5 Wenn im Zweifel, fragen

Jenny traf fast gleichzeitig mit Bob und dem Jäger beim Boot ein. Sie nickte zufrieden über seine Kleidung, die mit der ihren übereinstimmte: Jeans, langärmeliges Hemd, Kuli-Hut und alte Segeltuchschuhe zum Schutz vor den Korallen. Jenny hatte ein Netz mit Obst mitgebracht.

„Es sollte nicht schwierig sein, das zu finden, was ich suche“, sagte er mit einem Blick auf das Netz.

„Ich glaube nicht, daß wir den ganzen Tag dazu brauchen.“

„Ich hoffe, du hast recht“, antwortete sie, „aber ich fühle mich doch wohler, wenn wir etwas zu essen dabeihaben. Willst du mir jetzt verraten, wonach wir suchen, oder bin ich nur der Taxifahrer?“

Diesmal ließ sie Bob das Kajak zum Ufer tragen; er schwieg, bis es im Wasser lag und sie hineingestiegen waren. Seine ersten Worte waren keine Antwort auf ihre Frage.

„Was hast du aus deinem Vater herausquetschen können?“

„Nichts. Ich habe ihn nicht gefragt, und in deinen Krankenblättern steht nichts, das mir irgendeinen Hinweis geben könnte.“

„Du hast sie also gelesen.“

„Das hatte ich dir ja angekündigt.“

„Okay. Ich mache dir einen Vorschlag: ich werde dir die ganze Geschichte erzählen und das Risiko auf mich nehmen, daß du mich für schwachsinnig hältst — aber halte dir immer vor Augen, daß dein Vater jedes Wort bestätigen kann — und du wirst mir sagen, was du gestern Vormittag mit deiner Bemerkung über das Anstecken von Feuern gemeint hast. Ich muß zugeben, daß ich mir darüber Gedanken gemacht habe. Einverstanden?“

„Also hat meine Frage dich doch irgendwie getroffen.“

„Das kann man wohl sagen. Und sie paßt genau zu dem, was ich dir erzählen werde.“

Jenny schwieg und zog das Paddel einige Male durch; als sie sprach, gab sie ihm keine direkte Antwort.

„Ich habe dieser Sache mit dem Feuer keine so große Bedeutung beigemessen“, sagte sie schließlich, „obwohl ich seit Jahren darüber nachgedacht habe. Anscheinend steckt doch mehr dahinter, als ich angenommen habe, wenn sie in deine lebensentscheidende Angelegenheit paßt. Also gut, hier ist meine Geschichte.

Ich nehme an, du kennst die desChenes-Familie; zumindest André hast du gestern kennen gelernt.

Der Vater ist früher auf einem Tanker gefahren, aber sie haben ihm einen Job an Land gegeben, als seine Frau vor sieben Jahren bei einer Geburt starb.

Es sind drei Kinder da — André ist das älteste —, und viele von uns haben sich irgendwann um sie gekümmert. Ich fürchte, wir haben keine besonderen erzieherischen Qualitäten entwickelt, denn André ist, um es klar und deutlich zu sagen, ein echter Widerling. Es macht ihm ausgesprochen Spaß, andere Menschen zu ärgern oder sogar zu verletzen. Ich weiß, daß die meisten Kinder so eine Phase durchmachen, aber die sollte mit elf Jahren längst vorüber sein. Ich persönlich bin der Ansicht, daß er etwas geistesgestört ist, aber Dad sagt, er hätte nur als Kind einige Schocks erlitten und würde mit der Zeit darüber hinwegkommen.

Jedenfalls hält André Streiche für ausgesprochen witzig — und ich meine damit Sachen, wie jemand eine glühend heiße Münze in den Kragen zu stecken oder Stolperdrähte auf Treppen zu spannen, und nicht etwa so harmlose Scherze wie einen Eimer Wasser über der Tür. Ich hatte dadurch einmal einen verrenkten Knöchel und bin mindestens ein Dutzend Mal gestürzt, ohne mich ernsthaft zu verletzen; und ich habe drei Brände gelöscht, die er vor und hinter seinem Haus gelegt hat — niemals im Haus selbst, muß ich ihm zugute halten. Vor etwa vier Jahren — ich war damals erst vierzehn und mußte die Kinder allein hüten, während Mr. desChenes arbeitete — brannte es zum erstenmal, und natürlich habe ich ihm zu erklären versucht, daß es keine sehr gute Idee sei. Er sagte mir sehr ernsthaft, daß er das besser wisse. Und er machte natürlich weiter.

