15 Verlorene Liebe

Herein«, sagte eine Stimme. »Ich habe dich erwartet.«

Kitiara stieß die Tür weiter auf und betrat kühn den Raum.

Sie stand in einer großen, runden Halle in der Spitze des einzigen Turms von Schloß Mantilla, der in den Jahren des Irrsinns unversehrt geblieben war. Kit konnte nicht viel um sich herum erkennen – der Raum war finster, vor den wenigen Fenstern waren die Vorhänge zugezogen. Draußen war allerdings sowieso Nacht.

In der Mitte des Raums saß auf einem Stuhl mit hoher Lehne Lady Mantilla unter einem blassen Lichtkegel, dessen Quelle Kitiara nicht ausmachen konnte. Obwohl Kit die Frau deutlich erkennen konnte, fragte sie sich, ob ihre Gegnerin sie hier in den Schatten genausogut sah.

Säuberlich aufgereiht stand hinter Lady Mantilla die gefürchtete Eiserne Garde – vier Wachen, um genau zu sein. Sie steckten von Kopf bis Fuß in schwerer Rüstung, die nur Schlitze für Augen, Nase und Mund hatte. Jede hielt ein juwelenbesetztes Schwert. Fast feierlich standen sie da, starr wie Statuen. Insgeheim fragte sich Kit, ob sie sich überhaupt rühren konnten.

Auf einer Seite saß auf einem verblichenen Thron ein dicker Zauberer, dessen zinnoberroter Umhang sein Gesicht verbarg. Auch er bewegte sich nicht, schien Kitiara jedoch vorwurfsvoll anzustarren. Während sie in den Raum hineinging, versuchte Kit, ihn im Auge zu behalten, weil sie vor seiner Magie auf der Hut sein mußte.

Der Raum war unnatürlich kalt und trocken. Wenn Kitiara einen Schritt machte, war das Knirschen unter ihren Füßen überall zu hören.

»Komm rein, sage ich«, sagte die Stimme. »Die Zeit ist kurz. Deine Zeit ist jedenfalls ganz sicher kurz. Du wirst noch früh genug tot sein.«

Ihr langes weißes Haar fiel ihr in zotteligen, wirren Strähnen offen über die Schultern fast bis zum Boden. Sie hatte rote Augen und totenbleiche, bläuliche Haut, bis auf die leuchtendroten Wangen. Luz Mantilla konnte nicht viel älter sein als Kitiara, doch sie machte den Eindruck einer alten Wasserhexe.

Die Herrin – denn unter diesem Namen kannten sie ihre Diener – war in ein weißes Spitzengewand gekleidet, das verschlissen war und dessen einer Ärmel gänzlich fehlte. Es war ihr Hochzeitskleid, erkannte Kit, oder wäre es gewesen. Luz Mantilla umklammerte die Armlehnen ihres Stuhls, als sie sich nach vorne neigte, um Kitiara ins Auge zu fassen.

Kit war am Rand des Saals geblieben und hatte angefangen, den Raum zu umkreisen, um ihre Verteidigungsmöglichkeiten zu prüfen. Einst war es wohl ein prächtiges Zimmer gewesen. Jetzt war es abstoßend, voller Schmutz und Exkremente.

Schwarzer Samt bedeckte Wände und Möbel, was zu der düsteren Atmosphäre beitrug. In einer Ecke stand ein säuberlich gemachtes Himmelbett, das jedoch staubig und von Spinnweben überzogen war. Wahrscheinlich hatte noch nie jemand darin geschlafen. Ein Blick nach oben verriet Kit, daß die Holzdecke mit den Schindeln in fortgeschrittenem Fäulniszustand war.

An den Wänden hingen goldgerahmte Gemälde und ehemals herrliche Wandbehänge in verblichenem Orange und Purpurrot. Als Kitiara eines dieser Werke betrachtete, auf dem ein Mädchen mit Mondgesicht zu Füßen eines stolzen Edelmanns saß, merkte sie, daß es Lady Mantilla als unschuldiges Mädchen darstellte, ehe sie durch die Zeit, die Tragödie und wahrscheinlich Schwarze Magie gezeichnet worden war.

»Ja«, sagte die Stimme, die aus dem Mund der verfallenen Frau flatterte, »das war ich. Damals.« Mit einer Handbewegung zeigte sie auf das Gemälde, das Kit angestarrt hatte. »Und mein Vater«, plötzlich triefte die Stimme vor Verachtung, »natürlich, bevor ich ihn getötet habe. Er war mein erstes Opfer. Er hat hinter der ganzen üblen Sache gesteckt, wie du weißt. Er dachte, er wüßte, was für mich das beste wäre. Ich habe mich um meines Geliebten willen an ihm gerächt.«

Sie lehnte sich zurück und betrachtete Kit.

Kit blieb stehen und machte einen Schritt auf die Frau zu, um sie besser ansehen zu können, während sie sich gleichzeitig dem dicken Magier näherte, der sie mit steinernen, haßerfüllten Augen anzustarren schien.

