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Wieder einmal durchstreifte ich, Tarl Cabot, die grünen Felder Gors. Ich erwachte unbekleidet im windzerzausten Gras, unter jenem flammenden Stern, der die Sonne meiner beiden Heimatplaneten ist — der Erde und ihre geheimen Schwester, der Gegenerde Gor.

Langsam richtete ich mich auf. Jede Faser meines Körpers vibrierte in dem starken Wind, meine Haare flatterten, meine Muskeln schmerzten und freuten sich über den ersten freien Auslauf seit Wochen, denn ich war in den White Mountains in jene Silberscheibe eingetreten, die das Raumschiff der Priesterkönige war, das Fahrzeug für die Akquisitionsreisen. Beim Betreten des Schiffes war ich bewußtlos geworden. Und in diesem Zustand — wie schon einmal vor vielen Jahren — hatte ich Gor erreicht.

Ich blieb einige Minuten stehen und ließ das Wunder meiner Rückkehr auf alle meine Sinne und Nerven einwirken.

Ich spürte wieder einmal die geringere Schwerkraft des Planeten, ein Gefühl, das vergehen würde, wenn sich mein Körper der neuen Umgebung anpaßte. Angesichts der geringeren Schwerkraft waren körperliche Leistungen, die auf der Erde übermenschlich gewirkt hatten, auf Gor ganz natürlich. Die Sonne war — wie ich sie in Erinnerung hatte — ein wenig größer, als sie auf der Erde wirkte, doch es war nicht ganz einfach, sich dieser Feststellung sicher zu sein.

In einiger Entfernung bemerkte ich gelbe Flecken — einige Ka-la-na- Haine, wie sie auf den Feldern Gors oft zu finden sind. Weiter links erstreckte sich ein herrliches Feld mit Sa-Tarna, das sich anmutig im Winde bog — jenes große, gelbe Korn, das wesentlich zur goreanischen Ernährung beitragt. Rechts waren in einiger Entfernung Berge zu sehen — undeutlich, verschwommen. Nach ihrer Form und ihrer Höhe schien es mir, daß es die Berge von Thentis sein müßten. Und von dort konnte ich meinen Weg nach Ko-ro-ba finden, jener Stadt der Zylinder, der ich vor Jahren mein Schwert verpflichtet hatte.

Ich ließ mich von der Sonne bescheinen, richtete mich auf und hob, ohne nachzudenken, die Arme im heidnischen Gebet zu den Priesterkönigen, die mich erneut von der Erde auf diese Welt gebracht hatten. Ihre Macht hatte mich schon einmal von Gor entführt, als meine Aufgabe beendet war. Ich war damals meinem Vater und meinen Freunden entrissen worden, ebenso wie dem Mädchen, das ich liebte, der dunkelhaarigen, schönen Talena, Tochter Marlenus, des früheren Ubar von Ar, der größten Stadt im bekannten Gor.

Mein Herz kannte keine Liebe für die Priesterkönige, jene geheimnisvollen Bewohner des Sardargebirges, wer immer oder was immer sie auch sein mochten, aber ich empfand Dankbarkeit, ihnen gegenüber oder gegenüber den fremden Mächten, von denen sie geleitet wurden.

Daß ich wieder nach Gor gebracht worden war, um einmal mehr meine Stadt und meinen Liebling zu besuchen, war bestimmt keine spontane Geste der Großzügigkeit oder der Gerechtigkeit, wie es auf den ersten Blick scheinen mochte. Die Priesterkönige, Wächter des Heiligen Ortes im Sardargebirge, anscheinend mit allem vertraut, was sich auf Gor ereignete, Beherrscher des entsetzlichen Flammentodes, der vernichten konnte, was ihr Mißfallen erregte, wurden nicht von niederen Motiven getrieben wie die Menschen, unterlagen nicht den Regeln des Anstands und des Respekts, die das menschliche Handeln zu beeinflussen vermögen. Sie hatten ihre eigenen fremden und geheimnisvollen Ziele; und zum Wohle dieses Zieles wurden die Menschen wie Marionetten eingesetzt. Es lief das Gerücht, daß die Priesterkönige Menschen gebrauchten wie Figuren in einem Spiel und daß, wenn ein Stein seine Rolle ausgespielt hatte, er beseitigt oder — wie in meinem Falle — vom Spielbrett genommen wurde, bis die Priesterkönige Lust auf ein neues Spiel hatten.

Einige Schritte von mir entfernt lagen Gegenstände im Gras. Ich bemerkte einen Helm, ein Schild und einen Speer, dazu ein zusammengerolltes Lederbündel. Ich kniete nieder und untersuchte meinen Fund.

