So war die Situation, als der Jäger aus seiner Bewußtlosigkeit erwachte. Er brauchte eine Weile, um sich in der Wirklichkeit zurechtzufinden, obwohl er sich genau daran erinnerte, was beim Schiff geschehen war. Offensichtlich war es von der Suchexpedition entdeckt und als das Schiff identifiziert worden, das der Kriminelle gestohlen hatte; daraufhin hatte man ihm eine Falle gelegt, für den Fall, daß er zurückkommen sollte. Der Alien erinnerte sich an Seevers Frage über normale Polizeiroutine und wäre rot angelaufen, wenn ihm das möglich gewesen wäre. Das paralysierende Mittel, das seine Leute benutzt hatten, war ihm natürlich wohl bekannt, und wenn er einigermaßen wachsam gewesen wäre, hätte ihm das nicht passieren kö nnen.
Er bemerkte das Gefäß, in dem er sich befand, und die Hand seines Gastgebers, die in seiner Substanz ruhte. Das war es wahrscheinlich, was ihn aufgeweckt hatte. Normalerweise hätte das Mittel ihn für mehrere Monate bewußtlos gehalten, denn er hatte es absorbiert, während er vom Körper seines Gastgebers getrennt gewesen war; und seine vier Pfund Gewebe wurden schon von einer geringen Menge des Mittels gelähmt. Da es so zusammengestellt war, um von Geweben, die denen seiner üblichen Gastgeber-Spezies ähnlich waren, rasch absorbiert zu werden, und da Bob etwa fünfunddreißig- bis vierzigmal so viel Körpermasse besaß wie sein Symbiont, war inzwischen so viel davon in Bobs Körper eingedrungen, daß kaum noch etwas in der Substanz des Jägers zurückgeblieben war. Es schien ihm also sicher, in Bobs Körper zurückzukehren, da die Konzentration des Mittels jetzt erheblich geringer war.
Ohne sich die Zeit zu nehmen, ein Auge zu formen, um seine Umgebung betrachten zu können, begann der Jäger, durch die Poren von Bobs Hand in dessen Körper einzudringen und seine vier Pfund Körpermasse dort wie gewohnt zu verteilen. Er hatte diesen Vorgang etwa zu einem Viertel hinter sich gebracht, als er Arthur Kinnairds Stimme hörte.
„Ben! Sieh doch! Der Spiegel im Gefäß des Jägers hat sich gesenkt. Er muß wach sein!“
Der Alien bildete ein fingerförmiges Pseudopod und winkte damit aus dem Gefäß, als Zeichen, daß er verstanden habe. Sofort meldete sich der Arzt.
„Jäger, mach dich sofort an die Arbeit! Bob hat sich eine gefährliche Infektion zugezogen, gegen die meine Medikamente unwirksam zu sein scheinen, und er braucht dich. Wir werden dich später fragen, was mit ihm los ist. Zuerst die Arbeit.“
Der Jäger winkte wieder. Er hatte bereits festgestellt, was bei Bob nicht in Ordnung war, und begonnen, die Schäden zu beheben.
Es wurde ein schweres Stück Arbeit. Die Vertilgung der eingedrungenen Organismen, die die Infektion verursacht hatten, war eine Routineangelegenheit, die er nach wenigen Minuten bewältigt hatte; doch die Toxine, die sie produziert hatten, ließen sich nur schwer neutralisieren, und die Gewebe des Arms, in das sie eingedrungen waren, waren zum großen Teil zerstört. Der gebrochene Knochen war nicht dafür verantwortlich, weder der Jäger noch Dr. Seever hatten da eine Fehldiagnose gestellt. Ein winziger Holzsplitter war dicht außerhalb des Gipsverbandes in Bobs linke Hand eingedrungen. Das mußte geschehen sein, nachdem der Jäger ihn verlassen hatte; Bob hatte es wahrscheinlich nicht einmal gemerkt, doch dem Alien wäre es bestimmt nicht entgangen. Da Bobs natürliche Abwehrkräfte gegen Infektionen längst versagt hatten, wurde Bob während der Abwesenheit seines Symbionten zu einer wandelnden Bakterienkultur. Der Jäger hatte nicht geglaubt, daß die Widerstandskraft seines Gastgebers so vollkommen zusamme ngebrochen war, doch die Tatsachen sprachen für sich. Nicht zum erstenmal wünschte er, sich gründlicher mit Biochemie befaßt zu haben. Aber jetzt bestand die Hoffnung, daß sie bald Kontakt mit dem Suchteam finden würden, und seine Leute hatten sicher ein paar Spezialisten auf diesem Gebiet bei sich.
Aber er mußte weitermachen. Er konnte das zerstörte Gewebe des Arms entfernen und erwarten, daß es im Lauf eines normalen Heilprozesses ersetzt werden würde, auch wenn das einige Zeit dauern mochte. Wirkliche Sorge bereitete ihm Bobs Gehirn. Eine Anzahl der Bakterien und ein Quantum des von ihnen produzierten Toxins mußten durch den Blutkreislauf auch in dieses Organ getragen worden sein, und man durfte es nicht als gegeben nehmen, daß nichts davon aus den Blutgefäßen in die Hirnmasse eingedrungen war.
Der Jäger hatte immer eine gewisse Scheu davor gehabt, in das Nervengewebe selbst vorzudringen, obwohl er ständig ein Netz des eigenen Gewebes in den Kapillaren unterhielt. Die Gehirnzellen waren für ihn tabu gewesen, weil er Angst gehabt hatte, dort einen nicht wieder gutzumachenden Schaden anzurichten, der durch den Umstand zustande kommen konnte, daß die Biochemie des menschlichen Körpers sich wesentlich von der jener Humanoiden unterschied, mit denen er normalerweise zusammenlebte. Jetzt aber erforderten die Umstände, so ein Risiko einzugehen; doch er arbeitete äußerst langsam und sehr, sehr vorsichtig.