»Bevor er starb«, fuhr Lady Mantilla gelangweilt fort, »war mein Vater noch so gut, mir zu sagen, daß Radissons Bruder den, hm, Zwischenfall inszeniert hat, der mit dem Tod meines « – hier zitterte ihre Stimme – »Liebsten endete. Der starb dann etwas schnell. Ich hätte es vorgezogen, ihn länger leiden zu lassen. Damals war ich natürlich noch Neuling auf diesem Gebiet.«

Sie legte den Kopf zurück und stieß ein langes, trillerndes Lachen aus, das auf einem königlichen Maskenball nicht fehl am Platze gewesen wäre, nur daß es einen irren Beiklang hatte.

Kit fragte sich, was sie machen sollte. Sie konnte gegen die vier aus der Eisernen Garde und dazu noch den Zauberer und die Wahnsinnige kaum etwas ausrichten, doch es war zu spät, um umzukehren und Colo zu holen. Und merkwürdigerweise hatte noch keiner einen Schritt in ihre Richtung gemacht. Unauffällig – so hoffte sie jedenfalls – schob sie sich auf den Magier zu, der in Mantel und Kapuze unergründlich dasaß.

»Es war einfach, Radisson mit seinem Bruder in Verbindung zu bringen, aber es dauerte etwas länger, als ich gehofft hatte, Radisson selbst aufzuspüren. Dann hatte ich Glück. Er war mit dem Panthermann zusammen. El-Navar, so heißt er doch?«

Kit beherrschte ihre Stimme. »Warum hast du El-Navar nicht wie Radisson getötet?«

Die Herrin runzelte die Stirn. »Das hat mich ziemlich aufgeregt. Dieser komische Mann konnte sich in einen Panther verwandeln, und damit hatte ich nicht gerechnet. In dieser Gestalt steht er anscheinend unter einem besonderen Schutz, und ich kann mich nicht mit ihm verständigen. Oder ihn töten. Glaub mir, ich hab’s versucht. Und wie! Ich halte das Ungeheuer unter der Erde im Käfig und weiß immer noch nicht, was ich mit ihm anstellen soll.«

Kit war nah genug an den Magier herangekommen, um handlungsfähig zu sein. Schwungvoll holte sie mit dem Schwert aus und zog es blitzschnell herunter. Sie hackte dem Mann die rechte Hand ab, die auf den Boden fiel. Doch es floß kein Blut aus dem Arm, und unerklärlicherweise zuckte der Zauberer noch nicht einmal zusammen.

Lady Mantilla kreischte vor Lachen. »Ach, du meine Güte«, gackerte sie, »du hast vor diesem blöden Zauberer Angst gehabt. Das war Nummer dreiundsiebzig, der letzte von denen, die mir helfen sollten. Ich habe ihn schon vor Tagen umgebracht, wie ich sie alle wegen ihres Versagens und ihrer Tricks getötet habe. Ich habe ihre Tricks bald raus, und dann langweilt mich ihr Getue.«

Kit blieb wachsam, während sie sich fragte, ob sie wohl genauso dämlich und verwirrt aussah, wie sie sich vorkam.

Die Stimme der Lady nahm einen tieferen, fast männlichen Tonfall an. Trotz der unheilverkündenden Stimmlage lag darin auch ein Hauch Beklemmung. »Du weißt nicht, wie das ist«, sagte Luz Mantilla zu Kit, »wenn du jemanden verlierst, den du liebst. Wenn du dir dein Leben an seiner Seite erträumt hast und diesen Traum verlierst. Wenn du allein zurückbleibst. Ganz allein. Allein!« Sie ließ sich gehen und schluchzte, die Hände vor dem Gesicht.

Kit musterte die Eiserne Garde hinter der Lady. Sie konnte weder die Augen sehen noch irgendeinen anderen Hinweis erkennen, ob sie Menschen waren. Durch die schmalen Schlitze schienen sie sie kalt zu betrachten. Waren sie auch tot wie der Zauberer, oder waren es nur leere Metallhüllen?

Als hätte sie ihre Gedanken gelesen, fuhr Lady Mantillas Kopf hoch. Mit magerem Finger schrieb sie ein Muster in die Luft. Die vier Wachen begannen, sich so geschickt und behende zu bewegen, daß Kit verblüfft war. Das einzige Geräusch, das sie verursachten, war das Klirren ihrer Waffen. Sie kamen nicht auf sie zu, sondern schritten wie in einem Tanz zu den Wänden, wo sie an vier gleich weit voneinander entfernten Punkten um den Raum herum Stellung bezogen. Kit stellte zu ihrem Unbehagen fest, daß sie im Zentrum dieser Anordnung stand.

Indem sie ihr Messer und ihr Schwert kampfbereit vor sich hielt, bemühte Kit sich nach Kräften, möglichst bedrohlich zu erscheinen.

