Pasadena oder am schönsten ist es immer woanders


»Phil, ich möchte dir Bonnie vorstellen. Bonnie, das ist Phil Cafagna, Chefeinkäufer von Pacific Pharmacy.«

Der Mann mit den grauen Haaren im grauen Anzug küsste galant ihre Hand. »Ich bin entzückt und fühle mich in meiner Ansicht bestätigt, dass Ralph einen außergewöhnlichen Geschmack hat.«

»Bonnie ist eine unserer besten Mitarbeiterinnen, Phil. Dank ihr haben wir unseren Turnover dieses Jahr um sechs Prozent steigern können.«

»Kein Wunder, wenn ich sie mir so anschaue«, sagte Phil lächelnd. Seine blauen Augen glänzten im sonnengebräunten Gesicht. Irgendwie erinnerte er Bonnie an Blake Carrington aus dem Denver-Clan. Nur seine Frisur wollte nicht passen, denn sie schien an zwei Wirbeln teuflische Hörnchen zu bilden. Bei genauerem Hinsehen entpuppte sich das Haar als Toupet.

»Bis später, Bonnie«, sagte Phil und verschwand in der Hotellobby.

»Vor dem musst du dich hüten«, sagte Ralph leise, »das ist ein Wolf im Schafspelz.«

»Den Pelz hat er wohl mehr auf dem Kopf.«

Ralph legte mahnend einen Finger auf die Lippen.

»Von seiner Laune kann unser Geschäft abhängen. Pacific Pharmacys hat über zweihundertachtzig Filialen an der Küste zwischen Eureka und San Diego. Wenn er unsere Produkte mag, sind wir gerettet.«

»Solange ich ihm dafür nicht den Pelz kraulen muss.«

Bonnie und Ralph standen in der Lobby des Ramada Inn am East Colorado Boulevard in Pasadena, Kalifornien. Die Lobby war voll mit Einkäufern und Händlern aus der Kosmetikbranche, und ein überwältigendes Duftgemisch aus Parfüm, Eau de Toilette, Aftershave und Deodorant hing in der Luft. Bonnie trug eine pinkfarbene Kombination aus gewachster Baumwolle, und verglichen mit ihren Konkurrentinnen und Kunden im weiten Rund kam sie sich underdressed und ungeschminkt vor. Ralph hatte sich für die Gelegenheit ein schickes sportliches Jackett geleistet und sich sogar eine Orchidee ins Knopfloch gesteckt. Die Aufschläge seiner Hosen schwebten trotzdem drei Zentimeter über dem Spann seiner Gucci-Slipper.

»Okay, es läuft so: Unsere Hauptpräsentation ist um sieben, danach gibt’s Cocktails und Smalltalk und sechs kleinere Präsentationen sowie die Moist-Your-Eyes-Promotion. Sobald wir eingecheckt haben, gehen wir alles noch mal durch.«

»Ralph, ich wollte dir noch danken. Dafür, dass du es noch mal mit mir versuchst.«

»Unsinn. Ich hätte dich nie feuern dürfen. Schließlich hast du doch Familie und Verantwortung.«

»Zumindest so was Ähnliches wie eine Familie.«

»Macht Duke immer noch Schwierigkeiten?«

»Woher weißt du…?«

»Unsere Firma ist nicht sehr groß, Bonnie. Es gibt nicht viel, was ich nicht weiß. Schon gar nicht, wenn es um Mitarbeiter geht, die mir wirklich am Herzen liegen.«

»Ach ja? Jedenfalls kriegen wir das schon geregelt.«

Die Glamorex-Präsentation lief noch viel besser, als Bonnie sich erhofft hatte. Die Werbefilme für die Produkte waren alle an Schauplätzen und in Kulissen bekannter Seifenopern gedreht worden. Auch die Drehbücher hatten diesen gefühligen, witzigen Seifenopern-Stil, in dem Frauen erklärt wurde, dass sie mit »My Mystery«-Lid-schatten wie Millionärsgattinen aussahen und mit »Angel Glitter«-Bodylotion den Kerl ihrer Träume rumkriegten.

In der Kulisse des Insomnia-Coffeehouses aus Dreist und sexy legten junge Mädchen funky Tanzschritte aufs Parkett, um eine neue Generation von »Disco Nights«-Nagellacken vorzuführen. Im Colonnade Room aus Reich und rastlos dinierten distinguierte Herrschaften und präsentierten perfekte Frisuren dank »Loving Embrace«-Haarspray.

Nach der Präsentation wurden Champagner und Kanapees gereicht. Zwei schöne Visagistinnen, eineiige Zwillinge, führten die neuen Produkte von Glamorex für alle Interessierten vor. Hinter vorgehaltener Hand nannte Ralph sie nur die »hirnamputierten Barbiepuppen«.

