28. Kapitel

Die Ereignisse hatten sich wie folgt abgespielt:

Kurz nach Morgengrauen am dreiunddreißigsten Tag der erfolglosesten Jagd, an die sich jemand von ihnen erinnern konnte, entdeckten die Jäger die Fährten eines ausgewachsenen Twasachs mit mehreren Jungen, die vom schlammigen Ufer eines Flusses zu einer Höhle in einem nahegelegenen Abhang führten. Die größeren Spuren waren nicht tief in den weichen Boden eingedrückt, was darauf schließen ließ, daß der Twasach entweder noch nicht voll ausgewachsen oder stark unterernährt war. Daß er jedoch so nah vorm Verhungern stand wie die Jäger, war höchst unwahrscheinlich, was für denjenigen, der ihn fangen und töten mußte, nur noch größere Gefahr bedeutete, wie Druuth mit finsterer Vorahnung befürchtete, denn zwangsläufig fiel diese Aufgabe Druuths Lebensgefährten Creethar, dem Anführer der Jäger, zu.

Wie die uralten, langsam zerfallenden Bücher in der Mine berichteten, hatten die Twasachs in ferner Vergangenheit einmal auf Bäumen gelebt und sich sowohl von Pflanzen als auch von kleineren Tieren ernährt, dann jedoch gelernt, alles anzugreifen und zu fressen, was sie finden konnten — egal, wie groß es war, so daß leider auch unvorsichtige Wemarer auf der Jagd dazugehörten. Dieser Twasach hier mußte als besonders gefährlich eingestuft werden, weil er nicht nur Hunger hatte, sondern auch seine Jungen beschützen würde. Doch die herrliche Aussicht, eine gesamte Twasachfamilie auf einmal zu fangen, hatte die Jäger trotz Creethars wiederholter Warnungen übereifrig und unvorsichtig gemacht.

Druuth konnte das gut verstehen. Zu lange hatten sie nichts als winzige und bei weitem nicht ausreichende Nagetiere und Erdinsekten gefangen und miteinander geteilt. Danach waren die Jäger immer einzeln aus dem Lager geschlichen, um sich ihre Scham nicht anmerken zu lassen, während sie etwas gegen die gähnende Leere im knurrenden Magen zu tun versuchten und heimlich die Früchte, Beeren und Wurzeln aßen, die sie — unter der Vortäuschung der anderen, nichts davon zu bemerken — unterwegs gesammelt hatten. Doch auf einmal fühlten sie sich wieder wie echte Jäger, die mutig und stolz waren und kurz davor standen, sich mit Fleisch satt zu essen, wie es ihnen von Rechts wegen zustand.

Der Abhang war steil und steinig, und noch mehr scharfkantige Steine bedeckten das ausgetrocknete Flußbett zu seinen Füßen. Nur wenige, nicht besonders fest verwurzelte Pflanzenbüschel waren vorhanden, um den Händen einen sicheren Halt zu geben, und das bröckelige, unebene Gesims, das zur Höhle hinaufführte, hielt zwar das Gewicht eines Twasach aus, war aber kaum breit genug, um einen Wemarer zur Zeit zu tragen. Druuth folgte Creethar über das schmale Gesims zur Höhlenöffnung, wo die beiden das an den Rändern beschwerte Netz ausbreiteten, während sie sich in gefährlicher Weise an den Abhang klammerten und die schweren Schwänze über das Gesims hängen lassen mußten, wodurch sie das Gleichgewicht zu verlieren drohten.

Die übrigen Jäger waren vom Erfolg derart überzeugt, daß sie schon damit begonnen hatten, ein Zelt zu errichten, um etwaige Fleischreste im Rauch zu trocknen und haltbar zu machen und Brennholz für ein Dauerfeuer zu sammeln.

So leise wie möglich hängten Creethar und Druuth das Netz vor die Höhlenöffnung und befestigten es, indem sie die offenen Maschen über geeignete Pflanzen schoben oder an Felsvorsprüngen festklemmten. Dann bezogen sie links und rechts von der Höhlenöffinung Stellung und begannen, ununterbrochen aus voller Kehle in die Höhle hineinzuschreien.

