6. Kapitel

Als Gurronsevas darum gebeten hatte, ein großes, ringsum abgeschlossenes Becken mit Wasser benutzen zu dürfen, das nicht so groß war, daß für seine sauerstoffatmenden Helfer die Gefahr zu ertrinken bestand, aber trotzdem genügend Platz bot, um die geplanten Tests durchzuführen, ohne daß die Versuchsobjekte allzu oft gegen die Begrenzungswände stießen, hatte er nicht mit etwas derart Riesigem wie dem gerechnet, vor dem er jetzt stand. Einen Augenblick lang war er vor Überraschung sprachlos.

Die helle, aber gut versteckte künstliche Beleuchtung und die wirklich geniale Landschaftsgestaltung des Freizeitbereichs vermittelten einem die Illusion enormer Weite. Das Endprodukt war ein kleiner, tropischer Meeresstrand, der auf zwei Seiten von niedrigen Felsen eingerahmt war, in denen sich mehrere große und kleine Höhlenöffnungen befanden. Hinter diesen Öffnungen lagen die verborgenen Zugangstunnel zu mehreren Sprungbrettern, die in verschiedenen Höhen aus der weichen, künstlichen Felswand hervorragten und ständig genutzt wurden. Der Strand war zur See hin offen, die sich scheinbar bis zum fernen Horizont erstreckte, der unmerklich in ein Hitzeflimmern überging. Der Himmel über Gurronsevas’ Kopf war blau und wolkenlos, weil realistische Wolkeneffekte nur schwer nachzuahmen waren, wie ihm Timmins verraten hatte. Das Wasser in der Bucht schimmerte tiefblau und wies dort, wo es auf den abfallenden Strand traf, einen leicht türkisfarbenen Stich auf Für die Dauer des Versuchs waren die Wellenmaschinen abgeschaltet worden, so daß das Wasser sanft plätschernd am weichen, goldenen Sand leckte, der angenehm warm unter den Füßen war.

Lediglich die künstliche Sonne, deren Schein eine orangefarbene Tönung hatte, die Gurronsevas merkwürdig fand, und die fremdartigen Grünpflanzen, die die Felsspitzen umsäumten, raubten ihm die Illusion, sich in irgendeiner tropischen Bucht auf seinem Heimatplaneten zu befinden.

„Beim ersten Anblick unseres Freizeitbereichs für warmblütige Sauerstoffatmer sind Neulinge stets beeindruckt“, verkündete Lieutenant Timmins nicht ohne Stolz. „Es hat immer wenigstens ein Drittel der medizinischen Mitarbeiter frei, und die meisten von ihnen verbringen hier gerne ein paar Stunden. Manchmal ist der Freizeitbereich derart überfüllt, daß man vor lauter Körpern kaum noch den Strand oder das Meer sehen kann. Aber Platz steht im Orbit Hospital hoch im Kurs, und von den Wesen, die zusammen arbeiten, erwartet man auch, daß sie gemeinsam ihre Freizeit verbringen.

In psychologischer Hinsicht ist der wirkungsvollste Teil an den hiesigen Umweltbedingungen derjenige, den Sie nicht einmal sehen können“, führ Timmins fort, wobei er noch immer über das, was offenbar das Lieblingskind der Wartungsabteilung war, wie ein stolzer Vater berichtete. „Im gesamten Bereich wird ständig knapp die Hälfte der Standardschwerkraft beibehalten, und ein halbes Ge bedeutet, daß sich die Müden besser entspannen und die Munteren noch lebendiger fühlen können. Leider mangelt es hier an Einsamkeit, aber es sind jetzt so viele verschiedene Lebensformen da, die ihre Freizeit auf derart viele seltsame Arten genießen, daß wir unsere Versuche wahrscheinlich unbemerkt durchführen können.

Fangen wir jetzt gleich an, oder warten wir noch auf Thornnastor?“

„Jetzt gleich, bitte“, antwortete Gurronsevas und half Timmins und den beiden melfanischen Assistenten, die Ausrüstung auf das große, in leuchtenden Farben gestrichene Floß zu schaffen, das im seichten Wasser lag.

