Schon sprang mein Schwert aus der Scheide, und ich watete durch den kalten Bach und hastete auf die Baumgruppe zu.
Wieder klang der Schrei auf.
Jetzt war ich zwischen den Bäumen, kam schnell voran. Ich bemühte mich, keine Geräusche zu machen.
Dann nahm ich den Geruch eines Lagerfeuers wahr. Ich hörte ruhige Stimmen. Zwischen den Bäumen machte ich Zeltplanen und einen Tharlarionwagen aus, dessen Kutscher die Tiere abschirrte. Soweit ich erkennen konnte, hatte keiner der Männer den Schrei gehört oder kümmerte sich darum.
Ich ging langsam weiter und kam zwischen den Zelten auf die Lichtung. Einige Wächter musterten mich neugierig. Einer stand auf und inspizierte den Wald hinter mir, um zu sehen, ob ich allein gekommen war. Ich sah mich um. Eine friedliche Szene breitete sich aus — die Lagerfeuer, die runden Zelte, das Abschirren der Zugtiere, eine Szene, wie ich sie aus der Karawane Mintars aus der Händlerkaste noch in Erinnerung hatte. Aber dies war nur ein kleines Lager und hatte wenig mit dem Pasanglangen Wagenzug gemein, mit dem der reiche Mintar zu reisen pflegte.
Wieder hörte ich den Schrei.
Ich sah, daß die Plane des Tharlarionwagens aus blauer und gelber Seide bestand.
Ich war in das Lager eines Sklavenhändlers geraten.
Langsam steckte ich mein Schwert in die Scheide und nahm den Helm ab.
»Tal«, sagte ich zu den beiden Wächtern, die am Fenster hockten und Steine spielten — ein Ratespiel, bei dem der eine Spieler erraten muß, ob die Zahl der Steine, die der andere in der Faust birgt, gerade oder ungerade ist.
»Tal«, sagte einer der Männer. Der andere, der mit Raten an der Reihe war, blickte nicht einmal auf.
Ich ging zwischen den Zelten hindurch und erblickte das Mädchen. Sie war blond; ihr Haar war so lang, daß es den ganzen Rücken bedeckte. Sie hatte blaue Augen und war verwirrend schön. Im Augenblick zitterte sie wie ein in die Enge getriebenes Tier. Sie war nackt an einen schlanken birkenähnlichen Stamm gefesselt, in kniender Stellung. Ihre Hände waren über ihrem Kopf hinter dem Stamm mit einer Sklavenfessel zusammengebunden. Ihre Fußgelenke waren hinter dem Baum mit einer kurzen Kette gefesselt.
Ihre Augen richteten sich flehend auf mich, als konnte ich sie von ihrem Schicksal erlösen, doch als sie mich anschaute, wurde ihr Blick, wenn das überhaupt möglich war, noch entsetzter, noch panischer. Sie stieß einen hoffnungslosen Schrei aus, begann zu beben und ließ den Kopf nach vorn sinken.
Ich vermutete, daß sie mich für einen weiteren Sklaventreiber hielt. Dicht neben dem Baum stand eine eiserne Feuerschale, in der sich glühende Kohlen häuften. Ich spürte ihre Hitze. In den Kohlen steckten drei Brandeisen.
Neben den Eisen stand ein stämmiger Mann mit freiem Oberkörper und dicken Lederhandschuhen, einer der Helfer des Sklavenhändlers. Er hatte nur noch ein Auge. Er musterte mich ohne großes Interesse, wahrend er auf die Brandeisen wartete.
Ich warf einen Blick auf den Schenkel des Mädchens. Sie war noch nicht gekennzeichnet.
Wenn ein Mann sich ein Mädchen fängt, brennt er ihr nicht immer sein Zeichen auf, obwohl das sehr oft geschieht. Ein professioneller Sklavenhändler dagegen achtet darauf, daß seine Ware eindeutig gekennzeichnet ist, und es geschieht selten, daß ein ungebranntes Mädchen zur Versteigerung kommt.
