12. Kapitel

Dem Meneldensystem waren Katastrophen nicht unbekannt. Vor etwa sechzig Jahren war es von einem Aufklärungsschiff des Monitorkorps entdeckt worden, dessen Captain das traditionelle Recht wahrgenommen hatte, ihm einen Namen zu geben, da keine Anzeichen für im System beheimatetes intelligentes Leben mit einem eigenen Namen für den Planeten bestanden hatten. Sollte es in ferner Vergangenheit solches Leben gegeben haben, dann war davon jede Spur ausgelöscht worden, als ein gewaltiger Erzbrocken vom Umfang eines Planeten in das System raste, mit dem größten äußeren Planeten kollidierte, schwere Zerstörungen anrichtete und zum Schluß auch mit den übrigen Planeten zusammenstieß, die sich alle im engen Orbit um den Hauptplaneten herum befanden.

Als sich das System schließlich wieder stabilisiert hatte, war Menelde eine alternde gelbe Sonne, die von einer schnell umherwirbelnden, zum Großteil aus Metall bestehenden Asteroidenwolke umgeben war. Direkt nach ihrer Entdeckung kam aus allen Ecken der galaktischen Föderation Leben in das Meneldensystem, und zwar in Form von Bergwerksbetrieben und Metallverarbeitungsfabriken sowie des dazugehörigen Personals. Natürlich ereigneten sich in dieser kosmischen Illustration der Brownschen Molekularbewegung auch etliche Unfälle.

Die Einzelheiten von einem dieser Unfälle wurden erst Wochen später bekannt, und wer letztendlich die Verantwortung dafür zu tragen hatte, sollte nie festgestellt werden können.

Von Schleppern wurde gerade eine riesengroße Wohneinheit zur Unterbringung der vielen verschiedenen Spezies, aus denen sich das Personal für den Bergbau und die Metallverarbeitung zusammensetzte, von einem ausgebeuteten Gebiet zu einem noch nicht erschöpften befördert und verfolgte dabei schwerfällig eine Bahn zwischen den sich langsam bewegenden oder relativ reglosen Asteroiden und dem übrigen Bergwerksverkehr, der in ähnlich heiklen dreidimensionalen Navigationsmanövern begriffen war.

Bei einem der Schiffe, das auf seinem Kurs sicher aber auch unangenehm nah an der Wohneinheit und den Schleppern vorbeizufliegen pflegte, handelte es sich um einen bis obenhin mit Metallträgern und — platten beladenen Frachter. Zwischen den Triebwerken am Heck und der winzigen Kommandokapsel am Bug war der Frachter vollkommen offen gebaut, um das Be- und Entladen zu erleichtern. Das führte dazu, das die deutlich sichtbare und anscheinend nicht allzu sicher an den Vertäuungspunkten befestigte Metallmasse den ranghöchsten Schlepperkapitän unter übermäßigen psychischen Druck setzte und ihn veranlaßte den Kapitän des Frachters zum Abdrehen aufzufordern.

Der Kapitän des Frachters protestierte und beteuerte beharrlich, daß sie absolut gefahrlos aneinander vorbeifliegen könnten, während sich sein Schiff und die gewaltige Wohneinheit schwerfällig aufeinander zuschoben. Das letzte Wort hatte jedoch der ranghöchste Schlepperkapitän, der die Verantwortung für ein Gebilde trug, das nicht selbst manövrieren konnte und in dem sich, im Gegensatz zum Frachter mit seiner dreiköpfigen Besatzung, mehr als tausend Lebewesen befanden.

Wegen des ungeheuren Gewichts und der Trägheit seiner Ladung schwenkte der Frachter äußerst langsam quer zur Wohneinheit, um sich auf diese Weise mit den Haupttriebwerken aus der Gefahrenzone zu bringen, bevor sich ihre Pfade kreuzen konnten. Die beiden Schiffe näherten sich, allerdings nur langsam, und es war noch jede Menge Zeit.

In diesem Augenblick entschloß sich der Aufseher der Wohneinheit, obwohl er keinerlei Anlaß zur Besorgnis hatte, eine Notfallübung abzuhalten.

