3 Komplikationen

„Hast du in letzter Zeit wieder ein Feuer angesteckt?“

Das war alles andere als eine Standard-Begrüßungsformel, und sowohl Bob als auch der Jäger waren leicht überrascht. Das junge Mädchen, das sie mit dieser Frage empfangen hatte, überraschte sie nicht; sie kannten Jenny Seever seit Jahren und hatten gehört, daß sie jetzt bei ihrem Vater arbeitete. Da die Bevölkerungszahl der Insel stark angestiegen war, hatte die Gesellschaft das Haus Dr. Seevers durch Anbauten in ein kleines Hospital verwandelt. Seever selbst war dadurch gezwungen worden, etwas formeller zu werden und zumi ndest Krankenblätter über seine Patienten zu führen. Der erste Gedanke, der den beiden Besu-chern kam, war, daß Doc Seever Aufzeichnungen über das vorangegangene Projekt gemacht hatte, die seiner Tochter in Verbindung mit ihren Aufgaben irgendwie zugänglich geworden waren.

Bob wies diesen Gedanken jedoch sofort zurück.

Der Arzt würde davon nichts schriftlich niedergelegt haben, und auf gar keinen Fall hätte er solche Aufzeichnungen an einem Ort aufbewahrt, wo andere Menschen sie finden mochten.

Trotzdem, das Mädchen schien irgend etwas zu wissen. Die Polizeiaktion war tatsächlich mit einem Feuer zu Ende gegangen, mit einem Scheiterhaufen aus Schweröl, das den geflohenen Alien verbrannte, und die Frage war auf keinen Fall zufällig gestellt worden. Doch Bob hatte eine ganze Reihe von Kriminalromanen gelesen und konnte nicht so leicht ausgetrickst werden; er wollte ihr nicht mehr erzählen, als sie vielleicht schon erfahren hatte.

„Jede Menge“, antwortete er nach einem kurzen Zögern, das ihr vielleicht mehr sagte als seine Worte. „Wir hatten einen herrlichen Frühling im Nordosten, und vor den Schlußexamen laufen immer eine ganze Reihe Picknicks. Warum?“

Jenny antwortete nicht direkt; die beiden Besucher bekamen den Eindruck, daß sie diese Antwort nicht erwartet hatte, und darin hatten sie völlig recht. Doch da sie schlagfertiger war und schneller schaltete, als Bob oder der Jäger, wußte sie, daß es sinnlos war, noch mehr Schüsse ins Blaue abzugeben, nachdem der erste Schuß danebengega ngen war. Sie wechselte das Thema und ließ die anderen vermuten, was sie wollten — wobei ihr natürlich nicht klar war, daß der Mann, der vor ihrem Schreibtisch stand, zwei Personen repräsentierte.

„Ich nehme an, du willst zu Dad.“

„Sicher. Ich kann nicht arbeiten, ohne vorher untersucht worden zu sein, und ich schulde PFI ein paar Jahre Arbeit für mein Chemie-Diplom, also brauche ich sein Attest, daß bei mir alles in Ordnung ist, klar? Außerdem will ich ohnehin mit ihm sprechen, schließlich sind wir alte Freunde. Ist gerade jemand bei ihm?“

„Ja, Du mußt warten.“ Sie konnte sich einen zweiten Schuß doch nicht verkneifen. „Willst du Streichhölzer haben?“

„Nein, danke. Ich rauche nicht.“

„Nicht einmal Schweröl?“

„Nicht für viel Geld.“ Der Jäger wünschte, daß er sich an diesem Duell beteiligen könnte, mußte jedoch zugeben, daß Bob auch ohne ihn recht gut zurechtkam. Offensichtlich wußte das Mädchen irgend etwas; jede Möglichkeit eines Zufalls war mit der zweiten Frage verschwunden. Man mußte etwas über ihren Status in Erfahrung bringen, bevor mehr gesagt werden durfte, doch das schien Bob genauso klar zu sein wie seinem Symbionten.

„Manche Menschen haben recht merkwürdige Hobbys“, konterte Jenny.

„Das stimmt. Zum Beispiel, geheimnisvoll zu tun.

Hör zu, Mädchen — oder Miß Seever, wenn dir das lieber ist — ich habe keine Ahnung, worauf du überhaupt hinaus willst.“ Der Jäger, mit der fast leidenschaftlichen Wahrheitsliebe, die er im Laufe seines langen Lebens entwickelt hatte, fühlte sich durch diese Bemerkung sehr bedrückt. Selbst sein Zugeständnis, daß es eigentlich keine Lüge war, da Bob nur raten konnte, was sie mit ihren spitzen Bemerkungen meinte, war keine vollständige Beruhigung. „Falls irgend jemand auf der Insel ein Haus in Brand gesteckt haben sollte oder so was, so habe ich keine Ahnung davon. Ich bin zwei Jahre fort gewesen und erst gestern Abend zurückgekommen. Falls du von etwas anderem reden solltest, mußt du etwas deutlicher werden, damit ich verstehe, was du meinst. Wenn du nur versuchst, witzig zu sein, laß dir sagen, daß ich es gar nicht komisch finde. Vielleicht solltest du mal andere Detektivgeschichten lesen. Ich falle auf diese Masche nicht herein.“

„Warum solltest du auch?“ fragte sie. Bob hatte einen Moment lang das Gefühl, einen Fehler gemacht zu haben, fuhr jedoch ohne zu zögern fort, in der Hoffnung, daß nur der Jäger etwas gemerkt hätte.

