15

Der Tabuk-Schrei ist das einzige Wort, auf das ein Tarn eindeutig reagiert. Alle anderen Anweisungen werden ihm über die Tarnzügel und mit dem Tarnstab gegeben. Ich machte mir Vorwürfe, daß ich den Vogel nicht darauf abgerichtet hatte, auch auf Wortkommandos zu hören. Da ich nun ohne Zügel und Sattel war, wäre mir eine solche Ausbildung sehr willkommen gewesen.

Da kam mir eine Idee. Als ich Talena von Ar nach Ko-ro-ba brachte, hatte ich sie unterwegs in die Geheimnisse der Tarnzügel eingeweiht und ihr die Feinheiten dieser Kunst gezeigt.

Jedesmal, wenn eine Kurskorrektur erforderlich war, hatte ich ihr in dem pfeifenden Wind die einzelnen Zügel zugerufen: »Erster Zügel! Sechster Zügel!« und so weiter, und dann hatte sie an dem jeweiligen Zügel gezogen. Das war die einzige Verbindung zwischen der menschlichen Stimme und der Position der Zügel an seinem Halsband, die mein Tarn kannte. Der Vogel hatte sich natürlich in so kurzer Zeit unmöglich daran gewöhnen können, was auch gar nicht in meiner Absicht gelegen hatte; ich hatte ja nur mit Talena gesprochen. Doch selbst wenn sich der Vogel die Kommandos in so kurzer Zeit gemerkt hatte, war es doch nicht denkbar, daß er sie noch wußte, denn das lag immerhin über sechs Jahre zurück.

»Sechster Zügel!« rief ich.

Der große Vogel scherte nach links aus und begann leicht zu steigen. »Zweiter Zügel!« rief ich, woraufhin das Tier nun nach rechts abbog und seinen Aufstieg fortsetzte.

»Vierter Zügel!« brüllte ich, und der Vogel begann zur Erde zurückzufallen, machte Anstalten zu landen.

»Erster Zügel!« rief ich lachend, vor Freude fast außer mir, und der gefiederte Gigant, der Titan von Gor, begann gehorsam an Höhe zu gewinnen.

Ich schwieg, und der Vogel beendete den Steigflug, schlug gleichmäßig seine Flügel an, kam nun schnell voran. Ich sah unter mir die Landschaft vorbeihuschen, und ich sah Tharna am Horizont verschwinden.

Impulsiv warf ich meinem Vogel die Arme um den Hals und drückte ihn liebevoll. Unbeirrbar trugen uns die Flügel weiter, das Tier kümmerte sich nicht um mich. Ich lachte und versetzte dem Tarn zwei Klapser auf den Hals. Natürlich war er nur ein Tier dieser Welt, doch ich mochte es sehr.

Es möge mir verziehen sein, wenn ich sage, daß ich in diesem Augenblick glücklich war — etwas, das unter den Umständen gar nicht sein durfte. Doch ich empfand wie ein Tarnkämpfer, und ein Tarnkämpfer wird mich verstehen. Ich kenne kaum ein Gefühl, das so herrlich, so gottähnlich ist wie der Flug mit einem Tarn.

Und ich war ein Tarnkämpfer, ich gehörte zu den Männern, die den Sattel eines wilden Raubtiers jederzeit dem Thron eines Ubar vorzogen. Hat man erst einmal einen Tarn besessen, so heißt es, kommt man nicht mehr ohne die Riesenvögel aus. Und diese Weisheit scheint zu stimmen. Man lebt in dem Gefühl, den Tarn beherrschen zu müssen oder selbst verschlungen zu werden. Man weiß, daß er völlig frei und bösartig ist. Ein Tarnreiter weiß, daß sich sein Tier jederzeit gegen ihn wenden kann. Und doch kennt er kein anderes Leben. Er steigt immer wieder auf den Vogel, steigt freudigen Herzens in den Sattel, zieht am ersten Zügel und wird mit einem Kampfschrei von seinem Monstrum in die Luft gerissen. Die herrlichen, einsamen Momente hoch über der Erde, dem Wind preisgegeben, er und der Vogel vereint, frei — das stellt er über alles Gold der Welt, über die zahllosen Zylinder Ars. Nichts kommt diesem Gefühl gleich. Man kann sich also vorstellen, wie mir zumute war. Unter dem Vogel ertönte plötzlich ein lautes, bebendes Stöhnen, ein hilfloser Laut.