Als er zum drittenmal ein Feuer ansteckte, vielleicht eineinhalb Jahre später, verbrannte er sich dabei — nicht sehr schlimm, aber genug, um zu merken, daß Feuer weh tut. Ich glaubte, daß meine Ermahnungen diesmal wirklich etwas nützen würden. Er war sehr wütend; nicht auf mich, sondern auf das Feuer. Er sagte, es sei nicht gerecht, daß einer mit Feuer spielen und seinen Spaß haben könne, und ein anderer sich dabei verbrenne. Ich brauchte ein paar Wochen, um herauszubringen, was er damit meinte. Schließlich sagte er mir, daß er einen großen Jungen gesehen habe, der öl auf den Boden geschüttet und angesteckt habe, und dann sei ein Wagen in die Flammen ge fahren, und der Junge sei auf den Sitz gesprungen und habe ihn aus dem Feuer gefahren. Noch später, vor zwei Jahren, als du zum letzten Mal zu Hause warst, war ich mit ihm zusammen, und wir sahen dich zufällig auf der Straße. Er sagte, du seist der große Junge, der das Feuer angesteckt habe. Aber ich war mir nicht sicher, ob ich ihm glauben sollte, da er auch recht häufig lügt, und ich habe mir immer gewünscht, einmal herauszufinden, ob es stimmt oder nicht.

Da gibt es allerdings eine Komplikation. Soweit ich es feststellen konnte, geschah dies an dem Tag, an dem seine jüngere Schwester geboren wurde und seine Mutter starb. Vielleicht hat es ihn deshalb so beeindruckt. Oder vielleicht ist überhaupt nichts geschehen, aber ich hätte es gerne gewußt.

Ich habe den Jungen nicht besonders gern, aber es wäre doch sehr schön, wenn ich seine Komplexe, oder was er sonst haben mag, ausbügeln könnte.“

„Es stimmt in etwa“, sagte Bob nachdenklich.

„Laß mich mal überlegen… er war damals um die vier Jahre alt. Ich bin nicht direkt in die Flammen gefahren, aber das hat er vielleicht nicht erkennen können, oder er erinnert sich nicht mehr genau daran.“ Er schwieg; sowohl er als auch der Jäger waren ehrlich erschüttert. Keiner von ihnen hatte auch nur den leisesten Verdacht gehabt, daß es bei der Lösung ihres früheren Problems außer Bobs Vater noch einen Zeugen gegeben haben könnte.

Beide fragten sich jetzt, wie viel von der Story, und in welchen verzerrten Formen, innerhalb der jüngeren Bevölkerungsgruppe von Ell verbreitet worden war.

„Schade, daß du nicht mit deinem Vater darüber gesprochen hast“, sagte Bob schließlich. „Ich weiß nicht, ob er ein guter Psychologe ist, aber zumi ndest hättest du dann gewußt, was hinter dieser Sache steckt.“

„Dad weiß davon? Er hat nie…“

„Natürlich hat er nicht darüber gesprochen. Wie konnte er das? Ja, er weiß Bescheid.“

„Es steht aber nichts in den Krankenblättern, die er über dich angelegt hat.“

„Ich weiß, Fräulein Sekretärin. Ich muß sie gelegentlich auch mal lesen, damit ich erfahre, was du über mich weißt. Das Feuer hatte schließlich nichts mit irgendeiner Krankheit zu tun, und es gibt Gründe dafür, daß er nicht einmal alle meine Krankheitsprobleme aufschreibt.“

„Die du mir aber jetzt erzählen wirst, nehme ich an.“

„Wenn du willst. Falls du me inst, daß du ihm mehr Glauben schenken kannst als mir, warte lieber, bis du wieder zu Hause bist und sage ihm, ich hätte ihm erlaubt, dir alles vom Jäger zu erzählen.