Das Brandzeichen ist etwas anderes als der Kragen, obwohl beide ein Zeichen für die Sklaverei sind. Der Kragen ist in erster Linie ein Nachweis über den Herrn des Sklaven und seine Heimatstadt. Im Leben eines Mädchens kann der Kragen unzählige male wechseln, wahrend das Brandzeichen unverändert bleibt und ihren Status angibt. Das Mal liegt gewöhnlich unter dem kurzen Sklavenrock versteckt. Es besteht bei den Mädchen aus einem anmutig geschwungenen Zeichen, der Anfangsbuchstabe des goreanischen Wortes für Sklave. Wird ein Mann gebrandmarkt, wird der gleiche Buchstabe in etwas anderer Form benutzt.
Der Mann am Feuer bemerkte mein Interesse an dem Mädchen, trat neben sie, ergriff ihr Haar und zerrte den Kopf in die Höhe, damit ich besser ihr Gesicht sehen konnte. »Ein hübsches Ding, nicht wahr?« fragte er.
Ich nickte und fragte mich, warum mich die blauen Augen so angstvoll anstarrten.
»Vielleicht mochtest du sie kaufen?« fragte der Mann.
»Nein«, erwiderte ich.
Der untersetzte Mann blinzelte mir mit seinem einen Auge zu. Verschwörerisch flüsterte er: »Sie ist noch nicht trainiert. Und sie ist wild wie ein Sleen.«
Ich lächelte.
»Aber das Eisen treibt ihr das aus.«
Das bezweifelte ich noch.
Ich holte eines der Eisen aus dem Feuer. Es war rotglühend.
Beim Anblick des erhitzten Metalls begann das Mädchen wieder zu schreien. Sie zerrte an ihren Fesseln.
Der untersetzte Mann stieß das Brandeisen noch einmal ins Feuer. »Sie ist laut«, sagte er beschämt. Dann warf er einen Blick in meine Richtung, zuckte die Achseln, als wollte er mich um Entschuldigung bitten, trat neben das Mädchen und nahm eine Handvoll langes Haar. Er drehte es zu einem kleinen, festen Ball zusammen und schob ihn ihr plötzlich in den Mund. Das Haar dehnte sich sofort aus, und ehe sie es wieder ausspucken konnte, hatte er weiteres Haar um ihren Kopf gelegt und festgebunden, so daß sie ihren Mund nicht mehr freibekam. Stumm rang das Mädchen mit dem Knebel, doch es war sinnlos. Ein Trick der Sklavenhändler. Ich wußte, daß auch manche Tarnkämpfer ihre Gefangenen auf diese Weise bändigten.
»Tut mir leid, wildes Ding«, sagte der Mann, »aber wir wollen doch nicht, daß Targo mit seiner Peitsche kommt und uns beiden Zunder gibt, nicht wahr?«
Leise schluchzte das Mädchen und ließ den Kopf Hängen.
Geistesabwesend summte der Mann ein Karawanenlied vor sich hin, wahrend er darauf wartete, daß das Eisen die richtige Hitze hatte. Ich wußte nicht, wie ich mich verhalten sollte. Ich war herbeigeeilt, um das Mädchen zu befreien, es zu beschützen. Nun mußte ich feststellen, daß sie nur eine Sklavin war und daß ihr Eigentümer — was auf Gor durchaus Routine war — sich daranmachte, sie als seinen Besitz zu kennzeichnen. Hatte ich sie nun befreien wollen, wäre das ebenso ein Diebstahl gewesen, als wenn ich versucht hatte, mit dem Tharlarionwagen davonzufahren.
