11. Kapitel

„Die Theorie lautet, daß es auf lange Sicht besser ist, Sie jedesmal stark zu verwirren, und zwar nicht nur ein bißchen, wenn Sie sich an die wirren Denkstrukturen von Aliens gewöhnen wollen“, knurrte O'Mara ihn schon an, als Conway sich noch den Schlaf aus den Augen rieb. „In den vier Stunden, in denen Sie unter leichter Betäubung gestanden und wie ein verrückt gewordener Hudlarer geschnauft haben, sind die Bänder in Ihrem Kopf gespeichert worden. Praktisch sind Sie jetzt gleich in fünffacher Hinsicht ein krasser Individualist.

Wenn Sie Probleme haben, will ich nichts davon hören, bevor Sie nicht mit absoluter Sicherheit wissen, daß diese unlösbar sind“, fuhr der Chefpsychologe fort. „Passen Sie beim Gehen auf, und stolpern Sie nicht über die eigenen Füße. Sie haben wirklich nur zwei, egal, was Ihre Alter egos auch Gegenteiliges behaupten.“

Der Korridor vor O'Maras Büro zählte zu den belebtesten im gesamten Hospital. Zu den verschiedensten physiologischen Klassifikationen gehörende Mitglieder des Arzt- und Wartungspersonals gingen, krochen, fuhren oder schlängelten sich in beiden Richtungen vorbei. Da sie Conways Diagnostikerarmbinde sahen und — in seinem Fall zu Recht — bei ihm von einem gewissen Maß an geistiger Verwirrung und fehlender körperlicher Koordination ausgingen, machten sie um ihn einen so großen Bogen wie möglich. Selbst der TLTU, der in einer auf schweren Raupenketten montierten Druckkugel saß, fuhr mit mehr als einem Meter Abstand an ihm vorbei.

Kurz darauf kam ihm ein tralthanischer Chefarzt entgegen, den Conway zwar kannte, der seinen Gehirnpartnern aber kein Begriff war, was seine Reaktionszeit erheblich verlangsamte. Als er den Kopf wandte, um den Gruß des Tralthaners zu erwidern, wurde ihm plötzlich schwindlig, weil der Hudlarer und der Melfaner in seinem Gehirn Lebensformen waren, deren Kopf sich nicht drehen ließ. Unwillkürlich streckte er den Arm aus, um sich an der Korridorwand abzustützen. Doch statt des harten, spitz zulaufenden Tentakels eines Hudlarers oder der glänzenden schwarzen Zange eines Melfaners handelte es sich bei der Gliedmaße, mit der er sich abstützte, um einen schlaffen rosa Gegenstand mit fünf stummeligen Fingern. Als er sich sowohl seelisch als auch körperlich wieder gefangen hatte, wurde er eines terrestrischen DBDG im Grün des Monitorkorps gewahr, der geduldig darauf wartete, von ihm bemerkt zu werden.

„Sie haben nach mir gesucht, Lieutenant?“ fragte Conway.

„Schon seit ein paar Stunden“, antwortete der Offizier. „Aber Sie haben sich beim Chefpsychologen Bänder einspeisen lassen und durften nicht gestört werden.“

Conway nickte. „Worum geht es denn?“

„Es gibt Schwierigkeiten mit dem Beschützer“, erwiderte der Lieutenant und fuhr schnell fort: „Der Bewegungsraum, wie wir ihn jetzt nennen, obwohl er immer noch eher wie eine Folterkammer aussieht, bekommt zu wenig Energie. Um ihn an die Hauptleitung anzuschließen, die diesen Abschnitt mit Energie versorgt, müßten wir durch vier Ebenen hindurch, von denen nur eine mit warmblütigen Sauerstoffatmern belegt ist. Da wir Vorkehrungen gegen Verseuchungen der verschiedenen Atmosphären treffen müßten, insbesondere was die illensanischen Chloratmer betrifft, wären die Umbauten in den übrigen drei Ebenen äußerst zeitaufwendig. Als Lösung käme eine kleinere Energiequelle in Frage, die im Bewegungsraum installiert werden müßte. Aber falls sich der Beschützer befreit, hält möglicherweise die Abschirmung des Energieaggregats nicht stand, und in dem Fall müßten wegen der Strahlungsgefahr fünf Ebenen — über und unter dem Raum — evakuiert werden, und noch viel zeitraubender wäre die anschließende Reinigung der.“