Ich verwünschte mich, daß ich so gedankenlos gewesen war. Über der Freude an meinem Flug hatte ich unsere Beute völlig vergessen. Wie entsetzlich mußte ihr diese Reise bisher erschienen sein — sie, die von den Krallen umfaßt war, viele hundert Meter über den tharnaischen Ebenen, ohne zu wissen, ob sie nicht jeden Augenblick losgelassen oder auf irgendeinen Berg getragen wurde, um von dem monströsen Schnabel und den entsetzlichen Krallen in Stücke gerissen zu werden! Ich sah mich um und hielt nach Verfolgern Ausschau. Die konnten nicht ausbleiben; Ich mußte mit Fußtruppen und Tarnkämpfern rechnen. Tharna unterhielt keine große Tarn-Kavallerie, doch die Stadt würde mindestens eine Kompanie in die Luft bringen, um die Tatrix zu retten und zu rächen. Die Männer Tharnas, die von Geburt an dazu erzogen sind, sich als minderwertig und unterlegen anzusehen und die bestenfalls Lasttiere abgeben, sind keine sehr guten Tarnkämpfer. Und doch gab es Tarnreiter in Tharna, gute Tarnreiter, denn der Name dieser Stadt genoß Respekt unter den kriegserfahrenen goreanischen Städten. Ihre Tarnkämpfer mochten Söldner sein oder Männer wie Thorn, Offizier Tharnas, die sich trotz ihrer Erziehung das Selbstbewußtsein und ein Minimum an Kastenstolz bewahrt hatten.

Doch ich suchte den Himmel vergeblich ab. Es war noch keiner von den winzigen Flecken zu erkennen, die mir anzeigten, daß andere Tarns gestartet waren. Der Himmel war blau und leer. Längst hatte der letzte Tarnkämpfer der Stadt in der Luft sein müssen — doch ich sah nichts. Erneut stöhnte meine goldene Gefangene auf.

In vierzig Pasang Entfernung machte ich einige Felsspitzen aus, die sich in einer großen Ebene voller Talenderblumen erhoben. Nach etwa zehn Minuten hatte ich die Felsformationen erreicht.

»Vierter Zügel!« rief ich.

Der gewaltige Vogel verhielt im Flug, bremste mit den Flügeln ab und senkte sich anmutig auf eine der Erhebungen, eine hohe Felskante, von der man viele Pasang weit ins Land schauen konnte, ein Ort, der nur einem Tarn zugänglich war.

Ich sprang vom Rücken des Ungeheuers und eilte an die Seite der Tatrix, um sie zu beschützen, falls der Tarn seinen Hunger sofort stillen wollte. Ich zerrte die zusammengekrümmten Krallen von ihrem Körper, redete dem Tarn dabei zu und schob seine Beine zur Seite. Der Vogel schien verwirrt zu sein. Hatte ich ihn nicht mit dem Tabuk-schrei angefeuert? Durfte er die Beute, die er geschlagen hatte, nun nicht auffressen? Was sollte das?

Ich schob den Tarn zurück, so weit es mir möglich war, und umfing die Tatrix mit den Armen. Vorsichtig richtete ich sie auf und lehnte sie an die Felswand, vom Abgrund fort. Der Felsenvorsprung, auf dem wir uns befanden, war etwa sechs Meter breit und ebenso lang, eine Stelle, wie sie sich der Tarn gern zum Nesterbau aussucht.

Ich stellte mich zwischen die Tatrix und den geflügelten Fleischfresser und rief: »Tabuk!« Der Vogel schritt auf das Mädchen zu, das sich auf die Knie erhob und sich furchtsam an die unnachgiebige Felswand drückte.

»Tabuk!« rief ich noch einmal, nahm den großen Schnabel des Vogels in die Hände und drehte ihn zur Seite, zum Abgrund hin.

Der Vogel schien zu Zögern. Mit einer fast zärtlichen Bewegung stupste er mir dann seinen Schnabel gegen den Körper. »Tabuk«, wiederholte ich leise.

Mit einem letzten Blick auf die Tatrix wandte sich der Vogel ab und trat an den Rand des Abgrundes. Mit einem kurzen Aufzucken seiner riesigen Flügel sprang er dann ins Nichts, und sein gewaltiger Schatten verschwand. Ich wandte mich an die Tatrix. »Bist du verletzt?« fragte ich. Manchmal schlagt ein Tarn so kräftig zu, daß das Rückgrat seines Beutetiers gebrochen wird. Das war ein Risiko, auf das ich mich klaren Geistes eingelassen hatte, war mir doch keine andere Wahl geblieben. Mit der Tatrix als Geisel war ich in der Lage, mit Tharna zu verhandeln. Wahrscheinlich konnte ich nichts an den harten Gesetzen der Stadt ändern, doch ich hoffte die Freiheit Linnas und Andreas’ zu erwirken und vielleicht etwas für die armen Burschen zu tun, die ich in der Arena kennengelernt hatte. Das war sicher kein zu hoher Preis für die Rückgabe der goldenen Tatrix.

