In der Dunkelheit näherte ich mich stolpernd den Mauern Ko-ro-bas, wobei ich mit dem Schaft meines Speers auf das Straßenpflaster klopfte, um nicht vom Wege abzukommen und Schlangen zu verscheuchen. Es war ein Alptraummarsch, ein sinnloses Unterfangen, diese Suche nach meiner Stadt, mitten in der Nacht. Oft stieß ich auf Hindernisse und stürzte, mußte Kratzer einstecken, doch ich wurde von meinen selbstquälerischen Zweifeln und Ängsten vorangetrieben, die mir keine Ruhe gönnten, bis ich wieder auf den geschwungenen Brücken Ko-ro-bas stand.
War ich nicht Tarl aus Ko-ro-ba? Gab es denn diese Stadt nicht? Jeder Pasangstein sprach davon — verkündete, daß am Ende der Straße eine solche Stadt wartete. Aber warum war die Straße so ungepflegt? Warum reiste niemand darauf? Warum hatte sich Zosk aus der Kaste der Holzträger so seltsam benommen? Warum zeigten mein Schild, mein Helm und meine sonstige Ausrüstung nicht das stolze Wappen Ko-ro-bas?
Einmal schrie ich schmerzerfüllt auf. Zwei Hauer hatten sich in meinen Schenkel verbissen. Eine Ost, dachte ich zuerst. Doch die Zähne ließen nicht locker, und ich hörte das knallende, saugende Geräusch der blasenähnlichen Samenbeutel einer Blutpflanze, die sich wie kleine, häßliche Lungen zusammenzogen und wieder dehnten. Ich bückte mich und riß die Pflanze am Straßenrand aus dem Boden. Sie wand sich mit keuchenden Beuteln wie eine Schlange in meiner Hand. Ich zerrte die beiden hahnähnlichen Spitzen aus meinem Fleisch. Die Blutpflanze stoßt wie eine Kobra zu und schlagt zwei hohle Dornen in ihre Opfer. Die chemischen Reaktionen auf die blasenähnlichen Beutel führen zu einer mechanischen Pumpwirkung, und das Blut wird in die Pflanze gesaugt, die sich davon ernährt. Als ich das Ding von meinem Bein entfernte, erleichtert, daß es nicht die Zähne der bösartigen Ost gewesen waren, kamen die drei Monde Gors hinter den dunklen Wolken hervor. Ich hielt die zitternde Pflanze in die Hohe und riß sie auseinander. Schon vermischte sich mein Blut, dunkelschimmernd in der silbrigen Nacht, mit den Säften der Pflanze und verdunkelte den Stengel bis zu den Wurzeln. In etwa zwei oder drei Sekunden hatte sie fast einen Viertelliter Flüssigkeit angesaugt. Erschauernd schleuderte ich die Pflanze von mir. Gewöhnlich werden solche Gewächse von den Straßenrändern und aus bewohnten Gegenden entfernt. Sie sind gefährlich, vorwiegend für Kinder und kleine Tiere, doch auch ein erwachsener Mann, der sich in eine Gruppe solcher Pflanzen verirrt, kann zu Schaden kommen. Ich machte Anstalten, meine Wanderung fortzusetzen, dankbar, daß mir die drei goreanischen Monde den gefährlichen Weg etwas erhellten. Ich fragte mich in einem Augenblick der Vernunft, ob es nicht besser gewesen wäre, ein Versteck zu suchen, und ich wußte auch, daß ich nichts Besseres tun konnte, aber ich schaffte es einfach nicht; in mir brannte eine Frage, die ich mir nicht zu beantworten wagte. Nur mit Augen und Ohren würde ich meine Befürchtungen widerlegen oder bestätigen können. Ich suchte nach einer Wahrheit, die ich nicht kannte, die ich aber finden mußte — und diese Wahrheit wartete am Ende der Straße auf mich.