Was ist dir lieber?“

„Nun fang schon an. Ich werde deine Version mit der von Dad vergleichen, wenn ich ihn sehe.“

Bobs Bericht nahm den größten Teil der Fahrt zu der winzigen Insel in Anspruch, da das Mädchen ihn immer wieder unterbrach und nach Einzelheiten fragte. Ihre Fragen überzeugten den Jäger, daß er mit seiner früheren Vermutung recht hatte: Jenny besaß einen schärferen Intellekt als sein Gastgeber.

Natürlich fiel es ihr anfangs schwer, ihm zu glauben, und der Alien erwartete, daß sie die Art Beweise fordern würde, die ihr Vater vor über sieben Jahren verlangt hatte. Doch sie begnügte sich mit ein paar klugen und wohlüberlegten Fragen. Einige davon, die die physische Gestalt des Jägers betrafen, hatte Bob in den fast acht Jahren ihrer Symbiose noch nie gestellt. Die meisten ihrer Fragen sta nden im Bezug zu der Arbeit in der Praxis ihres Vaters und zeigten Bob und dem Jäger, daß sie erheblich mehr als nur die Krankenblätter gelesen hatte.

Das überraschte Bob, dessen Collegezeit noch so kurze Zeit zurücklag, daß er dazu neigte, auf Me nschen herabzublicken, die nicht den Vorzug einer höheren Bildung genossen hatten.

„Ich habe ihr das alles nicht zugetraut“, murmelte er seinem Symbionten zu. „Ich habe nie etwas davon gehört, daß sie von dem Angebot einer College-Ausbildung Gebrauch machen oder auch nur außerhalb von Ell zur Schule gehen wollte.“ Er war taktvoll genug, seine Überraschung nicht laut zum Ausdruck zu bringen, doch der Jäger konnte die Gefühle seines Gastgebers oft anhand seiner inneren Reaktionen erkennen. Es gefiel dem Alien: sein Freund lernte etwas dazu, und das hatte er auch dringend nötig.

Sie trugen das Kajak ans Ufer und ein gutes Stück vom Wasser fort, obwohl sie sich an der Lee-Seite von Apu befanden und es so gut wie keine Dünung gab. Apu war eine der größeren der Inseln, die auf dem ganzen Riff verstreut waren, und es hatte sich im Lauf vieler Jahre nicht nur genügend Erde angesammelt, um Büschen und Sträuchern Halt zu geben, sondern es wuchsen sogar mehrere Palmen dort. Nur wenig von der besonderen Vegetation, die in den Labors für die Tanks gezüchtet wurde, und die so weite Flächen des langen Nordwest-Arms der Hauptinsel bedeckte, war bis hierher vorgedrungen.

Auf der Lagunenseite Apus befand sich ein Strand, die dem offenen Meere zugewandte Seite ging jedoch sofort in die mörderischen Korallenbänke über, aus denen das Riff bestand, selbst an windstillen Tagen gefährlich für einen Schwimmer und tödlich bei auch nur geringer Dünung. Das Riff, das heißt, die Region, wo die Korallen so dicht unter der Wasserfläche wuchsen, daß sie die Wellenbewegung beeinflußten, erstreckte sich mehrere hundert Yards ins Meer hinaus. Es brach die Wucht der Wellen, lenkte sie jedoch in so schwer voraussehbare Bahnen, daß man niemals wußte, welche Stelle des Inselufers im nächsten Moment unter Wasser stehen würde. Der Jäger und Bob erinnerten sich noch genau an einen viele Jahre zurückliegenden Tag, an dem Ken Rice in eine der kleinen, korallenumsäumten Buchten hinabgestiegen war, um etwas aus dem Wasser zu holen, und dabei fast ertrunken wäre. Das Objekt, das er entdeckt hatte, konnte nicht geborgen werden, doch der Jäger hatte es deutlich gesehen und als Generatorabdeckung eines Raumschiffes erkannt, die vom Schiff des Mannes stammen mußte, den er bis hierher verfolgt hatte, und die ihm die erste, wirkliche Gewißheit gegeben hatte, daß der andere Alien den Absturz überlebt hatte und an Land gekommen war.

