25

Die Kriegsschreie Tharnas und Ko-ro-bas vermischten sich, als Thorn die Treppenstufen herabstürzte und ich ihm entgegenstürmte.

Beide warfen wir unsere Speere im gleichen Augenblick, und die beiden Warfen zischten wie verschwommene Blitze aneinander vorbei. Beide hatten wir bei dem Wurf unsere Schilde schräggestellt, damit der Aufprall des Speers abgemildert wurde und die Spitze vielleicht sogar abgleiten konnte. Beide hatten wir gut gezielt, und die Wucht des Speers, der auf meinen Schild donnerte, riß mich halb herum.

Die bronzene Speerspitze hatte sich mühelos durch die Messingriemen auf dem Schild und die sieben Schichten gehärteten Boskleders gebohrt. So konnte der Schild mir nichts mehr nützen. Kaum hatte der Speer getroffen, als mein Schwert auch schon aus der Scheide sprang und die Schultergurte des Schildes durchschnitt, so daß ich von der Last befreit wurde.

Sekunden später polterte auch Thorns Schild zu Boden und rutschte klirrend über die Marmorsteine des Thronsaals. Mein Speer war einen ganzen Meter hindurchgedrungen und war über seine linke Schulter gefahren.

Auch er hatte nun das Schwert erhoben, und wir sprangen wie Larls aus den Voltai-Bergen aufeinander los, und unsere Waffen trafen mit einem scharfen, freien Ton aufeinander, mit jenem widerzitternden, klaren Klirren wohlgeschmiedeter Klingen, dem ersten Ton unserer hellen, glitzernden, perlenden Musik des Schwertkämpfes.

Scheinbar unbeteiligt saß die goldbekleidete Gestalt auf dem Thron und sah zu, wie die beiden Krieger zu ihren Füßen vorrückten und zurückwichen — der eine in die blaue Tunika und den blauen Helm Tharnas gekleidet, der andere in das einheitliche Rot der goreanischen Kriegerkaste gehüllt.

Unsere Spiegelbilder bekämpften sich in der schimmernden Oberfläche der Goldmaske hinter dem Thron.

Unsere Schatten, verformt von den Fackelflammen, zuckend, wild, riesig, rannten an den Wänden des Thronsaales ineinander.

Dann gab es plötzlich nur noch ein Spiegelbild und nur noch einen riesigen, grotesken Schatten im Saal der goldenen Maske.

Thorn lag mir zu Füßen.

Ich trat ihm das Schwert aus der Hand und drehte den Körper mit dem Fuß herum. Thorns Brust zuckte unter der befleckten Tunika; sein Mund schnappte nach der Luft, als versuchte er sie aufzuhalten. Sein Kopf rollte zur Seite.

»Du hast gut gekämpft«, sagte ich.

»Ich habe gesiegt«, entgegnete er, und er spuckte die Worte in einer Art Flüstern heraus, ein verzerrtes Grinsen auf dem Gesicht.

Ich fragte mich, was er meinen mochte.

Ich trat zurück und blickte zu der Frau auf dem Thron auf.

Langsam, zögernd, kam sie von ihrem Thron herab, Schritt um Schritt, und zu meiner Verblüffung fiel sie neben Thorn auf die Knie und legte ihm weinend den Kopf auf die Brust.

Ich wischte die Klinge an meiner Tunika ab und steckte sie wieder in die Scheide.

»Es tut mir leid«, sagte ich.

Die Gestalt schien mich nicht zu hören.

Ich trat zurück, um sie in ihrem Leid allein zu lassen. Ich hörte die Schritte von Männern näher kommen. Es waren die Soldaten und Rebellen der Stadt, die in den Korridoren ihr Pfluglied sangen, ihre Hymne.

Das Mädchen hob den Kopf, und die goldene Maske sah mich an. »Thorn«, sagte sie, »hat dich geschlagen.«

»Ich glaube nicht«, sagte ich verwundert, »und du, Dorna die Stolze, bist nun meine Gefangene.«

Ein freudloses Lachen tönte durch die Maske, und die Hände in ihren Goldhandschuhen nahmen die Maske ab.

Neben Thorn kniete nicht Dorna die Stolze, sondern Vera aus Ko-ro-ba, die einmal seine Sklavin gewesen war.

»Nun siehst du«, sagte sie, »wieso mein Herr dich besiegt hat, wie er es noch konnte — nicht durch das Schwert, sondern dadurch, daß er Zeit gewann. Dorna die Stolze ist längst geflohen.«

»Warum hast du das getan?« fragte ich.

Sie lächelte. »Thorn hat mich gut behandelt«, sagte sie einfach. »Du bist nun frei.«

Wieder senkte sie den Kopf auf die blutige Brust des Offiziers, und ihr Körper begann zu beben.