„Der Raum liegt nahe an der Außenhaut“, unterbrach ihn Conway, der das Gefühl nicht loswerden konnte, daß gerade in diesem Moment eine Menge Zeit damit vergeudet wurde, einen Arzt um Rat in rein technischen Fragen zu bitten, die obendrein auch noch ziemlich einfach waren. „Sie können doch bestimmt einen kleinen Reaktor an der Außenhaut anbringen, wo er vor dem Beschützer sicher ist, und dann eine Leitung nach innen.“ „Das ist die Lösung, auf die ich auch schon gekommen war“, schnitt ihm der Lieutenant das Wort ab, „was allerdings weitere Probleme aufwerfen würde, die nicht soviel mit Technik, sondern eher mit der Verwaltung zu tun haben. Es gibt nämlich haargenaue Bestimmungen, welche Konstruktionen auf der Außenhaut angebracht werden dürfen und welche nicht, und durch einen Reaktor an einer Stelle, wo sich noch nie einer befunden hat, könnten Änderungen an den Regelungen des Hospitals für den Flugverkehr erforderlich werden. Kurz gesagt, es findet ein ziemlich wilder Papierkrieg statt, den ich gewinnen kann, wenn ich mir die Zeit dafür nehme und alle Beteiligten nett und in dreifacher Ausfertigung um die Genehmigung bitte. Aber Sie, Doktor, könnten denen angesichts der Dringlichkeit Ihres Projekts einfach sagen, was Sie brauchen.“

Einen Moment lang schwieg Conway. Er erinnerte sich an die Bemerkungen des Chefpsychologen vor der Speicherung der Bänder, kurz bevor die Betäubung zu wirken begonnen hatte. „Jetzt verfügen Sie über den höchsten Rang im Hospital, Conway, obwohl sich dieser Zustand bei Ihnen womöglich nur als ein vorübergehender Zustand herausstellen könnte“, hatte O'Mara ihm mit einem säuerlichen Lächeln gesagt. „Gehen Sie und gebrauchen Sie ihn. Mißbrauchen Sie ihn sogar, wenn Sie wollen. Zeigen Sie mir einfach, ob Sie was damit anfangen können.“

Um den Ton eines Diagnostikers bemüht, dem niemand im Hospital etwas abschlagen würde, entgegnete Conway: „Ich verstehe, Lieutenant. Ich bin zwar auf dem Weg in die hudlarische Geriatrie, aber ich werde diese Angelegenheit am ersten Kommunikator regeln, an dem ich vorbeikomme. Haben Sie noch ein anderes Problem?“

„Klar habe ich Probleme“, antwortete der Lieutenant. „Jedesmal, wenn Sie einen neuen Patienten ins Hospital einliefern, bekommt die gesamte Wartungsabteilung Magengeschwüre! Frei schwebende Brontosaurier, rollende Dramboner, und jetzt einen Patienten, der noch nicht einmal geboren ist und in einem, einem Berserker steckt!“

Überrascht blickte Conway seinen Gesprächspartner an. Normalerweise verhielten sich Offiziere des Monitorkorps in Fragen der Disziplin und des Respekts sowohl gegenüber militärischen als auch medizinischen Vorgesetzten tadellos. „Magengeschwüre können wir ohne Probleme heilen“, erwiderte er trocken.