Lady Mantillas Gesicht strahlte. Ihr Lächeln entblößte ihre fauligen gelben Zähne. »Meine Eiserne Garde macht dir angst«, sagte sie fast augenzwinkernd. »Die sind lebendiger als mein Zauberer. Gut, nur halblebendig oder eher halbtot, aber so gefallen sie mir besser. Es sind nur noch vier übrig, zu schade. Ich glaube, mit den übrigen war ich ein bißchen voreilig. Aber das wichtigste ist« – sie schnalzte mit der Zunge und legte einen Finger an den Kopf – »das wichtigste ist, daß sie so geschaffen sind, daß sie alles für mich tun würden, selbst sterben. Darin sind sie unübertroffen treu, im Sterben, meine ich. Soll ich es vorführen? Zierold!«

Einer der Männer trat mit quietschender Rüstung einen Schritt vor. Kit war auf einen Zweikampf gefaßt, doch Lady Mantilla zirpte: »Spring doch bitte für mich aus dem Fenster, ja, Zierold?«

Der schwer bewaffnete Zierold marschierte zu einem der samtverhangenen Fenster. Tänzerisch leicht schwang er sich auf den Sims, drehte sich um, um vor der Lady zu salutieren, und warf sich dann ohne Zögern hinaus. Es gab eine lange Stille, dann einen dumpfen Aufprall. Lady Mantilla quietschte regelrecht vor Vergnügen.

Gut, dachte Kit, einer weniger. Sie stellte sich etwas anders hin und hatte keine der verbliebenen Wachen genau im Rücken.

»Ja«, fuhr die Lady fort, »es war leicht, Radisson und El-Navar zu ergreifen, aber etwas schwieriger, diesen schlauen Ursa zu finden. Anscheinend tauchte er immer wieder unter. Er trennte sich eine Zeitlang von Schlaukopf. Wir folgten Schlaukopf, doch auch dem gelang es, uns abzuschütteln. Sie verkleideten sich, schliefen im Freien, reisten Hunderte von Meilen außerhalb meiner Reichweite.

Über Ursa fand ich alles Erfahrbare heraus. Überall hatte ich Spione und Kontaktleute. An keinem Ort war er zweimal, und immer war er uns einen Schritt voraus. Aber am Ende wußte ich mehr über ihn und seine Gewohnheiten als seine eigene Mutter, und ich wußte, daß ich ihn irgendwann erwischen würde.«

Jetzt wurde ihre Stimme samten wie die Vorhänge. »Herauszufinden, wer du warst, war schwieriger, als Ursa zu finden, meine Liebe«, gurrte die Lady. »Radisson kam nicht mehr dazu, es mir zu sagen, und El-Navar spricht als Panther nicht allzugut. Von den Augenzeugen wußte ich, daß fünf Leute dabei waren, aber ich hatte nie in Betracht gezogen, daß einer von ihnen eine Frau gewesen sein könnte. Bis dann rein zufällig einer meiner Detektive auf einem Schiff mitfuhr, wo er das Schwert meines Liebsten sah. Aber selbst da glaubten wir noch, es wäre dieser Patrick. Der hat natürlich behauptet, er wüßte von nichts. Aber er mußte trotzdem sterben. Um ganz sicherzugehen.«

Während die Lady mit ihrer Geschichte beschäftigt war, war Kitiara näher gerückt, bis sie nur noch weniger als ein Dutzend Schritt von ihr entfernt war. Mit dem nächsten Schritt betrat Kit den blassen Lichtkegel, der Luz umgab, so daß die verhärmte Frau sie zum ersten Mal deutlich sehen konnte. Und dabei keuchte Lady Mantilla auf.

Sie sank vor Entsetzen in sich zusammen. Diese Reaktion überraschte Kit dermaßen, daß sie erstarrte und dann einen Schritt nach hinten zurück in die Schatten machte. Da erst kam Kit darauf, daß sie mit ihren kurzen Haaren und im Kampfanzug für die verwirrte Lady immer noch Beck Gwatmey ähnelte.

Kitiara trat wieder ins Licht. Becks Schwert glitzerte.

»Also du bist es?« flüsterte die Frau. »Du bist es! Du hast das Schwert.«

Hinter sich konnte Kitiara das Klirren der Eisernen Garde hören, die sich in Marsch setzte. Sie kam noch einen Schritt näher.

»Das Schwert, das ich meinem Liebsten schenkte…« Die Lady stöhnte kläglich. »Sein Verlobungsgeschenk. Er hatte es bei sich, als man ihn… meuchelte.«

»Damit hatte ich nichts zu tun«, sagte Kit wahrheitsgemäß.

Der Gesichtsausdruck der Lady veränderte sich. Sie beugte sich nach vorn und erschauerte, um sich dann wieder aufzurichten. Ihr Gesicht war wutverzerrt. »Du mußt sterben, weil du dabei warst«, kreischte Lady Mantilla. »Du mußt sterben! Sterben! Ich habe es geschworen!«

Kit konnte hinter sich die Wachen hören. Mit gezücktem Schwert sprang sie auf die Lady zu, so daß die Verrückte in ihrem Stuhl gefangen saß.

Aus der Nähe konnte Kitiara erkennen, daß Lady Mantillas Gesicht von tiefen Falten durchzogen und mit weißem Puder und Rouge grell geschminkt war. »Ruf sie zurück«, befahl Kit angespannt.

»Du kannst mich nicht töten«, gab die Herrin zurück. »Ich bin schon lange, lange tot. Seit damals.«

»Ruf sie zurück«, wiederholte Kit, die der Herrin ihr Schwert an den Hals setzte, während sie nervös einen Blick nach hinten warf. Die drei restlichen Gardisten traten langsamer und vorsichtiger heran. Aber immer noch näherten sie sich mit jener erstaunlichen Anmut, mit der sie sich trotz der schweren Rüstungen bewegen konnten. Jetzt hatten sie ein enges Dreieck um Kit gebildet und kamen immer näher.