Dies war das Objekt, das sie heute suchen wollten, in der Hoffnung, an ihm irgendwelche Hinweise zu finden, durch die das Suchgebiet nach dem Raumschiff des anderen wesentlich eingeengt werden würde. Es war das Schiff, das ihnen bei der Durchführung ihres Plans den größeren Nutzen versprach. Der Jäger wußte, daß sein Schiff beim Aufprall fast flach geschlagen worden und wahrscheinlich so stark korrodiert war, daß es für einen Suchtrupp unauffindbar war. Der Schild dagegen hatte völlig intakt ausgesehen und ließ hoffen, daß das Schiff, von dem es stammte, der völligen Zerstörung entgangen war.

Die Suche erwies sich als recht schwierig. Korallen wachsen ständig, und Wellen zerstören; die dem offenen Meer zugewandte Küste von Apu hatte sich erheblich verändert. Bob und der Jäger erinnerten sich noch an die Stelle, an der Rice damals fast ertrunken wäre, doch brauchten sie länger als fünfzehn Minuten, um die Unzahl der in Frage kommenden kleinen Buchten auf vier zu dezimi eren. Und selbst dann waren sie sich alles andere als sicher; sie würden den Meeresgrund der vier Buchten sehr genau absuchen müssen.

Sie näherten sich der ersten mit großer Vorsicht; Gischt schäumte über ihre Köpfe hinweg, wenn Wellen auf die Korallen brandeten. Weder Bob noch der Jäger waren sicher, daß sie die richtige Bucht gefunden hatten, wenn sie für Sekunden klar sehen konnten. Sie hatten gehofft, daß das blanke Metall unschwer zu sehen sein würde, doch das war nach den vielen Jahren kaum zu erwarten. Falls dies wirklich dieselbe Bucht sein sollte, so hatte sie sich erheblich verändert. Damals waren die Jungen ohne zu zögern hineingegangen; jetzt würden nicht einmal die leichtsinnigsten Teenager es wagen. Sie hielten sich hier nur deshalb recht lange auf, weil Jenny, die das Objekt nur von Bobs Beschreibung kannte, immer wieder auf Korallenformationen oder anderes deutete und fragte, ob sie nicht das sein könnten, was sie suchten. Unglücklicherweise war keine von ihnen vielversprechend genug, um auch nur einer genaueren Untersuchung wert zu sein.

Die zweite der in Frage kommenden Buchten war erheblich ruhiger und weniger gefährlich, doch diese kostete sie noch mehr Zeit. Einige der Korallenformationen sahen so aus, als ob sie möglicherweise das Objekt, dem ihre Suche galt, verbergen mochten. Bob und Jenny trugen Badezeug unter ihrer Kleidung, und beide stiegen ins Wasser, um sich diese Möglichkeiten genauer anzusehen. Bob konnte natürlich unter Wasser weitaus besser sehen als das Mädchen, da der Alien einen Teil seiner Substanz in Bobs Augen vorschob und die Netzhaut so verformte, daß sie dem anderen Medium angepaßt war. Doch selbst mit dieser Hilfe konnte Bob kein Stück Metall entdecken.

Bei der dritten Bucht erlitt Bob wieder einen seiner Schwächeanfälle, und Jenny mußte ihm aus dem Wasser helfen. In der Überzeugung, daß Na hrung ihn stärken würde, bestand sie darauf, daß er eine der Früchte aß, die sie mitgebracht hatte, und dadurch kam es zu einem Anfall von Übelkeit, wie ihn Bob schon am Vortag erlitten hatte.

Jenny glaubte noch nicht daran, daß es für Bob wirklich um Leben und Tod ging. Sie hatte ein leichtes Überlegenheitsgefühl, seit sie Bob aus dem Wasser geholfen hatte, und seine sichtliche Mühe, die Frucht herunterzubringen, amüsierte sie sogar ein wenig. Weder er noch sein Symbiont verstanden sie.