Der Helm bestand aus Bronze, war nach griechischer Art gearbeitet und hatte an der Vorderseite eine einzelne Öffnung in Y-Form. Er trug keine Stadtzeichen, und das Wappenschild war leer.

Der runde Schild aus konzentrisch überlappenden Schichten gehärteten Leders, die mit Messingklammern verbunden waren, dazu die Doppelschlinge, durch die man den linken Arm steckte, war ebenfalls neutral gehalten. Gewöhnlich ist ein goreanischer Schild bunt angemalt und weist Zeichen auf, nach denen man die Heimatstadt des Kriegers erkennen kann. Wenn dieser Schild für mich gedacht war — woran ich eigentlich nicht zweifelte —, müßte er das Wappen Ko-ro-bas, meiner Stadt, tragen.

Der Speer war ebenfalls typisch goreanisch — etwa zwei Meter lang, schwer, mit einer etwa vierzig Zentimeter langen Bronzespitze. Der Speer ist eine schreckliche Waffe und kann wegen der geringeren Schwerkraft Gors mit unvorstellbarer Kraft geschleudert werden und auf nahe Entfernung ein Schild durchstoßen oder sich dreißig Zentimeter in festes Holz bohren. Mit dieser Waffe machen sich Männer sogar auf die Jagd nach dem Larl, in seinen Heimatbergen, dem Voltai-Gebirge — der Larl, das unglaubliche, pantherähnliche Raubtier, das hochaufgerichtet über zwei Meter mißt.

Tatsächlich ist der goreanische Speer so wirksam, daß viele Krieger kleinere Schußwaffen ablehnen — wie etwa den Bogen oder die Armbrust, die ebenfalls recht häufig anzutreffen sind. Ich bedauerte allerdings, daß sich unter den Waffen zu meinen Füßen kein Bogen befand, da ich mir bei meinem letzten Aufenthalt auf Gor eine gewisse Geschicklichkeit damit angeeignet hatte, die meinen damaligen Waffenlehrer nicht wenig beunruhigte.

Ich dachte noch gern an ihn zurück, an den Älteren Tarl. Tarl ist auf Gor kein ungewöhnlicher Name. Ich freute mich sehr auf mein Wiedersehen mit dem stämmigen Mann, der bärtig und stolz war wie ein Wikinger, ein großartiger Schwertkämpfer, der mich im Gebrauch von Waffen unterwiesen und zu einem goreanischen Krieger gemacht hatte. Ich öffnete das Lederbündel. Es enthielt die rote Tunika, die Sandalen und den Umhang, wie sie ein Mitglied der goreanischen Kriegerkaste zu tragen pflegt. Und das stimmte mich froh, denn ich gehörte dieser Kaste an — seit jenem Morgen, da mir mein Vater Matthew Cabot, Administrator Ko-ro-bas, die Waffen überreichte und ich den Heimstein dieser Stadt zu meinem eigenen machte.

Für einen Goreaner — der allerdings selten von solchen Dingen spricht — ist eine Stadt mehr als nur Backsteine und Marmor, mehr als nur Zylinder und Brücken. Sie ist kein einfacher Ort, kein geographischer Bezugspunkt, an dem die Menschen ihre Unterkünfte errichtet haben. Der Goreaner glaubt, daß sich eine Stadt nicht einfach mit ihren Teilen gleichsetzen läßt; für ihn ist sie fast ein lebendiges Wesen — oder sogar mehr. Sie ist ein Wesen mit einer Geschichte, sie ist ein Wesen mit einer Tradition, einem Erbe, mit Sitten und Gebräuchen, Charakter, Intentionen, Hoffnungen. Wenn ein Goreaner beispielsweise sagt, er sei aus Ar oder Ko-ro-ba, ist das mehr als nur eine Bezeichnung seines Wohnorts.

Im allgemeinen glauben die Goreaner nicht an die Unsterblichkeit — obwohl es auch Ausnahmen gibt, insbesondere in der Kaste der Wissenden. Einer Stadt anzugehören heißt dementsprechend, daß man ein Teil von etwas ist, das weniger vergänglich ist als man selbst, etwas Göttliches im Sinne des Nichtsterbens. Natürlich sind, wie jeder Goreaner weiß, auch Städte sterblich, denn sie Können vernichtet werden. Doch dies steigert ihre Liebe zu den Städten womöglich noch mehr.

