14

Das Joch wurde mir abgenommen.

Die anderen Gefangenen wurden mit Peitschenhieben aus der Arena getrieben. Sie kehrten in ihre Verliese zurück oder wurden in die Bergwerke geschickt.

Andreas aus Tor hatte versucht, an meiner Seite zu bleiben und mein Schicksal zu teilen, doch man schlug ihn bewußtlos und schleifte ihn aus der Arena.

Die Zuschauer schienen auf das nun bevorstehende Schauspiel besonders gespannt zu sein. Unruhig regten sich die Silbermasken unter den hin und her schwankenden Stoffbahnen. Man rückte die Seidenkissen zurück, nahm geistesabwesend Süßigkeiten und andere Knabbereien zu sich, die von graugekleideten Gestalten gereicht wurden. In die Stille ertönten Rufe nach dem Tarn und gelegentliche Spötteleien, die gegen mich gerichtet waren.

Vielleicht waren die Schauspiele von Tharna noch nicht verdorben; vielleicht stand das Beste überhaupt noch bevor? Gewiß bot mein Tod durch den Schnabel und die Krallen eines Tarns einen schonen Ausgleich für den eben entgangenen Todeskampf, schenkte den unstillbaren Silbermasken Tharnas die ersehnte Nahrung, einen Ausgleich für die erlittene Enttäuschung, für die Mißachtung ihres Willens, für den Trotz, den sie sich hatten gefallen lassen müssen! Obwohl ich spürte, daß ich nun sterben sollte, gefiel mir die Todesart nicht schlecht. So schrecklich den Silbermasken Tharnas das Schauspiel erscheinen mochte — sie wußten nicht, das ich einst Tarnkämpfer gewesen war und den Tarnvogel kannte, seine Macht und Wildheit; das ich ihn auf meine Art liebte und als Krieger den Tod durch einen Tarn nicht für unehrenhaft hielt.

Grimmig lächelte ich vor mich hin.

Mir ging es wie den meisten anderen Mitgliedern meiner Kaste — mehr als die monströsen Tarns, jene fleischfressenden Riesenfalken Gors, fürchtete ich Wesen wie die winzige Ost, ein kleines, bösartiges Reptil, orangefarben, wenige Zentimeter lang, das in der Sandale eines Mannes lauern und ohne Provokation oder Vorwarnung zustoßen mochte. Die winzigen Nadelzähne der Ost waren nur das Vorspiel eines qualvollen Kampfes, der in jedem Falle zum Tode führte. Unter Kriegern galt der Biß einer Ost als eines der grausamsten Tore zur Stadt des Staubes; der Biß eines Tarn und seine scharfen Krallen waren diesem Tod bei weitem vorzuziehen.

Nun war ich nicht mehr gefesselt.

Ich war frei und konnte im Sand herumwandern. Die einzigen Gefängnismauern waren nur noch die Abgrenzungen dieser Arena. Ich genoß die neue Freiheit, das Fehlen des Jochs, obwohl ich wußte, daß sie mir nur gewahrt wurde, um das kommende Schauspiel noch Schöner zu machen. Ich sollte die Flucht ergreifen, ich sollte schreien und zappeln können, ich sollte mich im Sand verstecken — Dinge, an denen die Silbermasken Tharnas ihren Spaß haben wurden.

Ich bewegte Hände und Schultern, spannte die Muskeln auf meinem Rücken. Meine Tunika war langst zerrissen, und ich entfernte die nutzlosen Fetzen bis zu meinem Gürtel. Mein Körper freute sich der neugewonnenen Freiheit.

Langsam wanderte ich zum Fuße der goldenen Mauer, wo das goldene Tuch der Tatrix lag, dessen Herabflattern den Beginn der Spiele gekennzeichnet hatte.

Ich nahm es auf.

»Behalte es als Geschenk«, sagte eine hochmütige Stimme von oben. Ich hob den Kopf und schaute auf die schimmernde Goldmaske der Tatrix.

»Etwas, das dich immer an die Tatrix von Tharna erinnern soll«, sagte die Stimme hinter der goldenen Maske amüsiert.

Ich grinste die goldene Maske an, nahm das Tuch in die rechte Hand und wischte mir damit langsam Schweiß und Sand aus dem Gesicht. Ober mir stieß die Herrscherin einen Wutschrei aus.

Ich hängte mir das Tuch um die Schultern und kehrte in die Mitte der Arena zurück.