Es war eine Situation, die er später weder seinem Gastgeber noch Seever, der sich natürlich brennend dafür interessierte, genau schildern konnte. Der Jäger verfügte über die Fähigkeit, Gewebestrukturen bis zum Niveau der Großmoleküle ertasten zu können. Gleichzeitig wurden ihm auch die Trillionen von Zellen eines lebenden Organismus bewußt, und er konnte mit jeder von ihnen gleichzeitig mit derselben Konzentration arbeiten, die ein Uhrmacher einem einzigen Stück zuwenden mochte. Als er einmal versucht hatte, dies einem menschlichen Wesen zu schildern, schien darin für seinen Zuhörer jedoch ein Kontrast zu liegen; der Mensch begann, ihn als Bestandteil einer Rasse zu sehen und nicht als Individuum. Das hatte den Jäger sehr verstört, da er sich nur als Individuum sah.
Manchmal, wenn er sich Problemen gegenüberfand, die seine Fähigkeiten überstiegen, wünschte er, daß wirklich mehr von seiner Art hier wären.
Dieses Problem konnte er jedoch vorerst lösen.
Nur wenige Bakterien waren bis zu Bobs Gehirnzellen vorgedrunge n, und der Alien konnte sie vernichten, ohne daß in der Nähe gelegene Zellen in Mitleidenschaft gezogen wurden. Ihm war bekannt, daß Gehirnzellen nicht repariert oder ersetzt werden konnten; das traf auf alle humanoiden Spezies zu, die er kannte, und wurde von den Wissenschaftlern seiner eigenen Spezies als evolutionäres Nebenprodukt von Überspezialisierung der Gehirnzellen betrachtet. Doch war das Gehirn ein Organ mit einer gewaltigen Überkapazität an Zellen, und obwohl Bob Tag für Tag mehrere tausend von ihnen verlor, würde es viele, viele Jahre dauern, bis die kumulative Wirkung ernst werden konnte.
Und dies war wirklich nicht der richtige Moment, sich um Dinge zu sorgen, die noch weit in der Zukunft lagen.
Am folgenden Montag war Bob bei Bewußtsein und bis auf den Arm wieder in Ordnung. Er befand sich noch immer in den Krankenräumen von Seevers Haus — Mrs. Seever bemerkte, daß sie mit den beiden Patienten zum erstenmal das Gefühl habe, in einem Krankenhaus zu sein —, und nach dem Dinner versammelte sich die ganze Gruppe, um die letzten Ereignisse zu besprechen. Selbst Bobs Eltern waren immer dabei; Daphne war für diese Nacht bei einer Freundin untergebracht worden.
Der Jäger gab einen ausführlichen Bericht darüber, was ihm passiert war, unterstrich die offenkundige Tatsache, daß seine Leute irgendwo in der Nähe sein mußten, und erwähnte so wenig wie möglich von seinem Mangel an Wachsamkeit, der zu diesem Zwischenfall geführt hatte. Die anderen berichteten ihm von der Nachricht, die sie beim Schiff hinterlassen hatten, und ihrem Inhalt, und der Jäger drückte seine Anerkennung aus. Er stimmte mit der Ansicht des Arztes überein, daß sein Eindringen in das Schiff gleichzeitig mit dem paralysierenden Mittel wahrscheinlich auch ein Signal ausgelöst hatte und das Team, das sich auf der Erde befand, zweifellos wissen würde, daß jemand das Schiff aufgesucht hatte. Was sie davon halten würden, wenn sie das Einlaßventil geöffnet, doch keinen Gefangenen vorfanden, konnte er nur raten. Wenn sie gleichzeitig auch die Nachricht fanden, war natürlich alles in Ordnung, doch der Jäger schloß sich Bobs pessimistischer Ansicht an, daß sie wahrscheinlich auf das Signal reagiert hatten, bevor die Flasche auf dem Schiff hinterlegt worden war. Es wäre weniger überraschend gewesen, wenn sie bereits erschienen wären, bevor das Rohr mit seiner bewußtlosen Substanz wieder hinaufgezogen worden war.
„Sie sind in der Lage, innerhalb einer Stunde jeden beliebigen Punkt der Erde zu erreichen und brauchten nicht bis zum Einbruch der Nacht warten, um das Schiff zu überprüfen“, versicherte der Jäger seinen menschlichen Freunden.
„Dann sollten wir so bald wie möglich zurückgehen“, sagte Maeta sofort. „Wir — oder der Jäger — sollten feststellen, ob die Flasche gefunden und die Nachricht gelesen wurde, vor allem aber werden wir eine zweite und viel ausführlichere Nachricht in der Sprache des Jägers hinterlassen, mit genauen Anweisungen, wo er zu finden ist, und wie sie Bob erkennen können. Das hast du in deiner Nachricht sicher nicht erwähnt, Bob.“
„Nein. Daran habe ich nicht gedacht. Mir war es wichtiger, die Tatsachen aufzulisten. Wenn sie sie gelesen haben, wissen sie zumindest, daß der andere tot ist und es nicht mehr nötig ist, Fallen für ihn aufzustellen.“
„Sie werden lesen, daß der andere tot ist“, sagte Seever, „aber ob sie es glauben werden?“
„Aus diesem Grund soll der Jäger die Nachricht ergänzen“, erklärte Maeta. „Er sollte in der Lage sein, sich einwandfrei auszuweisen — durch seine Dienstnummer oder so etwas.“
„Aber ich habe die Nachricht mit meinem Namen unterzeichnet“, sagte Bob, „also sollten sie doch imstande sein, mich zu finden.“
„Warum?“ konterte Maeta. „Wir können es nicht als gegeben annehmen, daß sie Ell und seine Bevölkerung kennen.“
„Und warum nicht? Sie müssen die Insel recht genau untersucht haben, als sie hier eintrafen.
