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Trotz des Zwischenfalls auf dem Floß erreichte der Jeep wenige Minuten nach den beiden Radfahrerinnen das Haus. Die kurze Erholung während der Fahrt hatte Bobs Kräfte so weit aufgefrischt, daß er ohne Hilfe ins Haus gehen konnte. Sein Gepäck mußte jedoch fürs erste im Wagen zurückbleiben.

Der Handkoffer, den Daphne getragen hatte, war natürlich im Haus; ihre Mutter hatte nachgegeben und ihn auf ihrem Fahrrad transportiert. Daphne schleppte ihn sofort zu der Couch, auf die sich ihr Bruder hatte fallen lassen.

Sie bestand natürlich darauf, daß er sofort geöffnet würde, und die daraus resultierenden Tätigkeiten füllten die Zeit bis zum Dinner. Bob war dankbar für jede Minute Ruhe, die er haben konnte, und glücklicherweise war Daphne einverstanden, daß er auf der Couch liegen blieb, während er die Geschenke — eine ganze Reihe, stellte sie zufrieden fest — verteilte, die den größten Teil des Kofferinhalts ausmachten.

Der Jäger wartete mit ständig wachsender Ungeduld darauf, daß sie zu Bett geschickt würde. Inzwischen hatte auch Mrs. Kinnaird gespürt, daß irgend etwas nicht stimmte, und auch sie wollte erfahren, was mit Bob los war. Endlich wurde die protestierende Daphne in ihr Zimmer geschickt, das früher einmal Bobs Zimmer gewesen war. Zum Glück für Bob, der es bestimmt nicht geschafft hätte, heute noch einmal Treppen hinaufzusteigen, und in einem Anbau schlafen sollte, den sein Vater im vergangenen Jahr auf der Rückseite des Ha uses errichtet hatte — ohne zu wissen, wie notwendig er sein würde, da er ja von den Schwierigkeiten seines Sohnes nichts ahnen konnte.

Schließlich, als das Kind ruhig geworden war und man annehmen konnte, daß es schlief, konnten sie zur Sache kommen. Bob hatte sich seine Worte lange vorher zurechtgelegt. Der Jäger wußte, daß es für ihn keine Freude sein würde, sie zu hören, da sie ihn nicht gerade in ein gutes Licht rückten, doch war er erwachsen genug, um den Tatsachen ins Auge blicken zu können.

Es war Bobs Mutter, die das Gespräch eröffnete, nachdem sie nach oben gegangen war, um sich zu versichern, daß das Kind wirklich schlief.

„Du bist nicht nur müde, Bob, nicht wahr? Es ist etwas Ernsteres.“

„Ich fürchte ja, Mom“, antwortete er. „Ich weiß nicht, wie ernst es ist — es könnte sich eine ganze Weile hinziehen, aber es wäre wohl nicht sehr klug, sich darauf zu verlassen. Die Sache hat begonnen, als ich vor zwei Jahren das letzte Mal zu Hause war. Es war damals nicht sehr schlimm, und ich hielt es nicht für nötig, euch oder Doc Seever damit zu belasten, aber es ist ständig schlimmer geworden, und jetzt muß etwas dagegen getan werden.“

„Kann der Jäger eine zuverlässige Diagnose stellen?“ unterbrach Bobs Vater. „Ich meine, hat er so etwas schon einmal erlebt?“

„Nicht selbst, sagt er. Er hat von Fällen gehört, die in lange zurückliegenden Zeiten auftraten, wenn seine Spezies mit einem neuen Typus von Gastgebern eine Symbiose einging. Es wäre jetzt nicht geschehen, wenn er Arzt wäre, und kein Detektiv. Aber ich will euch die Geschichte von Anfang an erzählen.“ Seine Eltern nickten.