Ihre Liebe gegenüber einer Stadt konzentriert sich auf einen Stein, der als der Heimstein bekannt ist und der gewöhnlich im höchsten Zylinder einer Stadt aufbewahrt wird. Im Heimstein — der manchmal kaum mehr als ein grober Felsbrocken ist aus der Zeit vor Hunderten von Generationen, als die Stadt noch eine Gruppe von Hütten an einem Flußufer war; manchmal aber auch ein herrlich geformter Würfel aus Marmor oder Granit —, in diesem Heimstein findet die Stadt ihr Symbol. Doch auch der Begriff Symbol trifft nicht ganz zu. Es ist fast, als würde die Stadt selbst mit dem Heimstein identifiziert, als wäre der Stein für die Stadt, was das Leben dem einzelnen ist. Die Legenden besagen, daß eine Stadt überlebt, solange ihr Heimstein vorhanden ist.

Aber nicht nur die Städte haben ihre Heimsteine, auch die kleinen, bescheidenen Dörfer und die primitivsten Hütten in diesen Dörfern enthalten eigene Heimsteine, ebenso wie die vornehm ausgestatteten Räume des Administrators einer so großen Stadt wie Ar.

Mein Heimstein war der Heimstein von Ko-ro-ba, jener Stadt, zu der ich jetzt zurückkehren wollte.

In dem Bündel fand ich auch einen Schultergürtel mit dem kurzen Schwert der Goreaner. Ich zog es aus der Scheide. Es war gut balanciert, doppelt geschliffen und fast fünfzig Zentimeter lang. Der Griff war mir vertraut, und ich erkannte einige Kratzer an der Klinge wieder. Es war die Waffe, die ich bei der Belagerung Ars getragen hatte. Ein seltsames Gefühl, sie wieder in der Hand zu halten, ihr Gewicht zu spüren, die vertraute Rundung zwischen den Fingern. Diese Klinge hatte mir den Weg in den Zentralzylinder Ars freigekämpft, als ich Marlenus, den umstrittenen Ubar dieser Stadt, befreite. Sie hatte sich mit der Waffe Pa-Kurs, des Meisterattentäters, gekreuzt, mit dem ich um meinen Liebling Talena kämpfen mußte. Und jetzt hielt ich das Schwert erneut in der Hand. Ich fragte mich, wie es dazu kommen konnte, und wußte nur, daß es in der Absicht der Priesterkönige gelegen haben mußte. Zwei Dinge, die ich zu finden gehofft hatte, waren nicht in dem Bündel — ein Tarnstab und eine Tarnpfeife. Beim Tarnstab handelt es sich um eine kleine Rute, etwa fünfzig Zentimeter lang. Sie hat an ihrem Griff einen kleinen Schalter, der, wenn er betätigt wird, den Stab elektrifiziert und einen Schauer von Funken freigibt. Er wird benutzt zur Kontrolle der Tarns, jener gigantischen falkenähnlichen Reitvögel, die in Gor weitverbreitet sind. Die Vögel werden von klein auf trainiert, auf die Weisungen des Tarnstabs zu reagieren.

Die Tarnpfeife wird gebraucht, um den Vogel herbeizurufen. Gewöhnlich reagieren die Tarns nur auf einen einzigen Laut, den Pfeifenton ihres Herrn. Das ist nicht überraschend, wenn man weiß, daß die Tarns von den Angehörigen der Kaste der Tarnzüchter auf diesen einen Ton gedrillt werden. Wenn der Tarn einem Krieger überlassen oder verkauft wird, erhält der neue Reiter die Pfeife. Entsprechend sorgsam geht ein Tarnkämpfer mit der Pfeife um, denn sollte sie etwa in feindliche Hände fallen, ist er sein Reittier los. Ich kleidete mich in den roten Umhang des goreanischen Kriegers. Es stimmte mich ratlos, daß Helm und Schild keine Insignien trugen. Dies widersprach den goreanischen Sitten, denn gewöhnlich tragen nur Geächtete, Männer ohne Stadt, kein Wappen.

Ich setzte den Helm auf und schlang mir Schild und Schwert über die linke Schulter. In die Rechte nahm ich sodann den massiven Speer. Anschließend schaute ich zum Himmel auf und wählte meinen Weg nach dem Sonnenstand, wohl wissend, daß Ko-ro-ba nordwestlich der Berge lag.

Mein Schritt war leicht, meine Stimmung gut. Ich war wieder zu Hause, in der Heimat, in der mein Liebling auf mich wartete. In der mein Vater nach über zwanzigjähriger Trennung auf mich gewartet hatte, in der ich zusammen mit meinen Kriegerfreunden getrunken und gelacht hatte, in der ich von meinem lieben Freund, dem Schriftgelehrten Torm, Lesen und Schreiben gelernt hatte — ja, hier lag meine Heimat.

Meine Gedanken kamen in Goreanisch, so fließend, als wäre ich nicht sieben Jahre fort gewesen. Ich merkte plötzlich, daß ich zu Singen begann, als ich so durch das Gras schritt. Ein Kriegerlied.

Ich war wieder in Gor.

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