Mit bereitgehaltenen Speeren warteten sie darauf, daß ein wütender Twasach herausgeschossen kam und ins Netz stürmte — aber nichts passierte.

Zwischen dem Schreien warfen sie Steine durch die Maschen und hörten, wie diese klackernd auf den Höhlenboden schlugen. Doch noch immer erfolgte bis auf das ängstliche Blöken der Jungen und ein dumpfes Stöhnen des ausgewachsenen Twasachs keine Reaktion. Allmählich wurden die unten wartenden Jäger in ihrem Hunger ungeduldig und riefen ihrem Anführer und seiner Stellvertretern immer unverhohlener Respektlosigkeiten zu.

„Hier passiert gar nichts“, reagierte Creethar verärgert, „und ich mache mich langsam lächerlich. Hilf mir mal, die Unterseite vom Netz hochzuheben, damit ich unten hindurchschlüpfen kann. Sei vorsichtig, sonst reißt es sich los.“

„Sei selbst vorsichtig“, warnte ihn Druuth in scharfem Ton, aber zu leise, als daß die Jäger sie hätten hören können. „Wenn man mit dem Schwanz und beiden Beinen auf festem Boden steht, kann man leicht herummeckern. Creethar, weder auf dieser Jagd noch auf den anderen, die wir gemeinsam unternommen haben, ist uns Hunger fremd gewesen. Wir halten es noch ein paar Stunden aus, bis die Twasachs die Höhle verlassen müssen, um etwas zu trinken.“

„Lange können wir in dieser Stellung aber nicht warten“, widersprach Creethar genauso leise. „In den Beinen kriege ich schon Krämpfe, und wenn ich sie ausstrecke oder bewege, wie es sich bald nicht mehr vermeiden läßt, wird der Vorsprung noch weiter abbröckeln.“ Und mit der festen Stimme eines Anführers fuhr er fort: „Ihr da unten! Werft ein paar trockene Holzstücke und eine brennende Fackel aufs Gesims. Wenn wir die Tiere schon nicht mit Lärm heraustreiben können, dann wird es uns garantiert mit Rauch gelingen.“

Druuth hob vorsichtig das Netz an und Creethar schlüpfte darunter hindurch, bis sich nur noch sein Schwanz außerhalb der Höhle befand. Nach wie vor war das unaufhörliche Stöhnen des Twasachs zu hören, und die Jungen stießen die leisen, aufgeregten bellenden Laute aus, die darauf hindeuteten, daß sie vielleicht miteinander spielten. Als schließlich das Feuer gelegt und entzündet war, meldete Creethar, seine Augen hätten sich auf die Dunkelheit eingestellt und er sei für eine Jagd bereit. Wie er erkennen könne, sei die Höhle tiefer als erwartet. Der Boden steige an und knicke schließlich scharf nach links ab, so daß er nicht genau sehen könne, wo der Twasach stecke. Inzwischen klinge das Bellen der Jungen eher verängstigt als verspielt. Der dichte Rauch, der in die Höhle ziehe, beiße ihm derart in den Augen, daß er nichts mehr sehen könne, berichtete er, woraufhin er sich vorsichtig aufs Gesims zurückzuziehen begann.

Wie Druuth erst später klar wurde, hatte es vor dem Zwischenfall eine kurze Vorwarnung gegeben, nämlich als die stöhnenden Laute plötzlich verstummt waren, doch der Twasach war völlig lautlos und dermaßen schnell aus dem Rauch hervorgeschossen gekommen, daß er Creethar die Krallen in die Brust geschlagen hatte, bevor dieser den Speer hatte heben können.

Im Freien hätte der Twasach abgeschüttelt und mit einem lähmenden Schwanzschlag bewußtlos geschlagen werden können, doch in dem beengten Raum der Höhlenöffnung war Creethar nur imstande, ihn verzweifelt mit den tief zerfleischten und in Strömen blutenden Armen abzuwehren, während er sich vorsichtig auf den Vorsprung zurückzog, wo Druuth den Speer einsetzen konnte. Doch er war nicht vorsichtig genug.