„Ihr wißt beide, wie der Jäger und andere seiner Spezies beschaffen sind: vier Pfund einer Substanz, die sich vage mit menschlichem Protoplasma vergleichen läßt, jedoch aus molekülgroßen Einheiten besteht, im Gegensatz zu den relativ riesigen Zellen unseres Gewebes. Seine Leute können unabhängig existieren, zumindest auf ihrem eigenen Planeten, doch normalerweise leben sie im Körper eines größeren Wesens und in Symbiose mit ihm. Der Jäger lebt seit Jahren so in mir, ernährt sich von dem, was ich esse, sieht durch meine Augen, hört mit meinen Ohren und zahlt für seinen Unterhalt, indem er eindringende Krankheitskeime vernichtet, bei Ve rletzungen die Blutung stillt und so weiter. Außerdem ist er ein persönlicher Freund, wenn unsere Freundschaft auch nicht so eng ist, wie sie es auf seinem Heimatplaneten wäre; hier fehlen verschiedene Einrichtungen, die es ihm erlauben würden, ein normales Leben zu führen, und wir haben keinerlei gemeinsame Interessen. Er ist Detektiv, und sein Partner zu Hause war ein Polizeibeamter; er hat auf dem College gemeinsam mit mir alle Vorlesungen und Seminare mitgemacht, sie jedoch längst nicht so interessant gefunden wie ich. Auf seinem Planeten verbinden sich Partner erst, nachdem sie sich eine ganze Weile kennen. Hier blieb ihm keine Wahl.

Seit seine Leute die Raumfahrt entwickelt haben, bestehen Kontakte zu anderen, mehr oder weniger menschenartigen Lebewesen, mit denen sie auf der Basis der Lebensteilung koexistieren. Das ist jedoch nicht überall möglich. Nach ihren Erfahrungen produzieren keine zwei Planeten Lebensformen mit der gleichen chemischen Zusammensetzung, und gründliche Forschungsarbeiten sind nötig, bis es zu einer komplikationslosen Symbiose kommen kann.

Natürlich fällt meine Partnerschaft mit dem Jäger in die weniger gut organisierte Kategorie. Er ist nie ganz sicher gewesen, ob er mir nicht auf irgendeine Weise schadet. Wir haben genügend Ähnlichkeit mit anderen Humanoiden, die er kennt, um meine normalen Immunitätsreaktionen auf die ihm vertraute Weise bekämpfen zu können, und da er in mir war, brauchte ich Sie auch nicht; er wird mit allen Infektionen fertig. Trotzdem versichert er sich alle paar Tage, daß die Neutralisierung meiner Immunitäts-Reaktionen gegen ihn sich nicht generell auswirkt. Wenn ich mir zum Beispiel einen Splitter einreiße, wartet er, bis mein Körper normal reagiert, bevor er die eindringenden Bakterien vernichtet.

Vor zwei Jahren ging ein solcher Test negativ aus.

Ein kleiner Kratzer führte zu einer schweren Infe ktion, und der Jäger stellte fest, daß meine Immunitäts-Chemie überhaupt nicht mehr funktionierte. Er bereinigte den Infekt natürlich; solange er in mir ist, besteht keinerlei Gefahr. Wenn jedoch ihm etwas passieren sollte…“ Bob sprach den Satz nicht zu Ende, doch seine Eltern nickten.

Sie erinnerten sich an die Umstände, unter denen sie von der Existenz des Jägers erfahren hatten: Seever, der Arzt der Insel, war der einzige, den Bob ins Vertrauen gezogen hatte, bevor die Polizeiaktion des Jägers beendet worden war. Bob hatte den kriminellen Alien durch einen Bluff dazu veranlaßt, den Körper seines Vaters zu verlassen und ihn dann durch Feuer vernichtet. Doch die Austreibung war zu rasch erfolgt. Kurz darauf war Arthur Kinnaird schwer erkrankt. Die Symptome waren eine Mischung von Lungenentzündung und Menengitis, und Dr. Seever hatte vor einem Rätsel gestanden.

Schließlich ha tten er und Bob den widerstrebenden Jäger dazu überredet, sich in Arthur Kinnairds Körper zu begeben und dort Umschau zu halten.

Das Problem erwies sich als recht einfach: virusartige Zellen, die von dem Alien bei seinem hastigen Auszug zurückgelassen worden waren, wurden nicht mehr von dessen Intellekt beherrscht und koordiniert und lebten nun ohne Rücksicht auf das Wohlergehen ihres Gastgebers; das gleiche, doch auf einem erheblich niederen Niveau, hatte der Organismus, von dem sie stammten, auch getan und war dadurch nach den Gesetzen seiner Spezies zum Verbrecher geworden.

Der Jäger konnte die Partikel ohne jede Schwierigkeit seiner eigenen Substanz hinzufügen. Seever hatte es für notwendig erachtet, Bobs Mutter die ganze Geschichte zu erzählen, da sie zu intelligent war, um sich mit Halbwahrheiten zufriedenzugeben; und später, als ihr Mann wieder bei Bewußtsein war, wurde auch er über alles unterrichtet.