Plötzlich nahm ich einen fremden, unangenehmen Duft wahr, wie von einem gewöhnlichen Wiesel, nur stärker. Sofort wurde ich hellwach. Ich erstarrte — eine instinktive Reaktion.
Ich machte kein Geräusch, bewegte mich nicht, suchte den Schutz der Stille und Unbeweglichkeit. Unmerklich wandte ich den Kopf und suchte die Felsen und Büsche links und rechts der Straße ab. Ich glaubte, ein leises Schnauben zu vernehmen, ein Grunzen, ein hundeähnliches fiepen. Dann war es wieder still.
Auch das unbekannte Wesen war erstarrt; es spürte wahrscheinlich meine Gegenwart. Anscheinend handelte es sich um einen Sleen, hoffentlich um ein junges Tier. Ich nahm an, daß es nicht mir auf den Fersen gewesen war, sonst hatte ich es bestimmt nicht gerochen, denn es hätte sich dann gegen den Wind genähert. Ich blieb vielleicht sechs oder sieben Minuten unbeweglich stehen. Dann sah ich den Sleen, der sich auf sechs stämmigen Beinen wie eine pelzige Eidechse vor mir über die Straße wand. Die spitze, behaarte Schnauze schwankte von links nach rechts und schnupperte in den Wind.
Ich atmete erleichtert auf.
Es war tatsächlich ein junger Sleen, kaum zweieinhalb Meter lang. Dem Tier fehlte noch die Erfahrung und die Geduld eines älteren Tiers. Sein Angriff, wenn es auf mich aufmerksam werden sollte, würde ziemlich laut ausfallen, eine pfeifende Attacke, ein ungeschicktes, kreischendes vorwartsstürmen. Das Tier glitt in die Dunkelheit davon, vielleicht nicht ganz überzeugt, daß es allein war, ein Jungtier, das sich noch nicht allzu sehr um solche leichten Witterungen kümmerte und sie ignorierte — Witterungen, die in Gors brutaler Tierwelt den Unterschied zwischen Tod und Überleben ausmachen Können.
Ich setzte meine Wanderung fort.
Wieder hatten sich die drei goreanischen Monde hinter schwarzen, dahineilenden Wolken versteckt, und es begann windig zu werden. Ich sah die Schatten großer Ka-la-na-Bäume, die sich vor der Dunkelheit der Nacht beugten; die unzähligen Blätter bewegten sich raschelnd an den langen Asten. Regen lag in der Luft. In der Ferne zuckte plötzlich ein Blitz auf, und leiser Donner drang Sekunden später an meine Ohren. Als ich weitereilte, nahm meine Besorgnis zu. Ich hatte das Gefühl, daß ich inzwischen langst die Lichter der Zylinderstadt Ko-ro-ba sehen müßte. Und doch war nichts auszumachen. Die Stadt mußte im Dunkeln liegen.
Warum hingen keine Lampen an den hohen Brücken? Warum waren die Zimmer der Stadt nicht bunt erleuchtet, sprachen von Diskussionen, Trinkgelagen, Liebeslagern? Warum brannten die gewaltigen Lichter auf den Mauern nicht, die die weit ausfliegen- den Tarnkämpfer der Stadt in den Schutz ihrer Mauern riefen? Ich blieb neben einem Pasangstein stehen und versuchte mir diese Fragen zu beantworten, versuchte das Rätsel zu ergründen. Ich war verwirrt, unsicher. Ich bückte mich und betrachtete die Zahl auf dem Stein. Es stimmte — ich mußte die Lichter Ko-ro-bas sehen können. Und doch war vor mir nur Dunkelheit. Nun fiel mir auch auf, das ich nicht einmal die Lagerfeuer der Bauern in den Hügeln rings um die Stadt gesehen hatte und auch nicht die Fackeln mutiger Jäger, die des Nachts dem Sleen nachstellen. Ja, und inzwischen hätte ich mindestens ein dutzendmal von den Nachtpatrouillen der Stadt angerufen werden müssen!