»Sag mir deinen Namen!« zischte die Lady.

»Kitiara Uth Matar«, verkündete Kit.

Urplötzlich hörte sie ein leises, gleitendes Geräusch, das sie nicht einordnen konnte, dann einen schrillen Schrei. Hinter ihr kam jemand hinter einem Wandbehang hervor aus einer verborgenen Tür gestürmt, den sie fast vergessen hatte – Colo.

Die Waldläuferin zog einen Fuß nach, hinter sich her, überwand die kurze Entfernung jedoch, bevor einer der Anwesenden reagieren konnte. Geschickt sprang sie einem aus der Eisernen Garde auf den Rücken, krallte sich am Hals der Wache fest und versuchte vergeblich, einen Punkt zu finden, wo sie Messer oder Schwert durch den bleiernen Schutz stechen konnte.

Kits Aufmerksamkeit war höchstens drei Sekunden abgelenkt, doch als sie sich wieder zu Lady Mantilla umdrehte, war die Frau vom Thron verschwunden. Gackernd stand sie in einem anderen Teil des Zimmers. Kitiara hatte allerdings keine Zeit, sich über ihr Versagen zu ärgern, denn sie vernahm hinter sich weiteres Klirren und Scheppern und fuhr gerade rechtzeitig herum, um sich vor dem Schlag einer der Wachen zu ducken.

Wie ein Tänzer wirbelte dieser Gardist hinter Kit her und zielte erneut auf ihren Kopf. Rechtzeitig erhob sie Becks Schwert, und die Waffen prallten mit großer Gewalt aufeinander. Die größere Stärke ihres Gegners warf Kit rücklings gegen die Wand. Noch während sie abrollte, stieß sie mit dem Messer nach oben, traf aber nur Metall.

Colo erging es nicht besser. Sie ritt auf dem breiten Rücken ihrer Eisernen Wache, die im Raum herumrannte und Möbel und Wände rammte, um sie loszuwerden. Sie hielt sich unbeirrt fest, obwohl ihre Waffen nutzlos waren, und dabei verfluchte sie ihren Gegner.

Der dritte Gardist schien kurzfristig unsicher zu sein, was er tun sollte. Er war näher bei Kit und deren Kampf, doch Colo und ihr Gegner waren praktisch überall, während sie stolpernd durch den Raum jagten. Dieser dritte Gardist kam zögernd ein paar Schritte auf Kit zu, bevor er sich umdrehte und auf Colo zuhielt.

Von der einen Seite des Saals sah Lady Mantilla dem Durcheinander befriedigt zu und verspottete Kit.

Wie zur Antwort machte Kit einen Scheinangriff mit dem Schwert, um dann plötzlich nachzugeben. Die Wache konnte ihren großen Schwung nicht mitten im Schlag abbremsen. Sie krachte mit dem behelmten Kopf gegen die Wand, und bis sie sich umdrehen konnte, war Kit entwischt und fast wieder in der Mitte des Raums.

Obwohl sie etwas benommen war, hatte Colo endlich begriffen, daß ihr Schwert nicht viel nutzte. Sie ließ es auf den Boden fallen. Ihre Beine lagen immer noch um die Brust der Wache, als sie mit beiden Händen herumgriff und mit dem Messer nach oben in die Augenschlitze der Eisernen Garde stach. Ein unnatürlicher Schmerzensschrei erfüllte den Raum. Der Gardist fiel auf die Knie und faßte sich an die Augenschlitze, doch Colo hielt sich fest und stach immer wieder ihr Messer hinein.

Kits Gegner setzte ihr wieder zu, und sie wich unter Scheinangriffen zurück. Plötzlich machte die Wache einen Schritt zurück und überraschte sie durch eine geschmeidige, fast hypnotische Geste, an der der Schwertarm nicht beteiligt war. Der Gardist riß etwas vom Tisch, einen Zierteller, und schleuderte ihn nach ihr. Er traf Kit am Kinn. Sie knickte zusammen, richtete sich jedoch blutend und etwas wacklig wieder auf.

»Kit!« schrie Colo keuchend.

Kitiara schaffte es, sie anzusehen und ihr beruhigend zuzunicken. Dabei aber war Colo einen Moment zu lange abgelenkt. Der dritte Feind, der sich hinter sie geschlichen hatte, sah seine Chance und stieß Colo das Schwert in den Rücken. Ihr Gesicht gefror. Sie sackte zu Boden.

Im gleichen Augenblick brach die Wache mit dem Messer in den Augenschlitzen verrenkt zusammen.

Kit stieß einen Schrei aus. Obwohl sie dabei der Wache, die sie verfolgte, den Rücken zuwendete, rannte sie quer durch den Raum auf den zu, der Colo erstochen hatte. Der Gardist sah ihren Angriff voller Überraschung? Furcht? kommen. Da er ohne Schwert war, das immer noch im Rücken der armen Colo steckte, versuchte er, sein Messer zu ziehen.