Unter diesen Umständen blieb ihnen keine andere Wahl, als Seevers Darstellungen zu glauben, und sie hatten sich schließlich an das Vorhandensein des Jägers gewöhnt; sie unterhielten sich sogar gelegentlich mit ihm, obwohl ihr Sohn natürlich seine Antworten übermitteln mußte.

„In gewisser Weise“, fuhr Bob fort, „stehe ich jetzt in völliger Abhängigkeit von meinem Symbionten. Und inzwischen ist es nicht nur diese Immunitäts-Sache, sondern auch andere Teile meiner Biochemie spielen verrückt. In einigen Fällen kann der Jäger die Ursachen dafür finden und etwas unternehmen, manchmal muß er seine eigenen Methoden in einer Weise anwenden, die nichts mit denen zu tun haben, die mein Organismus selbst in der gleichen Situation gebrauchen würde; zum Beispiel bekämpft er Infektionen, indem er die Erreger in sich aufnimmt, anstatt sie auf chemischem Weg zu neutralisieren.

Er hat seine Rolle als einen Jongleur-Akt beschrieben. Je weiter die Zeit fortschreitet, desto mehr Mühe kostet es ihn, meine Maschinerie in Funktion zu halten. Recht häufig beeinträchtigt eine Maßnahme, die er trifft, eine oder me hrere andere, die er bereits eingeleitet hat, oder etwas, was meine Biochemie normalerweise tut. Wenn es uns nicht gelingen sollte, die Ursache für das alles zu entdecken, und sie so simpel ist, daß man sie beseitigen kann… nun ja, er gibt zu, daß der Jongleur früher oder später einen der Teller fallen lassen wird.“

„Ich nehme an, er kann sich nicht einfach zurückziehen und deine Heilung der Natur überlassen“, sagte Mrs. Kinnaird.

„Die Natur ist nicht so stark an mir interessiert“, antwortete ihr Sohn. „Der Jongleur-Akt ist nicht mehr als das, was jeder Mensch durchmacht, und bei jedem fällt irgendwann ein Teller zu Boden — früher oder später. Wenn man den Dingen ihren Lauf läßt und Augen und Ohren verschließt, mag das „natürliche“ Resultate bringen, doch es ist alles andere als sicher, daß das eigene Überleben unter die Rubrik ›natürlich‹ fällt. Man braucht Wissen, wenn man erreichen will, daß sich die Dinge nach seinen Wünschen entwickeln.“

„Aber der Jäger verfugt doch über Wissen! Du hast uns selbst gesagt, daß er in der Lage ist, Tausende, vielleicht Millionen von Chemikalien zu identifizieren — selbst so unglaublich komplexe Moleküle wie Protein — und sie sogar produzieren kann. Du hast gesagt, falls du jemals Diabetes bekommen solltest, würde er das deinem Körper fehlende Insulin selbst herstellen.“

„Das habe ich gesagt, das sage ich auch noch heute, und er tut es. Er kann eine Menge tun. Er tut eine Menge. Aber auch ihm sind Grenzen gesetzt, und diese Grenzen liegen leider ein ganzes Stück vor der Möglichkeit, sämtliche chemische Funktionen eines menschlichen Körpers zu übernehmen.

Was du anscheinend nicht verstehst, ist die Tatsache, daß seine Fähigkeiten, so unglaublich sie sind, von der noch unglaublicheren Komplexität dieses Problems übertroffen werden. Du bist bestimmt realistischer als diese Spinner, die glauben, man könnte eine Brandwunde heilen, indem man Licht von einer bestimmten Färbung darauf fallen läßt, aber du verstehst trotzdem das Problem nicht.“

„Dann ist deine körperliche Schwäche also eine chronische Angelegenheit?“ fragte Bobs Vater.

„Eigentlich nicht — ich will damit sagen, daß ich nicht ständig abgeschlagen und müde bin. Einer der Teller, den er nicht richtig in der Balance halten kann, hat irgend etwas mit meinen Muskeln zu tun.

Der Jäger kann nichts Spezielles an ihnen feststellen, auch nicht an ihren einzelnen Zellen oder in der Interaktion dieser Zellen oder an den Nerven, durch die sie miteinander verbunden sind; doch nachdem ich diese Erschöpfungszustände bekam — nach Tätigkeiten, die mich höchstens ein wenig ermüden sollten — verlieren sie einfach jede Kraft.

Der Jäger kann nicht nur keine Ursache dafür finden, er kann nicht einmal kurzfristig etwas dagegen tun, indem er etwas Zucker oder andere notwendige Substanzen direkt in die Zellen bringt. Es geht nicht darum, die Zellen besser mit Brennstoff zu versorgen oder stärkere Impulse durch die Nervenbahnen zu schicken oder um andere Dinge — er könnte uns Tausende davon nennen, an denen es nicht liegt.“

Ein paar Minuten lang herrschte Stille.

