André war bewußtlos, hatte jedoch nur geringe äußere Verletzungen erlitten. Obwohl dies eine günstige Gelegenheit gewesen wäre, nach der Präsenz eines Symbionten zu suchen, beachtete Bob den Jungen kaum, da der Zustand Maetas erheblich ernster war. Sie hatte zuunterst gelegen, als sie auf die Korallen geschleudert worden war. Tiefe Schnitte hatten Rücken und Lenden aufgerissen, und von ihrem rechten Bein war ein großes Fleischstück weggerissen worden. Blut spritzte aus den Wunden in den Sand und wurde sofort von der Gischt verdünnt.
Bob und sein Partner erkannten die Lage sofort und reagierten innerhalb von Sekunden. Das menschliche Mitglied des Teams umfaßte das verletzte Bein dicht oberhalb des Knies, preßte seine Handfläche auf die stärkste Blutung und befahl seinem Partner: „Scher dich hinein und verdiene dein Brot! Ich halte die Wunde so lange verschlossen, bis ich sicher bin, daß du drin bist, aber zwicke mich in die Hand oder so etwas, zehn Sekunden, bevor du mich völlig verläßt.“
Der Jäger wollte im ersten Moment widersprechen, da er sich vor allem für Bob verantwortlich fühlte und der ebenfalls verletzt war, doch er begann sofort, von Bob in den Körper des Mädchens überzuwechseln, da er Bobs Antwort zu kennen glaubte. Und er hatte recht.
„Nun mach schon! Keiner dieser Kratzer wird mich verbluten lassen, auch wenn die Gerinnungsfähigkeit meines Blutes nicht ganz in Ordnung sein sollte, und Maeta ist innerhalb von fünf Minuten tot, wenn du dich nicht sofort um sie kümmerst. Ich kann all diese Blutungen nicht stoppen, dazu habe ich nicht genug Hände. Ich nehme an, daß du dich bereits um die Bakterien gekümmert hast, die in meinen Körper eingedrungen sind, und wenn nicht, kannst du später zurückkommen und es nachholen.
Und verschwende gefälligst keine Zeit, nur durch meine Hand zu gehen — ich weiß, wie du aussiehst; du kannst mich also nicht mehr schockieren. Beeil dich!“
Der Jäger gehorchte, und innerhalb einer halben Minute hatte er die schlimmsten Blutungen des Mädchens gestillt. Es dauerte weitere vier oder fünf Minuten, um seine ganze Substanz in den Körper Maetas zu transferieren, vor allem, weil es ihm schwerfiel, sich von den Körperregionen Bobs zu lösen, in denen es Verletzungen gab. Es kostete ihn eine erhebliche Anstrengung, bis Intelligenz über Gewohnheit siegte; auf eine gewisse Weise war er von Bob ebenfalls abhängig.
Er war erleichtert, wenn auch nicht sehr erstaunt, als er feststellte, daß Maeta keine Knochen gebrochen hatte, doch waren bei dem Aufprall mehrere Korallenstücke abgebrochen und tief in die Muskeln ihrer verletzten Beine eingedrungen. Ihre Bewußtlosigkeit war allein auf den Blutverlust zurückzuführen, und er mußte sich schnellstens darum kümmern, die Schockwirkung abzubauen.
Was sie am dringlichsten brauchte, war Ersatz für verlorene Körpersubstanz: Nahrung. Der einfachste und schnellste Weg wäre natürlich gewesen, irgend etwas zu investieren und Aminosäuren in ihren Kreislauf abzugeben. Wenn ein toter Fisch oder eine Krabbe neben ihr gelegen hätte, würde er dieses Problem sofort gelöst haben. Aber es lag nichts neben ihr, und da die winzige Insel nach wie vor von Wind und Gischt gepeitscht wurde, würde es Bob sicher unmöglich sein, irgendeine Nahrung zu beschaffen, selbst wenn er von der Notwendigkeit gewußt hätte.
Bob machte sich im Moment mehr Sorge um den Jungen. Er untersuchte den reglos am Boden liegenden Körper so gründlich, wie es ihm unter den Umständen möglich war, stellte fest, daß zumindest keine der größeren Knochen gebrochen waren und streckte ihn ein wenig bequemer aus. Der Junge blutete aus mehreren unbedeutenden Kratzern und Abschürfungen, doch die Blutungen kamen bereits zum Stehen. Bobs Verletzungen bluteten noch immer, doch machte er sich keine Gedanken darüber.