In diesem Augenblick platzten die Soldaten und Rebellen Tharnas in den Saal, angeführt von Kron und Lara.

Ich deutete auf das Mädchen zu meinen Füßen. »Ihr soll kein Leid geschehen!« befahl ich. »Dies ist nicht Dorna die Stolze, sondern Vera aus Ko-ro-ba, die Thorns Sklavin war.«

»Wo ist Dorna?« wollte Kron wissen.

»Geflohen«, sagte ich niedergeschlagen.

Lara sah mich an. »Aber der Palast ist umstellt.«

»Das Dach!« rief ich und dachte an die Tarns. »Schnell!«

Lara lief vor mir her, und ich folgte ihr zu den Dächern des Palastes. Durch die dunklen Flure eilte sie mit der Sicherheit eines Mädchens, das sehr lange hier gelebt hatte. Endlich erreichten wir eine Wendeltreppe. »Hier!« rief sie.

Ich schob sie hinter mich, stützte mich mit einer Hand an der Mauer ab und hastete, so schnell es ging, die Stufen hinauf. Oben stemmte ich mich mit dem Rücken gegen eine Falltür und warf sie auf. Draußen war das hellblaue Rechteck des offenen Himmels zu sehen. Das Licht blendete mich einen Augenblick.

Ich nahm den Geruch eines großen Pelztiers wahr und auch den Gestank von Tarnkot.

Ich stolperte mit zusammengekniffenen Augen auf das Dach. Drei Männer standen dort, zwei Wächter und der Mann mit den ledernen Armreifen, der Herr über die tharnaischen Palastverliese gewesen war. Er hielt an einer Leine den großen weißen Urt, mit dem ich schon in den Kellern unter dem Palasteingang Bekanntschaft gemacht hatte.

Die beiden Wächter waren damit beschäftigt, einen Tragkorb am Geschirr eines großen braunen Tarn zu befestigen. Die Zügel des Tiers waren an einem Ring vor dem Korb befestigt. In dem Korb saß eine Frau, die ich nach Figur und Haltung als Dorna die Stolze erkannte, obwohl sie nur noch eine einfache Silbermaske trug.

»Halt!« brüllte ich und stürzte vor.

»Töte ihn!« zischte der Mann mit den Armbändern, zeigte mit der Peitsche auf mich und ließ den Urt frei, der sofort zum Angriff überging. Das Ungeheuer raste mit unvorstellbarer Geschwindigkeit auf mich zu, und ich konnte mich kaum auf seinen Angriff vorbereiten, als es mich auch schon mit großem Satz ansprang und seine mächtigen Zähne in meinen Körper schlagen wollte.

Im letzten Augenblick hob ich die Klinge, die in sein Maul fuhr, seinen Gaumenknochen durchdrang und den Kopf des Tieres zurückschnappen ließ.

Der wilde Schmerzensschrei mußte in ganz Tharna zu Hören sein. Der Urt drehte den Kopf, und das Schwert wurde mir aus der Hand gerissen. Meine Arme umspannten den Hals des Tieres, und mein Gesicht war in den schimmerndweißen Pelz gedrückt. Die Klinge wurde hin und her geschüttelt und fiel polternd auf das Marmordach. Ich klammerte mich fest, um den zuschnappenden Zahnen zu entgehen, den drei Reihen weißer messerscharfer Zähne, die sich immer wieder in meine Richtung wendeten.

Das Tier wälzte sich auf den Rücken, um mich von seinem Rücken zu streifen; es krümmte sich und sprang hoch, wirbelte herum und schüttelte sich. Der Mann mit den ledernen Armbändern hatte das Schwert aufgenommen und umkreiste uns nun mit Peitsche und Klinge und wartete auf eine günstige Gelegenheit.

Ich versuchte das Tier herumzudrehen, um seinen tobenden Körper zwischen mir und dem bewaffneten Mann zu halten.

Aus dem Maul des Tieres rann Blut über sein Fell und benetzte meinen Arm. Ich spürte, wie mir Tropfen ins Gesicht spritzten und sich in meinem Haar festsetzten.

Dann warf ich mich herum, so daß mein Körper dem Mann mit den Armbändern ungeschützt zugekehrt war. Ich hörte sein befriedigtes Grunzen, als er zum Angriff überging. Kurz bevor er zustoßen konnte, ließ ich den Hals des Tieres los und glitt unter seinen Bauch. Der Urt versuchte mich mit einer peitschenartigen Bewegung seines Halses zu erreichen, und ich fühlte lange scharfe Zähne über meinen Arm streichen, doch im gleichen Augenblick hörte ich auch einen neuen Schrei des Tieres und den entsetzten Ausruf des Mannes mit den Lederbändern.