Bobs Eltern konnten einfach nicht glauben, daß es für das Problem keine Lösung geben sollte. Es ging um ihr Kind. Eigentlich kein Kind mehr, und auch nicht ihr einziges, doch immerhin das ihre. Sie hatten es immer als selbstverständlich angenommen, daß Bob noch leben würde, wenn ihre Jongleure den letzten Teller fallen ließen. Sie wagten nicht, laut zu sagen, daß es eine Lösung geben müsse, doch keiner von ihnen konnte an etwas anderes denken.

Keiner der beiden dachte bewußt daran, dem Jäger irgendwelche Vorwürfe zu machen, doch die Frau überlegte sekundenlang, wie viel besser es gewesen wäre, wenn der Jäger sich in dem Arzt niedergelassen hätte, als seine Polizeiaktion abgeschlossen war — Seever wäre vielleicht in der Lage gewesen, wirksame Gegenmaßnahmen zu treffen, als das Problem noch in den Anfängen steckte.

Doch sie ließ diesen Gedanken nicht laut werden.

„Was hast du — und der Jäger — jetzt vor?“ fragte sie statt dessen. „Ihr müßt doch einen Plan haben.

Wenn nicht, würdest du noch schlechter aussehen.“

„Glaubst du, daß Ben Seever etwas tun kann?“

fragte Arthur Kinnaird. „Er kann auf keinen Fall soviel wissen wie der Jäger, auch wenn er Arzt ist, und nicht Detektiv.“

Bob nickte zustimmend; es war ein Punkt, den er und der Jäger längst in Betracht gezogen hatten.

„Ich weiß nicht, was er tun kann, Dad, aber auf jeden Fall sind wir mit seiner Hilfe besser dran als ohne sie. Wir werden ihm morgen die ganze Geschichte erzählen. Ich muß ohnehin zu ihm, da ich mich ärztlich untersuchen lassen muß, bevor ich mit der Arbeit beginne. Morgen ist Freitag, und ich bin sicher, daß PFI ab Montag meine Muskelkraft zu beanspruchen gedenkt. Wenn Doc nichts anderes erreichen kann, ist es ihm zumindest möglich, mir schwere körperliche Arbeit zu ersparen. Wenn er mich für arbeitsunfähig erklärt, schicken sie mich vielleicht zu einer gründlichen Untersuchung nach Japan oder in die Staaten, und wir müssen auf jeden Fall hier bleiben.“

„Warum?“ fragten beide Eltern gleichzeitig.

Bob lächelte. „Haltet mich nicht für verrückt, wenn ich es euch sage. Die Ausgangsbasis mag falsch sein, aber sie ist nicht verrückt. Unser erster Job besteht darin, eins der beiden Schiffe zu finden, die vor der Küste von Ell vor fast acht Jahren abgestürzt sind. Was weißt du über luftunabhängige Tauchausrüstungen, Dad?“

Arthur Kinnaird ignorierte die Frage und konterte mit einer eigenen.

„Was könnte euch das Schiff nützen? Befinden sich Medikamente an Bord? Könnte irgend etwas diese lange Zeit im Seewasser überdauert haben?“

„Wahrscheinlich nicht“, gab Bob zu. „Wir suchen auch weder nach Medikamenten noch nach irgendwelchen Geräten. Das Raumschiff des Jägers ist total vernichtet worden, und das andere wahrscheinlich auch. Wir brauchen etwas anderes von ihnen.“

Bobs Eltern blickten ihn abwartend an.

„Wir — der Jäger und ich — haben mehr als zwei Jahre lang über diese Sache nachgedacht und sind zu der Schlußfolgerung gekommen, daß dieses Problem, wenn überhaupt, nur von Spezialisten der Rasse des Jägers gelöst werden kann. So etwas ist ihnen bereits mehrmals passiert, wenn sie mit einer neuen Spezies in Verbindung kamen, und zumi ndest einige unter ihnen haben die Ursachen solcher Komplikationen feststellen können und wirksame Lösungen gefunden.“

Arthur Kinnaird runzelte nachdenklich die Stirn; seine Frau wirkte hoffnungsvoller. Der Mann sprach als erster.