Sein gebrochener Arm machte ihm nicht mehr Schwierigkeiten als vorher.
Während er überlegte, was er tun sollte, erstreckte sich der Schatten des Tanks über das ganze Atoll.
Selbst Bob, der an die Temperaturen von New England gewöhnt war, begann in seiner durchnäßten Kleidung zu frösteln und sah ein, daß er vor Anbruch der Nacht irgend etwas unternehmen mußte, damit die beiden Verletzten nicht an Unterkühlung starben. Das tropische Meer und die Luft des Pazifik sind nicht wirklich kalt, doch liegt ihre Temp eratur unter der des menschlichen Körpers und entzieht ihm die Wärme rascher, als er sie ersetzen kann.
Um die beiden Verletzten warm zu halten, fiel Bob nichts anderes ein, als ein großes Loch in den Sand zu graben. Er schaufelte mit den Händen ein Loch, das groß genug war, um sie alle drei aufzunehmen. Er zog Maeta und André hinein, legte sich zu ihnen und schaufelte Sand über sich und die beiden anderen. Der Sand war natürlich von der Gischt durchnäßt, aber wenn er von ihrer Körpertemperatur erwärmt worden war, blieb er warm.
Der Wärmeverlust der drei Körper wurde so weit gedämpft, daß ihr Stoffwechsel — der des Jägers war zu gering, um zu zählen — damit fertig werden konnte.
Der Jäger nutzte die Gelegenheit, um ein Pseudopod in Bobs Ohr zu schicken und ihm zu sagen, daß Maeta dringend Nahrung brauche. Es war ein etwas riskantes Unternehmen, doch hätte er die geringfügige Substanz verschmerzen können, falls Bob sich zur unrechten Zeit bewegt hätte. Wahrscheinlich hätte er sie sogar wiederbeschaffen kö nnen.
Mit sehr viel weniger Risiko untersuchte er den bewußtlosen André und stellte fest, daß sich kein Symbiont im Körper des Jungen befand; André war von Natur aus so dick. Außerdem stellte der Jäger ein gebrochenes Schlüsselbein fest, das Bob übersehen hatte, doch für diese Verletzung konnte auch der Jäger nichts tun. Es ging weit über seine Kräfte, Knochen in die richtige Lage zu bringen.
Während der Nacht erwachte der Junge aus seiner Bewußtlosigkeit. Seine Selbstbeherrschung war inzwischen verlorengegangen; er weinte laut und fast ununterbrochen, teils vor Schmerzen, teils aus Angst. Zum erstenmal seit dem Feuer-Zwischenfall, den Jenny als Lektion gedacht hatte, erkannte er, daß ihm etwas wirklich Ernsthaftes geschehen konnte, etwas Schlimmeres als ein kleiner Schmerz, den ihm eins der ›grünen Dinger‹ nehmen konnte. Bob, der wegen seiner eigenen Schmerzen hellwach war, hatte Mitleid mit André, hoffte jedoch gleichzeitig, daß dieses Erlebnis ihm eine Lehre sein würde.
Die Nacht wurde selbst dem Jäger sehr lang. Er brauchte mehrere Stunden, um die Korallenfragmente aus Maetas Fleisch zu pressen, ohne noch größere Schäden anzurichten. Er konnte nichts tun, um die Neubildung von Blut oder Körpergewebe zu beschleunigen, bevor keine Nahrung aufgetrieben worden war, doch er hielt das zerfetzte Fleisch in der richtigen Lage, so daß der Heilprozeß nicht zu größerer Narbenbildung führte. Solange das Mädchen bewußtlos war, brauchte er sich nicht um Schmerzen zu kümmern, und nach dem großen Blutverlust würde sie noch mehrere Stunden bewußtlos bleiben. Falls sie jedoch früher erwachen sollte, war der Alien bereit, sofort die nötigen Maßnahmen zu ergreifen.
Er hatte allen Grund, mit sich zufrieden zu sein.