Ich rollte mich unter dem Tier hervor und wandte mich um. Der Urt starrte den Mann an. Ein Ohr war vom Kopf des Urt abgetrennt worden, und an seiner linken Flanke spritzte das Blut. Er hatte seine Augen nun auf den Mann mit dem Schwert gerichtet, den Mann, der ihm den Schlag beigebracht hatte.

Ich hörte den entsetzten Befehl, den schwachen Knall der Peitsche, sah das furchtsame Erstarren des Mannes, den abrupten, fast unhörbaren Schrei.

Der Urt stürzte sich auf ihn, beugte sich über ihn und begann zu reißen und zu fressen.

Ich schüttelte den Anblick ab und kehrte zu den anderen zurück. Der Tragkorb war nun befestigt, und die Frau stand darin, die Zügel in den Händen.

Die leidenschaftslose Silbermaske richtete sich auf mich, und ich spürte, daß in den dunklen Augen dahinter ein unvorstellbarer Haß blitzte. Sie sagte zu den beiden Wächtern: »Tötet ihn!« Ich war unbewaffnet. Zu meiner Überraschung rührten sich die Männer nicht von der Stelle. Einer ergriff das Wort.

»Du hast dich entschlossen, deine Stadt im Stich zu lassen«, sagte er. »Deshalb hast du nun keine Heimat mehr, denn du hast sie aufgegeben.«

»Unverschämtes Tier!« kreischte sie ihn an. Dann befahl sie dem anderen Krieger, seinen Kameraden umzubringen.

»Du befiehlst nicht mehr in Tharna«, sagte dieser einfach.

»Tiere!« kreischte sie.

»Würdest du am Fuße deines Thrones sterben, würden wir dir gehorchen und an deiner Seite Kämpfen«, sagte der erste Krieger. »Ja«, sagte der zweite Mann. »Bleib, wie es sich für eine Tatrix geziemt, und unsere Schwerter sind dir verpflichtet. Fliehst du aber wie eine Sklavin, gibst du damit dein Recht auf, über unsere Klingen zu verfügen.«

»Narren!« rief sie.

Dann blickte Dorna die Stolze zu mir herüber.

Der Haß, den sie mir entgegenbrachte, ihre Grausamkeit, ihr Stolz — all dies war so greifbar wie etwas Körperliches, wie eine Hitzewelle oder ein Kältehauch, der Eis entstehen laßt.

»Thorn ist für dich gestorben«, sagte ich.

Sie lachte. »Auch er war ein Narr. Wie alle Tiere.«

Ich fragte mich, wie es kommen konnte, daß Thorn für diese Frau sein Leben geopfert hatte. Ich nahm nicht an, das hier die Kastenverpflichtung im Spiel war, denn diese Verpflichtung galt eigentlich nicht gegenüber Dorna, sondern nur gegenüber Lara. Thorn hatte gegen die Regeln seiner Kaste verstoßen, als er die verräterischen Plane Dornas der Stolzen unterstützte.

Plötzlich sah ich die Antwort, plötzlich ahnte ich, daß Thorn diese grausame Frau geliebt haben mußte, daß sein Kriegerherz für sie geschlagen hatte, obwohl er nie ihr Gesicht gesehen hatte, obwohl sie ihm niemals ein Lächeln oder die Berührung ihrer Hand geschenkt hatte. Und nun wußte ich auch, daß Thorn, was immer er gewesen sein mochte, auf jeden Fall ein entschlossener, mächtiger Gegner und größer gewesen war als sie, die das Ziel seiner hoffnungslosen, tragischen Zuneigung bildete. Es war sein Tod gewesen, die Silbermaske zu lieben. »Ergib dich!« rief ich Dorna zu.

»Wohin willst du fliehen und was willst du tun?« fragte ich. Ich wußte, daß Dorna als alleinstehende Frau auf Gor kaum Chancen hatte. Trotz ihres Erfindungsreichtums, trotz der Schätze, die sie sicherlich bei sich trug, war sie nur eine Frau, und auf Gor braucht sogar eine Silbermaske das Schwert eines Mannes zu Ihrem Schutz. Sie mochte wilden Tieren zum Opfer fallen, vielleicht sogar ihrem eigenen Tarn, oder sie wurde von einem Tarnkämpfer oder einem Trupp Sklavenhändler gefangengenommen — auf jeden Fall hatte sie es nicht leicht.

»Stelle dich der tharnaischen Justiz«, sagte ich.

Dorna warf den Kopf in den Nacken und lachte lauthals.

»Auch du bist ein Narr!« sagte sie spöttisch.