Nur einmal machte Gurronsevas eine Pause, als sich kurz sein Kommunikator zu Wort meldete und man ihm mitteilte, daß Diagnostiker Thornnastor in einer unausweichlichen Angelegenheit aufgehalten worden sei und nicht in der Lage sein werde, wie geplant zu ihnen zu stoßen, man an seiner Stelle jedoch die Pathologin Murchison schicken werde. Nach der plötzlichen Veränderung von Timmins’ Gesichtsausdruck zu urteilen, freute den Lieutenant diese Nachricht außerordentlich.

Doch waren sie alle viel zu beschäftigt, die Einstellung des Antriebssystems eines der Versuchsobjekte zu verändern — dem einzigen, das noch nicht explodiert und in tausend durchweichte Einzelteile zersprungen war oder einen sonstigen Defekt aufgewiesen hatte—, als daß sie die Ankunft der Pathologin bemerkt hätten, die bereits zu dem Floß hinausgeschwommen war, sich heraufgezogen hatte und sie nun ansprach.

„Thornnastor hat leider keine Zeit mehr gehabt, mich genauer zu instruieren“, sagte Murchison. „Was ist das für ein Ding da? Und was soll ich hier eigentlich? Ich habe nämlich Besseres zu tun, als erwachsenen und geistig vermutlich reifen Lebewesen zuzusehen, die wie Kinder im Wasser planschen.“

Wie Gurronsevas sah, handelte es sich bei Murchison um eine große terrestrische DBDG mit den schwammigen und kopflastigen Formen, die vielen weiblichen Mitgliedern dieser Spezies gemein waren. Die durch das Wasser dunkler gewordene lange, blonde Kopfbehaarung klebte ihr am Nacken und an den Schultern, und sie trug, da die terrestrische Zivilisation zu den wenigen zählte, für deren Angehörige immer noch ein Nacktheitstabu galt, zwei lachhaft schmale Stoffstreifen um Brust und Becken. Obwohl in ihrer Äußerung Kritik mitschwang, schien ihr Auftreten eher freundlich zu sein. Bevor er ihr antwortete, hielt sich Gurronsevas vor Augen, daß es sich bei Murchison immerhin um Thornnastors erste Assistentin und um die Lebensgefährtin eines anderen Diagnostikers namens Conway handelte, und er sich mit seinen Äußerungen lieber zurückhalten sollte.

„Das sieht vielleicht so aus, Madam“, antwortete Timmins, bevor Gurronsevas etwas sagen konnte, „und ich muß zugeben, das hier ist nicht gerade das unangenehmste Projekt, mit dem ich bisher betraut worden bin. Doch für das, was wir hier machen, gibt es ernsthafte technische und medizinische Gründe.“

„Fürs Herumalbern mit einem Spielzeugboot?“ hakte Murchison ungläubig nach.

„Genaugenommen ist das kein Boot, Madam“, entgegnete der Lieutenant lächelnd. Er hob das Versuchsobjekt aus dem Wasser, damit die Pathologin es deutlicher sehen konnte. „Vielmehr handelt es sich um den Prototypen eines Unterwasserfahrzeugs mit einer abgeflachten ovalen Form, das dafür konstruiert worden ist, in einem stabilen Gleichgewichtszustand zu bleiben, egal in welche Tiefe man es setzt. Danach soll es seine Position und Tiefe zufällig und mit großer Schnelligkeit ändern.

Das Antriebssystem besteht aus einem dünnwandigen Kunststoffzylinder, in dem sich komprimiertes Gas befindet und der genau in diese zylindrische Öffnung am Heck paßt“, fuhr Timmins fort. „Kleinere Vertiefungen rund um das Fahrzeug herum sowie in der Ober- und Unterseite beherbergen winzige Kapseln mit komprimiertem Gas, die zum Verändern der Schwimmlage im Wasser eingesetzt werden. Die Hüllen dieser Steuerkapseln sind wasserlöslich und weisen verschiedene Dicken auf, so daß sie unterschiedlich lange brauchen — von fünf bis fünfundsiebzig Sekunden sind alle Zeiten vertreten—, um sich aufzulösen und das Gas freizusetzen. Das bedeutet, die Richtungsänderungen werden zufällig eintreten, und folglich wird das Fahrzeug nur sehr schwer zu fangen sein, zumindest bis ihm das Gas ausgeht, durch das es angetrieben wird. Bei diesem Testfahrzeug wird das in zwei Minuten der Fall sein. Wir wollen gerade eine weitere Testfahrt durchführen, Madam. Das sollte auch für Sie interessant sein.“

„Ich kann es gar nicht erwarten“, merkte Murchison schnippisch an.