Das eindringliche Aufblitzen der Warnleuchten und das Kreischen der Alarmsirenen, die der ranghöchste Schlepperkapitän im Hintergrund hören konnte, als er mit der Wohneinheit in Sprechverbindung stand, mußten auf ihn beunruhigend gewirkt haben. Er kam zu der Überzeugung, der Frachter wende zu langsam, und schickte zwei seiner Schlepper los, um das Manöver mit Pressorstrahlen zu unterstützen. Ungeachtet der wiederholten bissigen Beteuerungen des Frachterkapitäns, für das Manöver sei noch reichlich Zeit und man habe alles unter Kontrolle, wurde der Frachter schnell quer zur sich nähernden Wohneinheit geschoben, also in die Position, aus der ihn ein kurzer Schub der Triebwerke innerhalb weniger Sekunden herausbringen würde.

Da zündeten die Triebwerke nicht.

Ob das Versagen auf die Wirkung der eiligst auf die freiliegenden, zwischen der Kommandokapsel und den Triebwerken verlaufenden Steuerungsgestänge des Frachters gebündelten Pressorstrahlen zurückzuführen war — die Gestänge konnten durchaus so verbogen worden sein, daß sie sich nicht mehr bewegen ließen —, oder ob das Schicksal entschieden hatte, das Steuerungssystem in genau diesem entscheidenden Moment ausfallen zu lassen, sollte man nie in Erfahrung bringen können. Doch bis zum Zusammenstoß blieben noch ein paar Minuten Zeit.

Ohne das geordnete Durcheinander an Bord der Wohneinheit zu beachten, wo der Aufseher seinen Leuten verzweifelt klarzumachen versuchte, daß die Notfallübung mittlerweile zu einem echten Einsatz geworden war, setzte der Frachterkapitän die Lagesteuerungsdüsen mit maximaler Überlastung ein, um das Schiff wieder auf den ursprünglichen, sicheren Steuerkurs zu bringen. Doch das gewaltige Gewicht eines mit Schwermetallen bis oben hin beladenen Schiffs war mehr, als die Düsen bewältigen konnten. Langsam, beinahe sanft, stieß der Bug des Frachters schließlich gegen den vorderen Teil der Wohneinheit.

Durch den plötzlichen auf die Längsachse einwirkenden Stoß brach der Frachter, dessen Rumpf nur für vertikale Lasten gebaut war, auseinander. Gigantische Metallträger rissen sich von den Vertäuungspunkten los, die Haltegurte aus Metall zerrissen wie Bindfäden, und die langen offenen Gestelle, in denen die Metallplatten lagen, fielen beim Auseinanderbrechen des Schiffsrumpfs zusammen und schleuderten ihre Ladung wirbelnd wie einen langsam fliegenden Wurfmesserhagel auf die Seitenwand der Wohneinheit zu. Und unter den sich drehenden Metallplatten und — trägern und Teilen des Frachterrumpfs befand sich auch radioaktives Material aus dem Schiffsreaktor.

Viele Platten stießen mit der Kante gegen die Einheit und schlitzten die Außenhaut mehrere hundert Meter weit auf, bevor sie wieder weggeschleudert wurden. Dann krachten die Metallträger gegen die bereits beschädigte Außenhaut und rissen in Dutzende von Wohnräume Löcher oder bohrten sich wie riesengroße Speere tief ins Innere der Einheit. Durch die Kollision wurde die vorwärts fliegende Wohneinheit schlagartig zum Stehen gebracht und in ein sich langsam drehendes, halbes Wrack verwandelt, das abwechselnd eine Seite zeigte, die unbeschädigt war, und eine, die ein Bild vollkommener Verwüstung bot. Einer der Schlepper flog der sich ausbreitenden Metallwolke hinterher, die einst der Frachter mitsamt seiner Ladung gewesen war, um deren Kurs für die spätere Bergung zu verzeichnen und nach eventuellen Überlebenden von der Besatzung zu suchen. Die übrigen Schlepper brachten die sich drehende Wohneinheit zum Stillstand und halfen, wo sie nur konnten, bis die Hilfstrupps aus den nahegelegenen Bergbaubetrieben und schließlich die Rhabwar eintrafen.