Wahrscheinlich hätten sie uns schon damals gefunden, aber der Jäger und ich waren nicht hier.“
„Aber wieso sollten sie die Menschen beim Namen kennen?“ widersprach Maeta. „Ich nehme an, daß sie sich menschliche Gastgeber gesucht haben, genau wie der Jäger. Aber vielleicht haben sie nicht in Kommunikation mit ihnen gestanden, mit ihnen gesprochen und ihre Hilfe gesucht, wie es der Jäger bei dir getan hat?“
„Mit Sicherheit nicht“, antwortete der Jäger.
„Wenn es nicht durch eine ganz besondere Situation erforderlich wird, wie es bei mir damals der Fall war, verstößt es gegen alle unsere Prinzipien und Vorschriften. Ich habe es getan, weil ich damals überzeugt war, daß auch nicht die geringste Chance bestand, Hilfe von zu Hause zu erhalten und der Kriminelle eine Gefahr für die Menschen darstellte.“
„Richtig“, nickte Maeta. „Und die Leute, die jetzt hier sein mögen, haben in all den Jahren bestimmt Wichtigeres zu tun gehabt, als sich um die Menschen auf dieser Insel zu kümmern. Wenn dem so wäre, müßten wir dann nicht mehr Menschen in Bobs Lage haben? Jäger-Abhängige, wenn du diesen Ausdruck entschuldigst?“
„Sehr unwahrscheinlich“, antwortete der Alien.
„Die Gruppe hätte Spezialisten mitgebracht, um solche Zwischenfälle zu verhindern. Aus diesem Grund versuchen wir doch, mit ihnen in Verbindung zu kommen, wenn du dich daran noch erinnern kannst.“
„Trotzdem aber solltest du Bobs Nachricht noch etwas Persönliches hinzufügen.“
„Er ist einverstanden“, übermittelte Bob. „Er sagt, ihr sollt noch eine Flasche besorgen — eine ganz kleine reicht vollkommen — und etwas, womit man Glas schneiden kann. Haben Sie einen Karborundum-Stift, Doktor, oder einen kleinen Diama nten?“
„Ich kann einen Schreiber besorgen“, sagte Bobs Vater.
„Er braucht nicht den ganzen Stift, nur die Carbo-Spitze. Er will auf die Innenfläche der Flasche schreiben und könnte den Stift darin sicher nicht bewegen, selbst wenn er ihn durch den Flasche nhals brächte. Einen Korken und Sandballast braucht er nicht. Er sagt, daß er die Flasche einfach am Hals der anderen befestigen und etwas tun wird, das bestimmt die Aufmerksamkeit seiner Leute hervorruft.“
„Dann können wir also wirklich damit rechnen, mit jemand in Verbindung zu kommen, der Bob heilen kann?“ Es war seine Mutter, die das sagte, und ihre Stimme zitterte ein wenig. „Es war sicher recht aufregend für alle, die diese Sache als intellektuelles Problem auffassen können, aber das war mir leider nicht möglich.“
Bob begnügte sich damit, die Frage seiner Mutter zu bejahen, doch die Ehrlichkeit des Jägers zwang ihn, noch etwas hinzuzufügen.
„Falls nur Polizeibeamte, wie ich es bin, auf die Erde gekommen sind, kann es ein wenig länger dauern. Vielleicht müssen wir auf ein Schiff warten, zurückfliegen und die Spezialisten herbringen, die Bob braucht.“
„Davon wollte ich nicht sprechen“, murmelte Bob unhörbar. „Warum soll sie sich noch mehr Sorgen machen, als sie jetzt schon hat?“
„Sei doch nicht so kurzsichtig egoistisch“, wies ihn sein Symbiont zurecht. „Falls die kommenden Entwicklungen sie enttäuschen sollten, wirst du kaum in der Lage sein, ihr etwas abzunehmen; außerdem hat sie ein Recht darauf, die Wahrheit zu erfahren.“
Widerwillig vermittelte Bob den Zusatz des Jägers. Seine Mutter seufzte tief und schüttelte den Kopf. Dann blickte sie ihren Sohn an und sagte:
„Danke, Jäger.“ Bob hob die Brauen. „Und natürlich auch dir, mein Sohn.“
Das beendete die Diskussion. Bob war müde, und seine Eltern und Maeta brachen auf.
„Wann brauchst du den Glasschneider, Jäger?“
fragte Arthur Kinnaird, als sie die Tür erreicht hatten. „Noch heute nacht? Ich könnte sofort einen besorgen.“
„Nein“, übermittelte Bob die Antwort des Jägers.
„Er muß mich verlassen, um seine Nachricht zu schreiben, und das will er keinesfalls vor morgen Abend tun. Ihr könnt also noch einen Tag wie gewohnt verbringen. Er wird die Nachricht morgen Abend schreiben, wenn mit mir alles in Ordnung ist, und am Mittwoch können wir sie dann zu dem Schiff bringen.“ Sein Vater nickte, und kurz darauf war Bob eingeschlafen.
Der Jäger verbrachte die Nacht wie immer und untersuchte ständig die Biochemie seines Gastgebers, um alles besser ins Gleichgewicht zu bringen.
Die Gelenkschmerzen hatten sich an diesem Tag nicht gemeldet, und der Alien fragte sich, ob die Infektionstoxine, die Ruhe, Seevers Antibiotika oder sogar die Abwesenheit des Symbionten dafür verantwortlich waren. Am Ende dieser Nacht verfiel er in seine gewohnte Stimmung von Depression und Frustration.