„Ich sollte es nicht, und ich könnte es nicht. Weil es nichts gibt, das mich irgendwie hereinfallen lassen könnte. Falls du mich für einen Pyromanen halten solltest, sieh in den Unterlagen deines Vaters nach. Du kümmerst dich doch jetzt um sie, nicht wahr?“

„Danke. Darauf bin ich noch nicht gekommen“, erwiderte sie. „Ich werde es nachholen, sowie ich Zeit dazu habe.“

Zehn Minuten lang oder länger sagte keiner von ihnen ein Wort. Bob dachte darüber nach, was er hätte anders formulieren sollen. Der Jäger machte ihm ein paar Vorschläge in der Hinsicht, erhielt jedoch keine Antwort. Jenny schien Bob völlig vergessen zu haben und beschäftigte sich intensiv mit ihren Papieren.

Schließlich öffnete sich die Tür des Sprechzi mmers, und ein zehnjähriger Junge, der einen Arm in der Schlinge trug, kam heraus, gefolgt von dem Arzt. Der letztere unterbrach seine Lektion über das Bäume-Klettern, als er Bob entdeckte, trat auf ihn zu und schüttelte ihm herzlich die Hand. Dann drängte er ihn in sein Sprechzimmer.

„Habe gehört, daß du zurück bist — ich denke, jeder hat das inzwischen gehört. Für immer dieses Mal, wie? Bist du hergekommen, um dich mit mir zu unterhalten, oder wollen sie dich gleich ins Joch spannen? Wie geht es dir, Jäger? — Ich vermute, du bist noch immer vorhanden.“

Der Jäger hätte beinahe direkt geantwortet; Seever war der einzige Mensch, der ihn manchmal vergessen ließ, daß jede Kommunikation per Relais erfolgen mußte, der so zu ihm sprach, als ob ein direktes Gespräch möglich wäre. Bob fand das normalerweise amüsant, blieb aber heute völlig ernst.

„Ja, zu beiden Fragen“, antwortete er. „Ja, der Jäger ist hier. Was meine Arbeit betrifft, so hat man mir offiziell nichts mitgeteilt, aber anscheinend nimmt man es als selbstverständlich an, daß ich sofort anfange. Falls ich nichts anderes hören sollte, werde ich mich am Montag morgen im Hauptgebäude melden; aber da ist ein kleines Problem, bei dem ich Ihre Hilfe brauche, bevor ich mit der Arbeit beginne.“

„So?“

Bob verschwendete keine Zeit, sondern begann sofort mit einer Schilderung seiner Situation. Seever hörte ihm schweigend zu. Hin und wieder nickte er oder hob eine Augenbraue, doch er sagte kein Wort, bis Bob zu Ende geko mmen war.

Dann faßte er zusammen: „Wie ich es sehe, willst du eins der Raumschiffe finden, oder auch beide, um dich mit den Leuten des Jägers in Verbindung zu setzen, die sich vielleicht auf der Erde befinden, in der Hoffnung, daß sie Bobs medizinisches Problem lösen können, oder jemand herbeiholen, der dazu in der Lage ist — vorausgesetzt, daß es sich lösen läßt. Sehr zweifelhaft. Wir können nur hoffen, daß es gelöst werden kann, daß sie tatsächlich auf der Erde sind, und daß das Auffinden der Schiffe eine Kontaktaufnahme mit ihnen ermöglicht.

Okay, meine Aufgabe besteht darin, deinen Körper in Funktion zu halten und dir, wenn möglich, soviel freie Zeit zu verschaffen, daß du deine Suche durchführen kannst — die Teller des Jongleurs in der Luft zu halten, wie es der Jäger so treffend ausdrückt — bis das alles geschafft ist.“

„Man könnte es ein wenig optimistischer ausdrücken, aber es ist richtig, so weit es Sie betrifft“, sagte Bob. „Aber Sie haben noch einen anderen Job: PFI muß dazu gebracht werden, mich für eine Arbeit einzusetzen, die mich nicht umbringt, ohne daß mein medizinisches Problem zu vielen Me nschen bekannt wird. Sie können nicht einfach sagen, daß ich arbeitsunfähig sei. Der alte Toke kümmert sich um alle Probleme seiner Leute, und ich kann mir vorstellen, daß er mich sofort nach Japan oder in die Staaten bringen läßt, wo ich nach seiner Auffassung in kompetenteren Händen wäre als in Ihren. Ich erwähne das natürlich nur, damit Sie sich zwischen den Injektionen, oder was Sie mir sonst geben, um mich auf den Beinen zu halten, nicht auf die faule Haut legen.“

„Pah“, sagte Seever wegwerfend. „Was immer ich tun kann…“

„Und außerdem“, fuhr der junge Mann fort, „sollten Sie wirklich etwas wegen Jenny unternehmen.“

„Meine Tochter? Warum? Falls du dich in sie verliebt haben solltest, habe ich nichts dagegen, aber das müßtest du schon selbst mit ihr klären.“

„Haben Sie ihr jemals vom Jäger und unseren Abenteuern erzählt? Oder haben Sie mit Ihrer Frau darüber gesprochen, wo Jenny vielleicht mithören konnte? Oder haben Sie Aufzeichnungen darüber gemacht, die Jenny in die Hände gekommen sein könnten?“

„Nein. Weder noch. Mit Ev hätte ich gerne über diese Sache gesprochen, aber ich fühlte mich nicht dazu ermächtigt, solange ich nicht deine und des Jägers ausdrückliche Zustimmung dafür habe. Und ich habe kein Wort davon schriftlich festgehalten.“

„Dann frage ich mich, warum Jenny mich — oder uns — mit Bemerkungen über das Anzünden von Schweröl-Feuern begrüßt hat. So weit ich mich erinnere, war sie nicht auf der Insel, als wir das kleine Problem des Jägers erledigten — und außerdem war sie damals erst elf Jahre alt.“

„Das ist richtig.“ Seever wirkte verwirrt und überrascht. „Ich kann mir nicht vorstellen, was sie vorhat oder was sie herausgefunden haben könnte — und wie sie etwas herausgefunden haben könnte.