Eine Hand hatte sie um den ersten Zügel gewickelt. Der Tarn trat unruhig von einem Bein auf das andere.

Ich sah mich um und erblickte Lara hinter mir, die Dorna beobachtete. Ihr zur Seite warteten Kron und Andreas, gefolgt von Linna und zahlreichen Soldaten und Rebellen, die nach uns auf das Dach gekommen waren. Die Silbermaske Dornas richtete sich auf Lara, die keine Maske und keinen Schleier trug. »Schamloses Wesen!« zischte sie, »du bist nicht besser als sie — ein Tier!«

»Ja«, sagte Lara, »das stimmt.«

»Ich habe so etwas von Anfang an in dir gespürt«, sagte Dorna. »Du warst deines Throns niemals würdig, du warst es nicht wert, die Tatrix von Tharna zu sein. Ich allein verdiene diese Ehre.

»Das Tharna, von dem du sprichst, gibt es nicht mehr«, sagte Lara. In diesem Augenblick hoben Soldaten, Wächter und Rebellen ihre Waffen und hießen Lara als die wahre Tatrix ihrer Stadt Willkommen. »Heil, Lara!« riefen sie, und wie es in dieser Stadt Sitte war, wurde dieser Ruf fünfmal wiederholt, und fünfmal wurden die Waffen angehoben.

Dorna die Stolze zuckte wie von fünf Peitschenhieben getroffen zusammen.

Ihre Hände, die in Silberhandschuhen steckten, krampften sich um den ersten Zügel.

Noch einmal schaute sie über die Rebellen und Soldaten und über Lara hin — mit einem Abscheu, den ich deutlich hinter der Maske spürte, und dann wandte sich das Metallgesicht wieder mir zu.

»Lebe wohl, Tarl aus Ko-ro-ba«, sagte sie. »Vergiß Dorna die Stolze nicht, denn unsere Abrechnung steht noch aus!«

Die Hände in den silbernen Handschuhen fuhren heftig zurück, und die Flügel des Tarn schlugen fauchend durch die Luft. Der Tragkorb blieb noch einen Augenblick stehen, wurde dann von den drahtverstärkten Seilen zwei Meter über den Marmorboden gezerrt und ruckte dann unter dem Tarn in die Luft.

Ich sah dem hin und her schwingenden Korb nach.

Einmal blitzte die Sonne auf der Silbermaske.

Dann war der Vogel nur noch ein Fleck am blauen Himmel über der freien Stadt Tharna.

Dank des Opfers Thorns, ihres ersten Offiziers, war Dorna der Stolzen die Flucht gelungen, obwohl ich mir nicht vorzustellen wagte, welchem Schicksal sie entgegenfliegen mochte.

Sie hatte davon gesprochen, daß sie mit mir abrechnen wollte. Ich lächelte und sagte mir, daß sie dazu kaum Gelegenheit finden würde. Wenn sie überhaupt am Leben blieb, konnte sie von Glück sagen, wenn sie nicht an der Kette eines Sklavenhändlers endete.

Vielleicht fand sie sich in den Mauern eines Sklavengartens wieder, wurde nach dem Geschmack ihres Herrn in Seide gekleidet, erhielt Glöckchen um die Beine gelegt und kannte keinen anderen Willen mehr als den seinen; vielleicht wurde sie von dem Wirt einer Paga-Taverne oder einer einfachen Kal-da-Schanke erworben, um vor den Gästen zu tanzen und ihnen zu trinken zu bringen.

Vielleicht wurde sie in die Küche eines goreanischen Zylinders gesteckt und erfuhr dort, daß ihr Leben von den Fliesenwänden und dem Seifenduft und den Abwaschbecken begrenzt war. Dort erhielt sie dann eine Matte feuchtes Stroh und ein kurzes Sklavenkleid, bekam Überreste aus den Eßsalen vorgesetzt und wurde ausgepeitscht, wenn sie ihr Zimmer verließ oder sich vor der Arbeit drückte.

Vielleicht würde ein Bauer sie kaufen, damit sie ihm beim Pflügen half. Ich fragte mich, ob sie sich dann wohl an die Schauspiele von Tharna erinnern würde. Wenn ihr dieses elende Schicksal zugedacht war, der herrschsüchtigen Dorna, nackt und schwitzend, der Rücken der Ochsenpeitsche ausgesetzt, dann würde sie erfahren, daß der Bauer ein gestrenger Herr ist.

Doch ich schüttelte diese Gedanken schnell ab.

Ich hatte andere Dinge zu tun.

Ja, ich hatte ein dringendes Anliegen, ich hatte selbst eine Rechnung zu begleichen, nur mußte mich mein Weg dazu ins Sardargebirge führen. Mein Anliegen galt den Priesterkönigen dieser Welt.

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