„Sie müssen schon entschuldigen, Doktor“, sagte der Lieutenant kleinlaut, „aber in den letzten zwei Jahren bin ich Leiter einer Arbeitsgruppe von Kelgianern gewesen und habe völlig vergessen, was Höflichkeit bedeutet.“

„Aha.“ Conway lachte. Da er selbst gerade ein Kelgianerband im Kopf gespeichert hatte, besaß der Lieutenant sein Mitgefühl. „Bei dem Problem kann ich Ihnen nicht helfen. Haben Sie noch weitere?“

„Oh, ja“, antwortete der Lieutenant. „Die sind zwar unlösbar, aber auch unwichtig. Die beiden Hudlarer haben immer noch etwas dagegen, den Beschützer ununterbrochen zu schlagen. Ich habe O'Mara eindringlich darum gebeten, jemand anderen für diese Arbeit zu finden, jemanden, der psychisch weniger darunter leidet. Daraufhin hat mir der Chefpsychologe geantwortet, er würde sich sofort zur Ruhe setzen, falls jemand, der gegenwärtig am Hospital arbeite, seiner Überprüfung entgangen sein sollte. Deshalb habe ich jetzt diese Hudlarer und ihre verdammte Musik am Hals, bis die neue Unterkunft fertig ist.

Die beiden beteuern, die Musik helfe ihnen dabei, sie von ihrer Arbeit abzulenken, aber haben Sie schon mal ununterbrochen, tagaus, tagein, hudlarische Musik gehört?“

Conway gab zu, bisher noch keine derartige Erfahrung gemacht zu haben, und für den Weg durch die neblig gelben Ebenen der illensanischen Chloratmer und die wassergefüllten Stationen der Meeresbewohner von Chalderescol, die zwischen ihm und den hudlarischen Stationen lagen, stieg er in einen der leichten Anzüge. Obwohl er solche Ausrüstungsgegenstände des Hospitals schon einige tausendmal angelegt hatte und mit geschlossenen Augen dazu in der Lage war, überprüfte er sämtliche Verschlüsse zweimal und las sich mehrmals die Checkliste durch. Aber in diesem Moment war er nicht ganz er selbst, und nach den Vorschriften mußten alle Mitglieder des medizinischen Personals, die ein Schulungsband im Kopf gespeichert hatten und deshalb unter einem gewissen Maß an geistiger Verwirrung litten, die Checkliste mit größter Aufmerksamkeit durchgehen.

Der Lieutenant stand noch immer geduldig neben ihm.

„Gibt's noch was?“ fragte Conway.

Der Offizier nickte. „Nur noch etwas ziemlich Leichtes, Doktor. Hardin, der leitende Ernährungsspezialist, möchte gern die Zusammensetzung der Nahrung für den Beschützer wissen. Wie er sagt, könne er zwar eine synthetische Masse herstellen, die in jeder Hinsicht auf die Ernährungsbedürfnisse des Beschützers zugeschnitten ist, aber bei der Nahrungsaufnahme gäbe es einen psychologischen Aspekt zu berücksichtigen, der für das allgemeine Wohlbefinden dieses speziellen Patienten von Bedeutung sein könnte. Sie hätten mit einem von ihnen in kurzem telepathischen Kontakt gestanden und verfügten deshalb zu diesem Thema über Informationen aus erster Hand. Hardin möchte gerne Ihren Rat hören.“

„Ich unterhalte mich später mit ihm“, stimmte Conway zu und wartete kurz, bevor er sich den Helm aufsetzte. „Aber in der Zwischenzeit können Sie ihm schon mal sagen, daß der FSOJ selten Pflanzen frißt und die Nahrung, die er zu sich nimmt, gewöhnlich in einem dicken Fell oder Ektoskelett steckt und sich wehrt. Ich schlage ihm vor, das Futter in lange, hohle, eßbare Röhren zu schieben, die man in den Bewegungsmechanismus integrieren kann, um den Patienten damit zu schlagen. Das kommt nur dem Realismus der Reproduktion der Umweltbedingungen zugute. Der FSOJ ist in der Lage, mit den Kiefern Stahlplatten zu verbeulen, und darum hat Hardin recht. Der Beschützer wäre nicht gerade froh darüber, so etwas Ähnliches wie schlabbrige Getreideflocken vorgesetzt zu bekommen.“

