es hier im Hospital einen Diagnostiker geben soll.

Diese Bestimmung ist zwar nur das Ergebnis von logischen Folgerungen, Vermutungen und einem gewissen Grad an Vorwissen, Chefarzt Conway“, schloß der Kelgianer seine Ausführungen, „aber trotzdem würde ich den Fahrzeuginsassen der physiologischen Klassifikation TLTU zuordnen.“

Conway betrachtete eingehend die langsamen, gleichmäßigen Fellbewegungen des außerordentlich gut unterrichteten und ungewöhnlich sachlichen DBLF und warf dann einen Blick auf den aufgewühlten Pelz der kelgianischen Studienkollegen. Da ihm die Gedanken mit Höchstgeschwindigkeit durch den Kopf schossen und nur wenige davon zum Aussprechen geeignet waren, sagte Conway langsam: „Die Antwort ist richtig, ganz gleich, wie Sie zu ihr gelangt sind.“

Er dachte über die DBLF-Klassifkation und insbesondere über ihr ausdrucksfähiges Fell nach. Aufgrund der unzulänglichen Anatomie der kelgianischen Sprechorgane wies die gesprochene Sprache dieser DBLFs keine Intonation und Akzentuierung und damit keinerlei emotionale Ausdrucksfähigkeit auf Doch das wurde durch das äußerst bewegliche Fell ausgeglichen, das die Empfindungen des Sprechers, zumindest für einen zweiten Kelgianer, vollständig, aber auch unwillkürlich widerspiegelte. Deshalb waren diesen Wesen Begriffe wie Lüge, Diplomatie, Taktgefühl oder gar Höflichkeit vollkommen fremd. Ein DBLF sagte genau das, was er meinte oder fühlte, da das Fell ständig seine Empfindungen verriet und es einfach dumm gewesen wäre, sich anders zu verhalten.

Auch über die melfanischen ELNTs und ihren Fortpflanzungsmechanismus, der die Geburt von Zwillingen ausschloß, und über die Wortwahl der freiwillig von Danalta und den anderen beiden Studenten gegebenen Antworten machte sich Conway Gedanken, insbesondere über die des Kelgianers, der zu verstehen gegeben hatte, daß die TLTU-Lebensform nicht besonders exotisch sei. Von dem Moment ihres Eintreffens an hatte Conway gespürt, daß an der Gruppe etwas ausgesprochen Ungewöhnliches war. Er hätte sich auf seinen Spürsinn verlassen sollen.

Dann erinnerte er sich an den ersten Anblick der Neuankömmlinge zurück und hielt sich vor Augen, wie sie seither zu verschiedenen Zeitpunkten ausgesehen und sich verhalten hatten; insbesondere dachte er an ihre Nervosität und daran, daß von ihnen praktisch keine allgemeinen Fragen zum Orbit Hospital gestellt worden waren. War etwa irgendeine Art Verschwörung im Gange? Ohne sich zu auffällig zu verhalten, musterte er der Reihe nach jeden einzelnen Studenten.

Vier kelgianische DBLFs, zwei duwetzische EGCLs, drei tralthanische FGLIs, drei melfanische ELNTs und zwei orligianische DBDGs — insgesamt also vierzehn Studenten.

Aber Kelgianer sind niemals freundlich oder höflich oder in der Lage, besondere Kontrolle über ihr Fell auszuüben, dachte Conway, als er sich unauffällig von den Studenten abwandte und auf die Station hinunterblickte.

„Also, wer von Ihnen ist der Spaßvogel?“ fragte er schließlich.

Niemand antwortete ihm, und er fuhr mit immer noch abgewandtem Gesicht fort: „Über die fragliche Lebensform besitze ich keine Vorkenntnisse, deshalb basiert meine Bestimmung auf Rückschlüssen und logischen Folgerungen sowie auf Verhaltensbeobachtungen.“

Der in der Stimme mitschwingende Sarkasmus ging wahrscheinlich bei der Übersetzung verloren, und die Mehrheit der Extraterrestrier besaß sowieso eine übermäßig nüchterne Denkweise. In sanfterem Ton fuhr Conway fort: „Ich meine denjenigen unter Ihnen, dessen Spezies insofern amöbisch ist, als daß sie die für jede Umgebung oder Situation erforderlichen Gliedmaßen oder Sinnesorgane ausstülpen oder eine Schutzhaut bilden kann. Ich vermute, diese Spezies hat sich auf einem Planeten mit einer äußerst exzentrischen Umlaufbahn und mit derart starken Klimaschwankungen entwickelt, daß zum Überleben ein Höchstmaß an körperlicher Anpassungsfähigkeit erforderlich war. Sie wurde auf ihrem Planeten zur dominanten Lebensform und entwickelte Intelligenz und eine Zivilisation, aber nicht durch das Konkurrieren mit anderen Spezies hinsichtlich natürlicher Waffen, sondern durch die Verfeinerung und Perfektionierung des Anpassungsvermögens. Im Fall der Konfrontation mit natürlichen Feinden hätten sie die Wahl zwischen Flucht, Schutzanpassung oder der Annahme einer für den Angreifer erschreckenden Gestalt.