Nachdem Bonnie noch ihre Sprüche für »Moist Your Eyes« heruntergerasselt hatte, kam Phil Cafagna zu ihr herüber und erhob sein Glas. »So was wie Sie nennt man Betriebskapital, Bonnie. Ralph kann von Glück sagen, dass er Sie hat.«

»Er ist ein guter Chef, Mr Cafagna.«

»Mein Güte, nennen Sie mich doch Phil. Ein Glas Wein vielleicht?«

Er schnappte sich ein Glas vom Tablett eines vorbeieilenden Kellners und reichte es ihr. »Einen Toast«, forderte er. »Auf das wahre Gesicht hinter der geschminkten Maske!«

Bonnie wusste zwar nicht genau, was er damit meinte, stieß aber trotzdem mit ihm an.

»Und was ist mit Ihnen, Bonnie?«, fragte er. »Wie sieht Ihr wahres Gesicht aus, wenn Sie nicht gerade Glamorex-Kosmetik verkaufen. Wer sind Sie?«

»Mutter und Ehefrau.«

»Das hab ich nicht gemeint. Die Begriffe Mutter und Ehefrau definieren Ihr Verhältnis zu anderen, aber sie sagen mir nichts über Sie.«

»Ich bin mir nicht ganz sicher, wie ich wirklich bin. Gut, hoffe ich. Jemand, auf den man sich verlassen kann und der anderen hilft, wenn sie einen brauchen.«

»Bestimmt tun Sie das. Sie wirken auf mich wie ein sehr fürsorgender Mensch. Andererseits spüre ich auch, dass Sie nur sehr selten ausbrechen und ganz Sie selbst sein können.«

Bonnie sah ihn an und schüttelte ganz leicht den Kopf, um zu zeigen, dass sie nicht wusste, wovon er sprach.

Er nahm ihren Arm und führte sie zum Fenster. Eine angenehme warme Brise wehte Fetzen von Tanzmusik herein.

»Jeden Tag arbeite ich mit Frauen und für Frauen. Es ist sozusagen mein Beruf, Frauen zu verstehen«, sagte Phil. »Heutzutage streben sie nach Unabhängigkeit, machen Karriere und auch ansonsten so ziemlich alles, wozu sie Lust haben. Aber wissen Sie was, Bonnie? Trotzdem stecken Frauen immer noch in derselben Falle. Alle. Bis zu dem Augenblick, in dem sie jemandem begegnen, der sie befreit. Und das ist es, was Sie brauchen, Bonnie. Jemanden mit dem Schlüssel für Ihre Falle, dem Schlüssel zur Freiheit.«

Sie schlenderten unter den Arkaden entlang, Wind raschelte leise in den Blättern der Kletterpflanzen über ihnen. Die Band spielte eine etwas zähe Version von Lyle Lovetts »Nowbody knows me«. Bonnie hatte das Gefühl, das erste Mal seit Jahren innerlich wieder ganz entspannt und ruhig zu sein. Sie empfand die Situation sogar als romantisch.

»Noch ein Glas Wein?«, fragte Phil.

»Besser nicht. Ich habe morgen noch einen Frühstückstermin, und dann geht’s gleich zurück nach L.A.«

Plötzlich blieb Phil stehen und sah ihr in die Augen. »Sie sehen toll aus, Bonnie. Sie könnten alles haben, und es schmerzt mich mitanzusehen, wie Sie leiden.«

»Ich leide nicht, Phil. Ich bin eine normale, hart arbeitende Frau wie viele andere.«

»Das glauben Sie. Aber ich erkenne Leid. Ich spüre Leid Meilen gegen den Wind.«

Bonnie zuckte mit den Achseln. »Ich habe natürlich auch so meine Probleme.«

»Ihr Mann sieht Ihr Potenzial nicht.«

»Um ehrlich zu sein: Ich glaube, mein Mann sieht mich überhaupt nicht.«

»Und mit den Kindern gibt es nur Ärger.«

»Kind. Wir haben nur eins. Ray ist siebzehn. Aber was kann man von dem Alter erwarten. Es ist schwierig, erwachsen zu werden.«

»Also, was werden Sie unternehmen?«

»Unternehmen? Was denken Sie denn? Ich werde morgen nach Hause gehen, so wie immer.«

»Und wenn ich sagen würde: Tun Sie’s nicht.«

»Ich muss, Phil. Was soll ich denn sonst tun?«

»Bleiben Sie bei mir. Wenigstens diese Woche. Wir könnten segeln gehen vor Catalina Island, wir spazieren am Strand, essen Hummer und trinken Champagner.«

Bonnie schüttelte lächelnd den Kopf.

»Hören Sie, Bonnie«, sagte er, »viele halten mich für eine Art Casanova, der Frauen abschleppt, mit ihnen schläft, sie wegwirft und sich die Nächste holt. Aber das ist es nicht. Ich ertrage das Leid von Frauen nicht, die nie zu sich selbst finden. Ihre Ehemänner gewähren diesen Frauen keine Freiheit, weil sie ihnen dienen sollen. Ihre Chefs gewähren diesen Frauen keine Freiheit, weil sie dann vielleicht fordern würden, was ihnen zusteht. Und so geht es jahrein, jahraus. Bis sie eines Tages erkennen müssen, dass das Leben an ihnen vorbeigegangen ist und Spuren hinterlassen hat. Nur der Lebensabend wartet noch auf sie. Ich nenne so ein Leben Gefängnis – lebenslänglich.