Die Tatrix richtete sich langsam auf.

Es war eigentlich Sitte, daß eine weibliche Gefangene vor ihrem Herrn und Meister niederkniete, doch sie war immerhin eine Tatrix, so daß ich auf dieser Einzelheit nicht bestand. Ihre Hände, die noch immer die goldenen Handschuhe trugen, fuhren an ihre goldene Maske, als befürchtete sie, daß der metallene Schutz nicht mehr an Ort und, Stelle war. Erst dann machten sich die Hände daran, die zerrissenen Gewänder glattzustreichen und zurechtzurücken. Ich lächelte. Der Stoff war von den scharfen Vogelkrallen zerrissen und vom Wind weiter zerfetzt worden. Hochmütig zog sie ihre Robe enger, bedeckte ihre Blöße so gut es ging. Trotz der Maske, die metallisch glitzerte wie immer, kam ich zu dem Schluß, daß die Tatrix vielleicht eine schone Frau war.

»Nein«, sagte sie stolz, »ich bin unverletzt.« Das war die Antwort, die ich erwartet hatte, obwohl sie hier und da bestimmt Prellungen und Schnitte erlitten hatte und sicherlich auch Schmerzen ausstehen mußte. »Du hast Schmerzen«, sagte ich, »aber hauptsächlich ist dir kalt, weil dein Kreislauf unterbrochen ist.« Ich musterte sie. »Später wird es noch mehr weh tun.«

Die Maske starrte mich ausdruckslos an.

»Auch ich«, fuhr ich fort, »hing einmal in den Klauen eines Tarn.« »Warum hat dich der Tarn in der Arena nicht umgebracht?« fragte sie. »Weil er mein Tarn ist«, sagte ich knapp. Was konnte ich ihr auch anderes sagen? Daß er mich nicht umgebracht hatte, war mir angesichts der Natur dieser Vogel fast so unvorstellbar wie ihr. Hätte ich es nicht besser gewußt, hätte ich vermuten müssen, daß er fast so etwas wie Zuneigung für mich empfand.

Die Tatrix sah sich um und musterte den Himmel. »Wann kommt er zurück?« flüsterte sie. Ich wußte, daß mein Riesenvogel ihr sicherlich einen gehörigen Schrecken einjagte; wenn sie auch sonst eine furchtlose Frau war — vor dem Tarn empfand sie Angst.

»Bald«, sagte ich. »Hoffen wir, daß er dort unten etwas zu fressen findet.«

Die Tatrix erschauerte.

»Wenn er keine Beute findet«, sagte sie, »kehrt er wütend und hungrig zurück »Sicher«, sagte ich.

»Dann versucht er vielleicht, sich an uns schadlos zu halten ...« »Vielleicht.«

Endlich kamen die Worte, langsam, stockend. »Wenn er kein Tier geschlagen hat«, sagte sie, »wirfst du mich dann dem Tarn zum Fressen vor?«

»Ja«, sagte ich.

Mit einem Angstschrei fiel sie vor mir auf die Knie und streckte flehend die Arme aus. Lara, Tatrix von Tharna, lag mir zu Füßen, unterwarf sich meinem Willen.

»Wenn du dich nicht benimmst«, fügte ich hinzu.

Wütend richtete sie sich auf. »Du hast mich getäuscht!« rief sie. »Du hast mich dazu gebracht, die Haltung einer Gefangenen einzunehmen!« Ich lächelte.

Ihre Faust schlug nach mir aus. Ich umfaßte ihr Handgelenk und hielt es fest. Ich bemerkte, daß die Augen hinter der Maske blau waren. Ich ließ es zu, daß sie sich losmachte. Sie rannte zur Felsmauer und lehnte sich mit dem Gesicht dagegen.

»Amüsiere ich dich?« fragte sie.

»Es tut mir leid.«

»Ich bin deine Gefangene, nicht wahr?« fragte sie herausfordernd. »Ja.«

»Was willst du mit mir tun?« fragte sie, ohne sich von der Felswand abzuwenden.