Falls ich im Schlaf reden sollte, hätte mir Ev bestimmt etwas davon gesagt, und selbst dann gäbe es keine Möglichkeit, daß Jenny etwas gehört haben könnte. Soll ich sie hereinrufen, damit du sie sofort danach fragen kannst, oder soll ich später allein mit ihr darüber sprechen? Oder willst du damit warten, bis du gründlicher nachgedacht und mehr herausgefunden hast?“

Der Jäger vibrierte seine Ansicht sofort und unmißverständlich in Bobs Ohr, doch der war bereits zu derselben Schlußfolgerung gelangt, und noch schneller.

„Das letztere, natürlich. Sie sollte nicht einmal erfahren, daß ich mit Ihnen darüber gesprochen habe. Wir wissen nicht, wie viel sie weiß und warum sie an der Sache interessiert ist. Wenn irgend jemand ihr Fragen stellt, weiß sie, daß sie nicht nur hinter einem Gerücht her ist, sondern daß etwas Ernsteres dahintersteckt — falls sie es nicht schon jetzt weiß. Ich kann mir nur ein Feuer vorstellen, daß sie interessieren könnte, nämlich das, in dem ich den Kriminellen verbrannte, den der Jäger verfolgt hat; ich kann mich nicht erinnern, irgendein anderes Feuer angesteckt zu haben, das für jemand eine Bedeutung haben könnte. Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, warum sie diese Fragen gestellt haben sollte, wenn sie nicht irgendwie von der Sache erfahren hat.“

„Also“, unterbrach Seever, „befindest du dich jetzt in dem Dilemma, einerseits herauszufinden, was sie gehört haben könnte, und von wem sie es gehört haben könnte, und andererseits zu verhindern, daß sie mißtrauisch wird und zu dem Schluß kommt, daß das, was sie gehört haben mag, irgendeine Bedeutung hat. Ich sehe das ein und werde mich bemühen, die Dinge nicht noch komplizierter zu machen, als sie es ohnehin schon sind. Ich werde Jenny gegenüber kein Wort sagen, falls sie nicht von sich aus dieses Thema anschneidet. Falls sie das tun sollte, werde ich versuchen, möglichst viel aus ihr herauszuholen. Du hast recht, sie war nicht hier, als es passierte. Sie war in einem Krankenhaus auf Tahiti und heilte eine komplizierte Knochenoperation aus, die ich hier nicht durchführen konnte, und ihre Mutter war bei ihr. Außerdem, wie du richtig feststelltest, war sie damals erst elf Jahre alt.

Irgend jemand muß zugesehen haben, wie du das Feuer angesteckt hast und ihr davon erzählt haben — vorausgesetzt, daß es eine rationale Basis für ihre Frage gibt. Die Alternative wäre nicht nur zu unangenehm, um sie auch nur in Betracht zu ziehen, sondern, sie erforderte auch eine längere Kette von Zufällen, als ich sie zu erwägen bereit bin.“ Er machte eine Pause und runzelte nachdenklich die Stirn. „Hör zu“, sagte er schließlich, „ich — habe dir versprochen, ihr gegenüber nichts zu erwähnen, falls sie nicht von sich aus damit anfängt, oder falls ihr mich nicht vom Schweigen entbindet, und über diese Möglichkeit solltet ihr sehr gründlich nachdenken. Falls ich nichts sage und sie dadurch zu der Annahme kommen lasse, du habest diese Frage nach dem Feuer überhaupt nicht erwähnt, könnte sie allein das mißtrauisch machen. Warum solltest du sie mir gegenüber verschweigen? Sollte ich ihr nicht doch ein paar Fragen, stellen? Nicht so, als ob ich ihr Vorwürfe machte, daß sie ihre Nase in Dinge steckte, die sie nichts angingen, sondern, als ob ich mir Gedanken über ihren Geisteszustand machte?“

Dem Jäger erschien dieser Einwand sehr logisch.

Bob war weniger überzeugt.

„Daran kann ich Sie nicht hindern“, sagte er langsam, „und ich will Sie auch nicht an ein Versprechen binden, das gegen Ihre Überzeugung geht.

Tun Sie also, was Sie für richtig halten. Sie kennen Jenny viel besser als ich. Der Jäger und ich müssen die Schiffe finden und haben keine Zeit herauszufinden, was Jenny vorhaben mag.“

Seever hob eine Braue; er war der Ansicht, daß die Aktivitäten seiner Tochter eventuell in so enger Beziehung zu dem derzeitigen Problem standen, daß sie eine sofortige und gründliche Aufklärung erforderten. Bob bemerkte die Veränderung seines Gesichtsausdrucks nicht, und der Jäger konnte ihn nicht deutlich erkennen. Die Augen seines Gastgebers waren zwar auf Seever gerichtet, ihr Blick schloß jedoch nicht das Gesicht des Arztes ein. Der Alien konnte zwar auch die Randpartien der Retina benutzen, jedenfalls besser als Bob, doch das Bild war nicht völlig klar, und so half es ihm nur wenig, wenn der Blick nicht voll auf das Objekt gerichtet war.

„Irgendwie“, fuhr Bob fort, „müssen wir uns ein Boot beschaffen. Dad sieht sich nach einer Tauchausrüstung um und versucht, einen Metalldetektor aufzutreiben, aber die Schiffe sind jenseits des Riffs heruntergekommen — zumindest das Schiff des Jägers —, und eine Generatorabdeckung des anderen ist an einem Ort aufgetaucht, der vermuten laßt, daß sie von draußen hereingespült worden ist.