Timmins und die beiden Melfaner setzten das Testfahrzeug auf das Floß und kletterten selbst hinauf. Durch ihr gemeinsames Gewicht neigte sich das Floß erschreckend. Damit die drei Platz zum Arbeiten hatten, trat Murchison rasch zurück, wobei sie die Arme ausstreckte, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, und Gurronsevas blieb im Wasser. Er war groß genug, um mit den Füßen auf dem Grund zu stehen und gleichzeitig mit dem Kopf über Wasser zu bleiben. Zwei seiner Augen brachte er unter die Wasseroberfläche, um nach Tauchern Ausschau zu halten, die unberechtigterweise in das Testgebiet eindringen könnten, und mit den anderen beiden sah er Timmins und den beiden Melfanern zu, bis das Fahrzeug wieder mit gefüllten Gaskapseln versehen und einsatzbereit war.

„Diesmal werden wir es in eine Tiefe von einem halben Meter bringen, weil ich das Verhalten von dem Moment, in dem sich der Verschluß der Hauptantriebseinheit auflöst, bis zum Platzen der ersten Steuerkapsel genauestens beobachten will“, sagte Gurronsevas. „Halten Sie es so waagerecht wie möglich, lassen Sie es beide gleichzeitig los und ziehen Sie die Hände langsam weg, damit Sie keine Wirbel verursachen, die eine Veränderung der Schwimmlage hervorrufen könnten, bevor das Versuchsfahrzeug durch das Gas aus den Kapseln angetrieben wird. Haben das alle verstanden?“

„Das haben wir schon verstanden, als Sie es uns zum ersten Mal erklärt haben“, bestätigte einer der Melfaner so leise, daß klar war, die Bemerkung sollte nicht überhört werden.

Gurronsevas beschloß, sich aus diplomatischen Gründen taub zu stellen.

Seit ihrem Eintreffen hatte Murchison noch nicht direkt mit Gurronsevas gesprochen, und da Timmins eifrig bedacht war, alle notwendigen Informationen weiterzugeben, bestand für Gurronsevas außer bloßer Höflichkeit kein Grund, die Pathologin anzusprechen. Langsam kamen ihm ernste Zweifel an der Durchführbarkeit des ganzen Vorhabens, und je weniger er im Moment sagte, desto weniger Verlegenheit würde später durch die Entschuldigung bei seinen Helfern entstehen, mit den Versuchen bloß ihre Zeit vergeudet zu haben. Jedenfalls lag die Pathologin ausgestreckt auf dem Floß und hatte Gesicht und Augen den Startvorbereitungen zugewandt.

Wie Gurronsevas mit wachsender Ungeduld bemerkte, widmete Timmins den Großteil seiner Aufmerksamkeit der Pathologin. Der Tralthaner hielt sich vor Augen, daß die terrestrischen DBDGs einer Spezies angehörten, deren Mitglieder im Gegensatz zur großen Mehrheit anderer Lebensformen in der Föderation, die jedes Jahr nur für kurze Zeiträume äußerst aktiv waren, ihr ganzes Leben als Erwachsene lang zu sexueller Erregung und Betätigung imstande waren. Es gab zwar einige, die die Terrestrier um diese Fähigkeit beneideten, aber Gurronsevas persönlich hielt sie für einen Nachteil, der die Denkvorgänge der DBDGs nur allzu oft qualitativ minderte. Doch auch dies war wieder ein Moment, an dem diplomatisches Schweigen angebracht zu sein schien.

