Widerstand wäre sinnlos gewesen.
Meine Waffen waren vorsichtig entfernt worden, als ich noch schlief; wie ein Tor hatte ich mich auf die Gastfreundschaft Tharnas verlassen. Unbewaffnet stand ich den Gardisten gegenüber. Und doch schien der Offizier die Auflehnung in meinen Augen wahrzunehmen, denn er gab seinen Leuten ein Zeichen, und drei Speere richteten sich auf meine Brust.
»Ich habe nichts gestohlen«, sagte ich.
»Du magst deinen Fall der Tatrix vortragen«, sagte der Wächter. »Fesselt ihn«, schaltete sich Ost ein.
»Bist du ein Krieger?« fragte der Gardist.
»Ja.«
»Gibst du mir dein Wort, daß du mich friedlich zum Palast der Tatrix begleitest?«
»Ja«, sagte ich.
Der Wächter wandte sich an seine Männer. »Fesseln sind nicht erforderlich.«
»Ich bin unschuldig«, wiederholte ich.
Der Offizier sah mich an; seine Augen musterten mich aus der Y-Öffnung seines hellblauen Helms. »Das muß die Tatrix entscheiden«, sagte er.
»Ihr müßt ihn fesseln!« jammerte Ost.
»Ruhig, du Wurm!« sagte der Wärter, und der Verschwörer hielt den Mund.
Von den Wächtern umgeben, folgte ich dem Offizier zum Palast der Tatrix. Ost hastete hinter uns her, so schnell ihn seine kurzen, krummen Beine trugen. Er begann zu schnaufen und zu keuchen und hatte Mühe, mit uns Schritt zu halten.
Selbst wenn ich mein Wort gebrochen hätte, wären meine Fluchtchancen sehr gering gewesen. Wahrscheinlich hätten mich schon kurz nach meinem ersten Schritt in Richtung Freiheit drei Speere durchbohrt. Ich respektierte die umsichtigen, tüchtigen Gardisten Tharnas, hatte ich doch bereits einen geschickt operierenden Trupp außerhalb der Stadt kennengelernt. Ich fragte mich, ob Thorn wohl in Tharna war und ob Vera inzwischen in seiner Villa das Tanzkleid trug. Ich wußte, daß ich freigesprochen werden mußte, wenn es eine Gerechtigkeit in Tharna gab — doch ich war beunruhigt. Wie konnte ich wissen, daß mein Fall tatsächlich gerecht vorgetragen und entschieden wurde? Daß ich Osts Münzensack besessen hatte, war auf jeden Fall ein klarer, äußerlicher Schuldbeweis, und das mochte sehr wohl die Entscheidung der Tatrix beeinflussen. Wie konnte mein Wort, das Wort eines Fremden, dagegen wiegen — gegen die Worte von Ost, eines tharnaischen Bürgers, der vielleicht sogar eine wichtige Persönlichkeit des öffentlichen Lebens war?
Es mag unglaublich scheinen — trotz dieser düsteren Erwägungen freute ich mich auf den Palast der Tatrix. Ich wollte ihr endlich von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen, dieser ungewöhnlichen Frau, die eine goreanische Stadt zu beherrschen verstand. Ohne die Verhaftung wäre ich vielleicht sogar aus eigenem Antrieb bei der Tatrix vorstellig geworden, um — wie es ein Bürger ausgedrückt hatte - die Nacht in ihrem Palast zu verbringen.
Als wir etwa zwanzig Minuten lang durch die düsteren, gewundenen Straßen Tharnas gegangen waren, wobei uns die graugekleideten Bürger in weitem Bogen aus dem Wege gingen und den rotgekleideten Gefangenen ausdruckslos anstarrten, erreichten wir eine breite Straße, die in weiten Kurven aufwärts führte. Sie war mit schwarzem Basalt gepflastert, auf dem noch der Regen der letzten Nacht schimmerte. Zu beiden Seiten ragte eine langsam höher werdende Steinmauer auf, und je weiter wir kamen, desto höher wurden auch diese Mauern, und desto enger rückten sie zusammen.