Wir brauchen ein ziemlich stabiles Boot, da man draußen mit einem ziemlichen Seegang und mit Brechern rechnen muß.“

Seever akzeptierte den Themenwechsel. „Es mü ßte auch ziemlich groß sein und Luftpumpen, Schläuche und all das Zeug aufnehmen können.“

„Vielleicht nicht. Dad will versuchen, eine luftunabhängige Tauchausrüstung aufzutreiben — von dem Typ, den dieser Cousteau entwickelt hat. Ich habe ein paar davon in den Staaten gesehen, aber ich hatte nicht genügend Geld, sonst hätte ich eine mitgebracht.“

„Vielleicht hat die Gesellschaft ein paar davon.“

„Das will Dad ja feststellen. Doch selbst, wenn er eine auf treibt, dürfte es bei meinem Zustand schwierig werden, sie ständig zu benutzen.“

„Es dürfte schwierig werden, irgend etwas ständig zu tun, außer, für PFI zu arbeiten. Ich bin vielleicht in der Lage, dich von schwerer körperlicher Arbeit zu befreien oder dich soweit in Ordnung zu bringen, daß du sie leisten kannst, aber ich sehe keine Möglichkeit, daß du acht Stunden pro Tag im Wasser bist und den Meeresboden außerhalb des Riffs absuchst. Thorwaldsen ist sehr für jede Art von Grundlagenforschung, doch dein Projekt läßt sich da nur sehr schwer einordnen.“

Der Jäger und sein Gastgeber hatten dieses Thema sehr eingehend besprochen, und so konnte Bob sofort antworten.

„Wir haben uns einige Gedanken darüber gemacht. Denken Sie daran, daß ich eine größere Gewißheit über die Entwicklung von Fusionskraft und Überlichtgeschwindigkeitsantrieben habe, als Toke in den zwanziger Jahren, als er PFI aufbaute, über die Möglichkeiten der Biotechnik. Ich bin dessen so sicher, wie es die Russen bei der Atombombe gewesen sind. Sie hatten es nicht nötig, irgend etwas zu stehlen; als wir sie einsetzten, händigten wir ihnen gratis das einzige Wissensdetail aus, ohne das sie vielleicht nicht in der Lage gewesen wären, ihre eigene Bombe herzustellen. Wenn es mir gelingen könnte, den alten Toke davon zu überzeugen, daß ich auf einem der beiden Gebiete etwas Greifbares in Händen hätte, würde er mir wahrscheinlich grünes Licht für Grundlagenforschung geben. Es gibt da nur zwei Schwierigkeiten: einmal muß ich meine medizinischen Probleme vorher lösen, bevor ich ihm etwas vorweisen kann, das ihn überzeugt, und zweitens kann ich weder behaupten, daß ich wüßte, wie die Leute des Jägers diese Probleme gelöst haben, noch daß sie uns alle nötigen technischen Informationen übergeben würden, sobald sie mich geheilt haben. Im Gegenteil, der Jäger hat angedeutet, daß sie wahrscheinlich äußerst zurückhaltend sein würden, mir oder anderen Menschen irgendwelche Details zugänglich zu machen — zumindest für eine Generation oder so, selbst nachdem sie die Erde für die Symbiose geöffnet haben — falls sie das tun sollten. Und ich mag den alten Knaben aus me hreren Gründen nicht belügen, vor allem, weil ich bezweifle, daß ich damit durchkommen kann.

Natürlich kann dabei auch eine Rolle spielen, daß ich immer Hemmungen habe, irgend jemand vom Jäger und seinen Leuten zu erzählen; jedes Mal, wenn ich auch nur daran denke, fällt mir sofort ein, daß sie hinterher verbreiten werden, Bob Kinnaird habe den Verstand verloren.“

„Du weißt, daß ich deine Behauptungen unterstützen könnte“, sagte Seever. „Ich habe es schließlich schon einmal getan, als deine Eltern sie anzweifelten.“

„Das wäre sehr riskant für Sie. Nicht jeder ist durch einen grünen Gallertklumpen von synthetischer Lungenentzündung geheilt worden, und nicht jeder, der von dem grünen Gallertklumpen erfährt, wird freundlich und rational darauf reagieren. Ich möchte nicht paranoid wirken, aber ich könnte mir vorstellen, daß Menschen, die vom Jäger erfahren, mir die Vorteile neiden, die ich durch ihn habe, und…“

„Deine derzeitigen ›Vorteile‹ dürften kaum Neid hervorrufen.“

„Wir gehen davon aus, daß meine Probleme gelöst werden. Ich versuche, möglichst weit vorauszudenken. Wir wollen jede Mitteilung an die Chefetage so lange aufschieben, bis wir keine anderen Pfeile mehr im Köcher haben und uns vorläufig darauf konzentrieren, ein brauchbares Boot zu finden.“

„Wenn du keine Tauchausrüstung hast, ob diese luftunabhängige oder eine andere, wozu brauchst du dann so eilig ein Boot? Beim Freitauchen hinter dem Riff kommst du nicht tiefer als drei oder vier Faden, und selbst das würde viel Zeit kosten.“

„Das weiß ich selbst. Und ich würde es auch nicht lange durchhalten, falls Sie nicht irgend etwas gegen diese Schwächeanfälle unternehmen können.

Das war auch nicht unsere Absicht. Erinnern Sie sich noch an das Metallstück, das die anderen Jungen und ich damals auf einer der Riff-Inseln gefunden haben?“

„Ich erinnere mich, daß du mir davon erzählt hast.

Du sagtest, es sei eine Generator-Abdeckung oder so etwas von einem der beiden Schiffe. Ich habe es nie selbst gesehen.“

„Das meine ich. Wir wollen es wiederfinden und vom Jäger gründlich untersuchen lassen. Er hofft, daran erkennen zu können, wie weit der andere damit getrieben ist. Er will versuchen, selbst darin eine Weile unter Wasser zu bleiben, um festzustellen, wie viel Kraft dazu nötig ist, vielleicht sogar den Weg des anderen zurückverfolgen. Das Ding ist bestimmt nicht von selbst über die Korallen geschleift.“

„Meinst du nicht, daß die Korallen während der vergangenen sieben oder acht Jahre so gewachsen sind, daß solche Untersuchungen ziemlich sinnlos werden?“

„Vielleicht, aber der Jäger glaubt, daß es trotzdem einen Versuch wert ist, und ich stimme ihm zu. Auf jeden Fall können wir dadurch das Suchgebiet eingrenzen, bis unsere Tauchausrüstung eintrifft. Natürlich sind wir immer für bessere Vorschläge dankbar.“

Seever seufzte. „Okay, dann wollen wir uns jetzt zunächst um den rein medizinischen Teil des Problems kümmern. Als erstes werde ich eine Blutprobe nehmen; ich habe hier zwar nicht alle Laboreinrichtungen, die ich brauchen würde, aber es sollte doch reichen, um herauszufinden, woran es bei dir ma ngelt.“ Sein Gesichtsausdruck verriet Pessimismus.