Plötzlich verhedderten sich Creethars Füße im Netz. Er verlor das Gleichgewicht, stolperte, zusammen mit dem Angreifer ins Netz verstrickt, nach hinten über das schmale Gesims und rollte den steinigen Abhang hinunter. Als die anderen Jäger bei den beiden anlangten, war der Twasach von dem viel schwereren Wemarer zu Tode gequetscht worden, während man bei Creethar mit dem baldigen Ende rechnete. Doch er starb nicht und blieb, solange er lebte, der Anführer der Jäger, denn so lautete das Gesetz.

Der tote Twasach war krank und sein vom Hunger ausgemergelter Körper derart von offenen, eiternden Wunden übersät, daß er nicht für unbedenklich genießbar erklärt werden konnte. Obwohl die Jäger durch den eigenen Hunger stark geschwächt waren, hatten sie keine andere Wahl, als Creethars Anweisung zu gehorchen, den verdächtigen Kadaver an Ort und Stelle liegen zu lassen. Einige warfen die Frage auf, was denn mit den inneren Organen sei, die doch nicht betroffen sein könnten, doch wurden sie nicht weiter beachtet.

Darüber hinaus befahl Creethar ihnen, die Jagd sofort abzubrechen, zu der Mine zurückzukehren und alle fünf Jungen lebend mitzunehmen. Es war nicht das erste Mal, daß eine Gruppe von Jägern Twasachjunge gefangen hatte, doch bisher waren sie immer einzeln und im Freien getötet worden. Einen kompletten Wurf in einer Twasachhöhle zu fangen war jedenfalls noch nie gelungen. Soweit die Wemarer zurückdenken konnten, bestand zum ersten Mal die Möglichkeit, die Twasachjungen zu einer Herde von Schlachttieren heranzuzüchten — vorausgesetzt, die Jäger und ihre Familien, die bei der Mine in ständiger Unterernährung lebten, konnten ihren Hunger noch ein paar Jahre im Zaum halten.

Aus Ästen und den Häuten des Zelts baute man also für Creethar eine Trage und machte sich auf den langsamen Rückmarsch zur Mine. Obwohl Creethar ständig Schmerzen hatte, nicht immer bei klarem Verstand war und nur undeutlich sprechen konnte, verbrachte er die lichten Momente damit, sich mit Druuth über die Notwendigkeit zu unterhalten, alle Twasachjungen am Leben zu lassen, und die Jäger zu dem Versprechen zu überreden, diese Anweisung auch weiterhin zu befolgen, falls er selbst vor dem Eintreffen bei der Mine sterben sollte.

Das entsprach zwar nicht genau dem auf Wemar geltenden Gesetz, doch die Jäger wollten sich weder mit ihrem äußerst geachteten Anführer, der bald sterben würde, streiten, noch lag ihnen etwas daran, sein Leiden oder die anhaltende seelische Anspannung seiner Lebensgefährtin Druuth in irgendeiner Hinsicht zu vergrößern.

Druuth bestand darauf, die Trage mit zu schleppen, ob sie nun an der Reihe war oder nicht, damit sich die anderen Träger so sanft wie möglich über unebene Bodenstellen bewegten und sie selbst versuchen konnte, Creethar ein wenig von seinen Schmerzen abzulenken, indem sie sich mit ihm unterhielt. Sie sprach über vieles: von früheren, erfolgreicheren Jagden und von den seltsamen Maschinen, die die Fremdweltler bei der Mine abgeworfen hatten, aber hauptsächlich von ihrer ersten gemeinsamen Reise, zu der sie einst von der Siedlung am See aufgebrochen waren. Vier junge Erwachsene hatten damals die lange, gefährliche Wanderschaft von der Mine zum See angetreten, um sich eine Lebensgefährtin zu suchen; so wie es andererseits bei den frischgebackenen Jägern in der Siedlung am See Brauch war, zur Mine oder zu anderen Siedlungen zu ziehen, da nur kränkliche oder geistesgestörte Nachkommen zur Welt kamen, wenn die Wemarer innerhalb des eigenen Stamms heirateten. Creethar hatte Mut und Stärke bewiesen und sich das Recht erworben, sich als erster eine Gefährtin auswählen zu dürfen, indem er seine Reisegefährten weit hinter sich gelassen hatte und drei Tage vor ihnen am See eingetroffen war — und seine Wahl war auf Druuth gefallen.