Bobs Arm sah am nächsten Tag erheblich besser aus, und auch seine anderen Verletzungen heilten gut. Die Stiche im Herzmuskel hatten sich völlig geschlossen; es war eine saubere Wunde gewesen, die Muskeln waren größtenteils auseinander gepreßt worden und kaum gerissen. Auf Gesicht und Ohr brauchte der Jäger kaum noch zu achten, obwohl Bob sich häufig über starken Juckreiz beklagte. Die Ursache dieser neuen Beschwerden blieben dem Dete ktiv verborgen, doch er gab sich auch nicht besondere Mühe, sie zu finden.
Arthur Kinnaird brachte die Carborundum-Spitze im Lauf des Nachmittags, und Seever holte eine kleine, dünnwandige Zweihunder-Milliliter-Flasche aus seinem Labor; während der Nacht verließ der Jäger Bob für ein paar Stunden, um seine Nachricht in die Innenseite der Flasche zu ritzen. Es war mehr Arbeit, als er erwartet hatte. Die Spitze war hart und scharf genug, doch mußte er einen erheblichen Druck aufwenden. Er bedeckte etwa ein Viertel der Innenfläche der Flasche mit einer Schrift, die ein Mensch nur durch ein Mikroskop hätte erke nnen können.
Er versuchte, alle Date n und Informationen anzuführen, die den Leser der Nachricht von seiner Identität überzeugen konnten — da sie offensichtlich noch immer mit der Möglichkeit rechneten, daß auch der Kriminelle sich in dieser Region aufhielt —, und auch Angaben, die es ihnen ermöglichen sollten, zumi ndest ein menschliches Mitglied seiner Gruppe zu identifizieren. Er beschrieb auch die Schwierigkeiten seines Gastgebers und machte nicht den Versuch, sein eigenes Versagen bei der Lösung dieses Problems zu beschönigen. Er hatte seine Worte sorgfältig gewählt und kehrte trotz der unerwarteten Schwierigkeit seiner Aufgabe nach drei Stunden in seinen Gastgeber zurück.
Bob hatte nur geringe Beschwerden, als er sich am nächsten Morgen erhob. Der Wind war am vergangenen Tag ziemlich stark gewesen, was alle Beteiligten in Unruhe versetzte, und er bestand darauf, Maeta nach North Beach zu begleiten. Sie waren allein; falls es möglich sein sollte, hinauszufahren, würde Maeta mit dem Rad zurückfahren und Bobs Mutter und Mrs. Seever holen.
Die Sonne stand schon hoch am Himmel, als sie North Beach erreichten, da Bob lange geschlafen hatte. Als sie das Ausleger-Boot erreichten, erhob sich ein kleiner Junge, der neben ihm gesessen hatte, und blickte ihnen entgegen.
Wieder fiel dem Jäger auf, wie dick André war, eine Seltenheit bei den Kindern auf Ell. Sie waren in der Regel überaus aktiv, und Daphne, erinnerte er sich, war stolz darauf, daß man bei ihr die Rippen zählen konnte. Aber noch mehr beschäftigte ihn und die beiden Menschen die Überlegung, was er mit dem Boot angestellt haben mochte, bevor sie eingetroffen waren. Maeta begrüßte den Jungen trotzdem mit der gewohnten Freundlichkeit. Vielleicht hatte sie die Absicht, ihn zu fragen, was er hier mache, doch er ließ ihr keine Zeit dazu.
„Kann ich mit euch hinausfahren?“ fragte er sofort.
„Warum?“ erwiderte Bob.
„Ich will sehen, was ihr draußen macht. Ihr habt den Metallsucher der Tavakés. Ich wollte ihn schon immer mal ausprobieren, aber sie haben mich nie gelassen, und ich frage mich, was für Metall ihr außerhalb des Riffs sucht. Niemand läßt da draußen Werkzeuge ins Wasser fallen, und wenn, wäre es nicht der Mühe wert, sie zu suchen. Wollt ihr einen Schatz finden?“
„Nein.“ Bobs Ton war schärfer, als es unter Wa hrung der Höflichkeitsregeln zulässig war. „Warum kümmerst du dich darum, was Erwachsene tun?
Warum bist du nicht mit anderen Kindern zusammen?“
„Mit denen?“ Der Junge zuckte die Schultern.
„Die sind doch langweilig. Ich will lieber sehen, was ihr treibt.“
„Wir spannen keine Stolperdrähte oder spielen mit den Lenkstangen und Bremsen von Fahrrädern oder verstecken Glasscherben im Sand“, sagte Bob noch weniger taktvoll. Andrés Gesicht wurde noch ausdrucksloser als sonst, doch schien er zu erke nnen, daß dies alles andere als natürlich wirkte, und er setzte ein überraschtes Gesicht auf. Dann fiel ihm ein, daß diese Reaktion zu spät kam und zuckte wieder die Schultern.
„Okay. Dann eben nicht. Ich habe mir ohnehin gedacht, daß ihr mich nicht haben wollt. Die Kinder, mit denen ich eurer Meinung nach spielen sollte, wollen mich auch nicht. Dann muß ich eben etwas anderes machen.“ Er wandte sich ab.
Weder Bob noch der Jäger wußten, wie sie auf diese bittere und mitleiderregende Bemerkung reagieren sollten, doch Maeta antwortete sofort.
„André, ich verste he dich nicht. Wenn du wirklich das getan hast, was Bob eben erwähnt hat, mußt du dir doch denken können, daß die Me nschen dich nicht in ihrer Nähe haben wollen. Und du hast es getan, nicht wahr?“ Der Junge blickte sie fast eine Minute lang schweigend an.