Der nächste Versuch ließ sich gut an: Ein dünner, sprudelnder Strahl aus komprimiertem Gas trieb das Fahrzeug in nicht ganz gerader Linie mit langsam zunehmender Geschwindigkeit in konstanter Tiefe voran. Da es sich bei der Beute der Chalder um Amphibien handelte, war es normal, daß sie beim Fliehen Luft absonderten. Als die erste seitliche Steuerkapsel mit einem schwächeren und kürzeren Ausstoß von Blasen Gas freisetzte, ging das Fahrzeug in eine weite Kurve, die es wieder in Richtung Floß brachte. Dann löste sich auf derselben Seite eine weitere Gaskapsel auf und platzte, wodurch sich der Kreis, den das Fahrzeug beschrieb, spiralenförmig verengte, bis es plötzlich die Wasseroberfläche durchstieß und anfing, in Drehbewegungen unkontrolliert über das Wasser zu gleiten, da die Antriebseinheit die von den beiden Seitendüsen verursachte Rotation verstärkte. Die übrigen Kapseln platzten zufällig und verpufften ohne Wirkung, und kurz darauf kam das Fahrzeug zum Stehen, wobei es sich noch immer langsam drehte und mit der Oberseite aus dem Wasser ragte.

Einer der Melfaner fischte es heraus, und es kam zu einer technischen Debatte über die Instabilität, die der abgeflachten ovalen Form anhaftete. Gurronsevas war zu verärgert und enttäuscht, um sich zu beteiligen, doch anscheinend galt das nicht für Murchison.

„Zwar ist das nicht gerade mein Spezialgebiet, aber die Spielzeugboote meines Bruders, mit denen ich als Kind immer gespielt habe, waren mit Kielen ausgerüstet, durch die sie selbst bei wechselndem Wind eine hohe Richtungsstabilität bekommen haben“, meinte die Pathologin. „Als ich und mein Bruder älter geworden waren und zu Schnell- und U-Booten übergegangen sind, haben wir ferngelenkte Steuer- und Tiefenruder gehabt, um die Fahrtrichtung beziehungsweise Tiefe beizubehalten oder zu ändern. Könnte man hier nicht etwas Ähnliches verwenden?“

Timmins und die Melfaner verstummten, entgegneten aber nichts. Sie alle blickten Gurronsevas an. Ganz offensichtlich konnte er nicht länger schweigen.

„Nein“, antwortete er. „Das geht erst, wenn der Funkempfänger und die Steuerelemente aus nichtmetallischen, ungiftigen und genießbaren Materialien hergestellt werden können.“

„Genießbar?“ erkundigte sich Murchison. „Ach, deshalb bin ich hierhergeschickt worden“, fuhr sie mit leiserer Stimme fort. „Daß Thorny Sinn für Humor hat, habe ich bisher gar nicht gewußt. Fahren Sie bitte fort.“

„In der endgültigen Form müßte das gesamte Fahrzeug genießbar oder zumindest für die chalderische Lebensform ungiftig sein, und dazu würden auch die wasserlöslichen Gaskapseln für den Antrieb und die Steuerung gehören“, erklärte Gurronsevas und erfüllte damit Murchisons Wunsch. „Wenn wir einen Kiel hinzufügen würden, der ebenfalls genießbar sein müßte und kaum scharfe Kanten aufweisen dürfte, um bei den Patienten keine Verletzungen am Maul zu riskieren, stünden wir vor der Schwierigkeit, daß sich durch die Konstruktion das optische Erscheinungsbild des Fahrzeugs ändern und es nicht mehr der natürlichen und stark bevorzugten Beute der Chalder ähneln würde, bei der es sich um stromlinienförmige Wassertiere mit hartem Panzer von der Größe und Form unseres Versuchsobjekts handelt. Ein erkrankter chalderischer Patient, der auf dem Weg der Besserung ist, hält es wahrscheinlich nicht für notwendig, unbekannte Beutetiere zu jagen.

