Am selben Abend
Erschöpft und verschwitzt kam Bonnie an diesem Abend nach Hause. Ruth und sie hatten sich nicht nur um das Goodman-Haus, sondern auch noch um eine natürliche Todesursache in Westwood kümmern müssen. Eine Frau Mitte achtzig war friedlich im Schlaf gestorben und erst nach neun Wochen gefunden worden. Ihr Sohn, ein kleiner untersetzter Mann mit pechschwarzem Toupet, rannte die ganze Zeit rastlos durch die Wohnung, während Bonnie und Ruth arbeiteten. Und ständig blickte er auf seine Armbanduhr.
Bonnie hatte der Versuchung widerstanden und ihn nicht gefragt, warum er seine Mutter in neun Wochen nie angerufen hatte.
»Ich wohne in Albuquerque«, hatte er ungefragt geantwortet, als sie am Ende ihre Eimer und Flaschen und Planen wieder verluden.
Bonnie blickte ihn stumm und verbissen an. Ach so, dachte sie. Und in Albuquerque gibt es ja keine Telefone, oder was? Auf dem Heimweg dachte sie: Ich hätte ihm die Bettdecken seiner Mutter zeigen sollen.
Sie trat ins Wohnzimmer. Duke schaute gerade Baseball. Bonnie küsste ihn auf den Kopf. Unwillkürlich strich er sich mit den Fingern die Frisur wieder zurecht.
»Wie war dein Tag, Schatz?«, fragte sie und setzte sich auf die Lehne seines Sessels.
»Ganz gut, glaub ich. Ich hab mit Vincent vom Century Plaza gesprochen. Er hat vielleicht einen Job an der Bar für mich.«
»Na prima. Und was würdest du da machen? Cocktails mixen und so? Ein Frozen Daiquiri? Kommt sofort! Und für Madame eine Pina Colada.«
»Nee. Vor allem eindecken und abräumen und so.«
Bonnie gab ihm noch einen Kuss. »Aber es ist ein Job, stimmt’s? Und damit auch ein Anfang.«
»Klar, ein Anfang«, sagte er und beugte sich zur Seite, um an ihr vorbei das Spiel sehen zu können.
Bonnie duschte und zog sich ein gelbes Kleid mit einer gelben Kette an. Ihre Glücksfarbe. In der Küche nahm sie sechs Hühnerschenkel aus dem Tiefkühlschrank.
»Frittiertes Hähnchen okay?«
»Mit Soße?«
Für einen Augenblick musste sie an den Blutfleck auf dem Boden des Goodman-Wohnzimmers denken. »Ja, mit Soße.«
Sie streute Mehl auf einen großen, flachen Teller und gab Salz, Pfeffer und Chilipulver dazu. »Ist Ray schon zu Hause?«
»Ray? Nee, noch nicht.«
»Hat aber nicht gesagt, dass es später wird, oder?«
»Mir hat er gar nichts gesagt.«
»Ralph will, dass ich morgen nach Pasadena fahre.«
»Pasadena? Was sollst du denn in Pasadena?«
»Da ist die Moist-Your-Eyes-Präsentation.«
»Und erfährt bestimmt auch, unser Mister Unwiderstehlich, oder?«
»Was hast du nur gegen Ralph? Immer reagierst du so eifersüchtig, wenn es um Ralph geht.«
»Ich mag eben nicht, wie der Kerl dich ansieht. Und sag mir jetzt nicht, dass dir das noch nicht aufgefallen ist. Der zieht dich doch mit den Augen aus.«
Mit mehligen Fingern ging Bonnie zur Wohnzimmertür. »Duke, ein für alle Mal: Ralph Kosherick ist mir egal. Ralph Kosherick war mir schon immer egal und Ralph Kosherick wird mir immer egal sein.«
»Du benutzt seinen Namen dreimal in einem Satz und sagst mir, er ist dir egal?«
Bonnie schaute auf ihre Uhr. »Warum Ray wohl noch nicht da ist? Ich wünschte, er würde anrufen.«
»Ich kann es in seinen Augen sehen. Er macht dir praktisch den BH auf und zieht deinen Slip mit den Zähnen runter.«
»Halt die Klappe, Duke. Ich bin nicht in der Stimmung für solche Sprüche.«
Ray war nicht zur Essenszeit zu Hause, also saßen Bonnie und Duke zum Essen auf dem Sofa vor dem Fernseher. So wie damals, als sie frisch verheiratet gewesen waren.
»Schmeckt gut«, sagte Duke ohne den Blick vom Bildschirm zu nehmen. Soße klebte ihm am Kinn.
Nachdem sie fertig gegessen hatten, brachte Bonnie die leeren Teller in die Küche und nahm einen Schokoladenkuchen aus dem Kühlschrank. Für Duke schnitt sie ein großes und für sich selbst ein etwas kleineres Stück ab, das sie sich gleich in den Mund stopfte. Sie kaute noch, während sie die Essensreste in den Abfalleimer kratzte. Als sie mit Dukes Stück ins Wohnzimmer zurückkehrte, hatte sie geschluckt und sich schon den Mund abgewischt.