„Unter den bekannten Krankheiten gibt es eine, auf die die von dir beschriebenen Symptome zutreffen, und ich habe gerade kürzlich von einem neuen Medikament gehört, das dir möglicherweise helfen könnte. Der Ordnung halber möchte ich hinzufügen, daß ich nicht dafür garantieren kann, damit etwas gegen die Ursachen deiner Schwäche tun zu können, die ja noch niemand definiert hat. Und natürlich habe ich das Medikament nicht hier.“

„Woher müssen Sie es schicken lassen? Aus den Staaten?“

„Von Japan würde es sehr wahrscheinlich schneller hier sein.“

„Ist es ein Mittel, das Sie normalerweise verschreiben würden? Ich meine, könnte nicht jemand mißtrauisch werden, wenn Sie es bestellen?“

„Werde nur nicht paranoid. Junge. Niemand hat jemals kontrolliert, was ich bestelle. Ich bin mein eigener Boß. Es gibt keinen Menschen auf Ell, dem der Name ›Neostigmin‹ etwas sagen würde, wenn er die Bestellung zu Gesicht kriegen sollte, außer vielleicht dem alten Toke selbst. Vielleicht kann ich dir mehr sagen, wenn ich dein Blut untersucht habe, aber verlaß dich nicht darauf. Selbst wenn der Jäger Detektiv ist und kein Biochemiker und mit einer nichthumanen Spezies aufgewachsen ist, muß er doch mehr über menschliche Physiologie und Biochemie wissen, als ich. Wenn er dir irgend etwas sagen sollte, tu es; warte nicht auf meinen Rat.“

Der Jäger wußte, daß Seever recht hatte, doch er bedauerte, dieses Thema provoziert zu haben. Bobs Stimmung war ohnehin sehr schlecht, und ihn am Leben zu erhalten, war hart genug. Alle Bemühungen, ihn hoffnungsvoller in die Zukunft blicken zu lassen, wurden durch die hohe Intelligenz des jungen Chemikers kompliziert; jede Ermutigung mußte logisch und vernünftig sein, um überhaupt von ihm akzeptiert zu werden. Er und der Jäger hatten vor längerer Zeit einmal kurz über die Möglichkeit gesprochen, das Schiff, das sie zu finden hofften, so genau zu untersuchen, daß sie in der Lage sein würden, nach diesem Vorbild ein größeres zu bauen, das Bob zum Castor-System bringen konnte.

Bob hatte diese Vorstellung sofort als undurchführbar zurückgewiesen. Ihm war klar gewesen, daß dieses Vorhaben soviel Erfolgsaussichten hatte, als wenn ein Cro-Magnon Mensch versucht hätte, einen Flugzeugmotor nachzubauen. Es war keine Frage angeborener Intelligenz, sondern des Wissenshintergrundes einer Kultur.

„Ich werde die Blutprobe aus Bobs rechter Armvene entnehmen, Jäger, also zieh dich aus der Region zurück“, sagte Seever, als er mit einer Injektionsspritze in der Hand auf Bob zutrat. „Ich kann mir das Abbinden ersparen, wenn du die Vene von innen ein wenig blockierst.“ Der Jäger stimmte zu, Bob nickte, und ein paar Sekunden später hatte der Arzt seine Blutprobe.

„Und wie sieht es heute aus?“ fragte er. „Fühlst du dich wieder erschöpft?“

„Bis jetzt noch nicht. Aber schließlich habe ich nichts weiter getan, als mit dem Fahrrad von unserem Haus hierher zu gondeln.“

„Und was willst du jetzt unternehmen? Nach einem Boot suchen oder deine kleine Schwester amüsieren?“

„Die ist Gott sei Dank noch für ein paar Stunden in der Schule. Schade, daß die Ferien bald anfangen. Ich habe genauso viel Sorgen damit, ihre kleine Nase aus gewissen Dingen herauszuhalten, wie diese Dinge vor allen anderen Bewohnern der Insel geheimzuhalten, und wahrscheinlich ist beides dasselbe: wenn sie etwas erfährt, erzählt sie es allen ihren kleinen Freunden. Aber diese Melodie mü ssen wir nach dem Gehör spielen. Das erste Problem ist jetzt das Boot.“

„Was ist eigentlich mit dem Boot passiert, das du und die anderen Jungens früher hatten?“

„Das ist an Altersbeschwerden eingegangen. Als es das letzte Mal auseinander zu fallen begann, hatte keiner von uns Zeit, es zusammenzuflicken.“

„Ich hätte da einen Vorschlag — aber er wird dir sicher nicht gefallen.“

„Und der wäre?“

„Jenny hat ein Boot — mehr ein Kanu eigentlich —, das sie dir vielleicht leihen würde.“

„Ohne daß ich ihr die ganze Geschichte erzählen muß? Das glaube ich nicht.“

„Oh, ich würde nicht sagen, daß sie in dem Punkt sehr weiblich ist.“

„Ich habe nicht an ihr Geschlecht gedacht, sondern nehme lediglich an, daß sie wie jeder andere Mensch reagiert. Ich würde ein Boot auch nicht verleihen, ohne eine ziemlich genaue Vorstellung davon zu haben, wozu es benutzt werden soll. Ich hatte eigentlich vor, eins zu kaufen, damit ich es benutzen kann, ohne daß jemand das Recht hat, mich zu fragen, was ich damit anstelle. Über dem Riff oder jenseits davon zu arbeiten, kann ziemlich riskant sein, besonders bei Westwind, und der Eigentümer könnte sich mit vollem Recht fragen, ob ich noch alle Tassen im Schrank habe. Jenny würde sich das auf jeden Fall fragen, da sie sich ohnehin Gedanken über mich zu machen scheint. Bist du sicher, daß sie dich nichts über mich gefragt hat?“

Seevers Gesichtsausdruck veränderte sich, als er ein paar Sekunden lang nachdachte.

