Das Goodman-Apartment


Sie war gerade auf dem Weg zu Hoffman Drugs, als ihr Pieper losging. Auf dem Display las sie die Nachricht: »Munoz 8210 De Longpre eilig«.

»Scheiße«, sagte sie und bog links auf die Spaulding, dann rechts auf die De Longpre und sah schon aus der Entfernung zwei Streifenwagen und einen silbernen Oldsmobile mit aufgesetztem Blaulicht. Nachbarn und Passanten, die üblichen Hyänen, hatten sich schon eingefunden, als würden sie die unterhaltsamen Reste einer menschlichen Tragödie schon von weitem riechen.

Sie stieg aus dem Wagen.

Einer der Polizisten hob das Absperrungsband hoch, damit Bonnie darunter durchschlüpfen konnte. »Ah«, sagte er, »die Putzfrau, stimmt’s? Na, den Job will ich nicht für alles Geld, Süße.«

Bonnie zeigte ihm den Finger.

Eine steile Asphaltrampe führte zur Garage des Hauses. Das Haus selbst war ein ockerfarbenes zweistöckiges Gebäude mit stuckverzierter Fassade. Eine mit roten Platten ausgelegte Treppe führte zum Haupteingang. Am Geländer vor der Tür lehnte Lieutenant Dan Munoz, rauchte eine grüne Zigarre und unterhielt sich mit Bill Cliff vom Büro des Untersuchungsrichters.

Bonnie stieg die Treppe hinauf und wurde von Dan begrüßt. »Hallo, Bonnie. Das ging aber schnell.«

Dan war ein sehr gut aussehender Mann. Fast lächerlich gut aussehend für einen Polizisten: mit dichten haselnussbraunen Locken und dem Kinn eines Leinwandhelden. Und Bonnie fürchtete sich geradezu vor seinen braunen, glänzenden Augen. Diese Augen schienen sie vollkommen zu durchschauen, sahen alles – von dem Rezept, dass sie für das Abendessen im Kopf hatte, bis zur Waschanleitung in ihrem Höschen.

Dan trug einen blauen Seidenanzug und dazu eine rot-gelbe Krawatte. Er duftete nach Giorgio-Aftershave. Ein piekfeines Dinner wäre dem Aufzug angemessener gewesen als eine Tatortbesichtigung. Bill Clift war das Gegenteil von Dan: sommersprossig und schmuddelig. Sein grauer Leinenmantel hing wie ein Sack an seinem Körper, und seine Brille war offenbar so oft zerbrochen, geklebt, wieder zerbrochen und wieder geklebt worden, bis er einfach so viel Heftpflaster um die Brücke gewickelt hatte, dass nichts mehr passieren konnte.

Dan legte einen Arm um Bonnie und drückte sie herzlich. »Wenn du dich noch ein bisschen mehr beeilst, kannst du das nächste Mal die Teppiche schon aufrollen, bevor sie sich gegenseitig umbringen.«

Bonnie deutete zur Haustür, die einen Spalt offen stand. »Um was geht’s?«

»Komm rein. Ich zeig’s dir.«

»Lieber nicht. Eigentlich hab ich gerade keine Zeit. Ich hab nur vorbeigeschaut, weil ich sowieso in der Nähe zu tun hatte.«

»Das ist ein richtiger Schocker, ehrlich. Drei Kinder. Vier, sieben und neun. Das Ganze lief wohl so: Die Mutter fährt zu ihren Eltern in San Clemente. Das Kindermädchen hat frei. Der Vater nimmt seine Schrotflinte, geht ins Kinderzimmer und erschießt sie aus nächster Nähe. Danach geht er wieder ins Wohnzimmer, steckt sich die Flinte selbst in den Mund und streicht die Tapete mit seinem Hirn neu.«

»Du lieber Gott«, sagte Bonnie. »Gibt es irgendeinen Hinweis darauf, warum er es getan hat?«

»Wahrscheinlich ist ihm einfach die Sicherung durchgebrannt. Er hat keinen Abschiedsbrief oder so was hinterlassen.«

»Wo ist die Mutter?«

»Immer noch da drin.« Er schlug sein Notizbuch auf. »Mrs Bernice Goodman, sechsunddreißig. Darum hab ich dich auch angerufen. Heute Nacht geht sie zwar erst mal zu Freunden, aber es ist ihr ziemlich wichtig, dass die Wohnung schnellstmöglich sauber gemacht wird.«

Bonnie zögerte. »Okay«, sagte sie dann, »dann seh ich mir das einmal an. Und du und deine Leute, ihr seid hier fertig?«

»Klar. Wir sind fertig. Bist du fertig, Bill?«

»Alles in Tüten. Von mir aus können wir.«

Dan schob Bonnie durch die Haustür in eine L-förmige Diele. An den Wänden hingen gerahmte Gruppenbilder von Bowling-Teams, die Mitglieder mit vom Blitz geröteten Werwolfaugen. Eine Ecke wurde von einem großen, eingetopften Kaktus eingenommen. Daneben stand ein Tisch mit einer Briefbeschwerersammlung aus Messing.