»Nimmst du nichts?«, fragte er.
»Du spinnst wohl. Das sind schon dreihundert Kalorien, wenn man nur dran denkt.«
Duke zuckte nur mit den Achseln und biss in seinen Kuchen. Dann deutete er auf den Bildschirm. »Der Typ da. Der hat einen ganzen VW gegessen.«
»Warum das denn?«
»Was weiß denn ich, warum? Warum essen Leute Schokoladenkuchen?«
Bonnie sagte nichts. Sie wusste, warum sie Schokoladenkuchen aß.
Die Türglocke schreckte sie aus dem Tiefschlaf. Sie saß aufrecht im Bett und war sich für einige Augenblicke nicht sicher, ob sie wirklich etwas gehört oder nur geträumt hatte. Aber dann klingelte es erneut. Sie stieß Duke mit dem Ellenbogen an. »Duke. Wach auf«, flüsterte sie. Da ist jemand an der Tür.«
Duke grunzte wie ein Schwein und rappelte sich schließlich hoch. »Was? Wie viel Uhr ist es?«
»Fünf vor halb vier.«
»Was soll die Scheiße?«
Bonnie stieg aus dem Bett, nahm ihren Morgenmantel vom Haken an der Tür und ging aus dem Schlafzimmer. Vom Gang aus erkannte sie die roten und blauen Blinklichter auf der Straße vor ihrem Haus und wusste sofort, dass etwas nicht stimmte.
»Duke!«, rief sie. »Duke! Das ist die Polizei.« Schnell lief sie zur Haustür.
Zwei Polizisten in Uniform warteten draußen. Einer war ein Puertorikaner mit dünnem Schnurrbart, der andere war schwarz.
»Mrs Winter?«, fragte der Schwarze und blendete sie mit seiner Taschenlampe.
»Was ist passiert? Es geht um Ray, oder? Sagen Sie mir, was passiert ist.«
»Machen Sie sich keine Sorgen, Mrs Winter. Ihr Sohn wurde verletzt, aber es geht ihm den Umständen entsprechend gut. Er ist im Augenblick im Krankenhaus. Wir bringen Sie gern hin, wenn Sie wollen.«
»Verletzt? Was meinen Sie mit verletzt?«
Inzwischen hatte Duke in schwarzen Kniestrümpfen und kurzem rosa Bademantel den Weg zur Tür gefunden. »Was ist denn hier los?«, wollte er wissen.
»Mr Winter? Ihr Sohn Ray wurde verletzt. Er ist gerade drüben im Krankenhaus zur Behandlung.«
»Verletzt? Wie? War es ein Autounfall? Mein Sohn fährt noch gar nicht.«
»Nein, Sir. Wie es scheint, wurde Ihr Sohn in eine ethnische Auseinandersetzung verwickelt.«
Duke massierte sich verständnislos mit verkniffenen Augen die Nasenwurzel. »Ethnische Auseinandersetzung? Was heißt das in unserer Sprache? Meinen Sie einen Rassenkrawall?«
»Nicht direkt einen Krawall, Mr Winter. Aber es geht um einen rassistisch motivierten Angriff, ja.«
»Wie viele waren es?«
»Wie bitte?«
»Sie haben mir gerade gesagt, dass mein Sohn das Opfer eines rassistisch motivierten Angriffs war, und ich möchte wissen, wie viele es waren?«
»Ungefähr siebzehn, soweit wir wissen, aber Ihr Sohn war nicht…«
»Siebzehn? Siebzehn Schwarze gegen einen weißen? Heilige Scheiße!«
»Mr Winter. Ihr Sohn wurde nicht von siebzehn Afroamerikanern angegriffen. Ihr Sohn gehörte zu den siebzehn, die in den Kampf verwickelt waren. Elf Weiße und sechs Mexikaner. Keine Afroamerikaner. Alle Beteiligten trugen Verletzungen davon, meist Stichwunden und Quetschungen. Einer wird wohl ein Auge verlieren. Vierzehn sind nicht mehr in Behandlung. Drei, darunter Ihr Sohn, sind noch im Krankenhaus.«
»Ray hat Mexikaner angegriffen? Haben wir das richtig verstanden?«, fragte Bonnie.
Der schwarze Polizist nahm sein Notizbuch und schlug es auf. »Elf weiße Jugendliche betraten die X-Cat-Ik-Pool-Bar Downtown, kurz darauf begann die Schlägerei. Wir haben drei Messer, eine Machete und einen Baseballschläger sichergestellt. Unglücklicherweise behaupten alle Gäste der Bar, nichts gesehen zu haben, obwohl kein Zweifel daran bestehen kann, dass der eigentliche Angriff rassistisch motiviert war.«
»Nein, das muss ein Irrtum sein. Mein Ray hat mit solchen Sachen nichts zu tun«, sagte Bonnie.
»Das sind die Fakten, Mrs Winter.«
Duke war rot angelaufen, Bonnie legte ihm einen Hand auf den Arm. »Sagen Sie uns einfach, wo er liegt, dann finden wir ihn schon selbst.«