„Jetzt, wo ich daran denke, fällt mir ein, daß sie wirklich etwas gefragt hat. Aber es ging dabei nicht um Feuer. Vor einigen Wochen erwähnte ich, beim Dinner, soweit ich mich erinnere, daß mein junger, alter Freund Bob Kinnaird bald vom College zurückkommen würde, und da stellte sie ein paar Fragen. Ich kann mich nicht mehr erinnern, um was es ging, aber sie kamen mir damals sehr normal vor. Sie hat dich ja nie sehr gut gekannt, und als du dieses andere Problem hattest, war sie nicht hier; damals nahm ich an, daß sie sich nur wunderte, warum ich dich als Freund bezeichnete und nicht nur als Patienten, wie alle anderen.“

Bob dachte einige Minuten nach, ohne den Jäger zu konsultieren.

„Vielleicht sollte ich wirklich mit ihr wegen des Bootes sprechen“, sagte er dann. „Es wäre eine Entschuldigung für ein Gespräch, und vielleicht erfahre ich dann etwas, das diese Bemerkung über das Feuer erklärt. Sind Sie einverstanden, wenn ich sie hereinrufe?“

Seever nickte zustimmend, doch die Dinge entwickelten sich anders, als sie es erwartet hatten. In dem Augenblick, als Bob die Tür zum Wartezi mmer öffnete, nickte Jenny einem der inzwischen eingetroffenen Patienten zu, der sofort aufstand und in das Sprechzimmer trat. Bob blieb nichts anderes übrig, als ihm die Tür aufzuhalten.

Die Anwesenheit der anderen Patienten gab ihm auch keine Gelegenheit, mit Jenny zu sprechen, außer die grundsätzliche Frage zu stellen, durch die ein längeres Gespräch eingeleitet werden sollte.

Und im Augenblick war er sich nicht einmal sicher, ob er auch nur diese Frage stellen sollte. Er fragte den Jäger mit unhörbarer Stimme: „Sollen wir lieber warten?“ Der Jäger riet ihm, auf jeden Fall nach dem Boot zu fragen, da sie es so dringend brauchten. Bob hätte fast genickt, doch konnte er sich noch rechtzeitig zusammennehmen.

„Jen“, sagte er, „dein Dad hat mir gesagt, daß du ein Boot hast, und ich brauche gerade eins für eine Weile. Kann ich nach der Sprechstunde zurückkommen und mit dir darüber sprechen?“

Jenny zögerte, doch sowohl Bob als auch sein Symbiont erkannten, daß die Bitte sie überraschte.

„Wir haben hier keine festen Sprechzeiten“, sagte sie. „Dad ist immer zu sprechen, aber ich bin gegen vier oder so fertig. Komm am Nachmittag wieder her, wenn du magst. Aber hast du darüber schon mit diesem langen Lulatsch Malmstrom gesprochen?“

„Ich habe ihn zufällig getroffen, als ich gestern Abend hier ankam, und wir haben uns ein wenig über die alten Zeiten unterhalten, bis meine Schwester und meine Mutter auftauchten.“

„Hat er etwas von meinem Boot gesagt?“

„Nein, warum sollte er auch? Ist es nur für blonde Männer von über sechs Fuß, drei Zoll Größe zu haben? Ich könnte mein Haar zur Not etwas bleichen, aber ich weiß nicht, wie ich fünf Zoll größer werden kann.“ Bob hatte ein Risiko auf sich genommen, dachte der Jäger, im Beisein anderer Menschen Fragen zu stellen, die zu projektbezogenen Antworten führen konnten, doch Bob war anderer Meinung. Er war sicher, daß Jenny, was immer sie sagen mochte, vor anderen Menschen niemals die Selbstkontrolle verlieren würde, und diese Notwendigkeit mochte sie, wie er hoffte, davon ablenken, gewisse Dinge vor ihm zu verbergen.

Doch es funktionierte nicht.

„Nein“, sagte sie nur. „Ich werde später mit dir reden.“ Die vier Menschen im Warteraum hatten das Gespräch natürlich verfolgt, und mindestens zwei von ihnen grinsten amüsiert. Jenny starrte einen der beiden wütend an — es war ein Mädchen ihres Alters —, setzte sich dann wieder hinter ihren Schreibtisch und beschäfti gte sich nachdrücklich mit ihren Papieren. Bob versuchte, ihren Blick auf sich zu ziehen, doch sie sah nicht auf, und nach ein paar Sekunden ging er hinaus.

Er stieg auf sein Rad und fuhr zur Pier.

„Weißt du“, sagte er zu seinem Gast, „irgend etwas ist faul hier. Ich möchte nur wissen, ob es etwas mit uns zu tun hat oder nicht. Ihre Frage über Feuer läßt darauf schließen, aber das ist auch alles.

Man könnte glauben, daß sie mit Shorty Malmstrom eine Art privater Fehde hat…“

„Die überhaupt nichts mit dem Feuer zu tun haben muß“, unterbrach der Jäger.