»Hier rein«, sagte Dan. »Das Wohnzimmer – oder Sterbezimmer, wenn du so willst.«

Bonnie blickte sich um. Die Wände des großen Raumes waren cremefarben gestrichen. Die waagerechten Lamellen der Jalousie waren geschlossen, sodass nur gedämpftes Licht hereinkam. Die Einrichtung bestand aus minimalistischen modernen Möbeln, cremefarbene Polster, ein Glastisch. Nur eine offenbar antike Vitrine in der Ecke schien nicht ins Bild zu passen. In der Vitrine waren Zinnbecher, Pokale und andere Bowling-Trophäen ausgestellt.

Obwohl der Raum so schlicht war, strahlte er eine Atmosphäre aus, die Bonnie nach Luft schnappen ließ. Es war, als wäre sie in eiskaltes Wasser gesprungen. Wenn sie sonst an einen solchen Ort kam, lagen die schrecklichen Taten, die dort verübt worden waren, meist schon Tage oder gar Wochen zurück. Doch in diesem Raum wirkte das grausige Geschehen so nahe und überwältigend, dass sie sich umdrehen und einfach weggehen wollte.

»Na, was denn«, sagte Dan, als könnte er ihre Gedanken lesen.

An einer Wand hing ein großes abstraktes Gemälde. Blaues Dreieck mit weißem Quadrat und rotem Punkt. Ein Schild gab den Titel mit »Gelassenheit III« an. An der gegenüberliegenden Wand war ein roter Fächer mit pinkfarbenen Punkten. Blut und Hirnmasse. In der Mitte ein grobes, ovales Loch, so groß, dass Bonnie eine Faust hätte hineinstecken können. Um das Loch viele kleine schwarze Flecken. Schrotspuren.

Die cremefarbene Ledercouch war über und über mit Blut beschmiert. Bonnie ging um die Couch herum und sah die dickflüssige rubinrote Pfütze auf dem weißen Teppich gleich dahinter. Nach dem Schuss musste das, was vom Kopf des Vaters übrig geblieben war, nach hinten gekippt sein. Wie eine große, mit Wasser gefüllte Vase, die man umkippte, hatte sich der Kopf auf den Boden entleert.

Dan kam zu Bonnie herüber. »Der Mann hat ein Zeichen gesetzt, kann man wohl sagen.«

Bonnie nickte. »Allerdings. Das ist der Unterschied zwischen Männern und Frauen, oder? Frauen sind so rücksichtsvoll und bringen sich auf pflegeleichten Böden oder in der Badewanne um. Männer interessieren sich nicht für die Sauerei, die sie hinterlassen. Setzen sich im Wohnzimmer aufs Sofa und – peng.«

»Klingt als würdest du das persönlich nehmen.«

»Ja? Vielleicht. Der Schmerz, den man zufügt, reicht noch nicht. Mir kommt es so vor, als ob man es noch schlimmer macht, indem man sagt: Mein Leben ist nichts wert, unsere Familie ist nicht wert und das Heim, das wir uns aufgebaut haben, ist auch nichts wert. Ist also egal, wenn ich mein Hirn über die Tapete verteile.«

Sie blickte zu ihm auf. »Ja, Dan, ich nehme das persönlich. Als Frau und als diejenige, die hier wieder sauber machen muss.«

»Aber der Blutfleck da geht nicht mehr weg, oder?«

Bonnie ging in die Hocke und fühlte die Beschaffenheit des Teppichs. »Ein Wolle-Nylon-Gemisch. Wolle saugt Blut auf und lässt es nicht mehr los, das ist das Blöde. Ich hab da einen neuen Reiniger auf Enzymbasis. Damit könnte ich’s versuchen. Aber ein brauner Fleck bleibt in jedem Fall zurück.«

Sie erhob sich. »Kommt darauf an, wie die Witwe versichert ist, würde ich sagen. Und sonst kann man ja immer noch das Sofa über den Fleck schieben.«

Dan sah sie fragend an.

»Was denn?«, sagte Bonnie. »War nur ein praktischer Vorschlag.«

»Na klar.«

»He Dan, nicht jede Frau kann sich einen neuen Teppich leisten, nur weil ihr Verblichener so egoistisch war, sich im Wohnzimmer das Lebenslicht auszupusten.«

»Na ja.« Kopfschüttelnd sah er sich im Raum um. »Aber man fragt sich doch, was in seinem Kopf vorging.«

Bonnie deutete auf die Wand. »Das da war in seinem Kopf. Sieh es dir an.«

»Und was sagt uns das jetzt im Allgemeinen und im Besonderen?«

»Es sagt uns, dass es einen großen Unterschied gibt zwischen dem, was wir sind und woraus wir sind.«

»Und?«

»Und nichts. Aber ich stelle erfreut fest, dass die Wandfarbe wahrscheinlich abwaschbar ist. Dann ist das Blut nicht bis zum Putz durchgedrungen.«

»Na prima«, sagte Dan. Sie sahen sich an und wussten beide, dass ihre abgebrühte Flapsigkeit nur eine gut gespielte Nummer war. Es war unmöglich, nicht geschockt zu sein, wenn man in dieses Haus kam und sich ausmalte, was geschehen war. Das sanfte Licht, das Blut, die grauenvolle Leere. Das nicht enden wollende Gesumme einer einsamen Fliege.

»Zeigst du mir jetzt die Kinderzimmer?«, fragte Bonnie.


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