Wie Sie sicherlich verstehen werden, haben die beengten räumlichen Verhältnisse auf der AUGL-Station sowohl physische als auch physiologische Auswirkungen, durch die die Genesungszeit unnötig verlängert wird“, setzte Gurronsevas seine Ausführungen fort. „Aufgrund des Unvermögens, sich ausreichend zu bewegen, werden die Patienten faul, lustlos und fast lethargisch. Vielleicht sollte ich Ihnen erklären, daß die Physiologie der AUGLs so beschaffen.“

„Sparen Sie sich die Mühe, denn neben anderen Physiologien bin ich auch mit der der Chalder bestens vertraut“, unterbrach ihn Murchison ungeduldig.

Einen Augenblick lang strahlte Gurronsevas eine solche Verlegenheit aus, daß er sich nicht gewundert hätte, wenn das Wasser um ihn herum ins Dampfen geraten wäre. „Sie müssen schon entschuldigen, Pathologin Murchison“, sagte er, „aber diese Kenntnisse über Chalder sind für mich völlig neu und äußerst spannend, und in meiner Aufregung habe ich dummerweise bei anderen ein ähnliches Maß an Unwissenheit vorausgesetzt wie bei mir. Ich wollte Sie wirklich nicht beleidigen.“

„Das haben Sie auch nicht“, besänftigte ihn die Pathologin. „Ich habe nur versucht, Sie davon abzubringen, Zeit mit einer unnötigen Erklärung zu vergeuden. Doch die nichtintelligenten Lebensformen auf Chalderescol, zu denen auch das Beutetier gehört, das Sie zu kopieren versuchen, spielen für meinen Beruf keine Rolle, und deshalb weiß ich darüber so gut wie gar nichts. Wie bewegt sich denn das echte Tier fort? Wie ergreift es die Flucht? Und wie gelingt es ihm, die Richtungsstabilität beizubehalten?“

Stark erleichtert antwortete Gurronsevas schnell: „Das Tier verfügt in der Mitte jeder Körperseite über acht Flossen, deren Schlagfrequenz und Verdrängungswinkel es verändern kann, um aufzusteigen, weiter unterzutauchen oder schlagartig die Richtung zu ändern, indem es mit den Flossen auf der einen Seite andersherum rudert. Die Flossen selbst bestehen aus einem lichtdurchlässigen Gerüst, das eine durchsichtige Membran stützt, die das Tier auf der Flucht dermaßen schnell bewegt, daß sie praktisch unsichtbar ist. Wechselt das Tier die Richtung, entsteht ein leichter Strudel, der so ähnlich wie die Blasen aussieht, die die Lagesteuerungsdüsen des Versuchsobjekts erzeugen.

Bedauerlicherweise sieht das Modell nur wie das echte Tier aus, verhält sich jedoch nicht so“, fügte Gurronsevas hinzu. „Seine Schwimmeigenschaften sind hoffnungslos instabil.“

„Das kann man wohl sagen“, pflichtete ihm Murchison bei. Mehrere Minuten blieb sie in Schweigen versunken und betrachtete nachdenklich das Versuchsobjekt im Wasser, während Timmins genauso aufmerksam die Pathologin anstarrte und sich die beiden Melfaner leise miteinander unterhielten. Auf einmal meldete sich die Pathologin zu Wort. „Wir brauchen irgendeinen Kiel, aber einen, der das Aussehen des Fahrzeugs nicht verändert“, entschied sie mit leiser, aber aufgeregter Stimme. „Das echte Tier benutzt Flossen, die lichtdurchlässig sind und die sich zu schnell bewegen, um wahrgenommen werden zu können. Warum verwenden wir also nicht einfach einen unsichtbaren Kiel?“

Ohne jemandem Gelegenheit zu einer Antwort zu geben, fuhr sie fort: „Eigentlich müßten wir ihn aus einem gehärteten und formbaren durchsichtigen Gel anfertigen können, das über den gleichen Brechungsindex wie Wasser verfügt. Das Gel müßte natürlich genießbar und von der Struktur her weich genug sein, um nicht die Zähne oder den Verdauungstrakt des Patienten zu beschädigen. Einige der Bestandteile habe ich bereits im Kopf, und, na ja, der Geschmack würde von neutral bis absolut scheußlich reichen, aber daran könnten wir arbeiten, bis wir.“