Ohne ihn wäre sie durch den Blutverlust innerhalb von Minuten gestorben; und wenn nicht, dann nach einer oder zwei Stunden am Schock. Wenn er einige Tage bei ihr bleiben könnte, würden nicht einmal Narben zurückbleiben, was das Mädchen sicher zu schä tzen wissen würde, und auch sein Gastgeber würde ihm dafür, wie er zu wissen glaubte, sicher sehr dankbar sein.
Er begann, sich wieder Sorgen um Bob zu machen, in dessen unverschlossene Wunden sicher eine Menge Infektionserreger eingedrungen waren.
Der Jäger hatte zwar die meisten Organismen, die Bob gleich zu Beginn aufgefangen ha tte, beseitigt, doch die Erfahrungen der letzten Zeit hatte ihm gezeigt, daß es nicht lange dauerte, bis Bob wieder in ernster Gefahr wäre. Der Jäger hoffte, nicht zwischen Bob und Maeta entscheiden zu müssen. Es gab natürlich für ihn keinerlei Zweifel, wo seine Verantwortlichkeit lag, doch wenn er Bob rettete und das Mädchen sterben ließ, würde der ihm das Leben in nächster Zeit sicher sehr unerfreulich machen.
Der Wind war bei Sonnenaufgang erheblich abgeflaut, und eine Stunde später wurden sie nicht mehr von der Gischt der Brecher durchnäßt. Bob scha ufelte die Sandabdeckung zur Seite, damit die Sonne sie wärmen konnte, sah nach seinen Kratzern, ohne dem Jäger etwas davon zu sagen, und beugte sich dann über André. Der Junge war eine ganze Weile ruhig gewesen, und Bob und der Jäger hofften, daß er schliefe, doch er antwortete sofort, als Bob ihn fragte, wie er sich fühle.
„Scheußlich“, sagte er. „Meine Schulter tut mir weh, mir ist kalt, und ich habe Hunger.“
„Wahrscheinlich wird dir sehr viel wärmer werden, wenn die Sonne höher steigt. Es gibt keinen Schatten hier. Wir sollten ein paar Krabben oder Muscheln finden. Ich weiß nicht, was ich wegen deiner Schulter tun kann — laß mich doch mal sehen.“
Der Junge richtete sich auf und zuckte zusammen, als Bob seine Schulter berührte. „Hör auf. Das tut weh.“
„Okay“, sagte Bob. „Ich bin ohnehin kein Arzt, und du gibst mir auch keine Gelegenheit, dich etwas abzutasten, aber wir sollten sicherheitshalber von der Annahme ausgehen, daß etwas gebrochen ist, und du darfst dich möglichst nicht bewegen.“
Der Jäger hatte Bob nicht von dem gebrochenen Schlüsselbein unterrichtet. „Schmerzt es, wenn du den Arm bewegst?“
„Ja. Sehr sogar.“
„Dann werde ich mein Hemd ausziehen und dir daraus eine Schlinge machen, damit der Arm ruhiggestellt wird. Du mußt dich entscheiden, ob du lieber einen kurzen Schmerz ertragen willst, wenn ich dir die Schlinge anlege, damit er nachher erträglicher wird, oder nicht. Ich habe keine Zeit, lange mit dir zu diskutieren.“
„Laß mich in Ruhe. Warum kann dein grünes Ding mir nicht helfen?“
„Er ist mit Maeta beschäftigt, die ihn sehr viel nötiger braucht als du.“ Der Junge blickte Maeta zum erstenmal gründlich an, wurde sichtbar bleich und schwieg mehrere Sekunden lang. Dann blickte er auf seine Schulter, die inzwischen von einer blauschwarzen Schwellung bedeckt war. Er schien etwas sagen zu wollen, blickte dann wieder auf Maetas aufgerissenen Rücken und ihr zerfleischtes Bein und ging den Strand entlang.
„Suche ein paar Krabben!“ rief Bob ihm nach. Er bekam keine Antwort.