Kaum war ich dort angekommen, als auch schon ein Teil der Wand zurückgerollt und ein Portal enthüllt wurde, das fast so hoch war wie die Wand und etwa fünf Meter breit. Durch dieses Portal kamen zwei lange Reihen gejochter Sklaven, die unter den Peitschenhieben zahlreicher Aufseher eine große Holzplattform auf riesigen Holzrädern herausrollten. Ich wartete ab.

Freudige Rufe von den Rangen begrüßten dieses Schauspiel, die Silbermasken gerieten in Bewegung.

Langsam wurde die quietschende Plattform in den Sand herausgezogen, von den stampfenden Sklaven gezogen, die wie Ochsen angeschirrt waren, und nach und nach sah ich den Tarn erscheinen — ein riesiges schwarzes Tier, dessen Kopf verhüllt, dessen Schnabel zugeschnürt war. Mit einem Bein war er an einer schweren Silberstange festgekettet. Das Tier konnte nicht fliegen, doch es konnte sich bewegen und dabei die silberne Last mit sich herumschleppen. Auch dieser Tarn trug sein Joch.

Die Plattform kam näher, und zum Erstaunen der Menge ging ich ihr entgegen.

Das Herz schlug mir bis zum Halse.

Ich betrachtete den Tarn.

Die Zeichnung der Federn war mir nicht unbekannt. Ich untersuchte das schwarzschimmernde Gefieder, den monströsen gelben Schnabel, der grausam zugeschnürt worden war. Ich verfolgte das Schnappen der riesigen Flügel, die durch die Luft pfiffen und die Sklaven ringsum in den Sand warfen, als die Federn wie ein Hurrikan über sie dahinfuhren. Das riesige Tier hob den Kopf. Es roch die Freiheit, begann heftiger mit den Flügeln zu schlagen, Natürlich würde es nicht zu fliegen versuchen, solange sein Kopf verhüllt war; auch bezweifelte ich, daß der Vogel die riesige Silberstange in die Luft heben konnte. Wenn es sich wirklich um den Vogel handelte, den ich zu erkennen glaubte, würde er nicht sinnlos gegen die entwürdigende Last ankämpfen, würde keinem das Schauspiel seiner Hilflosigkeit bieten. Ich weiß, daß sich das seltsam anhört, doch ich glaube, daß manche Tiere Stolz kennen, und wenn das wirklich stimmte, gehörte dieses Monstrum auf jeden Fall dazu.

»Zurück!« schrie einer der Sklaventreiber.

Ich riß ihm die Peitsche aus der Hand und stieß ihn mit dem Arm zur Seite. Er stolperte und stürzte in den Sand. Verächtlich warf ich die Peitsche hinter ihm her.

Ich stand nun neben der Plattform. Ich wollte den Ring sehen, den der Vogel trug. Befriedigt stellte ich fest, daß seine Krallen stahlbewehrt waren. Es handelte sich um einen Kriegstarn, ein Tier, das wegen seiner Ausdauer, wegen seines Wagemuts ausgewählt worden war, das speziell im Luftkampf geschult war. Meine Nase atmete den wilden, starken Duft des Tarns ein, der manche anwidert, für den Tarnkämpfer jedoch das reinste Ambrosia ist.

Als ich neben dem Vogel stand, war ich glücklich, obwohl ich wußte, daß mich das Tier töten sollte. Ich hatte fast das Gefühl, als wäre ich endlich nach Ko-ro-ba zurückgekehrt, als hatte ich in dieser feindlichen grauen Stadt endlich etwas gefunden, das mir Bekannt war, das mir gehörte, das die Türme des Morgens mit mir geteilt hatte. Ich ergriff den Ring des Vogels und — stellte fest, daß der Name seiner Heimatstadt ausgefeilt worden war, wie ich es erwartet hatte.

»Dieser Vogel«, sagte ich zu einem der Sklaven, »kommt aus Ko-ro-ba.« Der Sklave erschauerte unter seinem Joch, als er den Namen der Stadt hörte. Er wandte sich von mir ab und ließ sich hastig abführen, begierig, in den Schutz der Verliese zurückzukehren.