„Sie können diese genießbare Stabilisierungsflosse herstellen?“ fiel ihr Gurronsevas ins Wort, der durch seine Ungläubigkeit ganz die guten Manieren vergaß. „Hat Ihre Abteilung so etwas schon mal gemacht?“

„Nein“, antwortete Murchison. „Um so was sind wir noch nie gebeten worden. Eine genießbare und für Chalder ungiftige Substanz von der benötigten Konsistenz zu entwickeln, wird zwar eine schwierige, aber keineswegs unlösbare biochemische Aufgabe darstellen. Die Substanz zu einem Kiel zu formen und am Fahrzeug anzubringen wird anschließend von Ihrem Nahrungssynthesizerprogramm übernommen werden.“

„In der Zwischenzeit können wir schon mal ungenießbare Kiele, die deutlich zu sehen sind, am Testfahrzeug befestigen, um herauszufinden, welche Form und Größe am besten funktionieren“, mischte sich Timmins ein. „Kledath, Dremon, hebt das Fahrzeug auf das Floß. Wir haben zu arbeiten.“

Murchison rollte sich vom Floß, um für die anderen Platz zum Arbeiten zu machen. Nun trieb sie vollkommen entspannt mit geschlossenen Augen, nur das Gesicht über der Oberfläche, auf dem Rücken neben Gurronsevas im Wasser.

„Ich glaube, Sie haben dieses Problem gelöst, Pathologin Murchison, und dafür bin ich Ihnen äußerst dankbar“, sagte er.

„Wir versuchen, jeden Wunsch zu erfüllen“, entgegnete die Pathologin. Ihre Lippen öffneten sich zu einem leichten Lächeln, und die Augen blieben geschlossen. „Haben Sie noch weitere Probleme, bei denen ich Ihnen helfen kann?“

„Eigentlich nicht“, antwortete Gurronsevas. „Allerdings gehen mir bislang nicht ganz ausformulierte Gedanken, Fragen und Ideen durch den Kopf, die sich wahrscheinlich zu Problemen entwickeln werden. Von einigen Aspekten meiner zukünftigen Arbeit im Hospital habe ich im Moment so gut wie keine Ahnung und wäre, na ja, für jeden Vorschlag dankbar.“

Kurz schlug die Pathologin ein Auge auf, um ihn anzublicken. Dann sagte sie: „Im Moment kann ich mir nichts Besseres vorstellen, als zuzuhören und Vorschläge zu machen.“

Die drei Techniker auf dem Floß konzentrierten sich mit ganzer Aufmerksamkeit auf das Testfahrzeug, und zwar in solchem Maße, daß Timmins sogar aufgehört hatte, kurze Seitenblicke auf Murchison zu werfen. Sie hatten einen langen, schmalen Kiel anmontiert, und der Lieutenant schlug gerade vor, auf der gegenüberliegenden Seite eine ähnliche Flosse anzubringen, um den Wasserwiderstand an Ober- und Unterseite anzugleichen. Wegen der erwarteten Stabilitätszunahme in Längsrichtung, die die frühere Tendenz, seitlich abzudriften und sich bei jedem Richtungswechsel zu drehen, stark verringern würde, wurden die Seitendüsen verstärkt, damit das Fahrzeug später schärfer wenden konnte.

Wären die drei mit der Konstruktion eines Raumschiffs beschäftigt gewesen, hätte das Gespräch auch nicht technischer sein können, dachte Gurronsevas, während er alle vier Augen auf Murchison richtete.