„Ich werde selbst etwas für dich und Maeta finden, Jäger“, sagte Bob und verdrängte André als minderes Problem aus seinen Gedanken. „Warte ein paar Minuten. Ich finde bestimmt etwas; du bist ja nicht besonders wählerisch. Ich muß schnell machen; diese Schnitte tun jetzt gemein weh; vielleicht muß ich nachher eine Weile sehr still sitzen, damit du an uns beiden arbeiten kannst, falls du es kannst.“
Der Jäger konnte nicht antworten. Er dachte sehr intensiv nach, als er Bob durch das improvisierte Auge, das er geformt hatte, nachblickte. Er folgte dem Jungen, stellte er fest, und überlegte, daß es vielleicht besser gewesen wäre, wenn er in die andere Richtung gegangen wäre; doch es gab hier keine andere Richtung; sie befanden sich am Ende der winzigen Insel, direkt hinter der Passage durch das Riff. Die zwei- oder dreihundert Yards Sand im Nordwesten, die etwas weiter, auf das Riff zu, unter Korallen verschwanden, bildeten die ganze Insel. Es lagen noch weitere winzige Inseln in dem Atoll, und der Kultur-Tank nahm den größten Teil der winzigen Lagune ein; doch das Boot war nirgends zu entdecken. Zwei von ihnen waren nicht in der Lage, zu schwimmen, und auch Bob konnte in seinem derzeitigen Zustand das Risiko nicht auf sich nehmen. Auch er würde nach einigen Stunden nicht mehr in der Lage sein, sich über Wasser zu halten.
Der Jäger beschloß, ein wenig von Maetas Blut zu verschwenden, damit es über ihren Wunden gerinnen und sie schließen konnte.
Bob war knapp zwei Minuten später wieder zurück und brachte einen großen Fisch mit, den der Sturm anscheinend über das Riff an den Strand geworfen hatte. Er sah sehr unappetitlich aus, war für den Jäger jedoch durchaus verwendungsfähig.
Bob setzte sich neben das noch immer bewußtlose Mädchen; der Jäger streckte ein Pseudopod durch ihre Haut, umgab damit den Fisch und begann, Aminosäuren und Kohlenstoffe aus dem Gewebe zu ziehen. Der Fisch wog zehn oder zwölf Pfund, und das reichte für den unmittelbaren Bedarf. Der Jäger hatte sich völlig auf seinen Job konzentriert, ohne dabei jedoch auch die beiden anderen Me nschen zu vergessen.
Bob fand genügend zu essen, um sich und den Jungen zu sättigen, obwohl er Krabben eigentlich nicht mochte; doch als der Tag fortschritt, erhob sich ein weitaus ernsteres Problem: Wasser.
Es gab auf der winzigen Insel weder eine Quelle noch einen Bach. Die wenigen Regenwasserlachen waren von der Gischt mit Seewasser versetzt worden und wurden ohnehin von der Sonne rasch ausgetrocknet. Bob fand es unter seiner Würde, über Durst zu klagen, das Kind kannte diese Hemmungen jedoch nicht, und sein Jammern wechselte mit ständigen Fragen, wann man sie retten würde.
Bob war da recht optimistisch. „Sie wissen, daß wir mit Maetas Boot unterwegs waren, oder sie haben es herausgefunden, spätestens, als wir nicht zum Abendessen nach Hause kamen. Sie können sich ausrechnen, in welche Richtung uns der Wind geweht hat. Die Catalina war in Tahiti, aber sie haben sie bestimmt heute morgen zurückbeordert, und diese Insel ist die erste, auf der sie nach uns suchen werden. Wenn du zur Abwechslung etwas Nützliches tun willst, male ein großes SOS am Strand — so groß, wie es dir zwischen Korallen und Lagune möglich ist. Da es hier nichts gibt, das uns verbergen könnte, werden sie uns ohnehin leicht erkennen können, aber so würde ihnen die Insel aus einer noch größeren Entfernung auffallen.“
Der Jäger glaubte Bob aufs Wort, da seine Feststellung logisch klang, und machte sich keine Sorgen mehr um Wasser, so weit es Bob und den Jungen betraf; die würden einen oder zwei Tage durchhalten. Maeta jedoch konnte das nicht; sie hatte zuviel Blut verloren. Gegen Mittag kam sie wieder zu sich, und der Symbiont erklärte ihr die Situation, indem er die Worte in ihr Mittelohr vibrierte, wie er es auch bei Bob tat. Sie blieb erstaunlich ruhig, doch ihre ersten Worte waren eine Bitte um Wasser. Der Jäger mußte zugeben, daß es keines gab.