Conway lachte erneut und fügte grinsend hinzu: „Schließlich sollten wir es nicht soweit kommen lassen, daß ihm die Zähne verfaulen.“

Bei der geriatrischen Abteilung für Hudlarer handelte es sich um eine vergleichsweise neue Ergänzung der Hospitaleinrichtungen. Mehr konnte das Orbit Hospital zur Behandlung psychisch verwirrter Patienten nicht beitragen, und sogar die Behandlung selbst stand nur einigen wenigen zur Verfügung, die man statistisch ausgewählt hatte. Das kam daher, weil die Lösung des Problems, wenn eine gefunden werden konnte, planetenweit auf Hudlar selbst umgesetzt werden mußte.

Die künstliche Gravitation der Station war auf den hudlarischen Normalwert von beinahe der vierfachen Erdanziehungskraft eingestellt worden, und bei dem atmosphärischen Druck handelte es sich um einen Kompromiß, der sowohl den Patienten als auch dem Schwesternpersonal die geringstmöglichen Unannehmlichkeiten bereitete. Dienst hatten drei kelgianische Schwestern, deren Fell sich unter ihren leichten Anzügen und den G-Gürteln in rastloser Bewegung befand, während sie drei der fünf Patienten mit dem Nahrungspräparat besprühten. Conway schnallte sich einen für die terrestrische Körpermasse geeigneten G-Gürtel um, signalisierte, daß er keine Schwester zur Begleitung benötigte, und begab sich zu dem nächsten unversorgten Patienten.

Sofort drängte sich der hudlarische Teil seines Gehirns an die Oberfläche, löschte dabei fast die melfanischen, tralthanischen, kelgianischen und gogleskanischen Bestandteile aus und drohte, Conways eigenen Verstand in einer gewaltigen Gefühlswelle aus Mitleid und hilfloser Wut über den Zustand des Patienten zu ertränken.

„Wie geht es Ihnen heute?“ fragte Conway nach althergebrachtem Brauch.

„Danke, gut, Doktor“, antwortete der Patient, wie es Conway von vornherein gewußt hatte. Wie der Großteil anderer Spezies mit ungeheuren Kräften waren auch die hudlarischen FROBs liebenswürdige, friedfertige und zurückhaltende Lebewesen, von denen keins im Traum daran denken würde, einem Arzt durch die Antwort, ihm würde es nicht gutgehen, irgendeinen Mangel an medizinischen Fähigkeiten zu unterstellen.

Es sprang sofort in die Augen, daß es dem alternden Hudlarer überhaupt nicht gutging. Seine sechs gewaltigen Tentakel, die den schweren Rumpf normalerweise das ganze Leben hindurch beim Schlafen wie beim Wachen in aufrechter Stellung trugen und sowohl als Greif- als auch als Fortbewegungsorgane dienten, hingen schlaff an den Seiten des Stützgestells herab. Die harten Hornhautballen — die Knöchel, auf denen der FROB läuft, während die Finger zum Schutz vor Bodenkontakt nach innen gedreht sind — waren verblaßt und rissig. Die Finger selbst, die gewöhnlich so stark und widerstandsfähig wie Stein waren und sich mit traumwandlerischer Präzision bewegen konnten, lagen in unaufhörlichen spastischen Zuckungen.

Die Hudlarer lebten in einer Umwelt mit großer Schwerkraft und hohem Druck, deren Atmosphäre dermaßen von eßbaren, schwebenden Organismen wimmelte, daß sie einer dickflüssigen Suppe ähnelte, die die Planetenbewohner direkt durch die Haut auf dem Rücken und an den Seiten aufnahmen. Doch hatte der Absorptionsmechanismus des Patienten allmählich versagt, so daß große Bereiche der Haut mit einer Kruste des verblaßten Nahrungspräparats überzogen waren, das man erst abwaschen mußte, bevor die nächste Mahlzeit aufgesprüht werden konnte. Die Verfassung des Patienten hatte sich zusehends verschlimmert, seine Fähigkeit, die Nahrung zu absorbieren, hatte ständig weiter abgenommen, was wiederum den Zustand der Haut verschlechtert hatte.