Kits Schwung warf den Gardisten rückwärts um, so daß sie auf seiner Brust saß. Der Mann schlug wild nach ihr, doch Kit stieß ihm fest und schnell, wieder und wieder, den Knauf von Becks Schwert ins Gesicht, wodurch sie die Maske in zerbeultes Blech verwandelte.

Der Gardist griff nach der Maske, hustete und keuchte.

Kit kam hoch und zog Colo, so sanft und schnell sie konnte, das Schwert aus dem blutigen Rücken, um dann ihre Freundin herumzudrehen. Colos Mund und Augen standen offen. Ihr Gesicht war leichenblaß.

»Colo…« Kit wollte etwas sagen. Doch ihr blieb keine Zeit, nach den passenden Worten zu suchen, denn sie hörte es klirren. Sie sah gerade rechtzeitig hoch, um sich vor der letzten Eisernen Garde davonzurollen, die sich auf sie geworfen hatte.

Das Schwert fiel hin, und ihres schlitterte davon, weil sie es bei dem knappen Entkommen verloren hatte. Ihr Gegner hatte immer noch ein Messer, sie hingegen keine Waffe. Er stürzte sich auf sie, doch sie ergriff seine gepanzerte Brust.

Ringend rollten sie über den Boden, spuckten und fluchten einander ins Gesicht. Nur vage nahm sie Lady Mantilla wahr, die mehrere Fuß hinter ihr kauerte und alles mögliche zischte. Der Eiserne Gardist wog doppelt so viel wie Kitiara. Sie schaffte es gerade so eben, sich nicht von ihrem Gegner zerquetschen zu lassen.

Sie kugelten über die Einrichtung, als sie zur Mitte des Raums rollten. Der Kampf kostete beide Kraft, doch Kitiaras Stärke nahm rascher ab. Schließlich schüttelte der Gardist Kitiara ab, schaffte es, über sie zu kommen, und riß das Messer hoch. Verzweifelt warf Kit den Kopf zur Seite. Sie spürte, wie der Dolch des Gardisten an ihrem Kopf vorbeisauste. Beim Auftreffen auf den Boden brach die Spitze ab.

Ihre linke Hand tastete auf dem Boden herum, fand jedoch nichts. Mit der ausgestreckten rechten berührte sie die Spitze von Colos Schwert.

Ihr Gegner versuchte eilends, ein zweites Messer zu ziehen, als Kit das Schwert der Waldläuferin schwang und ihm mit dem Heft gegen den Kopf schlug. Der Treffer brachte die Wache aus dem Gleichgewicht und führte dazu, daß sie ihr zweites Messer fallen ließ.

Kit sprang auf und stolperte nach hinten. Es gelang ihr, sich zu fangen, während ihr Widersacher auf die Beine kam. Jetzt war sie diejenige mit Schwert und ihr Gegner waffenlos.

Dieser wich rücklings zur Wand zurück. Kit legte beide Hände um den Schwertknauf, senkte etwas den Kopf und stürmte los. Sie stach aufwärts in den Helm und hatte gut gezielt: Das Schwert glitt durch den Mundschlitz. Der Ritter war sauber an die Wand genagelt, wo er stöhnte und zuckte.

Kit war ausgelaugt. Ihre Kleider waren zerrissen, ihr Körper von Kratzern und Blutergüssen übersät. Sie brauchte ihre ganze Kraft, um das Schwert zurückzuziehen. Der Gardist rutschte auf den Boden.

Kitiara drehte sich zu Lady Mantilla um, die zu ihrem Stuhl in der Mitte des Raums zurückgekehrt und wieder von dem blassen Lichtkegel umgeben war.

Kit hob ihr eigenes Schwert auf und näherte sich vorsichtig, während sie den Raum nach weiteren Feinden oder magischen Gegenständen absuchte. Die Herrin beobachtete sie höhnisch.

»Schade um deine Freundin.« Lady Mantilla triefte vor Sarkasmus. »Colo? Hieß sie nicht so?«

Die Herrin machte eine unauffällige Handbewegung, die Kit vielleicht noch nicht einmal bemerkt hätte, hätte sie solche Dinge nicht von Raistlin gekannt.

Kitiara war bis auf wenige Fuß an die Herrin herangetreten, sah sich jetzt jedoch außerstande, noch näher zu kommen. Irgendein Kraftfeld, eine Art unsichtbare Wand, hielt sie auf. Gebückt tastete sich Kit mit den Händen weiter, um festzustellen, wo die Barriere anfing und aufhörte.

»Ich habe auch mal einen Freund verloren«, sagte Lady Mantilla mit ihrer tiefen Stimme. »Den einzigen wahren Freund, den ich je hatte. Den einzigen Menschen, den ich je geliebt habe, der mich je geliebt hat. Jetzt weiß du, wie das ist, Kitiara Uth Matar.«

Kit erschauerte, als sie begriff, daß das Kraftfeld nicht schützend um Lady Mantilla lag. Es umgab sie selbst. Kit konnte nur wenige Fuß nach vorn, zurück oder seitwärts gehen. Die Wand überragte ihre Körpergröße bei weitem, und sie konnte das Ende nicht erfühlen. Sie saß gefangen wie eine Spinne im Marmeladenglas.