»Ich werde dich für einen Sattel und Waffen verkaufen.« Ich hielt es für gut, das Selbstbewußtsein der Tatrix zu erschüttern, um meine Verhandlungsposition noch zu starken.

Sie begann vor Wut und Angst zu zittern. Wild fuhr sie herum und hielt mir die geballten Fauste vor das Gesicht. »Niemals!« schrie sie. »Ich tue, was mir gefällt.«

Wutzitternd sah mich die Tatrix an. Ich vermochte kaum den Haß zu verstehen, der sich hinter der gleichgültigen goldenen Maske zeigte. Schließlich sprach sie weiter. Ihre Worte waren wie Säuretropfen. »Du machst Witze«, sagte sie.

»Nimm die Maske ab, damit ich sehen kann, was du mir auf dem Sklavenmarkt in Ar einbringst.«

»Nein!« rief sie, und ihre Hände betasteten die goldene Maske. »Ich glaube fast, daß mir allein die Maske einen guten Schild und einen Speer einbringt. Vielleicht ist das sogar zu tief gegriffen.« Die Tatrix lachte bitter. »Du koönntest einen Tarn damit kaufen«, sagte sie.

Ich merkte, daß sie nicht wußte, ob ich es ernst meinte. Sie glaubte nicht, daß ich so etwas tatsächlich tun würde. Für meine Pläne war es jedoch wichtig, daß sie sich in Gefahr glaubte, daß sie meinte, ich würde es tatsächlich wagen, sie in ein Sklavenkleid zu hüllen und ihr den Kragen umzulegen.

Sie lachte, wollte meine Reaktion herausfordern. Vorsichtig hob sie den zerrissenen Saum ihrer Robe.

»Schau«, sagte sie in spöttischer Verzweiflung. »In diesem Aufzug bringe ich dir bestimmt nicht viel ein.« »Das stimmt«, sagte ich. Sie lachte.

»Ohne die Kleider bringst du mehr«, fügte ich hinzu. Diese nüchterne Antwort fuhr ihr in die Glieder. Ich merkte, Das sie sich ihrer Position nicht mehr sicher war. Sie beschloß, ihre Trumpfkarte auszuspielen. Sie richtete sich auf, reckte herablassend die Schultern, hob den Kopf und sagte mit eiskalter Stimme: »Du würdest es nicht wagen, mich zu verkaufen.« »Warum nicht?«

»Weil ich die Tatrix von Tharna bin!« Und mit diesen Worten warf sie den Kopf in den Nacken und zog das zerfetzte Goldgewand enger um ihren schmalen Körper.

Ich nahm einen kleinen Felsbrocken auf und warf ihn in die Tiefe. Ich sah zu, wie er langsam in den Abgrund segelte. Ich beobachtete die Wolken, die über den dunkler werdenden Himmel huschten, und lauschte auf den Wind, der zwischen den einsamen Felsspitzen pfiff. Dann wandte ich mich an die Tatrix.

»Das kann den Preis, den ich für dich bekomme, nur in die Höhe treiben.«

Die Tatrix sah mich betäubt an. Ihr Hochmut verflog.

Mit schwacher Stimme fragte sie: »Würdest du ... würdest du mich wirklich als Sklavin verkaufen?«

Ich blickte sie wortlos an.

Sie hob die Hände an die Maske. »Würde mir die Maske fortgenommen?«

»Und deine Gewänder.«

Sie fuhr zurück.

»Du wirst ein ganz gewöhnliches Sklavenmädchen sein, nicht besser und nicht schlechter als alle anderen.«

Die Worte fielen ihr sichtlich schwer: »Würde ich auf dem Markt zur Schau gestellt?«

»Natürlich«, sagte ich.

«... unbekleidet?«

»Vielleicht darfst du eine Sklavenfessel tragen«, schnappte ich. Sie sah aus, als würde sie im nächsten Augenblick das Bewußtsein verlieren.

»Nur ein Narr«, sagte ich, »würde eine Sklavin im Umhang kaufen.« »Nein . .. nein . . .«, sagte sie.