„Dank Ihres Vorschlags müßte unser Versuchsobjekt nicht nur wie das Beutetier, das es darstellen soll, aussehen, sondern sich auch so verhalten“, sagte er. „Das ist wichtig, weil zu Nahrungsmitteln viel mehr gehört als nur das äußere Erscheinungsbild. Auch Geschmack, Duft, Konsistenz, die optische Präsentation und das Kontrastieren oder Ergänzen mit Soßen spielen eine Rolle, die, wie ich mit der Zeit zu beweisen hoffe, ein entscheidendes Beiwerk der oftmals faden Nahrungssubstanz darstellen, die aus den hiesigen Synthesizern kommt. Im Fall der Chalder ist es uns gelungen, die Konsistenz mit der harten Schale, die den weichen Kern umschließt, und den optischen Eindruck zu reproduzieren, der in der Bewegungsfähigkeit eines nachgeahmten Beutetiers besteht, das scheinbar zu fliehen versucht, um nicht gefressen zu werden. Aber das ist auch schon alles.“

„Fahren Sie ruhig fort“, ermunterte ihn Murchison, wobei sie beide Augen öffnete.

„Im gegenwärtigen Fall ist die Schwierigkeit, ein Gericht, das sich mit hohem Tempo unter Wasser bewegt, mit einer herkömmlichen Soße zu versehen, so gut wie unüberwindbar. Die dickschaligen, reglosen Eier, mit denen die AUGL-Patienten gegenwärtig gefüttert werden, sind trotz der künstlichen Aromastoffe, die sie enthalten, höchst unappetitlich. Für eine Terrestrierin wie Sie wären diese Eier vom Geschmack her mit Sandwiches mit kaltem Kartoffelpüree vergleichbar.“

„Wegen dieser künstlichen Aromastoffe ist meine Abteilung zu Rate gezogen worden, um schädliche Nebenwirkungen mit Sicherheit auszuschließen“, unterbrach ihn Murchison. „Der Geschmack kann leicht verstärkt werden, falls es das ist, was Sie wollen.“

„Nein, darum geht es mir nicht“, widersprach Gurronsevas. „Der Speisende, ich meine der Patient, ist sich des künstlichen Geschmacks bewußt und empfindet ihn als unangenehm. Ich hatte eher daran gedacht, den Geschmack der Nahrung abzuschwächen als ihn zu verstärken, da es für die Sinne schwieriger ist, künstliche Stoffe in winzigen Mengen als in starken Konzentrationen wahrzunehmen. Mein Plan oder, besser gesagt, meine Hoffnung besteht darin, den abgeschwächten künstlichen Geschmack mit einer Soße zu kaschieren, zu der ich keine natürlichen Zutaten brauche. Ich werde mich auf die beste Würze von allen, den Hunger, verlassen, der noch durch die Aufregung der Jagd und die Ungewißheit, ob man die Mahlzeit auch erwischt, verstärkt wird. Vom Verstand her werden die Chalder zwar wissen, daß sie getäuscht werden, aber unterbewußt macht ihnen das vielleicht nichts aus.“

„Schön, sehr schön“, stimmte ihm Murchison zu. „Ich bin mir ziemlich sicher, daß das funktionieren wird. Aber etwas haben Sie mit Ihren Luchsaugen übersehen.“

„Mit. mit meinen Luchsaugen?“

„Entschuldigung, das ist eine terrestrische Metapher“, antwortete Murchison und fuhr fort: „Wenn ein Landtier gejagt wird, strömt es normalerweise einen bestimmten Körpergeruch aus, eine Absonderung von Drüsensekreten, die seine Angst und erhöhte Körpertätigkeit anzeigen, und dasselbe trifft vielleicht auch hier zu. Man könnte synthetisch erzeugte Angststoffe, in diesem Fall, in Form eines sich schnell im Wasser ausbreitenden Geruchs, durch das Antriebssystem freisetzen, allerdings auch wieder nur in winzigen Mengen, um zu verschleiern, daß sie künstlich sind.“

„Pathologin Murchison, ich bin Ihnen äußerst dankbar“, sagte Gurronsevas aufgeregt. „Falls mir Ihre Abteilung diese Substanz liefern kann, habe ich das Problem mit der Verpflegung der Chalder voll und ganz gelöst. Können Sie das? Und wie schnell wäre es möglich?“