„Natürlich habe ich es getan“, sagte er dann trotzig. „Und ihr wißt es sehr genau. Jenny hat mich reingelegt, als sie neulich mit mir sprach, und sie hat es euch erzählt.“
„Woher weißt du, daß sie es uns erzählt hat?“
„Ich habe es gehört. Als sie zu euch ins andere Zimmer ging, habe ich mich unter das offene Fenster geschlichen und gelauscht.“
Bob versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, was für eine Wirkung diese Enthüllung auf ihn hatte. „Was hast du gehört?“ fragte er.
„Eine Menge.“
Bob hatte bei seinem Gast-Detektiv keinen Unterricht genommen, doch er wußte auch so, daß es besser war, nicht nach Einzelheiten zu fragen.
„Hast du uns schon öfter belauscht?“
„Klar. Jede Menge.“
„Wann, zum Beispiel?“
„Bei Seevers Haus meistens. Und damals, als du und Jenny von Apu zurückgekommen seid, und sie und deine Schwester zur Bibliothek gegangen sind, um nach dem Ding zu fragen, das ihr gesucht habt.
Und dann auf der Pier, an dem Abend, als du aus den Staaten zurückgekommen bist.“
„Hast du versucht, meinen Blechkoffer aufzubrechen?“
„Nein. Ich habe an dem Tag etwas anderes versucht. Dein Vater hat eine Menge gesagt, als er sich an dem Koffer verletzte.“
„Sag mal, André“, wandte Maeta sich jetzt an den Jungen, „spionierst du allen Leuten nach, oder ist etwas an Bob und Jenny und mir, das dich besonders interessiert?“
„Ich lausche immer, wenn ich kann. Wenn es keinen Spaß macht, höre ich auf. Bei euch hat es eine Menge Spaß gemacht.“
„Das kann ich mir vorstellen“, sagte Bob bitter.
„Was macht bei uns denn so besonderen Spaß?“
„Die grünen Dinger.“ Das Gesicht des Kindes war noch immer ausdruckslos. „Die grünen Dinger, die dafür sorgen, daß du nicht verletzt werden kannst. Eins von ihnen hat deinen Vater davor bewahrt, verbrannt zu werden, als ich noch sehr klein war.“ Das, überlegte der Jäger, war eine interessante Interpretation dieses Ereignisses; er fragte sich, ob diese Formulierung von André stammte, oder von jemand anders. Zum erstenmal begann er sich zu überlegen, ob Seevers Verdacht, der Kriminelle sei damals doch nicht getötet worden, vielleicht nicht ganz grundlos war. André fuhr fort: „Ich wollte eins für meinen Vater haben, weil Mutter gestorben war. Und dann, als die anderen Kinder mich schlugen, wollte ich eins für mich.“
„Du hast also damals, vor vielen Jahren, geglaubt, daß es grüne Dinger gibt, die verhindern, daß Menschen verletzt werden können?“ Bob wollte ganz sicher gehen.
„Natürlich. Ich habe dich doch mit so einem grünen Ding in dem Feuer gesehen. Ich habe mich damals gefragt, wie du es bekommen hast, und habe eine ganze Zeit herauszufinden versucht, wer sie hat. Aber ich war mir niemals ganz sicher, bis vor ein paar Tagen, als ich eins teilweise aus deiner Hand kommen sah, während du am anderen Ende der Insel schliefst. Ich bin dann ein Stück mit dir gegangen und wollte dich fragen, aber ich dachte mir, daß du es mir nicht sagen würdest, und ich wollte sicher sein. Sie haben mir gesagt, daß du dich nicht verletzt hast, als du vor der Bibliothek vom Rad gefallen bist. Ich bin nicht dageblieben, weil ich nicht glaubte, daß es funktionieren würde.
Es war ohnehin nur ein Experiment. Auf eurer Zufahrt habe ich dann einen richtigen Versuch gemacht, und danach wußte ich Bescheid.“
„Das glaube ich gerne.“ Bob wußte im Moment nicht, was er sagen sollte. Maeta reagierte sofort, wie immer.
„André“, sagte sie, „hast du dir gar keine Gedanken darüber gemacht, was für Folgen es gehabt hätte, wenn du dich wegen dieses… grünen Dinges geirrt haben solltest?“
„Okay, dann hätte ich mich eben geirrt. Aber ich habe recht gehabt!“ Zum erstenmal sahen sie einen Ausdruck in dem rundlichen Gesicht — einen Ausdruck des Triumphes. Bob und Maeta blickten einander an; dann wandte sich das Mädchen wieder dem Jungen zu.
„Und wie war es mit Jennys Fuß?“ fragte sie.
„Hast du auch bei ihr angenommen, daß sie eins hat?“
„Wäre doch möglich gewesen. Sie war ständig mit Bob zusammen, und sie sind Freunde. Einem Freund würde er es schon gegeben haben.“
„Und jetzt weißt du, daß sie keins hat. Tut es dir nun nicht leid?“
„Sie kommt schon wieder in Ordnung.“
Bob fiel etwas ein. „Bevor du noch mehr Experimente durchführst, André: Maeta hat keines, und alle anderen Menschen hier auch nicht.“
Maeta trat zu ihrem Auslegerboot. „Es ist wohl besser, wenn du mitkommst, André. Du hast in dieser Angelegenheit nur teilweise recht, und wir müssen dir einiges erklären, bevor etwas wirklich Schlimmes passiert.“
„Werdet ihr mir helfen, eins zu finden?“
„Wir suchen sie, aber wir können dir keins geben.