Als sie Luz Mantilla ansah, bemerkte Kit, wie deren irrer Blick auf dem Schwert in Kits Händen ruhte. Wenn das Schwert sich bewegte, folgten ihm Lady Mantillas Augen.

»Mein schönes Schwert«, stöhnte die Herrin leise, während sie selbstvergessen durch ihr weißes, wirres Haar strich. »Mein kostbares Liebesgeschenk. Ich hätte es gern zurück. Ich hätte es gern als… Erinnerung.«

»Du bekommst es zurück, Hexe«, murmelte Kitiara, »mitten in dein Herz.«

»Was habe ich dir angetan, Kitiara Uth Matar?« säuselte die Herrin kummervoll, deren Augen das Schwert nicht losließen, das Kit von einer Hand in die andere nahm. »Was habe ich dir getan, daß du helfen konntest, meinen Verlobten umzubringen?«

Kit schwieg.

»Ich verstehe dich nicht«, sagte Lady Mantilla. »Jetzt, wo ich deinen Namen kenne, befremdet mich dein Verhalten noch mehr. Wegen deiner Verbündeten.«

Kit starrte sie an. »Was soll das heißen?«

»Dein Name – Matar. Dein Vater war doch Gregor Uth Matar?«

»Was weißt du über meinen Vater?« fragte Kit, deren selbstsicherer Tonfall zitterte.

»Ich habe dir doch gesagt, ich habe eine lange Akte über Ursa«, sagte Lady Mantilla fast ungeduldig. »Ich habe dir gesagt, ich weiß alles über ihn – wo er jemals war, was er getan hat, wie er vorgegangen ist.«

»Was willst du damit sagen?«

»Was ich sagen will?« wiederholte Lady Mantilla. »Ich will sagen, wie kannst du mit dem Menschen unter einer Decke stecken, der deinen Vater verraten hat?«

»Was?«

Lady Mantillas Augen verrieten echtes Erstaunen. »Du weißt es nicht«, murmelte sie. »Du weißt es wirklich nicht…«

»Was soll dieser Trick?« Wütend machte Kit einen Schritt auf die Lady zu. Vergeblich. Die unsichtbare Wand hielt sie auf.

Lady Mantilla legte den Kopf zurück und gab ein langes, schrilles Gelächter von sich. »Es war vor vier Jahren in Whitsett, hoch im Norden. Ursa gehörte zu einem Söldnerheer, das unter deinem Vater einen Entscheidungskampf ausfocht. Gregors Männer waren siegreich, und nach der Schlacht war es Gregor, der die Kapitulationsbedingungen aushandelte. Umringt von seinem treu ergebenen Gefolge, wartete er auf offenem Gelände, während die andere Armee heranritt, um die Waffen niederzulegen.

Was dein Vater nicht wußte: Unter seinen eigenen Männern war eine Gruppe, die die Verteilung der Belohnung für seine Siege nicht gerecht fand. Sie glaubten, er würde sich auf ihre Kosten bereichern. Unter ihnen war ein Mann, ein Oberleutnant, der Gregor bis dahin treu zur Seite gestanden hatte. Er rief diese Gruppe zu einer geheimen Versammlung. Sie schworen, Gregor zu verraten. Angeführt von Ursa Il Kinth, half diese Gruppe, den Sieg zu verfälschen, und Gregor wurde beim Friedensrat verhaftet.«

»Lügnerin!« rief Kit, doch die Anklage kam halbherzig. Die Geschichte von Luz ähnelte sehr derjenigen, die Kapitän La Cava Kit an Bord der Silberhecht erzählt hatte. Vielleicht hatte die Herrin dieselbe Geschichte gehört und schmückt sie jetzt aus, um mich gegen Ursa aufzuhetzen, hoffte Kitiara insgeheim.

»Nein«, summte Lady Mantilla, die ihre Gedanken las, »keine Lüge. Diese Wahrheit ist zu schrecklich für eine Lüge, meinst du nicht auch? Ursas Männer haben deinen Vater umringt, ihn mit Lederriemen gefesselt und ihn der gegnerischen Seite ausgeliefert. Ursa bekam den doppelten Lohn, den dein Vater ausgemacht hatte, und teilte ihn unter den Verschwörern auf. Danach trennten sie sich. Dein Vater wurde in Ketten in den Kerker geschleppt, wo er auf seine Hinrichtung warten sollte. Was für ein schöner Zufall, daß seine Tochter sich mit seinem Verräter zusammengetan hat!«

Wieder warf Lady Mantilla den Kopf zurück und kreischte vor Lachen. Ihr Gegacker dauerte mehrere Minuten, bis es seltsamerweise in ersticktes Schluchzen überging.

Kit schwirrte der Kopf. Sie ballte die Fäuste und preßte sie sich ins Gesicht. Als sie sich von der Herrin abwandte, lief ein Zittern durch ihren Körper. Sie ließ Becks Schwert fallen.

Ein Rascheln ließ sie aufblicken. Mit ganz anderer Miene und fast gelöster Ausstrahlung war Lady Mantilla aufgestanden. Sie zeigte auf die Tür hinter dem Wandbehang, durch den Colo hereingekommen war.

Es wurde still.