Da der jetzige Weg jedoch holprig war und Creethars gebrochene Knochen ständig gegeneinander gestoßen wurden, so daß Druuth seine stummen Schmerzensschreie regelrecht zu hören meinte, sprach sie ausschließlich von der ersten gemeinsamen Hochzeitsreise und von dem, was sie auf der langen, gemächlichen und herrlichen Rückkehr zu ihrem neuen Zuhause in der Mine gesagt und getan hatten.

Die Verschlechterung von Creethars Zustand wurde von Druuth auf dem Rückweg zur Mine in derart erschreckenden Einzelheiten beschrieben, daß Gurronsevas eine wachsende innere Anspannung verspürte. Er brauchte kein Empath zu sein, um die Auswirkung der Worte auf Creethars Vater Remrath zu ahnen. Doch bevor er etwas sagen konnte, sprach bereits Priliclas Stimme im Kopfhörer all das aus, was ihm auf der Zunge gelegen hatte.

„Freund Gurronsevas“, sagte der Empath. „Das, was Sie über die Verletzung des Patienten und das darauffolgende Versäumnis, ihn zu behandeln, für uns in Erfahrung gebracht haben, ist sehr hilfreich. Doch vorerst wissen wir genug, und Ihr Freund Remrath durchleidet heftige seelische Qualen. Brechen Sie deshalb bitte den Kontakt mit Druuth so schnell wie möglich ab, und lassen Sie Remrath die Wahl, ob er mit der Rhabwar oder mit den Jägern zur Mine zurückkehren will, und kommen Sie dann wieder aufs Schiff.“

Als Gurronsevas Remrath vor die Wahl gestellt hatte, antwortete der Chefkoch: „Obwohl ich so alt bin, könnte ich wahrscheinlich schneller marschieren als dieser ausgehungerte Haufen hier. Aber ich werde trotzdem aufs Schiff zurückkehren. Dort, dort habe ich noch Vorbereitungen zu treffen.“

Erneut spürte Gurronsevas den Kummer des Wemarers. Um zu versuchen, ihn zu beruhigen, sagte er: „Machen Sie sich bitte keine Sorgen, Remrath. Die Fremdweltler auf dem Schiff verstehen ihr Geschäft, und Creethar befindet sich bei ihnen in guten Händen. Würden Sie den Ärzten gern bei der Arbeit zusehen?“

„Nein!“ wehrte Remrath in scharfem Ton ab und fuhr mit sanfterer Stimme fort: „Möglicherweise erscheine ich Ihnen als ein schwacher und feiger Vater. Aber vergessen Sie bitte nicht, daß Ihre Freunde die Verantwortung für Creethar übernehmen wollten und ich sie ihnen überlassen habe. Von mir zu verlangen, mir anzusehen, was die Fremdweltler mit meinem Sohn anstellen, ist sehr gefühllos von Ihnen, Gurronsevas. Von solchen Sachen möchte ich lieber nichts wissen. Bitte bringen Sie mich schnellstmöglich zur Mine zurück.“

Auf dem Rückflug an Bord der Rhabwar warf Remrath keinen einzigen Blick auf das medizinische Team, das sich mit Creethar beschäftigte, noch sprach er ein einziges Wort mit Gurronsevas oder sonst jemandem. Der Tralthaner versuchte, sich vorzustellen, wie er sich gefühlt hätte, wenn eins seiner Kinder — vorausgesetzt, er hätte welche gehabt — schwer verletzt worden wäre und man ihm die Möglichkeit gegeben hätte, den Chirurgen bei der Operation zuzusehen.

Vielleicht hatte Remrath recht, und seine Frage war wirklich sehr gefühllos gewesen.

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