Ob sie seine Situation ernst nahm oder nicht, sie bestand darauf, die dritte Bucht allein abzusuchen, und wenn man die Zeit, die sie unter Wasser verbrachte, als Maßstab nahm, tat sie es sehr gründlich. Sie versuchte, das mindere Sehvermögen unter Wasser durch den Tastsinn auszugleichen und holte sich dabei eine ganze Reihe von Schrammen an Händen und Unterarmen.

Anschließend wollte sie auch die vierte Bucht allein absuchen, doch gab es hier genauso starke, tückische Wellen wie in der ersten.

„Sei nicht verrückt!“ rief Bob scharf, als sie den Vorschlag machte. „Diese Bucht ist genauso gefährlich wie die andere, die wir ausgelassen haben, und ich bin nicht in der Lage, dir zu helfen, wenn du in Schwierigkeiten geraten solltest. Wenn wir wüßten, daß das Ding dort liegt, wäre es etwas anderes, so aber ist das Risiko einfach zu groß.

Sieh sie dir von hier oben an, wenn du willst, und sage uns, ob irgend etwas so aussieht, als ob das Ding darunter verborgen sein könnte; aber ich glaube, daß wir selbst für diese Phase der Suche den Metalldetektor brauchen, den Dad zu besorgen versucht. Wenn du hier ins Wasser gehst, darfst du Shorty nicht länger einen Trottel nennen.“

„Ja, du hast wahrscheinlich recht“, sagte Jenny widerwillig, „ich dachte nur, daß dieses Projekt für dich wichtig sei.“

„Das ist es auch. So wichtig, daß ich nicht riskieren kann, einen wichtigen Helfer zu verlieren. Zieh dich wieder an, ich will auch nicht, daß du durch einen Sonnenbrand ausfällst.“ Die rothaarige Jenny hatte trotz ihres lebenslangen Aufenthalts in den Tropen eine noch blassere Haut als Bob, die jedoch voller Sommersprossen war.

„Vielleicht sollte der Jäger eine Weile in mir bleiben, um das einzige voll einsatzfähige Mitglied des Teams zu beschützen“, sagte sie.

„Gegen Sonnenbrand kann er auch nichts tun — er verträgt ultraviolettes Licht noch schlechter als wir.“

„Ich hatte an meine Hände gedacht“, sagte sie und blickte auf die Schrammen, die ihr die scharfen Korallen gerissen hatten.

„Weißt du, mich würde der Jäger schon verlassen, wenn ich wach bin, da ich ihn schließlich recht gut kenne, aber er würde bestimmt warten, bis du eingeschlafen wärst, bevor er zu dir ginge. Er hat eine genaue Vorstellung davon, wie Menschen, die nicht an Symbionten gewöhnt sind, reagieren, wenn eine grüne Gallertpfütze auf sie zufließt; und wenn sie vor ihm zu fliehen versuchen, während er erst zum Teil in ihnen ist und ihn dabei zerreißen, empfindet er das als sehr unangenehm.“

„Grüne Gallertmasse? André hat etwas von… oh, das habe ich nicht gewußt…“ Jenny schwieg, und ihr Magen fühlte sich jetzt auch nicht besser an als der Bobs. Sie zog sich an, nahm eine Frucht aus dem Netz und wollte hineinbeißen. Doch dann schien sie es sich anders zu überlegen, steckte sie ins Netz zurück, dachte ein paar Sekunden nach und wandte sich Bob zu.

„Was hast du jetzt vor? Glaubst du, daß deine Muskeln wieder mitmachen, wenn du dich ein paar Stunden ausgeruht hast, oder soll ich dir ins Boot helfen und dich zurückbringen? Glaubst du wirklich, daß wir hier etwas erreichen können, bevor wir den Metalldetektor haben, den dein Vater von Mr. Tavaké bekommen soll?“

„Wir werden hier bleiben, wenn es dir recht ist.