Bis auf einige Hudlarer, denen das Vakuum nichts ausmachte, und eine Anzahl von Tralthanern, die ebenfalls kurze Zeit im luftleeren Raum existieren konnten, indem sie sich in den Winterschlafzustand versetzten und sämtliche Körperöffhungen schlossen, hatte niemand auf der aufgerissenen Seite der Wohneinheit überlebt.

Selbst die ungeheuer starken und mit widerstandsfähiger Haut versehenen Hudlarer und Tralthaner konnten nicht unter Nulldruck leben, wenn ihre Körper offene Wunden hatten, denn bei starker, explosionsartiger Dekompression zogen sich die bedauernswerten Geschöpfe Leiden zu, die nicht einmal im Orbit Hospital geheilt werden konnten.

Am schwersten waren die Unterkünfte der Hudlarer und Tralthaner von den Folgen des Zusammenstoßes betroffen worden. An allen übrigen Stellen war keine Luft aus der Wohneinheit entwichen, obwohl die Bewohner aufgrund der Bestimmungen für Notfallübungen sowieso Raumanzüge trugen und ein Druckabfall somit kein Problem gewesen wäre.

Dafür hatten in diesen Bereichen die abrupte Geschwindigkeitsabnahme und der Drall nach der Kollision zu Unfallopfern geführt — und zwar zu Hunderten, deren Verletzungen zwar ernsthaft, wegen der schützenden Anzüge aber nicht kritisch ausgefallen waren. Nachdem man in der Wohneinheit die künstliche Schwerkraft wiederhergestellt hatte, wurden diese Verletzten von den Ärzten der eigenen Spezies behandelt, die im Industriekomplex des Meneldensystems arbeiteten, und dann auf provisorische Stationen gebracht, wo sie auf den Transport zum jeweiligen Heimatplaneten zur weiteren Behandlung oder Erholung warteten.

Nur die wirklich schweren Fälle verlegte man ins Orbit Hospital.

Die Nachricht vom Unfall im Meneldensystem hatte das Hospital gerade rechtzeitig erreicht, um Conway die Auseinandersetzung mit einem anderen ernsthaften Problem zu ersparen, obwohl es nach Conways eigenem Dafürhalten weder bewundernswürdig noch selbstlos war, einen schweren Unfall als willkommenen Vorwand für das Verschieben einer besonders beunruhigenden Begegnung zu nehmen.

Allmählich hatten die Schulungsbänder nämlich einen derart starken Einfluß auf ihn genommen, daß er kaum noch sagen konnte, ob bestimmte Gefühle von ihm selbst oder von einem oder allen seiner Gehirnpartner stammten. Dieser Zustand wirkte sich bereits so stark auf ihn aus, daß er, je näher die dienstfreie Zeit rückte, in zunehmendem Maße die Zusammenkunft mit Murchison fürchtete, wenn sie sich unter Umständen, die zwangsläufig zu körperlichen Intimitäten führten, in ihrer Unterkunft begegneten. Er wußte einfach nicht, wie er auf seine Lebenspartnerin reagieren sollte, wie gut er — wenn überhaupt — die Situation in den Griff bekommen könnte und, was am wichtigsten war, wie Murchison seine Reaktionen aufnehmen würde.

Da wurde die Rhabwar plötzlich zum Meneldensystem gesandt, um die Rettungsaktion zu koordinieren und die schwerer Verletzten ins Hospital zu bringen, und Murchison, ein maßgebendes Mitglied des medizinischen Teams, befand sich an Bord.

Zuerst war Conway überaus erleichtert. Doch als früherer Leiter des medizinischen Teams des Schiffs war er sich der Gefahr bewußt, die Murchison von solch einem Unfall drohte, der im Verlauf einer großangelegten Rettungsaktion sehr leicht passieren konnte, und er machte sich allmählich Sorgen. Anstatt sich zu freuen, ihr etwa einen Tag lang nicht begegnen zu müssen, sah er sich auf die Unfallaufnahmeschleuse zusteuern, kurz bevor das Ambulanzschiff nach dem ersten Rückflug andocken sollte.