Die durch die unvollständige Absorption hervorgerufenen chemischen Reaktionen führten bei dem zurückgebliebenen Nahrungspräparat zur Geruchsbildung. Doch noch schlimmer war der Gestank, der vom Ausscheidungsorgan aufstieg, das der Patient nicht mehr unter willkürlicher Kontrolle hatte und dessen Absonderungen wie eine milchige Ausdünstung an der Unterseite des Körpers hängenblieben, bevor sie in das unter dem Gestell befindliche Absauggefäß tropften. Wirklich etwas riechen konnte Conway nicht, da sein Anzug eine eigene Luftversorgung besaß. Aber die FROB-Persönlichkeit, mit der er das Gehirn teilte, hatte diese Situation in ihrem Leben oft erlebt, und psychosomatisch bedingte Gerüche waren, wenn überhaupt, schlimmer als echte.

Der Patient war jedoch bei klarem Verstand, und die Gehirnstruktur würde noch ein paar Augenblicke über den Stillstand des Doppelherzens hinaus organisch unbeeinträchtigt bleiben. Darin lag die wirkliche Tragödie. Nur sehr selten gab es einen hudlarischen Geist, der in einem großen Körper, der um ihn herum unter Schmerzen verfällt, ruhig und ausgeglichen bleiben konnte, besonders wenn sich der Verstand dieses Vorgangs voll und in höchstem Maße bewußt war.

Verzweifelt suchte Conway nach einer Lösung, indem er das gerontologische Wissen durchforstete, über das man zu der Zeit verfügt hatte, als die Bänder in seinem Kopf aufgenommen worden waren, sowie die schmerzlichen Kenntnisse, die mit den Erinnerungen aus seiner Kindheit und den anschließenden medizinischen Erfahrungen zusammenhingen. Doch nirgends in seinem aus vielen verschiedenen Teilen bestehenden Gehirn waren Antworten zu finden. Die übereinstimmende Meinung aller Gehirnpartner lautete, daß er die Dosierung des Schmerzmittels erhöhen sollte, um den Patienten so beschwerdefrei wie möglich zu machen.

Als er diesen Zusatz in die Behandlungstabelle eintrug, vibrierte die Sprechmembran des Hudlarers stark, aber auch der Zustand dieses Organs verschlechterte sich, und diesmal waren die hervorgebrachten Laute zu undeutlich, als daß der Translator irgendeinen Sinn aus ihnen hätte machen können. Conway murmelte irgend etwas Beruhigendes, das, wie sie beide wußten, nichtssagend war, und ging weiter zum nächsten Gestell.

Der Zustand dieses Patienten war einen Hauch besser als der des vorhergehenden, und das Gespräch mit ihm war angeregt und umfaßte sämtliche Themen unter der hudlarischen Sonne bis auf diejenigen Punkte, die dem Patienten unangenehm waren. Aber Conway ließ sich nicht täuschen, und noch weniger sein hudlarisches Alter ego: Er wußte genau, daß dieser FROB sich an den letzten Stunden seines gesunden Verstands erfreute — obwohl das unter diesen Umständen kaum der passende Ausdruck dafür war. Die nächsten beiden Patienten sprachen überhaupt nicht mit ihm, und der letzte konnte sich zwar laut und deutlich ausdrücken, war aber nicht mehr bei Verstand.

Seine Sprechmembran vibrierte unablässig in dem breiten, zylindrischen Schalldämpfer, den man ihm angelegt hatte, um sowohl den Lärm als auch die psychischen Qualen derjenigen zu vermindern, die sich in Hörweite befanden, doch es entwich noch genügend, um Conway wirklich großes Unbehagen zu bereiten. Der Patient befand sich ebenfalls in erbärmlicher körperlicher Verfassung. Zusätzlich zum Zusammenbruch des Absorptionssystems an einem großen Bereich der Körperoberfläche, der Inkontinenz und des merklichen Verfalls, der an allen Gliedmaßen zu beobachten war, hatten zwei der Tentakel die Bewegungsfähigkeit eingebüßt und sahen haargenau wie zwei verfaulte Baumstämme aus.