Endlich sah ich im kühlen Morgenlicht den Palast vor uns aufragen, noch etwa hundert Meter entfernt — eine runde Steinfestung, schwarz, gedrungen, schmucklos, eindrucksvoll. Zum Eingang hin rückten die Mauern noch weiter zusammen, die Straße war so schmal geworden, daß keine zwei Männer nebeneinander gehen konnten; zu beiden Seiten ragten die Mauern etwa fünf Meter auf.
Der Eingang selbst bestand aus einer kleinen, schlichten Eisentür, etwa fünfzig Zentimeter breit und knapp anderthalb Meter hoch. Hier erinnerte nichts an die breittorigen Zentralzylinder anderer goreanischer Städte, durch die man ein Gespann mit goldbeschirrten Tharlarions steuern konnte. Ich fragte mich, ob ich in dieser düsteren, brutalen Festung, diesem Palast der Tatrix von Tharna, Gerechtigkeit finden konnte. Der Gardist deutete auf die Tür und blieb hinter mir zurück. Ich stand nun der schmalen Tür allein gegenüber.
»Wir kommen nicht mit. Du und Ost — ihr geht allein.«
Ich wandte mich um, und sofort richteten sich drei Speerspitzen auf meine Brust.
Das Scharren zurückgezogener Riegel ertönte, und die Eisentür schwang auf und gab den Blick auf ein schwarzes Viereck frei. »Tritt ein!« befahl der Wächter.
Ich warf einen letzten Blick auf die Speere, grinste den Gardisten grimmig an, wandte mich um, senkte den Kopf und betrat den Palast. Dann schrie ich. überrascht auf, griff in die Luft, fühlte, wie der Boden unter meinen Füßen nachgab und ich ins Leere fiel. Ich hörte Ost hinter mir entsetzt aufschreien, als er ebenfalls durch die Tür geschoben wurde.
Etwa fünf Meter unter der Schwelle prallte ich in absoluter Dunkelheit auf. Es mußte sich um einen Steinboden handeln, der mit nassem Stroh bedeckt war. Fast gleichzeitig stürzte Ost auf mich, und ich rang um Atem. Vor meinen Augen tanzten purpurne und goldene Flecken. Ich merkte kaum, das ein großes Tier mich in sein Maul nahm und mich durch eine runde, tunnelähnliche Öffnung zerrte. Ich versuchte mich zu wehren, doch das brachte mich nicht weiter. Ich bekam keinen Atem mehr, und der Tunnel war viel zu eng. Ich roch das nasse Fell des Tieres, das eine Art Nagetier sein mußte, nahm den Geruch seines Lagers wahr, des schmutzigen Strohs. Aus der Ferne drangen Osts hysterische Schreie in mein Bewußtsein.
Das Tier bewegte sich einige Zeit rückwärts durch den Tunnel und zerrte seine Beute mit. Dabei schwenkte es von Zeit zu Zeit den Kopf hin und her, so daß ich gegen die Steinwände geschleudert wurde und mir dort Abschürfungen und Prellungen zuzog. Meine Tunika wurde zerrissen. Endlich erreichten wir einen runden, kuppelförmigen Raum, der von zwei Fackeln in Eisenhaltern erhellt wurde. Ich hörte eine harte, laute, befehlsgewohnte Stimme. Das Tier schrie unwillig auf. Ich hörte das Knallen einer Peitsche und ein zweites Kommando. Widerstrebend ließ das Tier mich los und wich zurück, duckte sich und beobachtete mich mit seinen schmalen, schrägen, flammenden Augen, die im Fackelschein wie geschmolzenes Gold schimmerten.
Es handelte sich um einen gigantischen Urt, ein dickes, weißes Tier. Es fauchte mich mit seinen drei Reihen nadelscharfer Zähne an und kreischte wütend. Zwei gebogene Hauer ragten von seinem Kiefer auf; zwei Hörner, die den Hauern ähnelten, erhoben sich aus dem Stirnknochen, ragten über den schimmernden Augen vor, die schon von mir zu zehren Schienen, als warteten sie nur die Erlaubnis des Wächters ab, um sich auf mich zu stürzen. Der fette Körper des Urt zitterte erwartungsvoll.
