Die nächsten vier Tage vergingen wie im Fluge und ohne die geringsten Anzeichen von Langeweile. Erst wenn er durch die vollständige geistige und körperliche Erschöpfung gezwungen wurde, die Computerkonsole zu verlassen, ging er zu seinem versteckten Ruheplatz hinter einem mehrteiligen Wandschirm, der als Sichtschutz zwischen den Betten für die Verletzten diente, um dort — wenngleich nicht immer mit Erfolg — zu versuchen, ein wenig abzuschalten. Dann, am fünften Tag, wurde er durch die plötzlich aufflammende Beleuchtung und eine Stimme geweckt, die laut rief: „Gurronsevas, hier ist Lioren! Wachen Sie bitte schnell auf! Wo stecken Sie überhaupt?“
Da man ihn so abrupt aus dem Schlaf gerissen hatte, war er noch zu benommen, um etwas zu sagen, doch indem er den Wandschirm, hinter dem er verborgen war, zur Seite schob, beantwortete er die Frage trotzdem und signalisierte auf diese Weise, daß er allmählich wach wurde.
„Sind Sie seit unserem letzten Gespräch noch mal ins Hospital gegangen oder haben Sie mit irgend jemandem auch nur ein paar Worte gewechselt?“ fragte Lioren in ungewohnt scharfem Ton, wie ihn Gurronsevas bisher noch nicht bei ihm gehört hatte.
„Nein“, antwortete er wahrheitsgemäß. „Dann haben Sie also auch keine Ahnung, was in den letzten beiden Tagen geschehen ist?“ erkundigte sich Lioren in einem Tonfall, der die Frage wie eine Beschuldigung klingen ließ. „Überhaupt keine?“ „Nein“, bestätigte Gurronsevas erneut. Lioren schwieg kurz und fuhr dann mit freundlicherer Stimme fort: „Ich glaube Ihnen. Wenn Sie auf der Rhabwar geblieben sind und von nichts wissen, dann besteht ja die Hoffnung, daß Sie vielleicht keine Schuld daran haben.“
Die Andeutung, er könne gelogen haben, gefiel Gurronsevas gar nicht, und er bemühte sich, seinen Ärger im Zaum zu halten, als er sagte: „Ich habe die ganze Zeit damit verbracht, ausnahmsweise mal das zu tun, was man mir gesagt hat, nämlich mich eingehend mit den Informationen über das Ambulanzschiff zu beschäftigen und außerdem über meine mögliche zukünftige Stellung hier am Hospital nachzudenken. Genau darüber würde ich mich gern mit O’Mara unterhalten, wenn er ein paar Minuten Zeit hätte. Wären Sie jetzt so freundlich, mir zu sagen, wovon Sie überhaupt reden?“
Lioren zögerte abermals wie jemand, der versucht, jemandem eine schlechte Nachricht so schonend wie möglich beizubringen, und antwortete dann: „Ich habe Ihnen zwei Mitteilungen zu machen. Die erste ist ein wenig ungenau und könnte sich für Sie als unerfreulich erweisen. Die zweite wird für Sie auf jeden Fall ärgerlich sein, sofern Sie mir nicht versichern können, daß Sie wirklich nichts mit den momentanen Zuständen zu tun haben. Mir ist es lieber, Ihnen zuerst die weniger unerfreuliche Nachricht mitzuteilen.