Mit einer raschen Bewegung trat Kitiara an Becks Schwert, das zu ihren Füßen lag, und die Waffe rutschte zu ihrer Gegnerin. Lady Mantilla bückte sich, um es hastig aufzuheben. Dabei hörte Kit ein Zischen – das Kraftfeld löste sich auf. Sie rannte zu der verborgenen Tür.

Hinter ihr setzte sich Lady Mantilla mit einem merkwürdig ruhigen Lächeln auf den Lippen wieder hin und spielte mit dem Schwert ihres Geliebten.

Kit stürmte die Stufen herunter, wo sie unvermittelt auf Ursa stieß, der am anderen Ende seiner Zelle kauerte. Der Söldner sprang aufgeregt auf und klammerte sich an die innere Gitterreihe.

»Kit! Wo ist Colo? Kannst du mich hier rausholen?«

Eine Minute lang konnte sie gar nichts sagen, sondern Ursa nur anstarren. Sie erinnerte sich daran, wie sie ihn rein zufällig kennengelernt hatte, und wie er immer wieder unerwartet ihr Leben beeinflußt hatte. Jetzt sah er mehr tot als lebendig aus; wie sie selbst wahrscheinlich auch. Doch seine Augen strahlten sie an. Die ganze Zeit hatte er diesen sympathischen, durchtriebenen Ausdruck beibehalten.

Unter anderen Umständen hätte sie sich zu ihm hingezogen gefühlt, weit mehr als zu El-Navar. Doch sie wußte, daß Lady Mantilla ihr die Wahrheit gesagt hatte, und in diesem Augenblick haßte sie Ursa von ganzem Herzen.

»Was ist los?« fragte er, als sie nicht gleich antwortete. »Ist etwas schiefgegangen?«

Kit lehnte sich rücklings gegen die Wand und rutschte erschöpft auf den Boden. »Colo ist tot«, sagte sie schlicht.

»Tot!« Er wirkte ehrlich erschüttert. »Erst Radisson, dann El-Navar, Schlaukopf bestimmt auch. Und jetzt Colo…«

»El-Navar ist nicht tot«, sagte sie kurz angebunden.

»Nicht?«

»Ich habe ihn gesehen. Er steckt in einem anderen von diesen Tunnels – in Pantherform. Er hat mich nicht erkannt. Lady Mantilla hat gesagt, sie hätte versucht, ihn zu töten, doch es ging nicht.«

»Also hast du sie getroffen! Du hast sie besiegt.« Wie er grinsen konnte.

»Nein«, sagte Kit trübsinnig. »Sie hat mich besiegt.«

»Aber«, meinte Ursa befremdet. »Du lebst noch. Wie – «

Sie stand auf. »Ich habe ihr Becks Schwert überlassen. Das war alles, was sie wirklich wollte – das Schwert, das du Sir Gatmeys Sohn abgenommen hast.«

Darüber dachte er einen Augenblick lang nach. Dann warf Ursa den Kopf zurück und stieß ein Lachen aus, das trotz seiner mitgenommenen Erscheinung seine Kraft verriet. »Gut. Und kannst du mich jetzt hier rausholen?«

Sie sah wenig interessiert zu der Zelle. »Kann ich nicht«, sagte sie, »und selbst wenn ich es könnte, würde ich es nicht tun.«

»Warum nicht?« fragte er wieder verwirrt.

»Im Austausch für das Schwert hat sie mir die Wahrheit erzählt – über dich.«

»Welche Wahrheit?« grollte er.

»Daß du meinen Vater verraten hast.«

Seine Augen flogen auf. Ursa öffnete den Mund, um etwas zu sagen, besann sich dann aber eines Besseren. Er drehte sich um, ging zur Wand zurück, schlug gegen etwas und kehrte zum Gitter zurück. Sein Gesicht war hart geworden.

»Ich nehme an, du glaubst ihr«, setzte er an.

»Sollte ich das nicht?«

Er rüttelte verzweifelt, aber vergeblich an den Gitterstangen. In seine Stimme schlich sich ein Hauch von Angst. »Du mußt mich hier rausholen, Kit«, bettelte er. »Du mußt mir helfen. Du wirst schon einen Weg finden.«

»Ich will nur eins wissen: Warum hast du das getan? Warum?«

Er verdrehte die Augen. »Sei nicht naiv, Kit«, sagte er wegwerfend. »Das war ein Geschäft. Ein Handel! Es war Geld. Mit deinem Vater hatte es nichts zu tun. Eigentlich mochte ich deinen Vater.«

»Du warst sein Freund!«

Achselzuckend lächelte er. »Kein besonders guter.«

Sie sah ihn wütend an. »Du hast ihn in den Tod geführt.«

»Aber er ist nicht gestorben!« protestierte Ursa. »Er war zum Tode verurteilt, ja, einen Monat und einen Tag nach seiner Festnahme, aber ich habe dem Wärter Geld zugesteckt. Ich bin sicher, daß er entkommen ist.«

»Wieder eine von deinen Lügen.«

»Ich habe nicht so lange dort gewartet«, sagte er störrisch. »Ich sage dir, es war nicht nur, daß ich mich gegen ihn gestellt habe. Auch ein paar von seinen Männern sollten hingerichtet werden. Aber Gregor ist nicht gestorben, bestimmt nicht. Nicht Gregor. Der hatte immer dieses Kenderglück.«