Ich will nicht, daß die Hälfte der Inselbevölkerung mich in diesem Zustand sieht.“

„Ich könnte dich zu der Bachmündung bei eurem Haus bringen.“

„Ich mag das Risiko nicht eingehen. Immer mehr Menschen erfahren vom Jäger, aber ich will nicht, daß die ganze Insel von ihm weiß. Meine Helfer suche ich mir selbst aus, und Zuschauer will ich nicht.“

„Tut es dir leid, daß du mir von ihm erzählt hast?“

„Das ist eine Fangfrage, aber — nein. Du weißt, daß ich nicht verrückt bin, und falls du noch nicht ganz sicher sein solltest, wird dein Vater dir die letzten Zweifel nehmen.“

„Willst du dich noch etwas mehr auf Apu ums ehen, wenn du wieder gehen kannst? Ich meine, bevor wir den Metalldetektor haben?“

„Ganz bestimmt.“

„Und jetzt sitzen wir hier nur herum und lassen uns rösten.“ Jenny setzte kein Fragezeichen an das Ende dieses Satzes, und selbst der Jäger konnte erkennen, daß sie nicht die geringste Absicht hatte, tatenlos zu warten. Er hatte eine ganze Reihe menschlicher Wesen kennen gelernt, die immer dazu bereit waren, nur abzuwarten und die Zeit mit sinnlosem Gerede zu füllen, doch Jenny Seever, erkannte er, gehörte nicht dazu.

Sie saß eine ganze Weile schweigend und schien nachzudenken, doch es ha ndelte sich lediglich um ein paar Minuten, nicht um Stunden. Dann stand sie auf.

„Ich werde zu Mr. Tavak6 gehen und feststellen, wie lange er braucht, um so einen Detektor herzustellen. Dein Vater hat inzwischen sicher mit ihm darüber gesprochen. Willst du hier warten, bis ich zurückkomme, soll ich dich in der Nähe deines Hauses absetzen oder was sonst?“

Bob richtete sich auf. „Wie willst du ihn nach dem Detektor fragen, ohne daß er dich fragt, wofür wir das Ding brauchen?“

„Ein bißchen Verstand solltest du mir schon zutrauen, auch wenn ich nicht an einem berühmten College studiert habe. Dein Vater muß ihm irgendeine Erklärung gegeben haben; ich brauche nicht einmal zu wissen, was du damit anfa ngen willst.

Also, willst du hier warten oder kommst du mit?“

„Ich komme lieber mit. Dann kann ich wieder zu Kräften kommen, bis du zurückkommst, und etwas unternehmen.“

„Du könntest hier weitersuchen.“

„Du mußt nicht auch noch Salz in die Wunde streuen.“ Bob paßte es gar nicht, daß ihm die Initiative entrissen wurde, erkannte der Jäger, aber er war zu klug, um das offen zu zeigen. „Wir wollen sehen, ob ich ohne Hilfe zum Boot kommen kann.

Ich weiß, daß ich keine große Hilfe wäre, es zu Wasser zu lassen.“

„Das schaffe ich auch allein.“ Jenny bewies Takt, als sie es unterließ, Bob beim Aufstehen zu helfen, obwohl sie erkannte, daß es ihm sehr schwer fiel.

Doch als er auf den Beinen war, schaffte er die dreißig oder vierzig Yards bis zum Boot ohne Schwierigkeiten. Das Mädchen war ihm vorausgegangen und hatte das Kajak bereits in das Wasser gesetzt, als er das Ufer erreichte. Er stieg ein, wieder ohne Hilfe, und Jenny begann zu paddeln.

Nach einer Minute etwa machte Bob eine Bemerkung, und der Jäger ärgerte sich, daß nicht er auf diesen Gedanken gekommen war.