»So ist es üblich.«

Sie war vor mir zurückgewichen, und nun stieß ihr Rücken gegen den harten Granit der Felswand. Sie drehte den Kopf hin und her. Obwohl sich auf der starren Maske keine Regung zeigte, verrieten ihre Haltung und ihre Bewegungen die Verzweiflung, von der sie ergriffen war. »Du würdest mir so etwas antun?« fragte sie mit erschrecktem Flüstern. »Heute in zwei Tagen«, sagte ich, »stehst du nackt auf dem Block in Ar und wirst an den Meistbietenden verkauft.«

»Nein, nein, nein«, wimmerte sie, und ihr gequälter Körper versagte ihr den Dienst. Sie sank hilflos gegen die Felswand und begann zu weinen. Das war mehr, als ich erhofft hatte, und ich mußte dem Drang widerstehen, zu ihr zu eilen und sie zu trösten, ihr zu sagen, daß ich ihr nicht weh tun wollte, daß sie bei mir in Sicherheit war. Aber ich dachte an Linna und Andreas und die armen Sklaven bei den Schauspielen und unterdrückte die Regung. Ich zwang mich, an die Tatrix und ihre Grausamkeit zu denken, und ich fragte mich, ob ich sie nicht tatsächlich nach Ar bringen und auf dem Sklavenmarkt losschlagen sollte. Gewiß konnte sie in den Tanzgarten eines reichen Tarnkämpfers weniger Schaden anrichten als auf dem tharnaischen Thron.

»Krieger«, sagte sie und hob betäubt den Kopf. »Muß deine Rache so schrecklich sein?«

Ich lächelte vor mich hin. Das klang schon besser. Vielleicht war die Tatrix nun zum Verhandeln bereit. »Du hast mich sehr ungerecht behandelt«, sagte ich grimmig.

»Aber du bist doch nur ein Mann«, sagte sie, »nur ein Tier.« »Auch ich bin ein Mensch.«

»Gib mir meine Freiheit«, flehte sie.

»Du hast mich in ein Joch gesteckt«, sagte ich. »Du hast mich auspeitschen lassen. Du hast mich zu den Schauspielen in die Arena geschickt. Du hattest mich dem Tarn zum Fraße vorgeworfen.« Ich lachte. »Und du jammerst jetzt um deine Freiheit?«

»Ich zahle dir tausendmal mehr, als ich dir auf dem Sklavenmarkt in Ar bringen würde«, sagte sie schwach.

»Tausendmal der Preis, den du auf dem Sklavenmarkt in Ar bringen würdest«, sagte ich, »das würde nicht ausreichen, um meine Rachegefühle zu stillen. Nein, du mußt als Sklavin verkauft werden!« Sie begann zu Stöhnen.

Jetzt hielt ich die Zeit für gekommen. »Und«, fügte ich hinzu, »du bist nicht nur mit mir so umgesprungen, sondern hast auch meine Freunde in die Sklaverei geschickt.«

Die Tatrix richtete sich auf. »Ich lasse sie frei!« sagte sie eifrig. »Kannst du die Gesetze Tharnas ändern?« fragte ich.

»Leider kann ich das nicht, aber ich kann deine Freunde befreien. Und ich werde es tun! Meine Freiheit für die ihre.«

Ich tat, als überlegte ich mir den Vorschlag.

Sie sprang auf. Krieger, denk an deine Ehre!« Ihre Stimme gewann neues Leben. »Ware deiner Rache gedient, wenn deine Freunde weiter in Sklaverei leben müßten?«

»Nein!« sagte ich ärgerlich, doch innerlich sehr erfreut, »denn ich bin ein Krieger!«

In ihrer Stimme schwang Triumph. »Dann, Krieger, mußt du mit mir eine Vereinbarung treffen.«

»Nicht mit dir!« antwortete ich und versuchte mich niedergeschlagen zu geben.

»Doch!« lachte sie. »Meine Freiheit gegen die ihre!«

»Das genügt nicht«, knurrte ich.

»Was dann?« fragte sie.

»Befreie alle Sklaven, die bei den Schauspielen Tharnas beteiligt waren!«

Die Tatrix sah mich verwirrt an.

»Alle«, rief ich, »oder du kommst auf den Sklavenmarkt in Ar!« Sie senkte den Kopf. »Gut, Krieger«, sagte sie. »Ich befreie sie alle.« »Kann ich dir vertrauen?« fragte ich.

»Ja«, sagte sie, ohne mich anzusehen, »du hast das Wort der Tatrix von Tharna.«

Ich fragte mich, ob ich ihr trauen konnte, und machte mir klar, daß mir keine andere Möglichkeit blieb.