Es sind keine ›Dinge‹, sondern Lebewesen wie wir, und wenn du möchtest, daß eins von ihnen mit dir. zusammenlebt, mußt du dafür sorgen, daß es dich mag. Komm jetzt, Bobs Arm ist immer noch nicht brauchbar, weil sein Freund gebrochene Knochen nicht schneller heilen kann, als sie von Natur aus heilen. Eigentlich wollten wir ein paar andere Leute holen, um uns beim Paddeln zu helfen, aber du bist uns auch recht.“
„Ich will eigentlich gar nicht mitfahren. Ich weiß, ich habe darum gebeten, aber ich war sicher, daß ihr mich abweisen würdet. Der Wind ist zu stark, und ich habe Angst.“
„Wir bringen eine wichtige Nachricht — eine sehr, sehr wichtige Nachricht — zu den grünen Leuten.
Wir werden sie nie finden, wenn wir die Nachricht nicht dorthin bringen, wo sie nach unserer Meinung sein werden.“
„Sind sie im Ozean?“
„Manchmal. Komm jetzt.“ Der Junge hatte noch immer keine Lust, doch Maetas starke Persönlichkeit ließ ihm keine Wahl, und so war der Jäger keineswegs überrascht, als der Junge half, das Boot ins Wasser zu schieben. Und auch Bob nicht. Beide machten sich dagegen Sorgen über den scheinbar feststehenden Entschluß des Mädchens, mit nur zwei Paddlern hinauszufahren, von denen einer nicht sehr kräftig war und wahrscheinlich überhaupt keine Erfahrung besaß.
Da sie in Anwesenheit des Jungen keine Fragen stellen wollten — weder Bob noch der Jäger wollten einen Plan verderben, den sie haben mochte —, konnten sie nicht wissen, daß Maeta sich in eine Ecke manövriert hatte. Sie wollte die Flasche unbedingt zu dem Raumschiff bringen; sie betrachtete die Nachricht für Bob als lebenswichtig. Außerdem hatte auch sie den Verdacht, daß André irgend etwas mit ihrem Boot angestellt haben mochte, und wollte die Versicherung, ihn in dem Boot sitzen zu sehen. Nichts anderes konnte sie davon überze ugen, daß er nicht doch irgend etwas getan hatte, und bis zu dem Augenblick, als sie in See stachen, erwartete sie, daß er im letzten Augenblick noch irgendeine lahme Ausrede erfinden würde, um zurückzubleiben.
Der Jäger hatte in der gleichen Richtung gedacht, dann jedoch war ihm etwas anderes eingefallen: Sollte sein Gegner tatsächlich in dem Jungen stecken und ihn zu all diesen Streichen angestiftet haben, war es durchaus möglich, daß alle Me nschen in dem Boot ertrinken würden. Der andere hätte kein wirkliches Interesse am Wohlergehen seines Gastgebers und würde den Tod des Jungen als gerechtfertigt ansehen, wenn er dadurch dem Jäger seinen Gastgeber und einen Helfer nehmen konnte. Die Aliens würden keinen Schaden; ne hmen, wenn das Boot auf dem Riff zerschellen sollte. Sie konnten nicht ertrinken; und die Situation wäre wieder genauso, wie vor fast acht Jahren, als die beiden Repräsentanten des Guten und des Bösen aus Castors Zivilisation die Erde erreicht hätten. Es würde genauso sein wie damals, nur würde der andere diesmal keinen der Fehler begehen, durch die der Jäger ihn damals finden konnte.
Der Jäger fragte sich, auf welche Weise das Boot sabotiert sein mochte, und wann sich dieser Schaden bemerkbar machen würde.
Der Wind wehte aus Südosten und frischte immer mehr auf. Bob und sein Symbiont wurden zunehmend unruhiger, und selbst Maetas Nerven waren angespannt. Sie fragte sich, ob ihr Verstand nicht für wenige Augenblicke an Kurzsichtigkeit gelitten hatte. Über ihr Boot hatte sie sich keine Gedanken mehr gemacht, seit sie tiefes Wasser erreicht hatten und André noch immer an Bord war. Genau wie Bob und der Jäger während der letzten Wochen kam auch sie sich jetzt reichlich albern vor; wie der Jäger machte sie sich jetzt Sorgen darum, welche Folgen ihre Fehler für andere Leute haben mochten.
Trotz des Windes und ihrer ablenkenden Gedanken fand sie die Markierungsboje über dem Schiff sofort. Trotz Wind und Wellengang war sie klar auszumachen, und die Tanks in der Lagune, die ihr als Richtungshilfe dienten, waren deutlich zu erkennen. Sie richtete den Bug des Auslegerbootes in den Wind und zog ihr Paddel ein.
„André, versuche, es ohne meine Hilfe eine Minute lang hier zu halten. Du siehst doch die Boje dort; du mußt versuchen, in dieser Position zu ihr zu bleiben.“
Bob brauchte einige Zeit, bis er begriff, was hinter diesen Worten lag, und als er sich dann nach ihr umwandte, hatte sie bereits Jeans und Hemd ausgezogen, die sie über ihrem Badeanzug trug, und ließ sich über Bord gleiten, die kleine Flasche in der linken Hand. Selbst der Jäger wäre jetzt einverstanden gewesen, die Nachricht einfach über Bord zu werfen, und Bob war zutiefst schockiert; doch Maeta ließ ihm nicht die Zeit, seine Gefühle auszudrücken. Bob konnte nur ein paar Worte herausbringen, bevor sie untertauchte.
Weniger als eine Minute später war sie wieder aufgetaucht und glitt mit gewohnter Grazie an Bord. Sie nahm ihr Paddel auf und begann es durchs Wasser zu ziehen.