„Diese Gliedmaßen müssen sofort operiert werden, Doktor“, sagte die Schwester, die damit beschäftigt war, den Patienten mit dem Nahrungspräparat zu besprühen, nachdem sie zuerst seinen Translator ausgeschaltet hatte. In der direkten Art aller Kelgianer fügte sie hinzu: „Um den Patienten am Leben zu erhalten, ist eine Amputation angesagt — falls das überhaupt noch etwas nützt oder wünschenswert ist.“

Unter normalen Umständen war die Verlängerung des Lebens eines Patienten durchaus wünschenswert und im Grunde der Hauptgesichtspunkt, und Conways Verstand wurde mit Informationen und Vorschlägen zur Behandlung des entsprechenden Leidens bei Melfanern, Kelgianern, Tralthanern und Terrestriern regelrecht überflutet. Doch der Spezies der physiologischen Klassifikation FROB war vor der Entdeckung von Hudlar durch die Föderation schon die bloße Vorstellung von einer heilenden Medizin unbekannt gewesen, und jeder umfangreichere operative Eingriff an hudlarischen Patienten war auch heute noch extrem gefährlich. Auf einem Planeten mit großer Schwerkraft und hohem Druck wie Hudlar mußte der Innendruck und die Stoffwechselgeschwindigkeit der dominanten Lebensform genauso hoch sein.

Das Kontrollieren der Blutung war sowohl während als auch nach der Operation schwierig. Und durch den Innendruckverlust, der eine unvermeidbare Begleiterscheinung der Operation war, konnten die neben dem Operationsbereich liegenden Organe deformiert und schwer beschädigt werden. Folglich rieten die hudlarischen Informationen in seinem Gehirn wie auch seine eigenen Fachkenntnisse in der FROB-Chirurgie zur Vorsicht, während die übrige Menge extraterrestrischen Wissens die sofortige Operation befürwortete. Aber eine zweifache Amputation an einem alterskranken und gefährlich geschwächten Patienten. Verärgert schüttelte Conway den Kopf und wandte sich ab.

Die kelgianische Schwester beobachtete ihn genau. „Soll diese Kopfbewegung ein Ja oder ein Nein auf meine Frage bedeuten, Doktor?“ erkundigte sie sich.

„Sie bedeutet, daß ich mich noch nicht entschieden habe“, antwortete Conway etwas ungehalten und flüchtete heilfroh auf die Kinderstation.

Während es der Wahrheit entsprach, daß die Hudlarer den größeren Teil ihres Lebens gegen Krankheiten und auch gegen alle Verletzungen, außer den ganz schweren, unempfindlich waren — der Hauptgrund, weshalb Medizin auf ihrem Planeten eine unbekannte Wissenschaft gewesen war —, galt das nicht für die ersten und letzten Jahre ihres Lebens. Conways jüngstes quälendes Erlebnis hatte allzu deutlich die Leiden gezeigt, für die alternde Hudlarer anfällig waren, und nun breitete sich das andere und viel weniger bedrückende Ende des klinischen Spektrums vor ihm aus.

FROBs im Kindesalter wurden anscheinend von sämtlichen Krankheitserregern in der suppenartigen Atmosphäre auf Hudlar befallen, bis ihre Körper, sofern sie die ersten paar Krankheiten überlebten, die natürlichen Abwehrkräfte entwickelten, die den größten Teil des äußerst langen Lebens anhielten. Zwar waren die meisten dieser Krankheiten von den Symptomen her äußerst spektakulär, führten aber jede für sich zum Glück nicht zum Tode. Der medizinischen Forschung der Föderation war es gelungen, für mehrere von ihnen Heilverfahren zu entwickeln, und an den übrigen Behandlungsmethoden wurde emsig gearbeitet. Obwohl keine Krankheit an sich als tödlich betrachtet werden konnte, drohte leider bei allen der Verlust des Lebens, weil die jungen FROBs durch jedes neue Leiden, das sie sich zuzogen, immer mehr geschwächt wurden. Für die Sterbewahrscheinlichkeit war ausschlaggebend, in welcher Reihenfolge die Krankheiten auftraten und von wie vielen ein FROB auf einmal befallen wurde. Solange keine spezifischen Heilmittel gegen sämtliche Krankheiten hergestellt werden konnten, war keine endgültige Lösung möglich.