Ich habe meinen Spaß daran, diesen Frauen Bewährung zu geben. Es macht mir Spaß, ihnen zu zeigen, wie interessant und attraktiv sie sind. Manchmal haben wir Sex, manchmal nicht. Das ist nicht so wichtig. Wichtig ist, die Zellentür ihres bisherigen Lebens weit aufzureißen und hineinzuschreien: Komm raus! Lass uns spielen, lass uns leben, ohne Zügel, ohne Verantwortung, ohne Beschränkung. Komm lass uns tanzen und die Luft der Freiheit atmen!«

Bonnie leerte ihr Champagnerglas. Dann stellte sie sich auf die Zehenspitzen und gab Phil einen Kuss auf die Backe. »Darf ich mal was sagen?«

»Natürlich. Sie sind ein freier Mensch, auch wenn Sie’s nicht glauben.«

»Keine Zügel, keine Verantwortung, keine Beschränkung?«

»Keine.«

»Das, was Sie da gerade gesagt haben… dass Sie mir Bewährung geben wollen und so… also ich habe in meinem ganzen Leben noch nie so gönnerhafte Scheiße gehört.«

Sie sagte das mit einem so süßen Lächeln, dass er für volle drei Sekunden die Bedeutung ihrer Worte nicht verstand. Dann erst begann es, in seinem Gesicht zu arbeiten. Ganz offenbar kämpfte er mit sich und suchte nach einer möglichst würdevollen Erwiderung.

»Sie halten das für gönnerhafte Scheiße?«, sagte er schließlich. Er hatte sich unter Kontrolle, aber in seiner Stimme lag eine neue Schärfe.

»Wenn Sie mich fragen, ja. Und das sage ich als Frau, die jeden Tag den ganzen Tag mit Männern zu tun hat.«

»Wir werden in dem Fall wohl nicht die Nacht zusammen verbringen?«

»Halte ich für sehr unwahrscheinlich.«

»Verstehe. So unwahrscheinlich wie die Aussicht auf nur eine einzige Bestellung bei Glamorex?«

»Soll das eine Drohung sein?«

»Nein, Schätzchen. Das sollten Sie aber besser wissen. Das ist keine Drohung, sondern nur gönnerhafte Scheiße.«

Als Bonnie in die Hotelbar kam, schüttete Ralph gerade Whisky Sours in sich hinein. Sie setzte sich auf den Hocker neben ihm und bestellte beim Barmann einen Spritzer. Eigentlich war ihr mehr nach einem Bier zumute, aber sie hatte sich vorgenommen, auf ihre Figur zu achten.

»Heute feiern wir«, verkündete Ralph und hob sein Glas. »Heute Nachmittag haben wir mehr Bestellungen reingekriegt als in den ganzen letzten sechs Monaten zusammen. Und das haben wir vor allem dir zu verdanken!«

»Ralph…«

»Keine falsche Bescheidenheit. Das hast du toll gemacht. Phil Cafagna hat dir ja praktisch aus der Hand gefressen. Wie konnte ich nur je auf den Gedanken kommen, dich zu feuern? Aber du hast mir schon vergeben, oder?«

»Ralph, es gibt nichts, was ich dir vergeben müsste.«

»Von wegen. Wenn ich ehrlich sein soll, Bonnie, war ich eifersüchtig. Ja, eifersüchtig, weil ich dich nach Pasadena mitnehmen wollte und du nicht konntest wegen deinem Sohn und deinem Mann. Ja, ich gebe es zu.«

»Du hast gar keinen Grund zur Eifersucht, Ralph.«

»Hab ich doch.« Er beugte sich zu ihr vor und schaute ihr in die Augen, als wolle er ganz sichergehen, dass er die Richtige vor sich hatte. »Ich liebe dich, Bonnie. Darum geht es. Ich liebe dich, seit ich dich das erste Mal gesehen habe, und seitdem liebe ich dich noch viel mehr. Verstehst du das?«

»Du hattest ein paar Drinks zu viel, Ralph.«

»Stimmt. Denen verdanke ich ja den Mut, dir endlich meine Gefühle zu gestehen, genau. Du bist einfach die begehrenswerteste Frau, die ich jemals getroffen habe.«

»Ich fühle mich geschmeichelt, Ralph, aber du bist ein verheirateter Mann und ich bin eine verheiratete Frau.«

»Na und? Ist doch egal. Du und ich wissen, dass wir mit den Falschen verheiratet sind.«

»Ich muss dir etwas sagen, Ralph, etwas sehr Unangenehmes.«

»Schhh, sag jetzt nichts, mach es nicht kaputt.«

»Was?«

»Die Illusion von einem Pärchen, das an der Bar noch kurz einen Drink nimmt, bevor es sich mit einer Flasche Schampus aufs Zimmer zurückzieht und dort wilden Sex hat.«

»Das ist eben eine Illusion.«

Ralph nahm seine Brille ab. »Bist du sicher?«


Загрузка...