Eine gewaltige Blitzkette zuckte in der Nacht auf, betäubte mich mit ihrem grollenden Donner, zerriß die Dunkelheit in willkürliche Brocken, brach sie in Stücke wie eine Tonschale, die mit einem Feuerhammer zerschlagen wird, und mit dem Zucken der Blitze kam das Unwetter auf, heftige, eiskalte Regenschauer, die mich sofort einhüllten, vom Wind gepeitscht.
In wenigen Sekunden war ich bis auf die Haut naß. Ich begann zu frieren. Der Wind zerrte an meiner Tunika. Blindlings tastete ich mich durch das unvorstellbare Unwetter. Ich wischte mir das kalte Wasser aus den Augen und fuhr mir mit den Fingern durch das Haar, um es aus dem Gesicht zu streichen. Die Wut der Blitze entlud sich immer wieder über den Hügeln, blendete mich einen Augenblick, gefolgt von ohrenbetäubendem Donner, und verschwand sofort wieder in der Dunkelheit.
Kaum fünfzig Meter vor mir schlug ein Blitz in die Straße ein. Einen Augenblick schien er mir wie ein gigantischer gekrümmter Speer den Weg zu versperren, durchscheinend, unheimlich, bedrohlich — dann war er verschwunden. Der Blitz war auf meinen Weg eingeschlagen. Der Gedanke ließ sich nicht abschütteln — es mochte ein Zeichen der Priesterkönige sein, daß ich umkehren sollte.
Aber ich setzte meinen Weg fort und stellte mich an die Stelle des Blitzeinschlages. Trotz des eiskalten Windes und des peitschenden Regens spürte ich die Erhitzung der Steine durch meine Sandalen. Ich hob den Blick, schwenkte Speer und Schild und brüllte in das Unwetter hinein. Meine Stimme ging in der Turbulenz der Natur unter, ein trotziger Aufschrei vor den Mächten, die sich anscheinend gegen mich verschworen hatten.
»Ich gehe nach Ko-ro-ba!« brüllte ich.
Kaum hatte ich einen weiteren Schritt gemacht, als ich im Widerschein eines aufzuckendes Blitzes den Sleen erblickte, diesmal ein voll ausgewachsenes Exemplar, zwischen fünf und sechs Meter lang. Das Ungeheuer raste auf mich zu, blitzschnell, lautlos, die Ohren flach angelegt, der Pelz regendurchtränkt, die weit aufgerissenen Nachtaugen vor Mordlust schimmernd.
Ein seltsamer Laut entfuhr meinen Lippen, ein unglaubliches Lachen. Endlich etwas, das ich sehen, spüren, bekämpfen konnte!
Mit einem Eifer, der der Kampfeslust des Ungeheuers nicht nachstand, rannte ich in die Dunkelheit, und als ich seinen Sprung erahnte, warf ich mich mit dem spitzen goreanischen Speer nach vorn. Mein Arm bekam zwei spitze Zahnreihen zu spüren, und ich wurde herumgerissen, als das Tier vor Wut und Schmerz aufbrüllte und sich auf der Straße wand. Ich zog meinen Arm zurück, brachte ihn vor den schwachen, sinnlos zuschnappenden Fängen in Sicherheit.
Beim nächsten Blitz sah ich den Sleen auf dem Bauche hocken; verzweifelt biß er in den Schaft des Speers, seine großen Nachtaugen waren ohne Glanz. Mein Arm war blutüberströmt — doch das Blut stammte hauptsächlich von dem Raubtier. Meine Hand war fast bis in den Schlund des Tieres vorgedrungen, im Schwunge der Bewegung, die den Speer tief in den Rachen des Ungeheuers gerammt hatte. Ich bewegte Arm und Finger. Ich war unverletzt.
