Die Rückkehr des Helden
Handgelenk und Knöchel hatte er immer noch in Gips, deshalb musste er den Weg zum Klo hüpfend bewältigen. Beide Augen schillerten in allen Regenbogenfarben, die Lippen waren geschwollen. Trotzdem mache er gute Fortschritte, hatte der behandelnde Arzt gesagt, und außerdem brauchten sie das Bett. Ray war’s nur recht. Für ihn war das Krankenhausessen »Dreck«.
Abends kochte Bonnie Rays Leibgericht: Schweinekoteletts und Bohnen, als Dessert eine Blaubeer-Zitronen-Torte mit Kaffeecreme.
Duke leerte drei Bierdosen. Jedes Mal, wenn er zum Trinken ansetzte, rief er: »Auf unseren Helden! Auf unseren verdammten Helden!«
Nach dem achten Trinkspruch dieser Art ging er Bonnie langsam auf die Nerven. »Ein Held, was? Weil er völlig unschuldige mexikanische Kinder verprügelt hat?«
»Er hat für seine Überzeugung gekämpft, stimmt’s? Für die Überzeugung, dass Kalifornien den Kaliforniern und nicht den verdammten Mexikanern gehört. Ist dir überhaupt klar, dass seit diesem Jahr mehr verdammte Mexikaner als Weiße in diesem Staat leben? Die verdammten Schwarzen gar nicht mitgerechnet?«
»Willst du noch Kartoffeln?«
»Lenk nicht vom Thema ab, Bonnie. Der Junge ist ein Held. Eigentlich ist er jetzt gar kein Junge mehr. Sondern ein Mann. Wenn ich damals gewusst hätte, dass er gegen die verdammten Mexen auszieht, wäre ich mitgekommen. Mann, wir hätten denen eine Lektion erteilt. Zack zack, nimm das, du Enchilada fressender Schmierlappen!«
»Du bist so selbstgerecht, Duke.«
»Selbstgerecht? Ich? Du arbeitest doch jeden Tag für zwei, nur weil irgendein Mexikaner mir meinen Job weggenommen hat, und du nennst mich selbstgerecht? Im Gegenteil! Wenn man das bedenkt, bin ich sogar ein Musterbeispiel für Toleranz! Wenn man das bedenkt, bin ich schon fast ein Heiliger, verdammt noch mal.«
»Die Anklage gegen Ray ist jedenfalls noch nicht ganz vom Tisch. Bis dahin bleibst du hoffentlich so heilig.«
»Sollen sie ihn doch anklagen. Das ist der Preis, den man als Held zu zahlen hat. Aber ich werde zu dir stehen, Junge. Bis zum bitteren Ende. Weil sie dir Respekt schulden, deshalb.«
Ray grinste Duke unsicher an. Und während Bonnie Kartoffeln schöpfte, wurde ihr plötzlich klar, was er getan hatte: Ray hatte sich auf die Seite seines Vaters geschlagen und damit ein für alle Mal die Diskussion beendet. Konnte sie es ihm verdenken? Kaum. Bisher war praktisch jedes Abendessen zum Dritten Weltkrieg eskaliert. Bonnie hatte sich gegen Dukes Argumente verschanzt, und der hatte alles auf sie geschmissen, was er an Munition aufzubieten hatte, um sich irgendwann mit wüsten Drohungen zurückzuziehen. Doch ab jetzt stand es zwei gegen eins, und deshalb würde sie zukünftig Dukes Argumente hinnehmen müssen, so ungerecht und unlogisch sie auch waren.
Mit einem hatte Duke allerdings tatsächlich Recht: Ray war als Junge zu dem Pool-Club gegangen und als eine Art Mann zurückgekehrt.
Später half sie Ray die Treppe hoch in sein Zimmer.
»Bist du noch wütend auf mich?«, fragte er, nachdem sie ihn ins Bett dirigiert hatte.
»Wütend? Auf dich? Warum sollte ich. Du bist alles, was ich habe.«
»Und was ist mit Dad? Du solltest auf ihn auch nicht mehr wütend sein.«
»Bin ich eigentlich auch nicht. Ich sehe die Welt nur mit etwas anderen Augen. Er ist so ein Traumtänzer, tut aber nie etwas, damit diese Träume auch wahr werden. Und am Schluss ist er dann enttäuscht. Nur kann man nicht sein Leben lang enttäuscht sein. Man muss es doch zumindest versucht haben.«
»Ich liebe dich, Mom. Aber Dad ist eben mein Dad.«
Bonnie lächelte verkniffen und nickte, aber in diesem Moment wurde ihr klar, dass sie nach Pasadena gehen würde.