Außerdem hegten die Männer keine feindlichen Gefühle für das Mädchen. Sie war nur eines von vielen an ihrer Kette, vielleicht weniger gut trainiert und weniger fügsam als die anderen. Sie Waren allenfalls ungeduldig mit ihr und meinten, sie rege sich zu sehr auf. Ihre Gefühle, ihre Erniedrigung und Scham verstanden sie jedenfalls nicht. Vermutlich meinten sogar die anderen Mädchen, daß sie zu viele Umstände mache. Mußte eine Sklavin das Brandeisen nicht hinnehmen? Und die Peitsche?
Ich sah die anderen Sklavenmädchen in einiger Entfernung sitzen. Sie lachten und unterhielten sich, bewegten sich wie freie Mädchen. Auf den ersten Blick war die Kette, die ihre Knöchel Verband, nicht zu sehen. Sie endete an einem Baum, wo sie sorgsam festgemacht war.
Gleich mußten die Brandeisen bereit sein.
Das Mädchen, das hilflos in ihren Ketten hing, würde das Brandzeichen erhalten.
Ich hatte mich zuweilen schon gefragt, welchen Sinn solche Brandzeichen hatten. Sicher hatten die Goreaner andere Möglichkeiten, den menschlichen Körper unverkennbar zu kennzeichnen — und das auf schmerzlose Weise. Meine Vermutung, die zum Teil durch meinen alten Waffenmeister, den Älteren Tarl, bestätigt wurde, ging dahin, daß das Brandzeichen vordringlich wegen der psychologischen Wirkung angebracht wurde.
Nach der Theorie kann ein Mädchen, das plötzlich wie ein Tier gebrandmarkt wird, dessen helle Haut plötzlich vom Eisen ihres Herrn entstellt ist, nicht um das innere Gefühl herum, daß sie jetzt ein Gegenstand des Besitzes ist, etwas, das dem Wesen gehört, das ihr dieses brennende Eisen an den Schenkel gedrückt hat.
Wahrscheinlich hängt die Wirkung des Brandzeichens weitgehend von dem Mädchen ab. Manche werden es nur als ein weiteres Zeichen ihrer Scham, ihres Elends und ihrer Erniedrigung sehen. Andererseits kenne ich Fälle, da eine stolze, wehrhafte Frau, womöglich von großer Intelligenz, die sich stets gewehrt hatte, bei der Berührung des Brandeisens zu einer leidenschaftlichen und gehorsamen Vergnügungssklavin wurde.
Alles in allem weiß ich nicht, ob das Brandzeichen vorwiegend um der psychologischen Wirkung willen verwendet wird oder nicht. Vielleicht handelt es sich nur um eine Kennzeichnung der Händler, die eine Möglichkeit haben müssen, entlaufene Sklaven aufzuspüren, da ihr Beruf sonst mit einem nicht zu vertretenden Risiko behaftet wäre. Manchmal glaube ich auch, das Brandeisen ist nur ein unschönes Überbleibsel aus einer weniger fortschrittlichen Zeit.
Eines war jedenfalls klar. Das arme Wesen hier wollte das Brandeisen nicht.
Ich hatte Mitleid mit ihr.
Der Helfer des Sklavenhändlers zog ein Eisen aus dem Feuer. Mit seinem gesunden Auge musterte er es abschätzend. Es war weißglühend. Er nickte.
Das Mädchen drückte sich gegen den Baum, und ihr Rücken schabte über die rauhe weiße Rinde. Mit Fuß- und Handgelenken wehrte sie sich gegen die Umklammerung der Sklavenfesseln. Sie atmete keuchend. Ihr ganzer Körper bebte, und Entsetzen stand in ihren Augen. Sie begann zu wimmern.
Der Sklavenhelfer legte den linken Arm um ihren rechten Schenkel und hielt ihn umklammert. »Nicht rühren, mein Schatz«, sagte er nicht ohne Freundlichkeit. »Du darfst das Zeichen nicht verwischen.« Er sprach langsam auf das Mädchen ein, als wollte er es beruhigen. »Du wünschst dir doch ein klares, hübsches Zeichen, nicht? Dadurch wird dein Preis höher, und du bekommst einen besseren Herrn.«
Das Eisen wurde nun angehoben, war zum Zustoßen bereit.