Er erspähte Naydrad und Danalta, die bei der Schleuse für den Weitertransport standen und einen recht großen Abstand zum Unfallaufnahmeteam hielten, das bei seiner Tätigkeit offenbar keinerlei Hilfe benötigte.

„Wo ist Pathologin Murchison?“ wollte Conway sofort wissen, als eine Trage mit etwas vorbeikam, das wie ein Tralthaner mit einer mehrfachen, durch Gewalteinwirkung herbeigeführten Amputation aussah. Das Wissen vom FGLI-Band drängte sich in seinem Gehirn in den Vordergrund und schlug eindringlich Behandlungsmethoden für diesen Patienten vor. Conway schüttelte unwillkürlich den Kopf, um klare Gedanken zu fassen, und sagte in bestimmterem Ton: „Ich will Murchison sprechen!“

Der neben der völlig untypisch schweigsamen Naydrad stehende Danalta nahm langsam die Körperkonturen einer weiblichen Terrestrierin an, die von den Umrissen und der Größe her denen der Pathologin entsprachen. Als er Conways Mißfallen spürte, sackte er wieder zur eigenen Unförmigkeit zusammen.

„Befindet sie sich an Bord?“ fragte Conway in scharfem Ton.

Das Fell der Schwester kräuselte sich und zog sich zu unregelmäßigen Büschelmustern zusammen, die Conways kelgianischem Alter ego verrieten, daß sie äußerst abgeneigt war zu antworten und mit Unannehmlichkeiten rechnete.

„Ich habe ein kelgianisches Band im Kopf gespeichert“, klärte Conway sie leise auf und deutete auf ihr verräterisches Fell. „Was bereitet Ihnen denn solches Kopfzerbrechen, Schwester?“

„Pathologin Murchison hat es vorgezogen, lieber an der Unglücksstelle zu bleiben, um Doktor Prilicla beim Sortieren der Unfallopfer behilflich sein zu können“, antwortete Naydrad schließlich.

„Beim Sortieren der Unfallopfer?“ stieß Conway ungläubig aus. „Prilicla sollte sich nicht Dingen aussetzen, die. Verdammter Mist! Ich fliege am besten selbst dorthin, um vor Ort zu helfen. Hier sind ja genügend Ärzte zur Behandlung der Verletzten und falls. Haben Sie etwas dagegen einzuwenden?“

Naydrads Fell bildete eine neue und dringendere Folge von Büscheln und Wellen.

„Doktor Prilicla ist der Leiter des medizinischen Teams“, sagte die Kelgianerin. „Sein angemessener Platz ist am Unglücksort, um die Rettungsaktion und die Aufteilung der Verletzten zu koordinieren, egal, welche körperlichen oder seelischen Schäden möglicherweise daraus erwachsen. Die Anwesenheit eines früheren Teamleiters könnte als indirekte Kritik an seinen beruflichen Fähigkeiten angesehen werden, mit der dortigen Situation nicht fertig zu werden, was er bislang aber vorbildlich gemeistert hat.“

Da er die Bewegungen des ausdrucksfähigen Fells der Kelgianerin beobachtete, war Conway nicht über das Mitgefühl erstaunt, das Naydrad für einen Vorgesetzten bewies, der sich erst wenige Tage im Dienst befand. Es lag in der Natur der Dinge, daß Vorgesetzte respektiert und manchmal gefürchtet wurden und ihre Untergebenen ihnen normalerweise widerwillig gehorchten. Doch hatte Prilicla den Beweis erbracht, daß es durchaus möglich war, die Leitung innezuhaben und dennoch Treue entgegengebracht zu bekommen, indem er die Untergebenen durch eine ganz bestimmte Art Furcht zum Gehorsam bewegte — nämlich durch die Angst, versehentlich die Gefühle des Chefs verletzen zu können.

