Verhandlungen
Mrs Goodman saß am Küchentisch. Eine schwarze Polizistin, die neben Mrs Goodman stand, hatte ihr die Hand auf die Schulter gelegt. Mrs Goodman war dünn, hatte eine große Nase und streng zurückgekämmte Haare mit blonden Strähnchen. Sie trug ein schwarzes Kleid mit Diamantbrosche. In der Hand hielt sie einen vollen Kaffeebecher, ihr starrer Blick war leer.
Beim Eintreten in die Küche grüßte Bonnie die Polizistin mit einem kleinen Wink. »Hi Martha«, sagte sie gedämpft. »Dich hab ich ja schon ewig nicht mehr gesehen. Wie geht es Tyce?«
Dan beugte sich zu Mrs Goodman hinunter. »Mrs Goodman? Das ist die Spezialistin, von der ich Ihnen erzählt habe.«
Auch Bonnie beugte sich vor. »Mrs Goodman? Mein Name ist Bonnie Winter. Wenn Ihnen das alles zu schnell und zu viel ist, sagen Sie es. Dann ruf ich Sie einfach später an. Lieutnant Munoz hat mir allerdings gesagt, dass Sie so schnell wie möglich wieder Normalität in Ihr Apartment bringen wollen.«
Mrs Goodman reagierte zunächst nicht. Hob nicht einmal den Kopf. »Steht sie noch unter Schock?«, fragte Bonnie. »Sollte man sie nicht ins Krankenhaus bringen?«
Da blickte Mrs Goodman endlich auf und sagte: »Nein, nein. Mir geht es gut. Ich möchte hier bleiben. Hier, wo meine kleinen Lieblinge gestorben sind. Ich will hier bleiben.«
Bonnie zog sich einen Küchenstuhl heran und setzte sich nah zu Mrs Goodman. Der sägezahnige Schatten einer Yuccapalme zeichnete sich hinter der Jalousie ab. Sie wiegte sich im Luftzug und erinnerte Bonnie aus irgendeinem Grund an einen nickenden Papagei. Behutsam nahm sie Mrs Goodman den Kaffeebecher aus der Hand und stellte ihn auf dem Tisch ab.
»Was glauben Sie? Warum hat er es getan?«, fragte Mrs Goodman nach einer Weile.
»Es gibt wohl nur zwei, die diese Frage beantworten könnten«, sagte Bonnie, »Ihr verstorbener Mann und Gott.«
»Aber er liebte unsere Kinder so sehr. Ich glaube, er liebte sie mehr als ich. Er sagte immer, er sei so stolz auf sie, weil ich ihn so stolz machte und sie unsere Kinder wären.«
»Niemanden kennt man so ganz«, sagte Bonnie. »Mein Mann zum Beispiel: Ich habe keine Ahnung, was in seinem Kopf vorgeht. Er ist mir ein totales Rätsel.«
Mrs Goodman faltete ein Taschentuch auseinander und presste es sich unter die Augen. »Mein Vater hat immer gesagt, dass Aaron nichts taugen würde, dass ich zu gut für ihn sei und dass ich einen Anwalt oder Immobilienmakler hätte heiraten sollen. Einen, der viel Geld verdient, statt einen mit einer chemischen Reinigung.«
»Hey, wo die Liebe hinfällt…«
»Ich weiß. Aber ich weiß nicht, warum er es getan hat. Eine halbe Stunde, bevor es passiert ist, habe ich noch mit ihm telefoniert, und alles schien vollkommen normal zu sein. Er sagte, er wolle am Freitag am Stausee angeln gehen. Man redet doch nicht erst vom Angeln und tötet dann seine eigenen Kinder.«
Bonnie nahm ihre Hand. »Mrs Goodman, ich kann mir wirklich nicht ansatzweise vorstellen, was Ihren Mann zu dieser Tat getrieben hat, aber ich kann hier für Sie aufräumen, damit sie möglichst bald wieder ein halbwegs normales Leben führen können.«
Tränen liefen über Mrs Goodmans Wangen, und diesmal versuchte sie nicht, sie wegzuwischen. »Sie waren so wunderschön, meine Kleinen, so wunderschön. Mein Benjamin und meine Rachel und meine kleine Naomi.«
Geduldig wartete Bonnie, während Mrs Goodman leise weinte. Nach einer Zeit, die ihr angemessen schien, schaute Bonnie auf ihre Armbanduhr. »Mrs Goodman, die wenigsten Menschen wissen, dass nicht die Polizei nach einer solchen Tragödie aufräumt und sauber macht. Das machen Spezialisten wie ich, und Sie müssen dafür zahlen. Aber es gibt nicht nur mich. Ich mache Ihnen gern einen Kostenvoranschlag. Wenn Sie wollen und denken, dass ich zu teuer bin, können Sie im Branchenbuch nach anderen Reinigungsfirmen suchen und vergleichen.«
Mrs Goodman sah sie an, als hätte Bonnie Griechisch mit ihr gesprochen.