Ich sah, daß sich einige der kurzen goldenen Haare auf ihrem Schenkel zusammenrollten und versengt wurden.
Sie schloß die Augen und stählte sich gegen den unvermeidlichen Schmerz.
»Laß das«, sagte ich.
Der Mann starrte mich verwundert an.
Die entsetzten Augen des Mädchens öffneten sich, musterten mich fragend.
»Warum nicht?« fragte der Mann.
»Ich kaufe sie«, sagte ich.
Der Helfer des Sklavenhändlers stand auf und sah mich neugierig an. Er wandte sich zu den Zelten um. »Targo!« brüllte er. Dann stieß er das Brandeisen wieder in die Kohlen.
Das Mädchen sank in ihren Fesseln zusammen. Sie hatte das Bewußtsein verloren.
Zwischen den runden Zelten erschien ein kleiner dicker Mann in einem weiten Umhang aus buntgestreifter Seide und einem Kopfband aus dem gleichen Material: Targo, der Sklavenhändler, Herr über diese kleine Karawane. Targo trug purpurne Sandalen, deren Senkel mit Perlen besetzt waren. Seine dicken Finger waren voller Ringe, die bei jeder Handbewegung glitzerten. Um seinen Hals trug er nach Art eines Hausmeisters durchstochene Münzen an einem Silberdraht. An seinen Ohrläppchen hingen gewaltige Ohrringe, Saphirpendants an goldenem Stengel. Sein Körper war frisch eingeölt, und ich nahm an, daß er sich bis eben in seinem Zelt gewaschen hatte — ein Vergnügen, das sich Karawanenherren am Ende eines langen, staubigen Tages mit Vorliebe gönnten. Sein Haar, lang und schwarz unter der blaugelben Seide, war fettig und glattgestriegelt. Es erinnerte mich an den schimmernden Pelz eines Haus-Urts.
»Guten Tag, Herr«, lächelte Targo, verbeugte sich und musterte den seltsamen Fremden, der da in sein Lager gekommen war. Dann wandte er sich an den Mann, der die Eisen bewachte. Mit scharfer, herrischer Stimme fragte er: »Was geht hier vor?«
Sein Helfer deutete auf mich. »Er will nicht, daß ich das Mädchen brandmarke.«
Targo sah mich verständnislos an. »Wieso?« fragte er.
Ich wußte nicht, was ich sagen sollte. Was konnte ich diesem Händler antworten, diesem Spezialisten des Sklavenhandels, diesem Geschäftsmann, der den alten Traditionen und Praktiken seines Gewerbes folgte? Konnte ich ihm sagen, daß dem Mädchen kein Leid geschehen sollte? Er hatte mich für verrückt gehalten. Doch welchen anderen Grund gab es?
Ich kam mir seltsam vor, doch ich sagte ihm die Wahrheit. »Ich möchte nicht, daß ihr weh getan wird«, sagte ich.
Targo und sein Helfer sahen sich an.
»Aber sie ist nur eine Sklavin«, sagte Targo.
»Ich weiß.«
Der Sklavenhelfer ergriff das Wort: »Er hat gesagt, er will sie kaufen.« »Ah!« sagte Targo, und seine winzigen Augen glitzerten. »Das ist etwas anderes.« Plötzliche Traurigkeit überzog sein Gesicht. »Nur schade, daß sie so teuer ist.«
»Ich habe kein Geld«, sagte ich.
Targo starrte mich verständnislos an. Sein fetter kleiner Körper zog sich wie eine Faust zusammen. Er war wütend. Er wandte sich an den anderen Mann, ohne mich weiter zu beachten. »Brandmarke das Mädchen!« sagte er.
Sein Helfer zog ein Eisen aus den Kohlen.