„Richtig.“ Bobs Gedankengang war unterbrochen worden, und er starrte finster vor sich hin, während er die Straße hinabfuhr. Schließlich sagte er entschlossen: „Wir sollten Shorty aufstöbern und versuchen, ein paar weitere Stücke dieses Puzzlespiels zu finden.“ Der Jäger erklärte, daß das ein vernünftiger Vorschlag sei, aber er brachte ihnen nichts; Malmstrom war nirgends zu finden.

Es war Freitag, und er hätte arbeiten müssen, doch diese Erkenntnis half ihnen auch nicht, ihn aufzutreiben. Auf Ell waren soviel Arbeitszeiten als auch Arbeitsplätze variabel, da die Bevölkerung der Insel nur klein war und die Arbeit an dem Ort und zu dem Zeitpunkt getan werden mußte, wenn sie anfiel. Malmstrom gehörte noch zu den jüngsten und unerfahrensten Mitgliedern der arbeitenden Bevölkerung und konnte auf jedem Teil der Insel eingesetzt worden sein. Doch an einigen Stellen der Insel mochte er wahrscheinlicher zu finden sein, als an anderen.

Er war nicht auf dem Floß, an dem die Catalina vertäut war. Bob erinnerte sich, daß Dulac ihm gesagt hatte, er hätte heute einen freien Tag.

Malmstrom war auch nicht irgendwo in der Raffinerie oder bei der Pumpstation am Ende der Pier.

Heute lag kein Tanker dort, und die Pumpen sta nden still, doch die Raffinerie war immer in Betrieb; sie brauchten eine volle Stunde, um sich zu vergewissern, daß der, den sie suchten, nicht dort war.

Das lag teilweise an den Veränderungen, die seit Bobs Kindheit hier eingetreten waren; die Raffinerie mußte während des Korea-Krieges erheblich vergrößert und ausgebaut werden. Zu den Schiffstreibstoffen und Schmierölen, mit denen PFI die Produktion begonnen hatte, waren die leichteren Brennstoffe gekommen, mit denen der gewaltige Durst der Jettriebwerke gelöscht wurde; und später hatte man auch Rohmaterial für die Plastikproduktion in die Liste aufgenommen.

Diese Ausweitung der Kapazität machte sich auch auf dem nördlichen Ende der Insel, wohin sie als nächstes fuhren, bemerkbar. Die Zahl der Kultur-Tanks war erheblich höher; die Destillationsanlage war doppelt so groß wie früher; neue und schneller wachsende Pflanzen bedeckten die Teile der Bodenfläche, auf denen Nachschub für die Tanks gezogen wurde. Es waren dort viele Menschen bei der Arbeit, doch Malmstrom war nicht dabei.

Er konnte natürlich bei irgendeinem der Tanks sein, die in der ganzen Lagune verstreut lagen. Er konnte irgendwo auf dem längeren Nordwestteil der L-förmigen Insel sein, obwohl es dort keine Industrieanlagen gab — es war ein reines Wohngebiet, soweit es nicht von Dschungel überwuchert war. Er mochte sich vor der Arbeit drücken, sagte Bob zu seinem Partner, und sich irgendwo am Rand der Lagune herumtreiben, obwohl das nicht sehr wahrscheinlich war. Jeder Bewohner der Insel war von Geburt an Aktionär der Gesellschaft, und für Parasiten hatte man nicht viel Verständnis.

Die Suche endete kurz vor Mittag, als Bobs Muskeln nicht mehr mitmachten. Weder er noch der Jäger waren darüber überrascht. Man konnte nichts anderes dagegen tun, als eine Ruhepause einlegen.

Sie befanden sich in der Nähe des nordöstlichen Endes der Insel, an einem Berghang, und vor ihnen erstreckte sich das Korallenriff; die Lagune lag links von ihnen, zur Rechten die weite Leere des Pazifik. Es gab keine Häuser auf diesem Teil von Ell, man sah jedoch Teile von drei Kultur-Tanks hinter dem Bergkamm. Sie befanden sich auf der Straße, die hier sehr schmal war und zwischen weiten Flächen von Pflanzen für die Tanks hindurchführte — einem schnellwachsenden Zeug, das stä ndig abgeerntet und in die Kultur-Tanks geworfen wurde, als Nahrung für die kohlenstoffbildenden Bakterien. Es war niemand in Sicht, stellten Bob und der Jäger erleichtert fest.

Sich hinzulegen war unangenehm, aber unvermeidlich; Bob mußte sich ausruhen. Der Boden bestand zum größten Teil aus fauligen Tank-Rückständen, und das war einer der Gründe, warum niemand hier wohnte. Der Gestank war dem Jäger genauso widerlich wie seinem Gastgeber; ersterer vermied ihn, indem er sich aus Bobs Lungen zurückzog, wo er normalerweise einen kleinen Teil seiner Substanz im Strom des eingeatmeten Sauerstoffs deponierte, und begnügte sich mit dem, was er aus Bobs Blutkreislauf ziehen konnte. Sein Sauerstoffbedarf war minimal, solange er nicht unabhängig von seinem Gastgeber agierte.

„Es ist alles andere als schön hier, und ich weiß, daß der Gestank dich auch stört, aber es läßt sich nun mal nicht ändern“, sagte Bob, als er sich neben seinem Fahrrad auf den Boden setzte. „Ich muß mich wenigstens auf den Beinen halten können, wenn wir unsere Verabredung mit Jenny heute Nachmittag einhalten wollen.“

„Vielleicht kommen wir von hier aus zum Haus des Doktors, wenn wir sehr langsam gehen“, schlug der Symbiont vor. „Sollten wir es nicht wenigstens versuchen? Vielleicht wäre es gut, wenn er dich in diesem Zustand untersucht, und auch, wenn du dich bis vier Uhr nicht erholt haben solltest, kannst du trotzdem mit dem Mädchen sprechen.“

„Zwei Meilen zu Fuß gehen? Das schaffe ich nie.