Der nächste Blitz enthüllte mir, daß der Sleen nicht mehr lebte. Unwillkürlich überlief mich ein Schauder, obwohl ich nicht wußte, ob diese Reaktion auf die Kälte und den Regen oder den Anblick des langen, pelzigen, echsenartigen Körpers zurückzuführen war, der da vor mir lag. Ich versuchte den Speer herauszuziehen, doch er steckte zwischen den Rippen des Tieres.
Kalten Blutes zog ich mein Schwert, schnitt den Kopf des Tieres ab und zerrte die Waffe frei. Nach Sitte der Sleenjäger — und auch weil ich hungrig war — nahm ich meine Schwertklinge, durchschnitt das Fell des Tieres und verzehrte sein Herz.
Es heißt, daß nur das Herz des Berg-Larl mehr Glück bringt, als das des bösartigen, schlauen Sleen. Das rohe Fleisch, noch heiß vom Blute des Tieres, sättigte mich, und ich hockte neben meiner Beute auf der Straße nach Ko-ro-ba, ein Raubtier unter Raubtieren.
Ich lachte. »Wolltest du mich von Ko-ro-ba fernhalten, Schwarzer Bruder der Nacht?« fragte ich ins Leere.
Wie absurd es mir vorkam, daß sich ein schwacher Sleen zwischen mich und meine Stadt stellen wollte! Ich lachte unwillkürlich auf, als ich daran dachte, wie unsinnig sich das Tier verhalten hatte. Aber wie hatte es Bescheid wissen Können? Wie hatte es wissen können, daß ich Tarl aus Ko-ro-ba war und daß ich in meine Stadt zurückkehrte. Es gibt ein goreanisches Sprichwort, wonach ein Mann, der zu seiner Stadt zurückkehrt, nicht aufgehalten werden darf. War dem Sleen dieser Ausspruch nicht bekannt?
Ich schüttelte den Kopf, um den unvernünftigen Gedanken loszuwerden. Ich wußte, daß das alles keinen Sinn ergab, daß ich nach dem kurzen Kampf und nach der ersten schnellen Mahlzeit jetzt etwas trunken war — immerhin hatte ich viele Stunden lang gehungert.
Wenngleich ich es als Aberglauben abtat, widmete ich mich nun dem goreanischen Ritual des Blutlesens. Ich legte meine Hände zusammen und schöpfte damit etwas Blut, trank einen Mund voll, hielt den Rest vor mich hin und wartete auf den nächsten Blitz.
Man schaut in das Blut in den Händen. Es heißt, wenn man das eigene Gesicht schwarz und ausgezehrt sieht, wird man an einer Krankheit sterben, sieht man sich zerrissen und blutigrot, wird man im Kampfe untergehen, erscheint das eigene Gesicht aber alt und weißhaarig, soll man in Frieden sterben und viele Nachkommen hinterlassen.
Wieder blitzte es auf, und ich starrte in das Blut.
In diesem kurzen Augenblick sah ich in der winzigen Blutmenge, die ich in den Händen hielt, nicht mein eigenes Gesicht, sondern ein fremdes Antlitz — einen Kopf wie eine Goldkugel mit scheibengleichen Augen, ein Gesicht von einer unvorstellbaren Fremdheit, ein Gesicht, das mir sofort einen unheimlichen Schrecken eintauchte.
Die Dunkelheit kehrte zurück, und beim nächsten Blitz schaute ich noch einmal in das Blut, doch jetzt war es nur Blut, das Blut eines Sleen, den ich auf der Straße nach Ko-ro-ba getötet hatte. Ich sah nicht einmal mein eigenes Spiegelbild in der Flüssigkeit. Ich trank das Blut und beendete damit das Ritual.
Dann stand ich auf und wischte am Pelz des Sleen meinen Speer ab. Sein Herz hatte mir neue Kräfte verliehen.
»Ich danke dir, Schwarzer Bruder der Nacht«, sagte ich zu dem Tier. Ich sah, daß sich Wasser in der konkaven Seite des Schildes gesammelt hatte. Dankbar hob ich es an und trank davon.