Meine Schwertspitze berührte die Haut des dicken Sklavenhändlers. »Laß sein!« sagte Targo.
Gehorsam steckte der Mann das Brandeisen wieder ins Feuer. Er sah, daß mein Schwert auf den Bauch seines Herrn gerichtet war, doch er schien sich weiter keine Sorgen zu machen. »Soll ich die Wächter rufen?« fragte er.
»Ich bezweifle, daß sie schnell genug hier sein konnten«, sagte ich leise. »Du brauchst die Wächter nicht zu rufen«, sagte Targo, der nun zu schwitzen begann.
»Ich habe kein Geld«, sagte ich, »aber ich habe diese Scheide.« Targos Blick zuckte herab und bewegte sich von einem Smaragd zum Nächsten. Seine Lippen bewegten sich stumm. Sechs Steine.
»Vielleicht«, sagte Targo, »werden wir uns einig.«
Ich steckte das Schwert ein.
Targo wandte sich an seinen Helfer und sagte mit scharfer Stimme: »Weck sie!«
Murrend holte der Mann einen Ledereimer voller Wasser aus dem kleinen Fluß. Targo und ich starrten uns an, bis der Mann zurückkehrte. Er schüttete das kalte Wasser über das angekettete Mädchen, das nun prustend und zitternd die Augen öffnete.
Targo trat mit kurzen, rollenden Schritten neben das Mädchen, schob einen dicken Finger, an dem ein großer Rubinring schimmerte, unter ihr Kinn und hob ihren Kopf an.
»Eine wirkliche Schönheit«, sagte Targo. »Und in den Sklavengruben Ars bestens ausgebildet.«
Ich konnte sehen, wie der andere Mann hinter Targo den Kopf schüttelte. »Und«, fuhr Targo fort, »sie ist sehr gehorsam und eifrig.«
Hinter ihm schüttelte der Mann wieder den Kopf und zuckte die Achsel. »Sanft wie eine Taube, friedlich wie ein Kätzchen«, fuhr Targo fort. Ich schob meine Schwertklinge zwischen die Wange des Mädchens und das Haar, das über ihren Kopf ,gebunden war. Ich ruckte daran, und die Haarsträhnen glitten von der Klinge.
Das Mädchen starrte Targo an: »Du fetter, schmutziger Urt!« zischte sie. »Still, Tharlarion!« fauchte er.
»Ich glaube nicht, daß sie viel wert ist«, sagte ich.
»O Herr!« rief Targo und fuhr herum. »Ich habe hundert silberne Tarnmünzen für sie zahlen müssen!«
Hinter Targo hielt sein einäugiger Helfer die Finger in die Luft und öffnete seine Hände fünfmal.
»Ich mochte bezweifeln, daß sie mehr als fünfzig wert ist«, sagte ich. Targo sah mich verblüfft an. Respekt schimmerte in seinen Augen. Vielleicht war ich vom Fach? Tatsächlich waren fünfzig silberne Tarnmünzen ein sehr hoher Preis, der darauf schließen ließ, daß das Mädchen aus hoher Kaste stammte. Ein gewöhnliches Mädchen aus niedriger Kaste mochte untrainiert je nach Marktlage bis zu dreißig Münzen bringen.
»Ich gebe dir zwei von meinen Edelsteinen hier«, sagte ich. In Wirklichkeit hatte ich keine Vorstellung von ihrem Wert und wußte also auch nicht, ob mein Angebot vernünftig war. Nach Targos Ringen zu urteilen, war er ein weitaus besserer Kenner in solchen Dingen. »Unmöglich!« sagte Targo und schüttelte heftig den Kopf.
Ich merkte, daß er nicht bluffte, denn wie hatte er wissen können, daß ich den wahren Wert der Steine nicht kannte? Wie konnte er ahnen, daß ich sie nicht selbst erworben und an der Scheide befestigt hatte? »Du bist ein harter Verhandlungspartner«, sagte ich. »Vier . . .« »Kann ich mir die Steine einmal ansehen, Krieger?« fragte er. »Aber natürlich«, erwiderte ich, schnallte die Scheide ab und reichte sie ihm. Das Schwert behielt ich in der Hand.