„Bist du sicher, daß du nichts unternehmen kannst?“ fragte sie. „Ich will nicht jammern wie ein kleines Kind, aber ich kenne alle deine Fähigkeiten noch nicht. Ich weiß, daß du alles mögliche mit der Biochemie eines Menschen anstellen kannst, und frage mich deswegen, ob es dir nicht möglich ist, das Salz aus dem Seewasser herauszudestillieren, nachdem ich es getrunken habe, oder es herausfiltern kannst, bevor man es trinkt. Oder vielleicht braucht man nur einen Arm oder ein Bein ins Wasser zu legen, und du kannst das Wasser durch die Haut hereinbringen und das Salz draußen lassen.“
Der Jäger gab zu, daß ihm das vielleicht möglich sein würde; auf seinem Planeten gab es Organismen, die Entsalzungsorgane besaßen, aber er wußte nicht genau, wie diese Organe funktionierten.
„Auf jeden Fall wird es recht schwierig sein“, sagte der Jäger. „Es ist ein Jammer, daß gerade du, die du das Wasser wegen deines Blutverlusts am nötigsten brauchst, eine so geringe Nahrungsreserve besitzt. Ich habe dir zwar den größten Teil des Fisches gefüttert, den Bob gebracht hat, aber die meisten der Nährstoffe sind bereits verbraucht worden, um deinen Organismus zu reparieren und zerstörtes Gewebe zu ersetzen. Ich bin nicht sicher, ob ich diesen Entsalzungstrick durchführen kann, da ich so etwas noch nie getan habe, aber ich will es versuchen. Bitte Bob, dich zum Wasser zu tragen.“
„Selbst wenn es dir nicht gelingen sollte, ist es schon eine Hilfe, im Wasser zu liegen“, sagte sie.
„Ich habe vor Jahren einmal auf einer der RiffInseln vor Ell gearbeitet, und die Leute, die mich dort abholen sollten, hatten sich verspätet; ich hatte großen Durst und fühlte mich sofort erheblich besser, als ich mich ins Uferwasser legte. Vielleicht dringt Wasser auch durch die Poren in den Organismus eines Menschen ein.“
Der Jäger versicherte ihr, daß das nicht möglich sei, daß Wasser normalerweise, den Gesetzen der Osmose folgend, eher in umgekehrter Richtung floß. Zu seiner Überraschung wußte sie, wovon er sprach und gab zu, daß er recht hatte — theoretisch zumindest.
„Aber dann hätte das Durstgefühl an jenem Tag noch stärker werden müssen und ich hätte mich nicht besser gefühlt“, wandte sie ein. Der Jäger, der bereit war, jedes sich bietende Diskussionsthema zu benutzen, um das Mädchen von seinem berechtigten Durstgefühl abzulenke n, erklärte ihr, daß die menschliche Spezies anscheinend durch Suggestion und Autosuggestion stark beeinflußbar sei. Sie antwortete nicht darauf; Bob war zu ihnen getreten, und sie übermittelte ihm die Bitte des Jägers, sie zum Rand des Wassers zu tragen. Bob kannte natürlich die Funktion der Osmose ebenfalls und zweifelte an der Weisheit ihres Vorhabens, beschloß jedoch, sich nicht mit dem Jäger darüber zu streiten. Das Wasser war glücklicherweise nur ein paar Schritte entfernt, und unter Mithilfe des Mädchens gelang es ihm, sie bis zu einer Stelle zu ziehen, wo ihre Beine von den flachen Wellen umspült wurden. Der Jäger streckte einen Teil seiner Substanz durch ihre Haut und versuchte, sich daran zu erinnern, was er über Entsalzungstechniken gelernt hatte.
Es war ein schwieriges Unternehmen. Seine chemischen Sinne reagierten hauptsächlich auf Großmoleküle, wie Proteine und Polysaccharide; diese konnte er durch eine Methode identifizieren und voneinander unterscheiden, die fast dem menschlichen Tastsinn entsprach. Ihm war intuitiv klar, warum viele von ihnen sich im menschlichen Organismus — oder dem jedes anderen lebenden Wesens — so verhielten, wie sie es taten, so wie die Funktion einer einfachen Spielzeugeisenbahn fast jedem Menschen auf einen Blick klar wird. Doch derselbe Mensch, der sich plötzlich und ohne gründliche Ausbildung der Aufgabe gegenübersähe, einen achtundzwanzig-Zylinder-Flugzeugmotor zu reparieren, würde sich etwa in der gleichen Lage befinden, in der sich der Jäger sah, als er versuchte, einen lebenden Organismus von einem Planeten aufrechtzuerhalten, den seine Leute noch nie zuvor besucht hatten.