„Bob, du mußt dich auf die vordere Strebe hinauslehnen oder dich daraufsetzen. Ich kann nicht direkt auf den Strand zuhalten, und auch so laufen wir genau gegen den Wind. Ein Ausleger ist kein wirklicher Doppelrumpf und sehr leicht; der Wind könnte ihn aus dem Wasser heben. Dein Job ist, darauf zu achten, daß es nicht geschieht. Du machst deine Sache gut, André. Mach so weiter.“
Es war jetzt sehr viel schwerer. Auf ihrem Weg zum Riff hatten sie den Wind im Rücken gehabt; jetzt blies er ihnen entgegen und hielt sie auf. Maeta erkannte sofort, daß sie die Drift unterschätzt hatte und wich ein paar Grad westlich ab. Schließlich fand sie den Kurs, der sie zur North Beach bringen würde, doch selbst André erkannte, daß sie eine sehr lange Zeit brauchen würde, um die Insel zu erreichen. Maeta entschied anscheinend, daß es zu lange dauern würde; wenige Minuten später lenkte sie das Boot fast genau nach Westen, und sie fuhren von der Insel fort.
„Was hast du vor?“ rief Bob durch das Heulen des Windes.
„Wir schaffen es nicht nach Ell. André hält nicht mehr lange durch, und ich werde, auch nicht ewig weitermachen können. Ich möchte vor allem dem Riff ausweichen, und dies ist der kürzeste Weg. Du kannst jetzt wieder von der Strebe herunterko mmen.“
„Aber der Wind bläst uns auf die offene See!“
„Ich weiß. Aber Insel Acht ist nur etwa fünfunddreißig Meilen entfernt und der Wind weht direkt auf sie zu, soweit ich das erkennen kann. Wir sollten keine Schwierigkeiten haben, sie zu finden — ich habe einen Kompaß an Bord. Wir können sie schon aus großer Entfernung sehen; der Kultur-Tank, den sie dort aufgestellt haben, ist ungewöhnlich hoch; falls wir also ein wenig vom Kurs abkommen sollten, haben wir reichlich Zeit für Korrekturen. Das wichtigste ist jetzt, am Riff vorbeizukommen.“
„Und nicht abzusaufen.“
Maeta wies diese Bemerkung mit einem Zurückwerfen des Kopfes von sich. Sie wußte, daß sie sich um Wind und Wellen auf offener See keine Sorgen zu machen brauchte, so lange sie das Paddel halten konnte. Das Vertrauen in ihre Kompetenz wurde durch die Arroganz der Jugend vielleicht noch verstärkt, aber sie wußte genau, was sie tat. Der Fehler, an diesem Tag überhaupt auf See zu fahren, resultierte daraus, daß sie Faktoren, die nicht mit dem Wetter zusammenhingen, zu viel Gewicht beigemessen hatte, doch würde sie keine Sekunde zögern, es wieder zu tun, so lange sie einigermaßen sicher sein konnte, die Nachricht zu übermitteln.
„Wie ist es mit dem Riff bei Insel Acht?“ schrie Bob. „Ich bin noch nie dort gewesen.“
„Ich auch nicht“, war die Antwort, „aber Charlie hat mir gesagt, daß die Passage sich auf dieser Seite befindet und ziemlich breit ist — sogar Tanker benutzen sie; also gibt es da kein Problem. Paddele weiter. André, nur noch ein wenig länger; du machst das sehr gut.“
Sie hatte den Kurs etwas in nördlicher Richtung verändert, als sie sich ein Stück von Ell entfernt hatten. Als sie sicher war, das Riff ein gutes Stück seitlich von ihrem Kurs zu haben, drehte sie nach Nordwesten ab, so daß sie genau vor dem Wind lagen. André durfte jetzt mit dem Paddeln aufhören, und sie selbst beschränkte sich mehr oder weniger darauf, das Boot auf Kurs zu halten. Sie passierten das Riff von Ell in einem sicheren Abstand von zwei- bis dreihundert Yards, doch Bob kamen die Brecher trotzdem ungemütlich nahe vor.
Dann lag die leere Weite der See vor ihnen. Maeta hatte die Geschwindigkeit des Bootes berechnet, indem sie die Zeit abschätzte, die es brauchte, um von einem markanten Punkt auf dem Riff zu einem anderen zu gelangen. Sie machten etwa sechs Knoten; die Windgeschwindigkeit war natürlich erheblich größer, doch bot das flache Auslegerboot ihm nicht genügend Angriffsfläche, um den Widerstand des Wassers überwinden zu können. Das bedeutete, daß sie an die sechs Stunden brauchen würden, um Insel Acht zu erreichen.
Es bestand keinerlei Gefahr, daß einer von ihnen einschlafen könnte. Das Boot schlingerte so stark, daß sie sich fast ständig irgendwo festklammern mußten, und es wurde so viel Gischt von den Wellenkämmen hereingeweht, daß sie immer wieder Wasser aus dem Boot schöpfen mußten. Doch mit Ausnahme der ersten Minuten des Zweifels war es keine beängstigende Fahrt, nicht einmal für den Jungen. Natürlich waren Wind und Gischt alles andere als angenehm; Maeta hatte Jeans und Hemd wieder angezogen, obwohl die Kleidung inzwischen völlig durchnäßt war, und André, der nur Shorts trug, vergaß seine Unabhä ngigkeit und Gleichgültigkeit so weit, daß er sich an Bob drängte, um sich zu wärmen. Der Jäger überlegte, ob er den Körper des Jungen nicht nach der Anwesenheit des nicht mit Sicherheit toten Kriminellen untersuchen sollte, ließ es dann jedoch, weil es ihm nicht sicher genug erschien. Wenn der Junge sich häufig bewegte, besonders aber, wenn er von Bob fortrückte, während der Alien sich teilweise in dem einen und teilweise in dem anderen Körper befand, konnte das zu sehr unerfreulichen Resultaten fü hren. Der Detektiv konnte es sich natürlich leisten, ein paar haarfeine Fühler zu verlieren, so wie es bei dem Raumschiff geschehen war, doch solche Tastorgane mochten nicht ausreichend sein, um den anderen Alien zu finden. Falls der tatsächlich dort sein sollte, wußte er natürlich durch die rasche Heilung der Stichwunde im Herzen von der. Gegenwart des Jägers in Bobs Körper, und würde sich verstecken, zu einer einzigen Masse zusammengeballt, oder zu mehreren kleineren, die in irgendeiner Körperhöhle ruhten, anstatt den ganzen Organismus des Jungen zu durchziehen, wie es für seine Beschützerpflicht notwendig wäre.