„Wie, um alles in der Welt, könnt ihr durch das Auffinden der Schiffe Kontakt mit Spezialisten vom Planeten des Jägers bekommen? Glaubt ihr, daß Funkgeräte an Bord sind, die so weit reichen?

Und habt ihr überhaupt feststellen kö nnen, woher er kommt? Ich glaube, er hat einmal gesagt, daß er sich zwischen all den Sternen hoffnungslos verirrt hätte?“

„Also, Dad, der Reihe nach, wenn es geht. Nein, keiner von uns beiden hofft darauf, daß wir an Bord der Schiffe irgend etwas Brauchbares finden werden. Funkgeräte wären nutzlos, selbst wenn sie funktionierten; elektromagnetische Wellen würden fünfzig Jahre brauchen, um den Planeten des Jägers zu erreichen. Unsere Idee ist etwas weniger direkt und vielleicht auch weniger erfolgversprechend, aber doch mehr als nur Wunschdenken, glauben wir.

Es stimmt, daß der Jäger früher — bei unserer ersten Begegnung und auch eine ganze Weile danach — glaubte, sich hoffnungslos verirrt zu haben. Erst als ich auf dem College einen Kurs in Astronomie belegte — an dem er natürlich ebenfalls teilnahm —, bekam er eine Vorstellung davon, wie dünn die Sterne im Raum verteilt sind, und wie wenige von ihnen von den Leuten, die wahrscheinlich nach ihm suchen, überhaupt in Betracht gezogen werden müssen. Er weiß, wie lange er unterwegs gewesen ist, auch wenn er die dabei zurückgelegte Strecke in uns geläufigen Maßen nicht nennen kann. Seine Abflugrichtung war bekannt, obwohl natürlich niemand wissen konnte, wie weit er geflogen ist. Er ist sicher, daß ein Suchkommando nach ihm ausgeschickt wurde, als er einige Monate in unserer Zeitrechnung nach seiner Abreise nicht zurückgekehrt war. Und er ist sogar noch sicherer, daß er keinem Sternensystem so nahe gekommen ist, um die Sucher von der Spur zu bringen; unser System war das erste, dem er und der Verfolgte sich genähert haben. Seine Freunde dürften also keinerlei Schwierigkeiten haben, das Sonnensystem zu finden.“

„Aber es gibt neun Planeten im Sonnensystem“, wandte Mrs. Kinnaird ein, „und selbst, wenn sie ihre Suche auf diesen Planeten beschränken sollten, hätten sie eine Menge Quadratmeilen abzusuchen.“

„Das ist der Grund — oder einer der Gründe — warum wir eins der Schiffe finden müssen. Mit seiner Hilfe könnten wir die Chancen, von einer Suchgruppe gefunden zu werden, wesentlich erhöhen.

Der Jäger sagt, daß die Überlichtgeschwindigkeitsmaschinen selbst in abgeschaltetem Zustand Kraftfelder entwickeln, die noch in einer Entfernung von vielen Millionen Meilenmeßbar sind — nur dadurch war es ihm möglich, auf der Spur des anderen Schiffes zu bleiben. Er weiß zwar nicht genau, wie lange diese Kraftfelder weiterbestehen und wie groß die Entfernung ist, aus der sie wahrgenommen werden können, nachdem ein Schiff so stark beschädigt wurde wie das seine. Früher oder später werden sie von Korrosion völlig vernichtet werden, so daß überhaupt keine Feldströme mehr bestehen, und das ist ein weiterer Grund, warum wir eins — oder beide Schiffe — finden wollen: um uns davon zu überzeugen, wie weit der Korrosionsprozeß eigentlich schon fortgeschritten ist.“

„Aber, ohne Rücksicht auf den Zustand der Schiffe, was könnten du und der Jäger, oder wir anderen, mit ihnen anfangen?“ fragte sein Vater.

„Sie werden unsere weiteren Pläne bestimmen.

Wenn die Schiffe aufzuspüren sind, haben Suc hkommandos diese Insel bereits sehr gründlich unter die Lupe genommen — wahrscheinlich während der Zeit, als der Jäger und ich fort waren. Wenn sie nicht aufzuspüren sind, haben seine Leute zumi ndest die Erde gefunden, und der Jäger ist sicher, daß sie an dem Planeten und an der Menschheit interessiert sein würden. Sie sind nach Hause zurückgeflogen und haben ihre Entdeckung berichtet, und inzwischen befindet sich bestimmt ein Forschungsteam hier, das den Planeten während eines fünf bis zehn Jahre dauernden Zeitraums untersucht und dann entscheidet, ob es mit der Menschheit offenen Kontakt aufnehmen soll. Wenn ich sicher wäre, in zehn Jahren noch am Leben zu sein, brauchte ich nur abzuwarten.“

„Falls sie sich positiv entscheiden sollten“, sagte seine Mutter.