Das Entsalzungsproblem sah etwas einfacher aus, führte jedoch in ein völlig anderes Feld. Es war etwa so, als ob man einem Mechaniker, der an Flugzeugmotoren ausgebildet worden war, die Aufgabe stellen würde, ein Fernsehgerät zu reparieren. Die Natrium- und Chlorid-Ionen und auch Magnesium und andere Salze des Meerwassers waren völlig anders strukturiert als Proteine — erheblich kleiner und mit zu uniformen elektrischen Ladungen, um von den meisten der Sinnes- und Manipulationskräften des Alien erfaßbar zu sein. Er wußte, daß alle lebenden Zellen durch die Art ihrer chemischen Struktur eine selektive Durchlässigkeit für die verschiedenen Substanzen aufwiesen. Er kannte auch einige der Methoden, durch die es erreicht wurde, doch bei weitem nicht alle; selbst für ihn war eine Körperzelle eine äußerst komplexe Konstruktion. Wenn man sich ein Wassermolekül in der Größe einer Erbse vorstellt, hätte ein rotes Blutkörperchen des Menschen einen Durchmesser von über einer halben Meile, und es weist eine solche Menge von Detail-Strukturen auf, daß großes Wissen und viel Erfahrung notwendig wären, wenn man den Versuch unternehmen wollte, es zu reparieren oder strukturell zu verändern.
Es gab viele Angehörige der Spezies des Jägers, für die die Konstruktion einer wirksamen Entsalzungsdrüse eine Kleinigkeit gewesen wäre, doch der erfahrene Detektiv gehörte nicht zu ihnen.
Er versuchte es immer wieder, doch seine gelegentlichen Fragen an Maeta, wie sie sich fühle, waren überflüssig. Er wußte, daß er nur verschwindend geringe Mengen deionisierten Wassers durch ihre Haut brachte.
Bob versorgte ihn und das Mädchen laufend mit Nahrung, und natürlich enthielt auch sie eine gewisse Flüssigkeitsmenge, die jedoch nicht ausreichte, um dem Mädchen das brennende Durstgefühl zu nehmen. Der Jäger konnte — und tat es auch — die Nerven blockieren, die die sonst unerträglichen Schmerzempfindungen von ihren Wunden zum Gehirn geleitet hätten, doch die Ursachen der Durstgefühle waren weitaus vielschichtiger und komplexer, so daß er nichts gegen sie unternehmen konnte.
Maeta beklagte sich nicht, doch hin und wieder entschlüpfte ihr eine Beme rkung, die den anderen sagte, wie sie sich fühlte. Sie machte weder dem Jäger noch jemand anders irgendwelche Vorwürfe, nur einmal erwähnte sie, daß es ihre Schuld sei, daß sie alle sich jetzt in dieser Lage befänden, da sie gegen jede Vernunft beschlossen habe, bei dem starken Wind hinauszufahren. Für den Detektiv stand jedoch fest, daß er die Schuld daran trug. Er wünschte, Maeta würde nicht so viel reden, mö glichst überhaupt nichts mehr sagen, doch brachte er es nicht übers Herz, sie darum zu bitten.
Glücklicherweise, wie sich bald darauf herausstellte. Es war eine ihrer Bemerkungen, die ihm den wichtigsten Mosaikstein des Puzzles lieferte. Die Bemerkung war für ihn recht schmerzhaft, so sehr, daß er es sich nicht versagen konnte, mit Maeta darüber zu diskutieren, erwies sich jedoch als überaus nützlich.