Als Conway die höchst geschäftige Station betrat und sich umsah, gab ihm sein hudlarischer Gehirnpartner zu verstehen, daß eine Massenimmunisierung nicht die geeignete Lösung wäre, da seiner starken Überzeugung nach ein derartiger Schutz der jungen FROBs letzten Endes zu einer Schwächung der gesamten Spezies führen würde. Doch der Hudlarer, von dem das Band stammte, hatte nicht als Arzt gearbeitet — denn einen solchen Beruf hatte es damals auf Hudlar nicht gegeben —, sondern war eine seltsame Mischung aus Philosoph, Psychiater und Lehrer gewesen. Trotzdem ließ diese Überzeugung Conway keine Ruhe, bis plötzlich ein sechsbeiniges Kind von einer halben Tonne Lebendgewicht auf ihn zugestürmt kam, lauthals den Wunsch zu spielen kundtat und damit sämtliche Gedanken aus Conways Kopf verscheuchte — bis auf den, ein sofortiges Ausweichmanöver einzuleiten.

Er stellte seinen G-Gürtel auf ein viertel Ge ein und sprang direkt nach oben auf das Geländer des Beobachtungsstegs, gerade noch rechtzeitig, bevor der junge Hudlarer krachend gegen die Wand prallte und damit sowohl die Schalldämpfuing als auch die Konstruktion der Station einem Härtetest unterzog. Von seinem erhöhten Standort aus konnte Conway sehen, daß sich auf der Station weniger als zwanzig Patienten befanden, die sich trotz der vier Ge auf Bodenhöhe allesamt so schnell hin und her bewegten, daß wenigstens dreimal so viele von ihnen vorhanden zu sein schienen. Wenn sie gelegentlich anhielten, um die Richtung zu wechseln, erkannte er, daß die meisten von ihnen einen erschreckenden Hautzustand aufwiesen.

Gerade war eine erwachsene Hudlarerin mit einem auf den Rücken geschnallten Nahrungspräparatbehälter damit fertig, einen jungen FROB zu besprühen, den sie am anderen Ende der Station in die Enge getrieben und ruhiggestellt hatte. Als sie Conway entdeckte, kam sie schwerfällig auf ihn zu.

Sie trug das Abzeichen einer Schwesternschülerin, stellte aber, zumindest auf dieser Station, wenig mehr als eine Kinderpflegerin dar. Doch wie Conway wußte, gehörte sie zu den drei FROBs, die am Orbit Hospital eine medizinische Ausbildung genossen und zu den ersten Mitgliedern dieser Spezies zählten, die man dafür ausgewählt hatte, auf ihrem Planeten das Konzept einer vorbeugenden und heilenden Medizin vorzustellen. In ihrer gegenwärtigen Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht war sie ein ausgesprochen hübsches Wesen und verhielt sich ganz im Gegensatz zur kelgianischen Schwester in der geriatrischen Abteilung ihm gegenüber äußerst höflich und respektvoll.

„Kann ich Ihnen helfen, Doktor?“ fragte sie, wobei sie zu ihm aufsah. Plötzlich breitete sich eine Flut von Lebenserinnerungen seines Alter ego in Conways Kopf aus, so daß er kein Wort über die Lippen brachte.