Obwohl es den meisten Zuschauern seltsam vorkommen mußte, daß der Tarn ungewöhnlich ruhig war spürte ich, daß das Tier vor Erregung zitterte. Mir ging es nicht anders. Ich spürte die Unsicherheit des Tarns. Der Vogel hatte den Kopf gehoben, schien in die Dunkelheit zu lauschen, die ihn unter seiner Haube umgab. Ich fragte mich, ob er meinen Geruch wahrgenommen hatte. Im nächsten Augenblick wandte sich der gelbe Schnabel fragend in meine Richtung. Der Mann mit den ledernen Armbändern, der mich in den letzten Stunden so oft ausgepeitscht hatte, kam mit erhobener Peitsche näher. »Verschwinde hier!« rief er.

Ich starrte ihn an. »Ich bin kein gejochter Sklave mehr!« sagte ich. »Du stehst vor einem Krieger!«

Seine Faust krampfte sich um die Peitsche.

Ich lachte ihm ins Gesicht. »Wenn du mich schlägst, bringe ich dich um.« »Ich habe keine Angst vor dir«, sagte er mit bleichem Gesicht und wich zurück. Der Arm mit der Peitsche senkte sich.

Wieder lachte ich.

»Du bist sowieso bald tot«, sagte er stammelnd. »Schon hundert Tarnreiter haben den Vogel besteigen wollen, und kaum einer hat es überlebt. Die Tatrix hat bestimmt, daß der Vogel nur noch bei den Schauspielen einzusetzen ist.«

»Nimm ihm die Haube ab!« sagte ich. »Macht das Tier frei!«

Der Mann sah mich an, als hätte ich den Verstand verloren. Gewiß, mein Eifer kam auch mir ein wenig überraschend. Speerbewaffnete Krieger eilten herbei, drängten mich zurück. Ich stand in einiger Entfernung von der Plattform im Sand und sah zu, wie das Tier freigemacht wurde. Es war totenstill auf den Tribünen.

Ich überlegte, was hinter der goldenen Maske Laras, der Tatrix von Tharna, vorgehen mochte. Und ich fragte mich, ob der Vogel mich erkennen würde.

Ein schlanker Sklave wurde von einem anderen Sklaven in die Hohe gehoben und begann mit schnellen Bewegungen die Schnüre zu lockern, die den Schnabel umspannten und die Haube an Ort und Stelle hielten. Hastig sprang er dann zu Boden.

Der Tarn öffnete den Schnabel, und die gelockerten Schnüre platzten auf. Mit herrischer Kopfbewegung tönte der markerschütternde Kriegsschrei des Tarn. Die schwarzen Nackenfedern richteten sich auf, und. der Wind schien jede Feder einzeln zu umspielen.

Es war ein herrlicher Anblick.

Ich wußte, daß ich hier eines der gefährlichen Raubtiere Gors vor mir hatte — doch ich fand es herrlich anzuschauen.

»Ja! Ubar des Himmels!« rief ich und streckte die Arme aus.

»Kennst du mich nicht mehr? Ich bin Tarl aus Ko-ro-ba!« Ich wußte nicht, welche Wirkung dieser Ruf auf die Zuschauer haben mochte, denn ich hatte sie vergessen. Ich konzentrierte mich auf den Riesentarn, als wäre er ein Krieger, ein Mitglied meiner Kaste. »Wenigstens hast du keine Angst vor dem Namen meiner Stadt.« Alle Gefahren mißachtend trat ich an die Seite des Vogels. Ich sprang auf die schwere Holzplattform, auf der er saß. Ich warf meine Arme um seinen Hals und begann zu weinen. Fragend berührte mich der große Schnabel. Natürlich kannte ein solches Tier keine Gefühle, doch kam es mir vor, als musterten mich die großen runden Augen mit einem Ausdruck, der mich seltsam verwunderte. Erinnerte es sich etwa an die Abenteuer, die wir gemeinsam bestanden hatten, an das Klirren der Waffen im Himmelskampf? Erinnerte er sich an den Vosk, der wie ein Silberband unter uns lag, an die zerklüfteten Voltai-Berge; erinnerte er sich an Thentis, an die Lichter der Stadt Ar, in der gerade das große Pflanzenfest gefeiert wurde? Nein, wahrscheinlich teilte der Vogel diese Erinnerungen nicht, die mir soviel bedeuteten. Sanft schob der Riesentarn seinen Schnabel unter meinen Arm. Ich wußte, daß die tharnaischen Krieger nun zwei Wesen töten mußten, denn der Tarn würde mich verteidigen.