»Sind Sie versichert, Mrs Goodman?«, fragte Bonnie. »Es tut mir Leid, dass ich jetzt so geschäftsmäßig klinge, aber ein Reinigungsauftrag wie dieser kann Sie teuer zu stehen kommen.«
»Versichert?«
»Hören Sie auf Bonnie«, sagte Dan, »sie kennt sich aus.«
»Im Augenblick sind Sie ganz besonders angreifbar, Mrs Goodman, und es gibt eine ganze Menge Haie, die bald um sie herumschwimmen werden. Diese Leute sagen, sie erledigen alles für Sie, räumen auf, nehmen Ihre Rechte wahr, bringen Ihre Finanzen in Ordnung, regeln den Nachlass. Ich sage das alles wirklich in Ihrem Interesse.«
»Aaron hat sich nie um Geld gekümmert. Was er hatte, hat er ausgegeben.«
»Das glaube ich Ihnen, aber das hier könnte gut und gern fünfzehnhundert Dollar kosten. Ohne neue Teppiche und Möbel. Wahrscheinlich gibt es keine Probleme. Die meisten Hausratversicherungen übernehmen Schönheitsreparaturen nach Verbrechen. Wenn Sie mir die Nummer Ihres Versicherungsagenten geben, rede ich gleich heute Nachmittag mit ihm und kläre Ihren Anspruch.«
»Versicherungsagent? Tja, ich weiß nicht. Aaron hat sich um solche Sachen gekümmert.«
»Eile mit Weile. Ich gebe Ihnen meine Karte, und wenn Sie wissen, wer Ihr Versicherungsagent ist, rufen Sie mich einfach an.«
»Machen Sie es? Machen Sie alles sauber, sodass es wieder aussieht wie vorher?«
»So ziemlich, Mrs Goodman. Ja.«
»Und was ist mit meinem Leben? Können Sie auch machen, dass mein Leben wieder aussieht wie vorher?«
»Nein, Mrs Goodman, das kann ich nicht.«
Mrs Goodman drückte fest Bonnies Hand. Ihre Finger waren eiskalt, es war, als würde eine Leiche ihre Hand festhalten. »Sagen Sie bitte Bernice zu mir?«
»Bernice? Aber sicher, wenn Sie das gern möchten.«
Gerade als Bonnie das Haus verlassen wollte, kamen ihr ein Mann um die dreißig mit einer jungen Mexikanerin entgegen. Er trug einen leichten Sommeranzug und sie ein ärmelloses blaues Kleid mit großen, schwarzen Blumen darauf. Der Mann war ein paar Zentimeter kleiner als Bonnie, hatte lockiges rotbraunes Haar und trug eine randlose Brille. Das Mädchen war höchstens siebzehn, hatte Aknenarben im runden Gesicht und trug einen Pferdeschwanz.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte Dan.
»Mein Name ist Dean Willits«, sagte der Mann, »ich bin ein Freund der Familie und möchte Mrs Goodman abholen. Das hier ist Consuela, sie braucht auch noch ein paar Sachen aus ihrem Zimmer.«
»Ah ja. Mrs Goodman ist in der Küche, gehen Sie einfach durch. Ein Officer wird sich um Consuela kümmern.«
Dean Willits sah sich zuerst im Wohnzimmer um. »Heilige Scheiße«, sagte er beim Anblick des Einschusslochs und den Blutfontänen an der Wand. »Ich hatte ja keine Ahnung…«
Dan wurde ungeduldig. »Wir sollten jetzt wirklich Mrs Goodman hier rausbringen, meinen Sie nicht?«
»Klar. Sofort. Tut mir Leid. Es ist nur… Aaron war wirklich ein guter Freund. Und ein toller Vater. Ein wirklich ganz toller Vater, ehrlich. Er hätte den Kindern kein Haar krümmen können.«
»Na ja«, sagte Dan.
Sie standen in der prallen Sonne vor dem Haus. »Tja, dann überlasse ich den Rest dir«, sagte Dan zu Bonnie.
»Kein Problem.«
»Irgendetwas beschäftigt dich doch, oder?«
»Eigentlich nicht. Ich bin nur so ratlos wie Mrs Goodman: ein prächtiger Vater, der so sehr an seinen Kindern hing. Was um Himmels willen bringt ihn dazu, sie umzubringen?«
Dan schüttelte den Kopf. »In solchen Fällen wird das wohl niemand je erfahren.«
Bonnie duckte sich unter dem Absperrband der Polizei durch und ging zu ihren Wagen. Dan folgte ihr und hielt die Tür auf. Das Quietschen der Scharniere klang wie ein aufgeschrecktes Schwein.
»Kann ich dich morgen vielleicht zum Essen einladen?«
»Ich bin doch gar nicht dein Typ. Und außerdem, was soll ich Duke sagen?«
»Du musst ihm gar nichts sagen. Wir leben im Zeitalter der sexuellen Gleichberechtigung.«
»Quatsch. Wenn das das Zeitalter der Gleichberechtigung ist, warum hockt mein Mann dann faul zu Hause vor dem Fernseher, während ich mir in zwei Jobs die Hacken ablaufe?«
»Dann mach mal eine Pause, Bonnie. Mach eine Pause. Atme mal tief durch.«
»Entschuldigung Dan, aber gerade das versuche ich beim Beseitigen von Leichenresten zu vermeiden.«
»Zynikerin.«
»Lustmolch.«