Als Conway nicht reagierte, fuhr Naydrad fort: „Wir haben Ihr Hilfsangebot vorausgesehen. Deshalb ist Murchison dortgeblieben, um Prilicla zu helfen. Durch seine empathischen Fähigkeiten braucht der Cinrussker, wie Sie ja selbst wissen, nicht in unmittelbarer Nähe der Verletzten arbeiten. Darum kann er einen relativ hohen Sicherheitsabstand einhalten, während sich Murchison unter die Verletzten begibt, wie Sie es getan hätten, wenn Sie an den Unglücksort geflogen wären.“

„Doktor“, brach Danalta sein langes Schweigen, „Pathologin Murchison erhält abwechselnd von mehreren großen, äußerst muskulösen Lebewesen ihrer eigenen oder anderer Spezies Hilfe, die in schweren Rettungstechniken ausgebildet sind. Diese Lebewesen sind dafür verantwortlich, die Verletzten auf Anweisung der Pathologin aus den Trümmern zu bergen und dafür zu sorgen, daß Murchison nicht von denselben Trümmern gefährdet wird.

Ich erwähne das nur, Doktor, um Sie bezüglich der Sicherheit Ihrer Lebensgefährtin zu beruhigen“, fügte Danalta hinzu.

Nach den eher barschen Worten Naydrads klang der höfliche und respektvolle Ton Danaltas beinahe unterwürfig. Doch auch die TOBS hatten als notwendige Ergänzung zu ihren Fähigkeiten zur defensiven und offensiven Schutzanpassung ein gewisses Maß an Empathie entwickelt, und Respekt bewirkte bei ihnen eine Verwandlung, ob diese nun wirklich oder nur vorgetäuscht war.

„Das war sehr rücksichtsvoll von Ihnen, Danalta“, bedankte sich Conway bei dem Gestaltwandler und wandte sich dann wieder an Naydrad. „Wenn ich mir allerdings Prilicla beim Sortieren der Verletzten vorstelle, dann.“

Allein die Vorstellung genügte, um Conway und jeden anderen, der den kleinen Empathen kannte, schaudern zu lassen.

Schon als der Empath Mitglied des medizinischen Teams der Rhabwar gewesen war, hatten die Reichweite und die Empfindlichkeit seiner empathischen Fähigkeiten unschätzbaren Wert besessen, und obwohl Prilicla jetzt das Team leitete, hatte sich an den äußeren Umständen nichts geändert. Der Empath konnte die emotionale Ausstrahlung der Verletzten in einem Wrack spüren, insbesondere von denen, die sich nicht rührten, schwer verwundet waren und anscheinend nicht mehr lebten, und mit absoluter Genauigkeit feststellen, in welchen Schutzanzügen Leichen und in welchen Überlebende steckten. Das gelang ihm, indem er sich auf die restliche emotionale Ausstrahlung des Gehirns des oftmals tief bewußtlosen Verletzten einstellte. Durch die Wahrnehmung der Empfindungen des bewußtlosen Gehirns und die Analyse der Ergebnisse konnte er erkennen, ob Hoffnung darauf bestand, den noch vorhandenen Lebensfunken neu zu entfachen. Wenn ein Überlebender zum Retten übrigbleiben sollte, mußte man sich mit Raumunfällen auf dem schnellsten Wege befassen, und Priliclas empathische Fähigkeiten hatten dabei entscheidende Zeit gespart und sehr viele Leben gerettet.

Diese Fähigkeiten forderten jedoch einen hohen Preis, denn in vielen Fällen mußte Prilicla mit jedem der Verletzten lange oder kurze Zeit leiden, bevor derartige Diagnosen oder Beurteilungen abgegeben werden konnten. Aber die Opfer des Unfalls im Meneldensystem zu sortieren würde für Prilicla bedeuten, auf emotionales Leid von einer völlig neuen Größenordnung zu stoßen. Zum Glück konnten Murchisons Empfindungen für den kleinen Empathen nur als geradezu blindwütig mütterlich bezeichnet werden, und sie würde bestimmt sicherstellen, daß der Cinrussker dem Sturm emotionaler Ausstrahlungen — all die Schmerzen und die panische Angst und das Leid der Verletzten und ihrer am Leben gebliebenen Freunde —, der in dieser zerstörten Wohneinheit tobte, nur aus allergrößter Entfernung und so kurz wie möglich ausgesetzt war.