Ich hob den Kopf, starrte zu den Tribünen hinüber. Der Vogel schüttelte das Bein, mit dem er an der großen Silberstange festgemacht war. Ich kniete nieder und untersuchte die Last. Die Stange war nicht angeschmiedet, da sie im Tarnkäfig abgenommen wurde, damit der Vogel auf der Stange hocken und sich frei bewegen konnte. Zum Glück war auch kein Schloß angebracht, sondern nur ein schwerer Bolzen, der ein eckiges Ende hatte — ein Bolzen von etwa fünf Zentimeter Durchmesser.

Meine Hände zerrten an dem Bolzen, der sich jedoch nicht von der Stelle rührte. Offensichtlich war er mit einer Zange festgemacht. Ich griff fester zu, versuchte ihn herauszudrehen. Doch es tat sich nichts. Ich kämpfte damit, begann zu fluchen. Eine innere Stimme flehte, daß sich der Bolzen doch bewegen möge. Doch nichts geschah.

Ich wurde mir nun des Tumults auf den Tribünen bewußt. Die Frauen schrien durcheinander — ungeduldig, verwirrt. Die Silbermasken Tharnas wurden nicht nur ein weiteres Mal um ihr Schauspiel betrogen, sie waren auch verwirrt und ratlos. Sie hatten sehr schnell gemerkt, daß der Tarn aus irgendeinem unverständlichen Grunde keine Lust hatte, mich anzugreifen, und wie immer meine Chancen aussehen mochten — es wurde jedenfalls sehr schnell klar, daß ich den Vogel freisetzen wollte.

Die Stimme der Tatrix drang an mein Ohr: »Tötet ihn!« schrie sie. Ich hörte auch die Stimme Dornas der Stolzen, die die Krieger zur Eile antrieb. Bald würden uns die Speerträger Tharnas gefährlich werden. Schon zwei oder drei Krieger waren über die Mauern der Tribünen gesprungen und kamen naher. Die große Tür, durch die der Tarn herausgezogen worden war, öffnete sich ebenfalls, und ein Trupp Krieger eilte in die Arena.

Meine Hände krampften sich noch fester um das Ende des Bolzen, der nun mit meinem Blut befleckt war. Ich spürte die Muskeln in meinen Armen und in meinem Rücken, die sich gegen das störrische Metall stemmten. Ein Speer bohrte sich dröhnend in das Holz der Plattform. Ich war in Schweiß gebadet. Ein zweiter Speer vibrierte im Holz, er war naher als der erste. Es kam mir vor, als zerrte mir das Metall mein Fleisch von den Händen, bräche mir die Fingerknochen. Ein dritter Speer streifte mein Bein. Der Tarn schob seinen Kopf über mich und stieß einen durchdringenden Wutschrei aus, der allen Zuschauern und Kriegern in die Glieder fahren mußte. Die Speerträger schienen erstarrt zu sein und wichen zurück, als wäre der riesige Vogel längst frei. »Narren!« schrie der Mann mit der Peitsche. »Der Tarn ist angekettet! Greift an! Tötet sie beide!«

In diesem Augenblick gab der Bolzen nach, ratschte aus der Öffnung, loste die Kette mit der Silberstange von dem Beinreif.

Als ob er verstünde, das er nun frei war, schüttelte der Tarn das verhaßte Metall von seinem Bein, hob den Schnabel zum Himmel und stieß einen Schrei aus, der in ganz Tharna zu Hören sein mußte, ein Schrei, wie er vielleicht nur im Thentisgebirge oder in den Voltai-Bergen zu hören ist, der Schrei des siegreichen wilden Tarns, der die ganze Erde als sein Jagdrevier beansprucht, mit allem, was darauf kreucht und fleucht.

Eine Sekunde lang hatte ich das beschämende Gefühl, daß der Vogel sofort davonfliegen würde, aber obwohl das Metall ihn nicht mehr hemmte, obwohl er frei war, obwohl die Speerträger wieder zum Angriff übergingen, rührte er sich nicht von der Stelle.

Ich sprang auf seinen Rücken und klammerte mich an den Federn seines Halses fest. Was hatte ich jetzt für einen Tarnsattel und das breite purpurne Band gegeben, das den Krieger im Sattel festhält!

Kaum spürte er mein Gewicht auf dem Rücken, als der Tarn erneut aufschrie, mit einer Explosion seiner weiten Flügel in die Luft sprang und in schwindelnden Kreisen sofort an Höhe gewann. Einige Speere fielen in langsamen Parabeln unter uns zurück, stürzten wieder in den bunten Sand der Arena. Wutschreie wurden laut, als die Silbermasken Tharnas begriffen, daß ihnen die Beute entglitt, daß die Schauspiele ein böses Ende nahmen.