„Ja — das sollte ich wohl nicht als selbstverständlich voraussetzen. Auf jeden Fall haben wir nicht die Zeit, darauf zu warten. Die Frage ist doch, ob Angehörige der Spezies des Jägers wirklich hier auf Ell sind, was unbedingt der Fall wäre, wenn sie die Schiffe gefunden haben sollten, oder ob wir die ganze Erde nach ihnen absuchen müssen. Ich gebe zu, daß ich das erstere erhoffe.“

„Aber würden sie noch immer hier sein, wenn sie die Schiffe gefunden hätten?“

„Nicht ständig, aber sie würden von Zeit zu Zeit zurückkommen und nach den Piloten suchen. Sie haben bis jetzt keine Spur von ihnen finden kö nnen, und sie wollen den Jäger retten und den anderen festnehmen.“

„Warum sollten sie sich so viel Mühe mit der Festnahme machen, nach einer so langen Zeit?“

fragte die Frau. „War er ein so gefährlicher Ve rbrecher?“

„Das weiß ich nicht — wartet bitte einen Moment.“ Bob schwieg, während der Jäger die Frage beantwortete und gab dann die Antwort weiter.

„Er hat alles nur zum eigenen Vorteil getan und dadurch seine Gastgeber gefährdet. Deshalb stellte er für jedes menschliche Wesen, mit dem er sich verband, eine ernste Gefahr dar; sie wollen ihn in unserem Interesse festnehmen, um die Menschheit vor ihm zu schützen.“

„Hätte er mit einem Menschen das getan, was der Jäger mit dir getan hat?“ fragte sein Vater. Zum erstenmal schwang Bitterkeit in seiner Stimme.

„Das ist nicht fair, Dad. Der Jäger hat es schließlich nicht vorsätzlich getan, und er versucht alles, um den Schaden zu beseitigen. Der andere hätte sich einfach einen neuen Gastgeber gesucht, wenn mein Körper zu krank geworden wäre — sicherlich schon vor Jahren, da es eine Menge Mühe kostet, mich auf den Beinen zu halten.“

„Verstehe. Entschuldige, Jäger. — Aber warum haben diese Suchkommandos keine Nachricht hinterlassen?“

„Weil sie nicht sicher sein konnten, daß der andere erledigt worden war, natürlich. Und um die nächste offensichtliche Frage mit einer weniger offensichtlichen Antwort vorwegzunehmen: wo sollte der Jäger Nachrichten für die Sucher hinterlassen? Doch nur bei den Schiffen. Es mußte eine Stelle sein, die sie auf jeden Fall sehr genau untersuchen würden, da man wohl schlecht erwarten kann, daß sie jedes Abflußrohr auf dieser Insel überprüfen, und schon gar nicht alle Abflußrohre der Erde. Alles, das aus einer gewissen Entfernung klar zu erkennen wäre, würde jedoch die Aufmerksamkeit der Menschen erregen, was sich sehr nachteilig auswirken könnte, bevor der Entschluß zu einem offenen Kontakt gefaßt worden ist.“

„Und was ist, wenn sie die Schiffe nicht gefunden haben?“

„Dann sind wir mit unserer Weisheit am Ende.

Am besten sollte man in dem Fall ein paar der Polizeicodes des Jägers, so genau wie möglich in die lokal verwandten Alphabete transkribiert, in den am weitesten verbreiteten Zeitungen veröffentlichen. Aber sehr erfolgversprechend erscheint das nicht, bei etwa fünfzig Investigatoren, die auf der ganzen Erde verteilt sind. Wir werden es versuchen, wenn es sein muß, aber wir hoffen sehr, daß es nicht notwendig wird.“

„Ich auch.“ Arthur Kinnairds Stimme hatte ihre vorherige Schärfe verloren. „Okay. Du hast begründet, daß du nach etwas tauchen maßt. Wir sollten vor allem feststellen, ob diese Minensuchgeräte, die sie im Krieg benutzt haben, auch unter Wasser funktionieren.“

„Im Prinzip ja“, unterbrach Bob. „Wir müssen nur sicher sein, daß kein Wasser in die Stromkreise gelangt. Glaubst du, daß wir eines bekommen kö nnen? Das wäre natürlich eine große Erleichterung, besonders, wenn die Schiffe inzwischen von Schlamm bedeckt oder mit Korallen bewachsen sind.“

„Wir werden es versuchen. Weiter können wir nichts tun. Ich wünschte, ich könnte optimistischer sein. Jäger, wenn du ganz ehrlich bist, kannst du nicht mit Bestimmtheit sagen, daß deine Leute die Erde erreicht haben oder sie erreichen werden, nicht wahr?“

Der Alien gab durch seinen jungen Gastgeber ein „Nein“ weiter, ein äußerst widerwilliges „Nein“.