Zum Sortieren von Unfallopfern war die Anwesenheit eines Chefchirurgen am Ort des Geschehens erforderlich. Prilicla zählte zu den besten Chirurgen des Hospitals, wobei ihm eine Pathologin zur Seite stand, die nur von denjenigen Pathologen übertroffen wurde, die den Rang eines Diagnostikers einnahmen. Mit vereinten Kräften müßten die beiden in der Lage sein, die besonders entsetzliche Aufgabe, den Zustand der Verwundeten zu beurteilen, ohne Verzögerung oder Unschlüssigkeit zu bewältigen.

Dabei würden sie sich nach Verfahren richten, die in ferner Vergangenheit für umfangreiche medizinische Notfälle festgelegt worden waren, zu einer Zeit also, als Luftangriffe, Bombardements, terroristische Bombenanschläge und ähnliche Auswirkungen als Folge der bei verschiedenen Spezies vorkommenden Massenpsychose namens Krieg die Zahl der Todesopfer reiner Naturkatastrophen unnötig vergrößert hatten. In solchen Zeiten konnte man weder medizinische Mittel noch Zeit und Mühe für hoffnungslose Fälle verschwenden, und das war auch der Grundgedanke, der hinter dem Sortieren von Verletzten steckte.

Dabei wurden die Unfallopfer nach der Schwere der Verletzungen eingeschätzt und in drei Gruppen aufgeteilt. Die erste enthielt die Verunglückten mit oberflächlichen oder nicht tödlichen Verletzungen, diejenigen, die an einem seelischen Trauma litten, sowie diejenigen, die nicht sterben würden, selbst wenn sich die Behandlung verzögern sollte, und warten konnten, bis der Transport zu den Krankenhäusern ihrer Heimatplaneten möglich war. Die zweite Gruppe umfaßte die Wesen, die so schwer verwundet waren, daß ihr Zustand trotz aller Maßnahmen zum Tod führen würde, und denen man die letzten Augenblicke vor dem Lebensende nur so angenehm wie möglich gestalten konnte. In der dritten und wichtigsten Gruppe befanden sich schließlich diejenigen, die zwar schwer verletzt waren, aber recht gute Überlebenschancen besaßen, wenn die angezeigte Behandlung ohne Verzögerung vorgenommen werden konnte.

Bei den Verletzten, die man ins Orbit Hospital schickte, handelte es sich um die der dritten Gruppe, dachte Conway, als er gerade auf eine weitere vorbeikommende Trage einen Blick warf, deren Druckhülle aufgeblasen war. Der darunter liegende organische Inhalt war von den Geräten zur Lebenserhaltung dermaßen verdeckt, daß man nicht einmal mit Sicherheit seine physiologische Klassifikation bestimmen konnte. Nach Conways Auffassung handelte es sich bei dem Patienten um einen Grenzfall zwischen den Gruppen zwei und drei.

„Das ist der letzte Verwundete dieses Flugs, Doktor“, sagte Naydrad schnell. „Wir müssen gleich wieder los, um den nächsten Schub zu holen.“

Die Kelgianerin machte sich davon und näherte sich mit wellenförmigen Bewegungen dem Bordtunnel der Rhabwar. Danalta nahm wieder die Form einer dunkelgrünen Kugel an, die außer einem Auge, mit dem er Conway betrachtete, und einem Mund, mit dem er ihn ansprach, keine weiteren Merkmale aufwies.

„Sie werden bereits bemerkt haben, Doktor, daß Chefarzt Prilicla die chirurgischen Fähigkeiten seiner Kollegen äußerst hoch einschätzt und außerdem überaus abgeneigt ist, auch nur einen der Verletzten in die Gruppe der hoffnungslosen Fälle einzuordnen.“

Als der JOBS schnell hinter Naydrad herrollte, wurde der Mund zu einer glatten Fläche, und das Auge zog sich in die Kugel zurück.

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