Ich hatte keine Möglichkeit, den Tarn nach meinem Willen zu lenken. Gewöhnlich wird der Vogel durch Zügel gesteuert. Ein Band wird ihm um den Hals gelegt, von dem sechs Zügel ausgehen, die in regelmäßigen Abstanden rings um seinen Hals an diesem Band befestigt sind. Sie enden am Sattelring, der mit der Sitzfläche fest verbunden ist. Durch einen Zug an diesen Zügeln läßt sich der Vogel steuern. Ich hatte nun weder Sattel noch Zügel, ich hatte nicht einmal einen Tarnstab, ohne den sich ein Tarnkämpfer seinem wilden Reittier kaum nähern konnte. In dieser Beziehung machte ich mir jedoch keine Sorgen, da ich den Tarnstab sowieso nur selten eingesetzt hatte. Zu Anfang hatte ich ihn kaum benutzt, weil ich befürchtete, daß seine Wirkung zu schnell nachlassen konnte; schließlich hatte ich ihn überhaupt nicht mehr eingesetzt und ihn nur bei mir geführt, damit ich mich Notfalls gegen den Vogel verteidigen konnte. Ja, es war bekannt, daß Tarns bei großem Hunger ihren eigenen Herrn überfielen — mit der gleichen Raubtierhaftigkeit, mit der sie sich etwa der gelben Antilope, dem Tabuk, ihrer Lieblingsbeute, oder dem bösartigen, behäbigen Bosk widmen, einem wilden Ochsentier der goreanischen Ebenen. Ich meinte auch, daß der Tarnstab das Verhältnis zwischen Reiter und Tarn nur verschlechtern konnte.

Ich sah die Türme Tharnas und das schimmernde Oval der Arena unter den Flügeln des Tarns kleiner werden. Mich erfüllte Etwas von dem erhabenen Gefühl, das ich bei meinem ersten Tarnflug — mit diesem Tier — empfunden hatte. Jenseits von Tharna und seinem düsteren Umfeld sah ich die grünen Felder Gors, Haine aus gelben Ka-la-na-Bäumen, die schimmernde Oberfläche eines kleinen Sees und darüber den hellblauen lockenden Himmel. »Ich bin frei!« rief ich.

Doch als ich diesen Ruf ausstieß, wußte ich auch, daß das nicht stimmte, und mir brannte die Scham auf den Wangen, denn wie konnte ich frei sein, wenn andere Menschen in dieser Frauenstadt weiter in Gefangenschaft leben mußten?

Da war zum einen das Mädchen, die freundliche Linna, die mir geholfen hatte, deren kastanienbraunes Haar mit grober Schnur verknotet war und die den grauen Kragen einer tharnaischen Staatssklavin trug. Da war Andreas aus Tor, aus der Kaste der Sänger, jung, mutig, voller Leben — ein Mann, der eher sterben als mich umbringen wollte, in die Bergwerke Tharnas verbannt. Und unzählige andere, unter dem Joch oder frei, gefesselt und ungefesselt, in den Bergwerken und in den großen Anbaugebieten, in der Stadt selbst. Und sie alle litten unter der Macht Tharnas und ihrer Gesetze, sie wurden erdrückt von den Traditionen der Stadt und empfanden es vielleicht als schönsten Augenblick im Leben, wenn sie am Ende eines arbeitsamen Tages eine kleine Schale Kal-da erhielten.

»Tabuk!« rief ich dem gefiederten Riesen zu. »Tabuk!«

Der Tabuk ist eine goreanische Antilopenart, die sehr häufig anzutreffen ist, ein kleines, anmutiges Tier, das in den Ka-la-na-Dickichten des Planeten lebt und sich manchmal mutig auf die Wiesen vorwagt, um dort nach Salz und Beeren zu suchen. Es ist zugleich eines der Lieblingsopfer des Tarn.