Er hatte genügend Probleme, auch ohne daß Bobs Zuversicht untergraben wurde. Doch seine negative Antwort schien Bob überhaupt nicht zu beeindrucken. Auf jeden Fall stellte sein Vater das nicht fest, denn er fuhr fort.

„Besteht überhaupt die Möglichkeit, daß sie dieses Sonnensystem finden? Ich kann verstehen, daß sie sich sofort auf die Erde konzentrieren, wenn sie es finden, aber die Aufnahmen, die ich von den Sternenwolken der Milchstraße gesehen habe, wirken doch sehr entmutigend, wenn es sich um ein Versteckspiel in diesem Raum handelt. Bob, blicke zur Decke hinauf und lies die Antwort des Jägers ab. Ich will niemanden entmutigen, aber ich muß eine realistische Vorstellung der Dinge haben.“

„Er spricht nicht mehr zu mir, indem er meine Retina verschattet, Dad; er spricht jetzt direkt in meine Mittelohrknochen. Aber ich werde weitergeben, was er antwortet.“

Der Jäger konnte es sich unter den gegebenen Umständen nicht leisten, seine Antwort hinauszuzögern. Er sprach, und Bob gab seine Worte weiter.

„Der einzige Zweifel könnte durch die Natur eurer Sonne hervorgerufen werden, die um vieles heller und heißer ist, als die unsere. Es ist durchaus denkbar, daß in der Nähe unseres Kurses Sternsysteme liegen, die dem unseren mehr ähneln; ich kann nur sagen, daß meine Instrumente solche Systeme nicht aufgezeichnet haben. Wenn sie eine wirklich gute Ortung unserer Abflugrichtung genommen haben, was ihnen ohne jede Schwierigkeit möglich sein sollte, mü ssen sie zu diesem System gelangen und würden es dann natürlich genau untersuchen. Es besteht natürlich die Möglichkeit, daß sie auch ein paar andere checken, aber ich bin jetzt seit acht eurer Jahre hier und halte die Chance, daß sich jemand meiner Spezies in diesem Augenblick auf der Erde befindet, für sehr hoch.“

„Wie lange lebt ihr normalerweise?“

Diese Frage hatte der Jäger nicht erwartet und war deshalb auch nicht darauf vorbereitet, ihr auszuweichen. Er hatte nie beabsichtigt, darüber mit einem Menschen zu sprechen, am wenigsten mit seinem eigenen Gastgeber. Doch der Fragesteller erwartete eine Antwort, und jedes Zögern würde mehr schaden als nützen.

„Unsere Lebensspanne ist recht unbestimmt, obwohl auch wir eines Tages sterben. Die Lebewesen, mit denen wir zu Anfang symbiotisch zu leben lernten, kommen mit unserer Hilfe auf etwa vierzig bis fünfzig eurer Jahre. Unsere Lebenserwartung ist ein Dutzend Mal größer, doch könne n wir uns nicht darauf verlassen. — Aber zurück zu unserem Thema. Ich muß offen eingestehen, daß es keine absolute Gewißheit darüber gibt, daß meine Leute zu diesem Planeten gekommen sind oder zu ihm kommen werden, doch halte ich die Chancen dafür hoch genug, um auf dieser Basis planen zu können, besonders, da es sich um eine recht kurze Entfernung zu handeln scheint.“

„Kurze Entfernung?“ fragte Mrs. Kinnaird eifrig.

„Dann glaubst du also, deinen Heimatplaneten identifiziert zu haben?“

„Wir glauben es.“ Bob sprach jetzt für sich selbst.

„Es ist eine recht komische Sternengruppe, und nur ein einziges System dieser Art ist in meinem Astronomiekurs behandelt worden. Wir glauben, daß es sich um Castor handeln muß. Das ist ein sechs-Sterne-System mit zwei sehr hellen Sternen, wie Sirius, von denen jeder einen Planeten hat, von dem wir nicht viel wissen, weil wir ihn nicht sehen kö nnen — sie verursachen lediglich einen periodisch auftretenden Doppier-Effekt im Spektrum der hellen Sterne — und zwei roten Zwergsonnen, die in einer weiten Umlaufbahn um die anderen kreisen.