Wieder knallte die Peitsche, und ein neues Kommando ertönte. Das Tier lies seinen langen haarlosen Schwanz ärgerlich hin und her peitschen und verschwand lauernd in einem anderen Tunnel. Ein Eisengitter rasselte hinter ihm herunter.
Mehrere starke Hände ergriffen mich, und ich erhaschte einen Blick auf ein schweres, rundes, schimmerndes Objekt. Ich versuchte mich aufzurichten, wurde jedoch mit dem Gesicht nach unten zurückgedrückt. Ein silbriges Objekt, schwer wie ein Baumstamm, wurde mir über den Nacken geschoben. Man hielt mir die Arme fest, wahrend sich die seltsame Vorrichtung um meinen Hals und meine Arme schloß. Entsetzt hörte ich das Schnappen eines schweren Schlosses.
»Joch fertig«, sagte eine Stimme.
»Steh auf, Sklave«, befahl eine zweite Stimme.
Ich versuchte mich zu erheben, doch das Gewicht war zuviel. Ich hörte das Zischen einer Peitsche und biß die Zähne zusammen, als sich die Lederschnur in meinem Fleisch verbiß. Immer wieder zuckte sie wie ein Blitzschlag auf mich herab. Es gelang mir schließlich, die Knie unter meinen Körper zu schieben und das schwere Joch schmerzerfüllt in die Hohe zu hieven. Unsicher richtete ich mich ganz auf, hin und her schwankend.
»Gut gemacht, Sklave«, sagte eine Stimme.
Trotz der brennenden Peitschenwunden auf meinem Rücken spürte ich die kalte Luft des Verlieses, in dem ich mich befand. Die Peitsche hatte den Stoff meiner Tunika zerrissen, und ich blutete. Ich drehte mich um und sah den Sprecher an, der die Peitsche in der Hand hielt. Ich registrierte, daß der Lederriemen vom Blut rot war.
»Ich bin kein Sklave«, sagte ich.
Der Mann war bis zur Hüfte nackt, ein stämmiger Bursche mit metallbesetzten ledernen Armreifen, das Haar trug er mit einem grauen Band zusammengebunden.
»In Tharna«, sagte er, »kann ein Mann wie du gar nichts anderes sein.« Ich sah mich in dem Verlies um, das etwa fünf Meter über dem Boden eine Art Kuppel bildete. Es gab mehrere Ausgange, die meisten ziemlich klein und versperrt. Aus einigen drangen Klagelaute. In anderen Öffnungen scharrten oder kreischten Tiere — womöglich weitere Riesen-Urts. An einer Wand stand eine große Schale mit brennenden Kohlen, aus denen die Griffe mehrerer Eisen ragten. Eine Art Ständer erhob sich daneben. Er war groß genug, um einen Menschen aufzunehmen. Hier und dort waren Ketten an den Wänden befestigt, und andere Ketten baumelten von der Decke. Wie in einer Werkstatt hingen auch verschiedene Geräte an den Wänden die ich hier nicht naher beschreiben mochte. Es möge der Hinweis genügen, daß sie dazu bestimmt waren, einem Menschen ein Höchstmaß an Schmerzen zuzufügen.Es war ein schrecklicher Ort. »Hier«, sagte der Mann stolz, »wird der Frieden Tharnas gewahrt.« »Ich verlange, zur Tatrix gebracht zu werden«, sagte ich laut. »Natürlich«, erwiderte der Folterknecht und lachte unangenehm. »Ich bringe dich persönlich zur Tatrix.«
Ich hörte eine Kette durch eine Rolle laufen, und sah, daß sich eines der Gittertore langsam anhob. Der Mann machte eine Bewegung mit der Peitsche. Ich begriff, daß ich durch die Öffnung gehen sollte. »Die Tatrix von Tharna erwartet dich«, sagte er.