„Ich glaube, ich habe mich damals besser gefühlt, als ich meinen Durst auf diese Weise zu bekämpfen suchte“, sagte sie. „Wahrscheinlich klappt es diesmal nicht, weil ich so schwer verletzt bin. Bist du sicher, daß ich nicht verdursten werde?“
„Falls es nicht zwei oder drei Tage dauert, bis wir gefunden werden, bist du nicht in Gefahr“, versicherte ihr der Jäger. „Solange du genug Nahrung bekommst, könnte ich dich auf ewig mit dem Wasser versorgen, das du zum Überleben brauchst, wenn es auch nicht genüge nd wäre, um dir das Durstgefühl zu nehmen. Ich kriege auch etwas Wasser aus dem Meer durch deine Haut — auf jeden Fall mehr, als du ohne meine Hilfe aufnehmen würdest.“
„Das glaube ich nicht“, sagte sie langsam und etwas verschlafen. „Damals, als ich auf dieser kleinen Riff-Insel war, habe ich überhaupt keinen Durst verspürt; daran kann ich mich noch sehr genau erinnern.“ Der Jäger war ein wenig irritiert durch diese Bemerkung, weil sie ihn erkennen ließ, daß er bei der Durchführung einer Aufgabe, die die Menschen für einfach hielten, versagte. Dieses Gefühl klang auch in seiner Antwort durch.
„Vielleicht war das auf zusätzliche Reserven zurückzuführen, Maeta“, sagte er. „Aber ich denke, es ist nichts anderes, als die gewöhnliche, menschliche gute-alte-Zeit-Reaktion. Es gibt keine Mö glichkeit, daß Wasser — auch nicht Seewasser — durch deine Haut dringen könnte, die ja dazu da ist, um Flüssigkeit in deinem Körper festzuhalten. Und wenn Wasser eindringen könnte, würde es nicht gegen deinen Durst helfen.“
„Hat es aber, daran erinnere mich sehr genau.
Zweimal.“
„Aber damals warst du nicht verletzt, und du warst nur wenige Stunden ohne Wasser und wußtest, daß du bald wieder würdest trinken können.
Du hast dich sicher noch nie in einer Situation wie dieser befunden.“
„Ich war nicht verletzt, das ist richtig, und beim erstenmal war es nur fünf oder sechs Stunden her, seit ich meine Feldflasche geleert hatte, ohne zu bedenken, daß ich vielleicht länger auf der Insel bleiben müßte. Ich war in jener Zeit ein wenig leichtsinnig. Beim zweitenmal hatte ich innerhalb der ersten Stunde versehentlich meinen Wassereimer umgestoßen, und ich mußte ziemlich schwer arbeiten und war wirklich durstig, als ich bemerkte, daß der Eimer umgefallen war. Das Boot, das mich abholen sollte, kam erst nach Einbruch der Dunkelheit. Es war ein sehr langer Tag für mich. Aber ich habe mich ins Wässer der Lagune gelegt und keinen Durst bekommen.“
Ein Gedanke schoß durch das Bewußtsein des Jägers, und er war so verblüffend, daß er mehrere Sekunden schwieg, um sich über die Implikationen dieser Idee klarzuwerden.
Schließlich fragte er: „Wie lange liegt das zurück? Ist es während der letzten zwei Jahre geschehen oder erheblich früher, als du noch ein Kind warst?“
„Es ist noch nicht sehr lange her“, antwortete Maeta ohne Zögern. „In beiden Fällen habe ich einige Stücke für die Museum Exchange gesammelt — das ist eine Vereinigung, die einen weltweiten Austausch von Sammlerstücken vermi ttelt —, und mit der habe ich erst Verbindung aufgeno mmen, nachdem ich in der Bibliothek zu arbeiten begann. Bis dahin wußte ich nicht einmal, daß es sie gab.“
„Also liegt es weniger als drei Jahre zurück.“
„So ungefähr“, bestätigte sie.
Der Jäger beschloß, ihr keine Fragen über die Leichtsinnigkeit zu stellen, die sie zu der Zeit an den Tag gelegt hatte. Sie war eine sehr intelligente Frau, hatte er erkannt, und er wollte vermeiden, daß sie auf denselben Gedankengang verfiel, auf den er gestoßen war. Und er war noch nicht sicher, ob diese Idee richtig war. Er haßte es, voreilige Schlüsse zu ziehen — vor allem vor anderen.
Er wußte auch nicht, ob er sich über die Zeitverschwendung bei ihrer Suche nach dem Raumschiff ärgern oder ob er über die Erkenntnis erleichtert sein sollte, daß nun keine Notwendigkeit mehr bestand, weitere Nachrichten zu dem Schiff zu bringen.