Targo starrte die Juwelen abschätzend an. »Nicht schlecht«, sagte er, »aber nicht genug . . .«
Ich gab mich ungeduldig. »Dann zeig mir deine anderen Mädchen«, sagte ich.
Es war deutlich, daß Targo dieser Wunsch nicht gefiel, denn offenbar wollte er gerade das blonde Mädchen loswerden. Vielleicht war sie eine Unruhestifterin.
»Zeige ihm die anderen«, sagte sein Helfer. »Das Mädchen hier sagt nicht einmal: ›Kauf mich, Herr!‹«
Targo warf dem Einäugigen einen wütenden Blick zu. Doch dieser lächelte nur vor sich hin und überprüfte die Brandeisen in den Kohlen. Ärgerlich führte mich Targo auf die Graslichtung zwischen den Bäumen. Mit schneller Bewegung klatschte er zweimal in die Hände, und ringsum entstand eine Bewegung. Mädchen sprangen auf, und die lange Kette rutschte klirrend durch die Knöchelringe. Schließlich knieten die Mädchen in der Haltung von Vergnügungssklavinnen vor mir im Gras; sie bildeten eine Linie zwischen den beiden Bäumen, an denen ihre Ketten befestigt waren. Als ich an ihnen vorbeiging, hob jedes Mädchen herausfordernd den Kopf und sagte: »Kauf mich, Herr.«
Viele von den Mädchen waren sehr schön, und ich überlegte, daß diese Kette, obwohl sie nur kurz war, einen großen Wert darstellte, weil fast jeder Kunde ein Mädchen nach seinem Geschmack finden müßte. Es waren lebensfrohe Geschöpfe, von denen manches Mädchen sicher auch gut trainiert war, die Sinne ihres Herrn anzuregen. Zahlreiche goreanische Städte waren vertreten — ein blondes Mädchen aus Thentis; ein dunkelhäutiges Wesen aus der Wüstenstadt Tor, ihr schwarzes Haar fiel bis zu den Knöcheln herab; Mädchen aus den schlimmen Straßen Port Kars im Voskdelta; sogar Mädchen aus den hohen Zylindern Ars; ihre Geschichte stand auf ihren Halsbändern geschrieben. Ich fragte mich, wie viele von Geburt an Sklavinnen gewesen waren.
Als ich so vor jeder Schönheit stehenblieb und ihrem Blick begegnete und ihre Worte hörte: »Kaufe mich, Herr«, fragte ich mich, warum ich eigentlich nicht dieses Mädchen kaufen sollte, warum ich nicht sie befreien sollte anstelle des anderen Mädchens. Waren diese großartigen Geschöpfe denn weniger wert als sie?
»Nein«, sagte ich zu Targo. »Von diesen kaufe ich keine.«
Zu meiner Überraschung lief ein enttäuschtes Aufseufzen die Kette entlang. Zwei Mädchen, das aus Tor und eines der Mädchen aus Ar, weinten sogar und bargen die Gesichter in den Händen. Ich wünschte, ich hätte auf die Parade verzichtet.
Aus der Rückschau ist mir nun klar, daß die Kette für ein Mädchen ein Ort der Einsamkeit ist, ein Ort der Kälte und Ungewißheit. Die Arme eines Herrn waren auf jeden Fall besser als der kahle Stahl des Knöchelrings.
Als sie sagten: »Kaufe mich, Herr«, war das nicht nur ein ritueller Satz. Sie hatten wirklich verkauft werden wollen — an mich, an jeden, der sie von der verhaßten Kette Targos befreite.