Die hier an den Tag gelegte Geschwindigkeit und Genauigkeit der Anpassung, insbesondere die fast perfekte Nachahmung von Verhaltensmustern, lassen darauf schließen, daß es sich bei dem Wesen um einen rezeptiven Empathen handelt“, fuhr Conway fort. „Da diese Spezies über solch ein wirksames Mittel zum Selbstschutz verfügt, versteige ich mich sogar zu der Behauptung, daß man ihr keine körperlichen Schäden zufügen kann, es sei denn, man setzt sie Hochtemperaturen aus oder vernichtet sie auf physikalischem Weg. Von daher müßte für die Mitglieder dieser Spezies der Gedanke einer chirurgischen Heilbehandlung ganz unvorstellbar sein. Einen praktisch unzerstörbaren Körper zu besitzen würde bedeuten, daß diese Lebensform keine Mechanismen zum Selbstschutz benötigt, folglich ist sie in den Geisteswissenschaften wahrscheinlich fortgeschritten, in der technologischen Entwicklung jedoch rückständig geblieben.

Ich würde Sie der physiologischen Klassifikation TOBS zuordnen“,

sagte Conway schließlich, wobei er sich ruckartig zu den Studenten umdrehte.

Dann ging er schnell auf die drei Orligianer zu, und zwar aus dem guten Grund, daß es von ihnen nur zwei hätte geben dürfen. Rasch, aber behutsam griff er nach ihren Schultern und schob einen Finger zwischen die Riemen der Harnische und das darunter liegende Fell. Beim drittenmal schlug der Versuch fehl, weil sich das Fell und der Harnisch nicht voneinander trennen ließen.

„Haben Sie eigentlich noch andere Zukunftspläne, als Schabernack zu treiben, Doktor Danalta?“ fragte er den Alien trocken.

Für einen Moment zerflossen und sackten der Kopf und die Schultern zu einer Form zusammen, die die ersten Anfänge eines melfanischen Panzers hätten sein können — nach Conways Dafürhalten würde er sich an solch lästige Metamorphosen dieses Studenten in Zukunft gewöhnen müssen —, bevor sie wieder das orligianische Aussehen annahmen.

„Falls Sie das, was ich vorhin getan habe, beunruhigt hat, tut es mir wirklich aufrichtig leid, Chefarzt Conway“, entschuldigte sich Danalta. „Normalerweise ist mir die Körpergestalt völlig gleichgültig, aber ich dachte, die Anpassung an das Aussehen der Lebensformen im Hospital wäre für die Kommunikation und den gesellschaftlichen Verkehr besser geeignet, und außerdem wollte ich meine Schutzanpassung so früh und so oft wie möglich vor einem Lebewesen durchführen, das höchstwahrscheinlich alle Unstimmigkeiten entdecken würde. Auf der Fähre habe ich diese Absicht mit den anderen Gruppenmitgliedern besprochen, und sie haben sich bereit erklärt mitzumachen.

Mit meiner Bewerbung um eine Stelle am Orbit Hospital habe ich hauptsächlich das Ziel verfolgt, die Gelegenheit zur Zusammenarbeit mit derart vielfältigen Lebensformen zu haben“, fuhr Danalta schnell fort.

„Mit meinen Nachahmungsfähigkeiten — und an dieser Stelle sollte ich darauf hinweisen, daß sie selbst unter den Angehörigen meiner eigenen Spezies als überdurchschnittlich eingestuft werden — stellt dieses Institut eine gewaltige Herausforderung für mich dar, auch wenn ich mir vollkommen bewußt bin, daß es Lebensformen geben wird, die ich nicht nachzubilden imstande bin. Was den Begriff Spaßvogel betrifft, der läßt sich leider nicht in meine Sprache übersetzen. Doch falls ich Sie in dieser Angelegenheit gekränkt haben sollte, möchte ich mich bei Ihnen vorbehaltlos entschuldigen.“

„Ich nehme Ihre Entschuldigung an“, entgegnete Conway, wobei er unwillkürlich an all die verrückten Streiche denken mußte, die er zusammen mit seinen Studienkollegen vor vielen Jahren den anderen Hospitalangehörigen gespielt hatte — Aktivitäten, die nicht einmal im entferntesten Sinne eine Beziehung zur medizinischen Ausbildung gehabt hatten. Schließlich blickte er auf seine Uhr und fügte lächelnd hinzu: „Wenn Sie wirklich so sehr daran interessiert sind, einer großen Anzahl verschiedener Lebensformen zu begegnen, Doktor, dann sollen Sie auch bekommen, was Sie sich wünschen. Ich bitte Sie jetzt alle, mir zu folgen.“

Aber der Orligianer, der kein Orligianer war, rührte sich nicht vom Fleck. „Wie Sie ganz richtig gefolgert haben, Chefarzt Conway, ist unserer Spezies das Praktizieren von Medizin gänzlich unbekannt. Ich bin nicht aus Idealismus hierhergekommen, sondern eher aus Eigennutz, im Grunde sogar zu meinem Vergnügen. Ab jetzt werde ich meine Fähigkeiten nur noch dazu einsetzen, um auf Lebewesen mit körperlichen Funktionsstörungen beruhigend einzuwirken, indem ich ihre Gestalt nachahme, wenn keine Mitglieder derselben Spezies greifbar sind. Auf diese Weise kann ich ihnen die Angst nehmen. Oder ich setze sie zur schnellen Anpassung an Umweltbedingungen ein, die für andere tödlich wären, um die Verzögerung einer dringenden Behandlung durch das zeitraubende Anlegen von Schutzhüllen zu vermeiden, oder aber zur Bildung einer Gliedmaße mit einer speziellen Form oder Funktion, mit der ich ansonsten unzugängliche Bereiche, an denen eine organische Funktionsstörung aufgetreten ist, wiederherstellen könnte. Aber ich bin kein Arzt und sollte deshalb auch nicht mit Doktor angesprochen werden.“

Conway mußte plötzlich lachen. „Wenn das wirklich die Arbeit ist, die Sie hier zu leisten gedenken, Danalta, dann werden wir Sie allerdings niemals mit einem anderen Titel ansprechen können.“

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