Außerdem, wenn ich in diesem Zustand ins Haus kommen würde — wahrscheinlich auf Händen und Füßen kriechend —, würde sie dafür eine Erklärung verlangen.“

„Ich habe darüber nachgedacht“, antwortete der Symbiont. „Wenn du ihr Boot ausleihen willst, wirst du ohnehin eine Menge zu erklären haben, wie du es selbst ihrem Vater gesagt hast. Außerdem kannst du die Suche nicht allein durchführen; weder deine Eltern noch der Doktor haben oft Zeit, dich zu begleiten. Es ist ihr Boot; sie wird wahrscheinlich ohnehin gelegentlich mitkommen wollen, und dann müßten wir uns schon etwas sehr Überzeugendes einfallen lassen, um zu begründen, warum sie nicht mitkommen darf. Bob, ich weiß, daß es dir noch weniger gefällt als mir. Schließlich folge ich lediglich einer sehr vernünftigen Vorschrift, die völlig legal gebrochen werden darf, wenn die Umstände es erforderlich machen, während du völlig zurecht befürchtest, daß man dich für verrückt oder für einen Lügner hält, wenn du deine Geschichte nicht belegen kannst; aber ich habe inzwischen erkannt, daß wir mehrere Wesen deiner Spezies für dieses Projekt brauchen werden — und daß sie dazu voll informiert werden müssen.“

„Kannst du wirklich riskieren, deine Vorschriften zu brechen?“

„Ich werde mich wahrscheinlich dafür rechtfertigen müssen, doch wir neigen dazu, die Handlungsweise des Mannes, der mit einer außergewöhnlichen Situation konfrontiert wird, zu respektieren. Ich habe von dieser Freiheit bereits einige Male Gebrauch gemacht, bei dir, bei dem Doktor und bei deinen Eltern, und ich mache mir nicht die geringsten Sorgen darüber, daß man mich dafür bestrafen könnte, wenn wir gefunden werden. Ich bin völlig sicher, daß keiner von euch sein Wissen auf eine Weise verbreitet, daß die Arbeit eines eventuell hier arbeitenden Forschungsteams dadurch gestört wird. Ich bin jetzt überzeugt, daß wir noch ein paar weitere Mitglieder brauchen, wenn wir dein Leben retten wollen — und das halte ich für wichtiger, als ein paar Prinzipien heilig zu halten.“

„Und du glaubst, daß Jenny dafür geeignet ist?“

fragte Bob.

„Das kann ich noch nicht sagen; aber wahrscheinlich ist sie es. Sie muß intelligent sein, sonst könnte sie nicht die Arbeit verrichten, die ihr Vater ihr zugeteilt hat. Sie scheint physisch kräftig zu sein — sie ist fast so groß wie du, und sicher auch fast genauso schwer. Wenn sie ihr Boot häufig benutzt, ist anzunehmen, daß ein angemessener Teil dieses Körpergewichts aus Muskeln besteht. Noch eine Bemerkung zu ihrer Arbeit: offensichtlich vertraut ihr Vater ihrer Diskretion, sonst würde er sie nicht mit Krankenblättern arbeiten lassen. Eure Spezies hat einen nach meinem Dafürhalten übertriebenen Respekt vor der privaten Sphäre. Überlege es dir — doch ich glaube, daß ich recht habe.“

Bob überlegte nicht sehr lange; er schlief ein. Das war eine der störendsten menschlichen Angewohnheiten, fand der Jäger. Er selbst konnte nicht schlafen, jedenfalls kannte er keinen Schlaf, wie ihn die Menschen verstanden. Er blieb bei Bewußtsein, solange er genügend Sauerstoff bekam. Die humanoiden Gastgeber seines Heimatplaneten verbrachten weniger als ein Zehntel der Zeit im Schlaf; die kulturelle Situation basierte auf dieser Tatsache und gab den Symbionten während dieser kurzen Perioden genügend zu tun.

Wenn und falls Bobs medizinisches Problem gelöst worden war, mußte der Jäger einige schwierige Details ihrer Partnerschaft ausarbeiten. Aber wahrscheinlich hatte das Forschungsteam — falls es sich dazu entschloß, die Menschheit zu akzeptieren — dafür eine Lösung bereit.

Inzwischen mußte er jedoch selbst etwas tun. Die Vegetation um ihn herum war ihm fremd — die Pflanzenarten wurden wieder durch neue ersetzt —, und es bestand nur eine sehr geringe Chance, daß sich darunter einige von medizinischer Wirkung befanden. Der Jäger streckte ein ziemlich langes Pseudopod aus der Hand seines Gastgebers und riß winzige Proben des Materials heraus. Dann preßte er sie fest an Bobs Haut, verdaute sie und untersuchte die Bausteine des Materials. Ein paar von ihnen schienen brauchbar, und er absorbierte einige ihrer Moleküle durch Bobs Haut zwischen die Zellen der Unterhaut, um sie dort sehr sorgfältig auf ihre biologischen Wirkungen zu untersuchen. Der Jäger ließ den Teil seiner Substanz, mit der er das Pseudopod geformt hatte, nicht lange außerhalb von Bobs Körper; das Sonnenlicht brachte ihn dazu, sie rasch wieder zurückzuziehen. Die Zwillingssonnen von Castor C produzierten lediglich während regelmäßig auftretender Helligkeitsperioden kräftige Ultraviolettstrahlen, und er reagierte sehr empfindlich darauf.

Er verbrachte den Rest der Ruhepause mit Untersuchungen. Er mußte experimentieren; so gefährlich es auch sein mochte, Unwissenheit war noch gefährlicher. Er verstärkte und verminderte seine Hormonsekretion, versuchte zu entscheiden, wann sie nur eine Primärwirkung hatte, und wann sie auch die Sekretion von anderen beeinflußte…

Es war Detektivarbeit, doch er wünschte, er hätte sich während seiner Studienzeit, vor etwa zwei Menschenaltern, gründlicher mit der Biochemie befaßt.

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