Über diese Zwergsonnen wissen wir eine ganze Menge, weil sie ein Schatten werfendes spektroskopisches Paar bilden; wir glauben, daß es die Sonnen vom Planeten des Jägers sind, weil alles, was wir über ihren Helligkeitsgrad, ihre Perioden und so weiter wissen, mit seinen Beobachtungen und Erinnerungen übereinzustimmen scheint. Sie sind sogenannte veränderliche Sterne, was ebenfalls zutreffen würde. Das System, liegt fünfundvierzig oder fünfzig Lichtjahre entfernt. Der Jäger kennt die Geschwindigkeit der Raumschiffe nicht genau, hält die Entfernung jedoch für relativ gering.“

„Du hast einige Fürworte verwechselt — zumeist die ›Wirs‹“, sagte seine Mutter, „aber ich denke, daß wir die Situation jetzt begriffen haben. Okay, wir wollen ebenfalls optimistisch sein — uns bleibt schließlich nichts anderes übrig, genau wie euch beiden.“ Der Jäger war dankbar für ihre Wortwahl; nach dem Eingeständnis über seine lange Lebenserwartung wäre es nicht unlogisch gewesen, wenn diese Frau den Verdacht geschöpft hätte, daß Bob nur eine zufällige Episode in seinem langen Leben war, einer der zehn oder mehr Gastgeber, der eben früher starb als die anderen. Tatsächlich aber machte der Alien sich große Sorgen um Bobs Zustand, und mindestens genauso stark bedrückte ihn seine eigene Verantwortung dafür. Er erlaubte sich nicht, an die eigene Zukunft zu denken, falls es ihm nicht gelingen sollte, Bobs Leben zu erhalten.

Bobs Vater war davon vielleicht genauso überzeugt wie es seine Mutter anscheinend war, doch seine Worte ließen keinen Schluß in die eine oder in die andere Richtung zu. Sein Job bei PFI brachte sehr viel Verantwortung mit sich und hatte ihn zu einem energischen und entschlußfreudigen Mann werden lassen. Seine Worte befaßten sich aus schließlich mit den Dingen, die erledigt werden mußten.

„Also gut. Schritt eins: Bob schläft sich gründlich aus, damit er morgen wenigstens normal aussieht und normal handeln kann. Zweitens, er sucht morgen früh Ben Seever auf, berichtet ihm alles und unternimmt gemeinsam mit ihm alles Notwendige, um einen Job zu bekommen, der seinen Zustand nicht verschlechtert. Es wäre gut, wenn er dabei genügend freie Zeit für das Suchprojekt haben würde, aber wir wollen uns mit dem Möglichen zufrieden geben.

Drittens, ich tue, was ich kann, um eine luftunabhängige Tauchausrüstung aufzutreiben. Ich weiß, daß es auf Ell keine gibt, doch habe ich gehört, daß PFI auf Tahiti damit experimentiert. Ich werde mich auch um ein Metallsuchgerät kümmern, feststellen, ob es hier verfügbar ist, und ob man es unter Wasser einsetzen kann.

Der Jäger wird sich eine Reihe von sinnvollen Methoden einfallen lassen, um die Aufmerksamkeit seiner Leute zu erregen, die auf der Insel oder irgendwo sonst auf der Erde sein mögen, ohne ins Extrem zu gehen und die Sache weltweit zu publizieren. Ich würde das gerne selbst übernehmen, doch wenn es die Vorhaben beeinträchtigt, die sie hier durchführen wollen, könnte es sie vielleicht dazu veranlassen, die Erde als ungeeignete Basis anzusehen und sie zu verlassen. Ich halte das zwar nicht für sehr wahrscheinlich, aber wir dürfen keinerlei Risiko eingehen.

Außerdem werden sich sowohl Bob als auch der Jäger ernsthafte Gedanken darüber machen, welche und wie viele andere Menschen wir als Mitarbeiter brauchen. Ich bezweifle, daß fünf Personen, eine davon bei schlechter Gesundheit und eine andere in ihrer physischen Bewegungsfreiheit sehr eingeschränkt, ausreichen werden. Ich weiß, daß man über diesen Punkt genau nachdenken muß, also denkt nach.“

Doch es war nicht das Nachdenken, das den ersten Mitarbeiter brachte.

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