„Wäre es nicht besser, wenn du nicht auf die Bachmündung zuhalten würdest, sondern den kürzesten Weg zur Küste nimmst und ihr dann im flachen Wasser folgst, damit ich sofort aussteigen kann, falls es notwendig werden sollte? Wenn mein Magen wieder revoltiert, brauche ich nicht unbedingt dein Boot zu versauen.“

„Könntest du dich nicht außenbords beugen?“

„Natürlich. Aber ist das Boot stabil genug? Ich habe bis jetzt immer darauf geachtet, es im Gleichgewicht zu halten.“

„Das brauchst du nicht. Es ist vielleicht nicht so stabil wie ein Auslegerboot oder ein Catamaran, aber ich bin oft genug im tiefen Wasser hereingeklettert. Das habe ich dir doch bereits gesagt. Aber wenn du einen Beweis brauchst…“ Jenny legte das Doppelpaddel auf das Doppelbord und überraschte ihre beiden Passagiere, indem sie, ohne ihre Kleidung abzulegen, ins Wasser stieg. Das Boot geriet dabei ein wenig ins Schwanken, jedoch längst nicht so stark, wie Bob es erwartet hatte; sein reflexhaftes Umklammern des Dollbords war jedenfalls unnötig.

Ein paar Sekunden später erschien der Kopf des rothaarigen Mädchens an der Wasseroberfläche.

Sie griff nach dem neben dem Boot treibenden Hut und reichte ihn Bob. Dann packte sie das Dollbord und zog sich ins Boot. Diesmal krängte es etwas stärker; die Bordwand des kleinen Fahrzeugs wurde unter Wasser gedrückt, doch die Wellen schlugen trotzdem nicht ins Innere; das einzige Wasser, das hereindrang, tropfte von Jennys durchnäßter Kleidung. Ohne jeden Kommentar begann sie wieder zu paddeln, und Bob hatte auch nichts zu sagen.

Sie brachte das Kajak in der Bachmündung dicht bei Bobs Haus ans Ufer; zwischen den mit Büschen verwachsenen Ufern konnte sie niemand sehen, außer einigen Menschen auf Booten weit draußen auf der Lagune. Bob stemmte sich hoch und stieg aus; es war erheblich einfacher als das Einsteigen vor einer dreiviertel Stunde.

„Okay“, sagte Jenny. „Ich kann schneller zurück sein, wenn ich mir dein Fahrrad ausleihe — es ist doch bei eurem Haus, nicht wahr? Du bist doch zu Fuß zum Boot gekommen, oder? — und damit zu Tavakés Funkbude fahre. Willst du hier auf mich warten oder zum Haus gehen oder…“

„He, Bob! Hast du es gefunden?“ zerschnitt Daphnes schrille Stimme Jennys Frage, und kurz darauf kam das Kind auf sie zugestürmt.

„Was machst du denn hier?“ fragte Bob überrascht. „Du warst hoffentlich nicht allein im Wasser, besonders hier, so weit vom Strand entfernt, und ich sehe keinen von deinen Freunden in der Nähe.“

„Oh, ich habe euch schon lange in Jennys Boot entdeckt und bin hergelaufen, weil ich wissen will, ob ihr Glück gehabt habt. Fahrt ihr wieder zur Insel zurück oder habt ihr es gefunden? Wenn ihr weiter suchen müßt, darf ich dann mitkommen? Ich weiß, daß Mom nichts dagegen hat.“

Bevor Bob antworten konnte, sagte Jenny: „Woher weißt du, daß Bob etwas gesucht hat, Daphne?“

„Mom hat es mir gesagt. Deshalb könne er mich nicht mitnehmen, weil er zu beschäftigt sei.“

„Hat sie dir auch erzählt, was er sucht?“

„Nein. Das ist sein Geheimnis.“

„Und trotzdem willst du mitkommen? Wie kannst du uns helfen, wenn du gar nicht weißt, wonach wir suchen?“

„Außerdem bist du dafür nicht richtig angezogen“, setzte Bob hinzu.