Der Jäger teilte diese Überlegungen seinem Gastgeber mit, und Bob gab ihm recht, daß eine direkte Untersuchung unklug war, solange der Junge nicht schlief. Doch André schlief nicht ein.
Gegen Mitte des Nachmittags kam der Tank von Insel Acht direkt voraus in Sicht. Es war ein experimentelles Modell, mehr als doppelt so hoch wie die normalen Tanks, die eine Höhe von zwölf bis fünfzehn Fuß aufwiesen, und deshalb aus einer weit größeren Entfernung sichtbar. Unglücklicherweise hatte das Experiment keinen Erfolg gezeitigt; so war die Anlage nicht in Betrieb, und das kleine Atoll, auf dem sie stand, unbewohnt.
Eine halbe Stunde nach der ersten Sichtung konnten sie die Brandungswellen des Riffes ausmachen.
Anfangs erstreckten sie sich in etwa gleicher Länge nach beiden Seiten des Bugs, ohne jede Lücke.
Selbst Maeta wurde ein wenig nervös — in kurzer Zeit würde es unmöglich werden, den gischtenden Brechern nach links oder rechts auszuweichen. Das Mädchen änderte den Kurs ein wenig und sagte André, er solle wieder paddeln. Bob und der Jäger, die nichts Konstruktives tun konnten, blickten mit wachsender Unruhe zu der langen Linie der Brecher hinüber, denen sie sich immer rascher zu nähern schienen. Ein gelegentlicher Blick in Maetas Gesicht beruhigte sie ein wenig, doch nicht ganz; ihr Ausdruck ließ sich genauso gut als Konzentration wie auch als Besorgnis deuten.
Die Passage mochte, wie Maetas Bruder es behauptet hatte, für einen kleinen Tanker ausreichen, doch im Augenblick sah sie verdammt schmal aus.
Sie führte gerade durch das Riff, wußte das Mädchen — man hätte sie für die Tanker so ausgebaggert, wenn sie nicht von Natur gerade gewesen wäre —, doch lag sie unglücklicherweise nicht genau in der Windrichtung. Sowie sie in ihr waren, würden sie hart nach Steuerbord paddeln müssen, um nicht an den linken Rand der Passage und auf das Riff geweht zu werden. Um ihnen soviel Spielraum wie möglich zu geben, lenkte Maeta das Boot so nahe, wie sie es wagte, an die Brecher an der rechten Seite der Passage heran, als sie in sie hineinfuhren.
Das Riff war flach und gab ihnen keinerlei Windschutz. Es brach zwar die Wellen, doch das war mehr als nur unnütz. Anstatt harmlos unter dem Boot entlangzugleiten und es lediglich ein wenig zu heben, wurde das Wasser jetzt von den Korallenbänken himmelwärts geschleudert und vom Wind zu Gischt verweht. Als das Boot in die Passage einbog, wurden alle drei Menschen an Bord von der Gischt geblendet, und das Boot füllte sich rasch mit Wasser.
„Beide schöpfen!“ schrie Maeta. „Um das Paddeln kümmere ich mich allein.“
Maeta sah nicht, in welche Richtung sie fuhr, und die einzige Möglichkeit, einigermaßen Kurs zu halten, bestand darin, die Gischt von rechts gegen ihren Rücken klatschen zu lassen. Niemand, dem nur menschliche Sinne zur Verfügung standen, hätte es besser machen können.
Sie ließen die schlimmste Gischtzone hinter sich und fanden sich fast auf der Korallenbank, die die linke Seite der Passage abgrenzte. Maeta versuchte verzweifelt, das Boot noch mehr nach rechts zu bringen, doch ihre Kräfte reichten dazu nicht aus.
Sie hätte es trotzdem beinahe geschafft, doch nur ein oder zwei Yards vor der relativen Sicherheit der Lagune wurde das Boot auf eine harte Korallenbank geschleudert.
Der Rumpf überstand den Schock vielleicht für ein paar Sekunden, doch die drei menschlichen Insassen wurden nach vorn geschleudert. Bob stürzte auf André, Sekunden bevor Maeta auf sie beide geworfen wurde.
Es gab einen zweiten harten Stoß, durch den, wie sie später feststellten, der Junge in den Bug des Bootes geschleudert wurde. Die drei Körper wurden in die Luft geworfen, vollführten einen halben Salto und fanden sich entweder unter Wasser oder in einer Gischt, die so dicht war, daß sie kaum Luft holen konnten, und dann fühlten sie noch einen harten Stoß. Sie lagen nebeneinander auf durchnäßtem Sand, und Gischt wehte über sie hinweg.
Bob war bei Bewußtsein und nicht schwer verletzt. Der Jäger hatte sich automatisch um ein paar kleine Wunden gekümmert, die ihm die Korallen gerissen hatten; Bobs Stürze waren größtenteils durch die beiden anderen Körper abgefangen worden. Keinem von ihnen ging es sehr gut.