Targo schien erleichtert zu sein. Er ergriff meinen Ellenbogen und führte mich zu dem Baum zurück, vor dem noch immer das blonde Mädchen kniete.
Als ich sie anschaute, fragte ich mich wieder, warum meine Wahl ausgerechnet auf sie gefallen war. Warum nahm ich nicht eine andere? Warum war es mir nicht gleichgültig, daß dieses Mädchen das zarte Halsband trug? Wahrscheinlich lehnte ich mich überhaupt gegen die Einrichtung der Sklaverei auf und gegen die Tatsache, daß sich nichts ändern würde, wenn ich aus einem unsinnigen Mitleid heraus dieses eine Mädchen befreite. Sie konnte natürlich nicht mit ins Sardargebirge kommen, und sobald ich sie freiließ, würde sie wieder eingefangen oder den wilden Tieren zum Opfer fallen.
»Ich habe beschlossen, sie doch nicht zu kaufen«, sagte ich. Das Mädchen hob den Kopf und sah mich an. Sie versuchte zu lächeln. Die Worte kamen leise, aber klar und deutlich: »Kaufe mich, Herr.« »Ei!« rief der Einäugige, und sogar Targo schaute mich verblüfft an. Es war das erstemal, daß das Mädchen diesen Satz sagte.
Ich sah sie an und bemerkte, daß sie wirklich schön war, doch am meisten fiel mir das Flehen in ihren Augen auf. Und unter diesem Blick löste sich meine Vernunftentscheidung zu einem Nichts auf, und ich gab meinem Gefühl nach, wie ich es in der Vergangenheit schon mehrfach getan hatte.
»Nimm die Scheide«, sagte ich zu Targo. »Ich kaufe sie.«
»Und den Helm!« sagte Targo.
»Einverstanden«, erwiderte ich.
Er ergriff die Scheide, und die Freude, mit der seine dicken Finger sie umfaßten, verriet mir, daß ich seiner Meinung nach gehörig übervorteilt worden war. Im letzten Augenblick fiel es ihm wieder ein, und er riß mir auch den Helm aus der Hand. Er und ich wußten, daß er fast völlig wertlos war. Ich lächelte leise. In solchen Dingen war ich wohl nicht sehr talentiert. Aber wenn ich den wahren Wert der Edelsteine gekannt hatte ...?
Das Mädchen sah mich an und versuchte an meinen Augen abzulesen, was aus ihr werden würde. Ihr Schicksal lag nun in meiner Hand, ich war ihr Herr.
Grausam sind die Sitten auf Gor, dachte ich, wenn sechs kleine grüne Steine, die zusammen kaum fünfzig Gramm wiegen, und ein beschädigter Helm der Preis für ein Menschenleben sind.
Targo und sein Helfer waren zu den Zelten gegangen, um die Schlüssel für die Kette des Mädchens zu holen.
»Wie heißt du?« fragte ich.
»Eine Sklavin hat keinen Namen«, erwiderte sie. »Du magst mir einen geben, wenn du es wünschst.«
Auf Gor hat ein Sklave tatsächlich keinen Namen, da er nach dem Gesetz keine Person ist. Vom Gesichtspunkt des Goreaners aus gehörte es zu den schlimmen Dingen an der Sklaverei, daß der gefangene Sklave seinen Namen verliert. Ein Name, den er seit Geburt getragen hat, mit dem er sich selbst identifiziert hat, der zu einem Teil seiner Person geworden ist — dieser Name ist plötzlich verschwunden. »Du bist keine geborene Sklavin«, sagte ich.
Sie lächelte mich an und schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte sie. »Ich bin es zufrieden«, sagte ich, »dich bei dem Namen zu nennen, den du als freie Frau getragen hast.«
»Du bist freundlich«, sagte sie.
»Wie hast du geheißen?« fragte ich.
»Lara.«
»Lara?«
»Ja, Krieger«, sagte sie. »Erkennst du mich denn nicht? Ich war Tatrix von Tharna.«