„Ich habe doch meinen Badeanzug an.“

„Und was ist mit der Sonne, du kleiner, blonder Schwachkopf? Wir haben auf Apu gesucht, wo es überhaupt keinen Schatten gibt. Von dorther hast du uns doch kommen sehen, nicht wahr?“

„Und warum ist Jenny dann so naß? Ich kann jederzeit ins Wasser gehen, wenn du es mir sagst, und Sonnenschutz brauche ich nicht, ich bin Sonne gewöhnt.“

Der Jäger wurde ungeduldig. Vor zwei Jahren waren sie zum letzten Mal auf der Insel gewesen, und selbst damals war Bobs kleine Schwester bei verbalen Duellen schon allen anderen gewachsen gewesen — bis auf ihre Mutter. Bob hätte sie gut genug kennen sollen, um sich auf keine Diskussion einzulassen; er hätte sofort und entschieden nein sagen sollen. Obwohl der Jäger kein Mensch war, besaß er doch Gefühle, von denen einige den Gefühlen seines menschlichen Gastgebers nahe verwandt waren. Schließlich konnte er seine Ungeduld nicht mehr länger zügeln.

„Um welchen kleinen Finger wickelt sie dich denn diesmal?“ vibrierten seine Gedanken in Bobs Innenohr. Bob reagierte, wie der Jäger es hätte vorhersehen sollen, mit Irritation, die er an dem Kind ausließ und nicht an seinem nichtmenschlichen Kritiker.

„Hör zu, Silly, Mutter hat dir gestern Abend gesagt, daß du nicht mitkommen kannst, und ich habe es dir auch gesagt, und dabei bleibt es. Wir haben zu tun. Es ist für uns sehr wichtig, dieses Ding zu finden, und ich habe keine Zeit, gleichzeitig auf dich aufzupassen.“

Daphne brach nur deshalb nicht in Tränen aus, weil Jenny sich sofort einschaltete. Sie mochte Bobs Antwort für etwas zu schroff gehalten haben, aber wahrscheinlich war sie auch bemüht, sich ihre Führungsrolle nicht entreißen zu lassen.

„Hör zu, Daphne“, sagte sie mit sanfter, eindringlicher Stimme. „Bob hat recht, wenn er sagt, daß wir dich nicht mitnehmen können, aber vielleicht könntest du uns hier an Land helfen. Ich kann dir nicht sagen, was das Ding, das wir suchen, wirklich ist, weil es ein Geheimnis ist, wie du selbst erklärt hast — ich weiß auch nicht, was es ist, weil Bob es nicht einmal mir verraten hat.“ Der Jäger reagierte überrascht und enttäuscht auf diese offensichtliche Lüge. „Ich kann dir aber sagen, wie es aussieht, soweit Bob es mir beschrieben hat. Dann kannst du die Augen offen halten und uns Bescheid sagen, wenn du es sehen solltest. Denke aber immer daran, daß es ein Geheimnis ist; du mußt versprechen, es keinem deiner kleinen Freunde zu sagen.“

„Klar. Und was ist mit Mutter und Dad?“

„Die wissen es schon. Denen kannst du es erzä hlen, wenn du willst“, sagte Bob. Dem Jäger sagte es ganz und gar nicht zu, daß Bob Jennys Lüge zu akzeptieren schien, sagte ihm jedoch nichts von seiner Mißbilligung, da dieser gerade die Generator-Abdeckung beschrieb.

„Das Ding sieht aus wie ein halber Ball aus Silber, ungefähr so groß.“ Er hielt seine Hände etwa acht oder neun Zoll voneinander entfernt. „Es ist nicht glänzend, wie ein Spiegel, sondern etwas matt — wie eins von unseren Küchenme ssern. Die flache Seite ist zum Teil auch mit diesem silberigen Zeug bedeckt, aber man kann sehen, daß es eine Höhlung ist.“

„Oh, ich weiß, was du meinst“, rief Daphne aufgeregt. „Es ist zum größten Teil mit Korallen bewachsen, nicht wahr?“

Jenny wußte nicht, was sie darauf sagen sollte, Bob hatte es für ein paar Sekunden die Sprache verschlagen, und der Jäger fragte sich, ob er richtig gehört hatte.

„Das wäre möglich“, sagte Bob schließlich. „Hast du so etwas gesehen? Wann bist du denn auf Apu gewesen?“

„Noch nie. Da ist es auch nicht. Es ist auf einem Bücherschrank in der Bibliothek; seit Jahren schon.“

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