»Erwartest du wirklich, ich nehme dir das ab, nachdem du eingestanden hast, daß du ihn verraten hast?«

»Dich habe ich nicht verraten«, wehrte er sich. »Dich habe ich nicht verraten. Sie haben mich geschlagen und halb verhungern lassen, aber ich habe ihr nicht deinen Namen verraten.«

»Pah!« fauchte sie. »Du hast ihr nichts gesagt, weil du deine eigene Haut retten wolltest. Wenn sie gewußt hätte, wer ich bin, dann hätte sie für dich keine Verwendung mehr gehabt und dich auf der Stelle umgebracht. Du würdest jeden verraten.«

»Nicht dich«, sagte er mit zitternder Stimme.


In dem kreisrunden Saal oben im Turm saß Luz Mantilla auf ihrem Stuhl und starrte ihr Porträt an, das an einem fernen Ort zu einer fernen Zeit entstanden war. In der Hand hatte sie das Schwert von Beck Gwatmey, den sie geliebt hatte, und sie hob die Klinge hoch in die Luft, drehte und untersuchte sie in dem blassen Lichtkegel. Kitiara und El-Navar und Ursa und den ganzen Rest hatte sie völlig vergessen – alles und jeden. Sie dachte nur noch an Beck, der schon so lange tot war und auf sie wartete. Irgendwo.

Sie umfaßte den Knauf und drehte die Klinge um, bis sie nach unten zeigte. Dann trieb sich Lady Mantilla mit einer Freude, die sie lange nicht gefühlt hatte, die Spitze ins Herz.


Kit starrte Ursa haßerfüllt an, als ein leises Grollen den Steingang erschütterte. Die erste Gitterreihe seiner Zelle verschwand vor ihren Augen, und die innere Tür sprang auf.

Kit zwinkerte. Auch Ursa reagierte langsam.

Kits Augen glitten zu dem Schwert, das Colo ihm hier gelassen hatte, aber Ursa war näher dran als sie und hatte sich bereits gebückt, um es zu nehmen. Jetzt trat er durch die Tür und über die Linie, wo die Stangen gewesen waren.

Kit machte einen Schritt zurück.

»Da rein«, sagte er mit einem Wink zur Zelle.

Sie rührte sich nicht. »Wie willst du die verschließen?« fragte Kitiara verächtlich.

Das brachte Ursa zum Nachdenken. Er kratzte sich am Kopf. »Dann muß ich dich wohl töten«, sagte er gelassen.

Er sprang auf sie zu, doch Kit war eine bessere Kämpferin als bei ihrer ersten Begegnung, wo sie noch ein Kind gewesen war. Sie packte ihn am Handgelenk und trat nach oben, womit sie ihm den Arm brach. Trotz seiner Schwäche warf er sie zurück, während beide um das Schwert kämpften. Sein Gesicht war direkt vor ihr, doch vor Kits Augen schwamm nur das Gesicht von Gregor Uth Matar. Sie spürte einen Adrenalinstoß.

»Genau wie früher!« versuchte Ursa zu witzeln, als Kit ihm das Schwert entriß und ihm mit dem Ellbogen ins Gesicht stieß. Er verlor das Gleichgewicht und stürzte auf den Rücken, wobei er erstaunt zu ihr hochsah – gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie Kit das Schwert in seine Brust rammte.

Er versuchte aufzustehen, brach jedoch zur Seite zusammen. Mit dem freien Arm griff Ursa noch nach Kit, fiel dann aber zurück und war tot.

Sekundenlang sah Kit ihn an, denn sie verabscheute ihn, fühlte jedoch auch Mitleid. Sie brachte es nicht über sich, das Schwert herauszuziehen. Unbewaffnet rannte sie durch den Tunnel zurück.


Später – da sie jedes Zeitgefühl verloren hatte, konnten es Stunden, Tage oder Jahre sein – stolperte Kit aus Schloß Mantilla heraus.

Der Nebel hob sich langsam.

Neben dem Eingang lag ein Körper in einer Blutlache. Er gehörte dem geschwätzigen alten Wärter, der zertrampelt und zerrissen war. Er war nicht schnell genug davongelaufen. Als Kitiara auf die Erde blickte, sah sie die Spuren dessen, der den alten Mann umgebracht hatte: Fußabdrücke eines riesigen Panthers.

El-Navar war frei.

Sie konnte kaum die Beine bewegen. Sie ging, als würde sie durch Treibsand waten. Ihr Kopf glühte. Ihre Muskeln waren wie tot. Ein Arm hing schlaff an der Seite herunter. Zum Glück war ihr Pferd noch am Leben und wartete auf sie.

El-Navar hatte eine deutliche Spur hinterlassen. Einen Augenblick lang zog Kitiara in Betracht, ihm zu folgen, doch die Spuren führten nach Süden. Mühevoll kletterte sie auf ihr Pferd und war sich kaum dessen bewußt, daß sie das Tier nach Norden trieb. Der Norden war ihr Ziel; dort wollte sie etwas über ihren Vater herausfinden.

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