»Meine Freunde«, sagte ich, »sind Linna aus Tharna und Andreas aus Tor.«

Die Tatrix sah mich an. »Aber«, sagte sie ungläubig, »die beiden haben Gefühle füreinander empfunden.«

»Trotzdem sind sie freizulassen!«

»Sie ist eine Entwürdigte«, entgegnete die Tatrix, »und er gehört einer Kaste an, die in Tharna verboten ist.«

»Laß sie frei!«

»Gut denn, ich werde sie freilassen.«

»Und ich brauche Waffen und einen Tarnsattel«, sagte ich.

»Gewahrt.«

In diesem Augenblick huschte der Schatten des Tarn über unseren Felsgrat. Mit gewaltigem Flügelschlag landete das Ungeheuer neben uns. In seinen Klauen hielt es ein großes Fleischstuck, das noch blutig war. Der Tarn ließ das Stück vor mir fallen.

Ich bewegte mich nicht.

Ich hatte keine Lust, dem Tarn das Beutestück streitig zu machen. Aber er kümmerte sich nicht um das Fleisch. Ich erriet, daß er bereits unten auf der Ebene gefressen hatte. Eine kurze Untersuchung seines Schnabels bestätigte diese Vermutung. Und es gab kein Nest hier oben, keinen weiblichen Tarn und keine kreischende Brut junger Tarns. Der große Schnabel schob mir das Fleisch hin. Es war ein Geschenk. Ich tätschelte den Vogel und sagte: »Danke, Ubar des Himmels!« Ich bückte mich und begann mit Händen und Zähnen ein Stück aus dem Fleisch herauszureißen. Ich sah, daß sich die Tatrix schaudernd abwandte, als ich mich an meine blutige Mahlzeit machte, doch ich war ausgehungert, und Tischgewohnheiten waren mir gleichgültig. Ich bot dem Mädchen ein Stück Fleisch an, doch sie wehrte ab und sah mich an, als ob sie sich gleich übergeben müßte. Wahrend ich mich mit dem Geschenk des Tarn Beschäftigte, trat die Tatrix an den Rand unseres Felsvorsprungs und starrte auf die Wiesen, die voller Talenderblumen waren. Es war ein herrlicher Anblick, und der zarte Duft drang sogar bis in unsere Höhen. Sie zog ihr Gewand enger um den Körper und beobachtete die Blumen, die sich wie ein gelbes Meer wellenförmig im Wind bewegten. Eine einsame Gestalt, verloren, niedergeschlagen. »Talender«, sagte sie leise vor sich hin. Ich hockte neben dem Fleisch, kauend. »Was weiß eine tharnaische Frau von der Talenderblume?« fragte ich spöttisch. Sie schwieg und wandte sich ab.

Als ich fertig war, sagte sie: »Bring mich nun zur Verhandlungssäule. »Was ist denn das?« fragte ich.

»Es ist eine Säule an der Grenze Tharnas. Dort tauscht Tharna mit seinen Feinden Gefangene aus oder verhandelt.« Sie fugte hinzu: »Du wirst dort Leute aus Tharna antreffen, die auf dich warten.« »Warten?« fragte ich.

»Natürlich«, sagte sie hochmütig. »Hast du dich nicht gewundert, daß es überhaupt keine Verfolgung gegeben hat? Wer wäre so verrückt, die Tatrix aus Tharna zu entführen, wenn er nicht für sie das Gold für ein Dutzend Ubars bekommen könnte?« Ich starrte sie an.

»Ich befürchtete«, sagte sie mit gesenktem Blick, »daß du solch ein Narr sein könntest.« In ihrer Stimme schien ein Unterton mitzuschwingen, den ich nicht verstand.

»Nein«, lachte ich, »zurück nach Tharna mit dir!« Noch immer trug ich das goldene Tuch um den Hals, das in der Arena den Beginn der Schauspiele angezeigt hatte und das ich an mich genommen hatte, um mir Sand und Schweiß aus dem Gesicht zu wischen. Nun nahm ich es ab.

»Dreh dich um«, sagte ich zu der Tatrix, »und lege die Hände hinter dem Rücken zusammen.«

Mit erhobenem Kopf gehorchte sie. Ich zog ihr die goldenen Handschuhe aus und steckte sie in meinen Gürtel. Mit dem Tuch fesselte ich sodann ihre Handgelenke.

Ich warf die Tatrix mühelos auf den Rücken des Tarn und sprang hinter ihr auf. Mit einem Arm umfaßte ich meine Gefangene, krallte mich mit dem anderen in den Halsfedern des Tarns fest, rief: »Erster Zügel!«, und das Tier sprang von dem schmalen Felsenvorsprung ins Leere und begann sofort an Hohe zu gewinnen.

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