Sie ging wieder hinunter ins Wohnzimmer. Duke hatte eine weitere Dose Bier aufgerissen, sich aufs Sofa fallen lassen und den Fernseher angestellt. Es lief Stargate.
»Guck dir das an. Was für ein Scheiß. Ist doch klar, was diese Aliens wollen. Warum knallen sie die nicht einfach ab, und das war’s dann?«
Bonnie setzte sich neben ihn und griff in die Schüssel mit dem Karamelpopcorn. »Ralph möchte, dass ich Freitag nach Pasadena gehe.«
Duke nahm langsam einen großen Schluck, rülpste dann laut und sagte: »Ralph? Ich dachte, das Arschloch hätte dich gefeuert?«
»Hatte er eigentlich auch. Aber jetzt soll ich nach Pasadena.«
Duke legte kumpelhaft seinen Arm um sie. »Tja, dann wird es dir ja hoffentlich eine Freude sein, ihm zu sagen, dass er sich seinen Trip nach Pasadena in den Teil seines Körpers schieben kann, wo die Sonne nie hinscheint, oder?«
»Nein. Ich werde fahren.«
Duke drehte sich langsam um und starrte sie an. »Hab ich dich richtig verstanden? Hast du >fahren< gesagt. Im Sinne von >fahren nach Pasadena«
»Ja. Ich werde fahren.«
»Aha. Und für wie lange, wenn ich fragen darf?«
»Ich bin Samstag Morgen wieder zurück, bleibe also nur eine Nacht.«
»Du kannst nicht im Ernst annehmen, dass ich dich mit dem Irren eine Nacht in Pasadena verbringen lasse.«
»Duke… er ist kein Irrer, sondern mein Boss. Und der Trip nach Pasadena ist ein Geschäftsreise. Sie gehört zu meinem Job. Ralph interessiert sich nicht für meinen Körper. Er interessiert sich nur dafür, dass ich möglichst gut die Produkte präsentiere.«
»Produkte präsentiere? Na klar, kann ich mir gut vorstellen. Ralph Kosherick hat nur Interesse an einem Produkt. Dem zwischen deinen Beinen. Das sollst du ihm präsentieren.«
»Du bist so primitiv, Duke. Und du machst dich lächerlich.«
»Ach, jetzt bin ich primitiv? Nur weil ich dagegen bin, dass meine Frau die Nacht mit einem sabbernden Lustmolch verbringt?«
»Pasadena ist wichtig, Duke. Wichtig fürs Geschäft. Es ist die größte Präsentation der Saison. Von ihr wird wahrscheinlich abhängen, ob Glamorex die Kurve kriegt oder Pleite macht.«
»Das interessiert mich einen Scheißdreck.«
»Ich brauche diesen Job, Duke. Ich brauche ihn nicht nur, er macht mir auch Spaß. Er befriedigt mich, weil ich mir für ein paar Stunden am Tag wie eine richtige Frau vorkomme, und nicht wie eine Putzfrau, eine Haushälterin oder eine Taxifahrerin. Deshalb werde ich nach Pasadena fahren. Ob es dir passt oder nicht.«
»Ich bin dein Mann, verdammt.«
»Komm mir nicht so, Duke.«
»Bist du taub, oder was? Ich bin dein verdammter Mann!«
»Mann? Das soll wohl ein Witz sein. Du bist doch nur der Typ, der den ganzen Tag in der Bude hockt und erwartet, dass ich seine dreckigen Klamotten wasche, ihm Essen koche und mich zu Tode arbeite, damit er sein Bier bekommt! Mann! Dass ich nicht lache. Du kriegst ihn ja nicht mal mehr hoch.«
Im dem Moment, als sie das gesagt hatte, wünschte sie auch schon, sie hätte es nicht getan. Nie hatte sie das sagen wollen. Man konnte einem Mann alles sagen: dass er faul und dreckig und gemein sei. Aber wenn man seine Männlichkeit in Zweifel zog, zog man ihm gleichzeitig den Boden unter den Füßen weg.
Duke sagte keinen Ton. Er hob seine Bierdose über ihren Kopf und leerte sie langsam aus. Sie saß nur da und merkte, wie die kalte Flüssigkeit aus ihrem Haar auf Bauch und Rücken tropfte.
»Verdammte Scheiße«, sagte Duke, »da siehst du, wozu du mich bringst.« Dann beugte er sich zu ihr vor, bis seine Nasenspitze nur noch Millimeter von ihrer entfernt war, und brüllte, so laut er konnte: »Siehst du, wozu du mich bringst?!«