„Patient sieben, der kleine Metiglesh, der eben mit Ihnen spielen wollte, spricht sehr gut auf die neue, von Diagnostiker Thornnastor erarbeitete Behandlung an“, fuhr die FROB fort. „Falls Sie den Kleinen mit dem Scanner untersuchen wollen, kann ich ihn ganz leicht ruhigstellen.“

Für eine hudlarische Schwester dürfte das allerdings wirklich kein Problem sein, dachte Conway sarkastisch. Deshalb beschäftigte man auf dieser Station auch eine Schwesternschülerin der Klassifikation FROB — diese wußte ganz genau, wieviel Gewalt man bei den kleinen Plagegeistern anwenden mußte, während gleichermaßen oder höher qualifizierte Schwestern anderer Spezies Angst hätten, die tatsächlich notwendige Kraft aufzubringen, weil sie den Patienten nicht verletzen wollten.

Junge Hudlarer waren ungeheuer robust, und manche erwachsene waren unglaublich schön.

„Ich habe nur mal kurz hereingeschaut, um nach dem Rechten zu sehen, Schwester“, gelang es Conway schließlich zu antworten. „Aber offensichtlich haben Sie hier ja alles unter Kontrolle.“

Während er das Wesen unter sich mit großen Augen anstaunte, vermehrten sich seine Kenntnisse über die FROBs um das Wissen darüber, was es wirklich für ein Gefühl war, ein Hudlarer männlichen Geschlechts zu sein, denn das war der Bandurheber zur Zeit der Aufnahme gewesen. Außerdem erinnerte sich Conway kaum weniger deutlich daran, zu den weiblichen FROBs gehört zu haben. Er entsann sich noch der Ankunft eines neuen Nachkommen, und wie der Geburtsvorgang seinen eigenen Hormonhaushalt drastisch verändert hatte, so daß er wieder ein Mann geworden war. Auf Hudlar hatte man das einzigartige Glück, daß beide Partner abwechselnd ihre eigenen Kinder gebären konnten.

„Uns statten viele Wesen aus der geriatrischen Abteilung, die ein hudlarisches Physiologieband im Kopf gespeichert haben, einen Besuch ab“, fuhr die Schwester fort, ohne sich des Chaos bewußt zu sein, das sie in Conways Kopf verursachte. Dessen hudlarisches Alter ego verwirrte ihn mit Wissen, Erinnerungen, Erlebnissen und Wunscherfüllungsphantasien vom Umwerben, vom Liebesspiel und von gewaltigen Paarungen, vor denen sein terrestrisches Gehirn entsetzt zurückschreckte. Doch in diesem Augenblick stand Conway nicht mehr unter der Kontrolle des eigenen Verstands.

Verzweifelt versuchte er, wieder Herr über sich selbst zu werden, den überwältigenden primitiven Instinkt zu bekämpfen, der ihm das Denken unmöglich machte. Während die Schwester weitersprach, bemühte er sich, nur die nichthudlarischen Finger in den dünnen Handschuhen anzusehen, die er um das Geländer gekrallt hatte. „Ein Besuch in der geriatrischen Abteilung ist für einen Hudlarer oder für ein Wesen, das ein Hudlarerband im Kopf gespeichert hat, immer erschütternd. Ich selbst würde, sofern man mich nicht darum bittet, keinen Fuß hineinsetzen, und denjenigen, die das aus rein beruflichem Pflichtgefühl heraus tun, gilt meine uneingeschränkte Hochachtung und Bewunderung. Ein Besuch bei uns soll, wie es heißt, den allzu bedrückten Köpfen oft zu angenehmeren Gedanken verhelfen.

Es steht Ihnen natürlich frei, so lange hierzubleiben, wie Sie es für nötig halten, Doktor, egal, aus welchem Grund“, fügte sie verständnisvoll hinzu. „Und falls ich Ihnen irgendwie helfen kann, brauchen Sie es nur zu sagen.“

Der Verstand von Conways hudlarischem Gehirnpartner war inzwischen auf die Urinstinkte reduziert worden. Der Diagnostiker auf Probe krächzte irgend etwas, mit dem der Translator wahrscheinlich nichts anfangen konnte, und hastete beinahe im Laufschritt den Steg entlang zum Ausgang.

Jetzt reiß dich, um Himmels willen, zusammen! fuhr er sich selbst im stillen an. Die wiegt zwanzigmal soviel wie du…!

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