Der Tarnkrieger benutzt den Ruf: »Tabuk!« auf langen Flügen, wenn die Zeit kostbar ist und er dem Vogel die Jagd gestatten will, ohne selbst abzusteigen. Wenn er in den Feldern unten einen Tabuk oder irgendein anderes Tier ausmacht, schreit er: »Tabuk!« Das ist das Zeichen für den Tarn, auf die Jagd zu gehen. Er schlagt zu, verzehrt seine Beute und setzt seinen Flug fort — und die ganze Zeit über bleibt der Tarnreiter im Sattel. Ich hatte diesen Ruf noch nie zuvor gebraucht, doch mein Tarn war sicher von den Tarnzüchtern Ko-ro-bas entsprechend abgerichtet. Vielleicht reagierte er auf das alte Kommando. Ich selbst hatte den Vogel stets allein jagen lassen. Es war gut, wenn das Tier ab und zu ausruhen konnte, außerdem hatte ich keine große Lust, dabei zu sein, wenn ein Tarn seine Beute verzehrt.

Der große schwarze Tarn begann zu meiner Freude sofort im Kreise zu schweben, als sei er mir erst gestern von den Tarnzüchtern überlassen worden. Er war wirklich ein Tarn aller Tarns, ein Ubar der Lüfte! Ich hatte mich für einen verzweifelten Plan entschieden, der mir sehr schlechte Chancen bot. Meine einzige Hoffnung war der Tarn, der das Glück für mich beeinflussen konnte. Die bösartigen Augen schimmerten, huschten über den Boden, Kopf und Schnabel waren vorgestreckt, die Flügel rührten sich kaum, während er in großen Kreisen über den Türmen Tharnas dahinstrich und dabei immer mehr an Höhe verlor. Jetzt passierten wir die tharnaische Arena, in der noch immer die Menschen durcheinanderliefen. Die Tribünen waren noch voller Menschen, die darauf warteten, daß die goldene Tatrix den Ort des Geschehens als erste verließ.

Inmitten der Menge erblickte ich tief unter mir die goldene Kleidung der Tatrix.

»Tabuk!« rief ich. »Tabuk!«

Das große Raubtier schwang sich am Himmel herum, wendete geschickt im Flug. Es verhielt, die Sonne im Rücken. Seine stahlbewehrten Krallen fielen wie Haken herab; reglos schien er in der Luft zu beben; und dann hoben sich die Flügel in die Hohe, hüllten mich fast völlig ein, rührten sich nicht mehr.

Der Fall war so sanft und lautlos wie der Sturz eines Felsens, wie das Öffnen einer Hand. Ich klammerte mich verzweifelt fest. Der Magen rutschte mir bis in den Hals. Die Tribünen, die mit Roben und Masken angefüllt waren, schienen mir entgegenzustürzen.

Schrille Entsetzensschreie wurden laut unter uns. Die Silbermasken, wehende schimmernde Roben, die Frauen Tharnas, die noch vor wenigen Sekunden wütend protestiert hatten, flohen nun in panischem Entsetzen, liefen um ihr Leben, trampelten einander nieder, versuchten sich gegenseitig zurückzuhalten, die anderen zurückzuziehen, stiegen über Bänke, warfen sich sogar über die Wand in den Sand der Arena. In wenigen Sekunden, die für die Tatrix von Tharna zu den schrecklichsten ihres Lebens gehören mußten, stand sie allein vor ihrem Thron, von allen verlassen. Sie stand inmitten der verstreuten Kissen und Schalen mit Süßigkeiten und blickte auf. Ein wilder Schrei ertönte hinter der ausdruckslosen goldenen Maske. Die goldenen Arme ihrer Robe, die goldgeschützten Hände, warfen sich über ihr Gesicht. Die Augen, die ich in diesem Sekundenbruchteil hinter der Maske sah, waren hysterisch vor Angst.

Der Tarn fand sein Ziel.

Die stahlbewehrten Klauen schlossen sich wie gewaltige Haken um den Körper der kreischenden Tatrix. Einen Augenblick lang verhielt mein Tier, reglos, Kopf und Schnabel ausgestreckt, mit flatternden Flügeln, die Beute in den Klauen, und stieß den markerschütternden Eroberungsschrei des Tarns aus, ein Schrei des Sieges und der Herausforderung.

In den riesigen Krallen gefangen, vermochte sich die Tatrix nicht zu wehren. Sie zitterte unkontrolliert wie ein anmutiger gefangener Tabuk, der darauf wartete, in das Nest des Tarns gebracht zu werden. Die Tatrix konnte auch nicht mehr schreien.

Die Flügel des Riesenvogels entfesselten einen Sturm, und der Tarn erhob sich in die Luft, vor allen Zuschauern, stieg über die Tribünen auf, über die Arena, über die Türme und Mauern Tharnas und raste zum Horizont davon. Der goldschimmernde Körper der Tatrix baumelte in seinen Klauen.

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