„Das können wir nicht“, antwortete Murchison mit einem Kopfschütteln. „Wenigstens nicht gleich. Erst mal werden wir die Physiologie und Endokrinologie eines Beutetiers untersuchen müssen, über das uns die medizinische Bibliothek möglicherweise keine umfassende Auskunft geben kann. Und wenn eine Sekretion von der Art, wie wir sie voraussetzen, existiert, würde es noch einige Tage dauern, die Molekularstruktur zu analysieren und zu reproduzieren und die synthetische Variante auf mögliche schädliche Nebenwirkungen hin zu untersuchen. Sparen Sie sich Ihren Dank lieber noch bis dahin auf, Gurronsevas.“

Für einen langen Moment musterte er die Pathologin so eingehend, wie es zuvor Timmins getan hatte, wenn auch nicht aus demselben Grund. Er betrachtete die albernen, schwabbelnden Ausbuchtungen auf dem oberen Brustkorb und den unverhältnismäßig kleinen terrestrischen Kopf, der in diesem Fall jedoch einen Verstand enthielt, den man keineswegs als klein bezeichnen konnte. Er wollte der Pathologin gerade erneut danken, als Timmins ihn unterbrach.

„Das Fahrzeug ist jetzt startbereit, Sir“, meldete der Lieutenant. „Gleiche Tiefe wie letztes Mal?“

„Danke, ja“, bestätigte Gurronsevas.

Abermals wurde das Testfahrzeug vorsichtig zu Wasser gelassen und unter der Oberfläche in Position gehalten. „Dieses Mal habe ich nur auf der Backbordseite Gaskapseln eingesetzt, damit das Fahrzeug im Kreis zu uns zurückkehrt, falls die neuen Stabilisierungsflossen funktionieren und es ihm gelingt, eine etwas größere Strecke zurückzulegen“, erklärte Timmins. „Das synthetisch hergestellte endgültige Modell wird die Richtung und Tiefe ganz zufällig ändern und. Verdammt noch mal!“

Ein steinhart aufgepumpter großer Ball mit leuchtenden Farben war auf dem Floß gelandet, wo er zweimal aufprallte, bevor er neben ihnen ins Wasser rollte. Unwillkürlich hob einer der Melfaner eins seiner zangenförmigen Greiforgane hoch, um ihn wegzustoßen.

„Lassen Sie das, und verhalten Sie sich ruhig!“ forderte ihn der Lieutenant in scharfem Ton auf. „Verursachen Sie keine unnötigen Wellen. Die Verschlüsse der Düsen lösen sich sonst nur auf. Schließlich wollen wir das Ding unter optimalen Bedingungen starten. Es fährt los.“

Das Fahrzeug setzte sich — zunächst nur langsam — in Bewegung, nahm dann jedoch gleichmäßig Tempo auf und fuhr diesmal in schnurgerader Linie. Als es den ersten Schub von der Seite bekam, änderte es schlagartig die Richtung und verfolgte den neuen Kurs, ohne abzutreiben oder sichtlich an Geschwindigkeit zu verlieren. Wieder gab es einen abrupten Richtungswechsel, dann noch einen — beide waren sauber ausgeführt—, und das Fahrzeug kam im Kreis zum Floß zurück. Wenige Sekunden später war die komprimierte Luft in den Kapseln aufgebraucht, und das Fahrzeug trieb neben dem Floß aus.

„Es müssen zwar noch ein paar Feinabstimmungen vorgenommen werden“, meinte Timmins, wobei er die Lippen zum breitesten terrestrischen Lächeln verzog, das Gurronsevas je gesehen hatte, „aber das war schon eine eindeutige Verbesserung.“

„Ja, wirklich“, stimmte ihm Gurronsevas zu, der kein Lächeln zustande brachte, sich jedoch wünschte, er hätte es gekonnt. „Pathologin Murchison und Sie, Timmins, wie auch die Techniker Kledath und Dremon, verdienen meine höchste Anerkennung.“

Er verstummte, weil neben ihnen auf einmal der unbewegliche, gewölbte Kopf einer Angehörigen von Gurronsevas’ tralthanischer Spezies aus dem Wasser auftauchte, dem ein winkender Tentakel mit der Armbinde einer Schwesternschülerin folgte.

„Könnten wir bitte unseren Ball wiederhaben?“ fragte sie.

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