Dabei geht es um den nächsten Einsatz der Rhabwar“, fuhr Lioren fort. „Wissen Sie, das ist kaum mehr als ein Gerücht, weil der Einsatz momentan auf ganz hoher Ebene von Leuten erörtert wird, die nur selten tratschen. In dieser Angelegenheit sind eine ganze Menge kostspieliger Hyperraümfülnksprüche hin- und hergeschickt worden. Zu dem Einsatz gehört auch der Kontakt mit einer neu entdeckten intelligenten Spezies, doch es bestehen Zweifel, ob das Ambulanzschiff in der Lage ist, mit der Situation fertig zu werden. Das medizinische Team der Rhabwar glaubt, helfen zu können, und die Kontaktspezialisten betonen immer wieder, daß es ihre Aufgabe sei. Ich glaube, die endgültige Entscheidung hat man bereits getroffen, aber die Durchführung ist durch die Epidemie verzögert worden.“
„Was für eine Epidemie?“
Lioren zögerte und antwortete dann: „Wenn Sie die ganze Zeit über keinen Fuß ins Hospital gesetzt und mit niemandem dort gesprochen haben, können Sie natürlich nichts davon wissen. Zudem vergrößert sich dadurch die Wahrscheinlichkeit, daß Sie nicht für die Zustände verantwortlich sind.“
„Was für Zustände?“ verlangte Gurronsevas vor Verzweiflung so laut zu wissen, daß seine Stimme bis zum anderen Ende des Bordtunnels zu hören sein mußte. „Was für eine Epidemie? Und was habe ich damit zu tun?“
„Ich hoffe, nichts“, bekräftigte Lioren erneut. „Hören Sie auf zu schreien, dann kläre ich Sie darüber auf.“
Laut Lioren hatte sich vor drei Tagen unter dem Personal und den Patienten des Hospitals eine unbekannte Epidemie ausgebreitet. Nur die warmblütigen Sauerstoffarmer waren betroffen, wenn auch nicht alle. Hudlarer, Nallajimer und einige andere Lebensformen waren von der Seuche verschont geblieben, wie auch — aus unbekanntem Grund — mehrere Mitglieder der ansonsten von ihr befallenen Spezies; diese Einzelfälle waren offenbar immun oder hatten das Glück gehabt, nicht mit den Erregern in Berührung gekommen zu sein. Ein Symptom der Krankheit war Übelkeit, die im Laufe der ersten beiden Tage immer stärker wurde. Danach waren die Erkrankten nicht mehr in der Lage, Nahrung normal durch den Mund zu sich zu nehmen, und mußten intravenös ernährt werden. Schwerwiegender war jedoch der Umstand, daß im gleichen Zeitraum ein allmählicher Verlust der Fähigkeit auftrat, ein logisch zusammenhängendes Gespräch zu führen oder die Bewegungen von Fingern und Gliedmaßen zu koordinieren. Da zu viele Mitarbeiter des Hospitals so krank waren, daß sie weder den eigenen medizinischen Zustand noch den ihrer Patienten richtig untersuchen konnten, war es noch zu früh, um zu sagen, ob die intravenöse Ernährung in allen Fällen erfolgreich war, doch gab es erste Anzeichen, daß die beiden Krankheitssymptome Übelkeit und Gehirnfunktionsstörungen bei denen, die intravenös ernährt wurden, allmählich abklangen.
„Aber wir können nicht jeden erkrankten warmblütigen Sauerstoffatmer — insgesamt sind es annähernd vierhundert — auf unbestimmte Zeit intravenös ernähren“, setzte Lioren seine Ausführungen fort. „Selbst wenn alle rund um die Uhr arbeiten, verfügen wir nicht über genügend medizinische Mitarbeiter von anderen Spezies, um solch eine Aufgabe zu bewältigen. Todesfälle hat es bislang nicht gegeben, aber weil wir auch noch normale Patienten im Hospital haben, die trotz allem behandelt oder operiert werden müssen, sind wir gezwungen, Auszubildende und Assistenzärzte einzusetzen, deren Fähigkeiten für derartige Tätigkeiten nicht ausreichen — da sind Tote nur eine Frage der Zeit. Für eine ordentliche Untersuchung stehen uns nicht genügend Kräfte zur Verfügung, weil die dafür Zuständigen trotz der Vorsichtsmaßnahme, die Kranken und die medizinischen Mitarbeiter derselben Spezies voneinander zu isolieren, ebenfalls erkrankt sind.
Verschont geblieben sind einige Angehörige des höheren medizinischen Personals“, berichtete Lioren weiter. „Diagnostiker Conway hat mir erzählt, in seinem Fall könne das daran gelegen haben, daß er zum fraglichen Zeitpunkt gerade mit einem auf Nallajimer bezogenen Projekt beschäftigt gewesen und es ihm wegen des Schulungsbands schwergefallen sei, etwas zu essen, das nicht wie Vogelfutter ausgesehen habe. Doch wenn das einen Einfluß darauf gehabt hat, daß er nicht krank geworden ist, und wenn ein Zusammenhang zwischen dem Verzehr der Gerichte für warmblütige Sauerstoffatmer und dem Auftreten der Symptome besteht, dann.“
„Spielen Sie etwa auf eine Lebensmittelvergiftung an?“ fiel ihm Gurronsevas ins Wort, wobei er sich bemühte, seine Wut zu zügeln. „Das ist nicht nur beleidigend, sondern auch unerhört und. und ganz unmöglich!“
„… dann dürfte die Diagnose in Anbetracht der weitverbreiteten und überall gleichzeitig ausbrechenden Übelkeit auf Lebensmittelvergiftung lauten“, fuhr Lioren fort, wobei er den Einwurf nicht beachtete, die Frage aber trotzdem beantwortete. „Die Rohmasse, die man zur synthetischen Herstellung der Nahrung verwendet, wird vor dem Verschiffen gründlich auf Qualität und Reinheit überprüft und für den Transport so versiegelt, daß eine Vergiftung durch Chemikalien oder Strahlung praktisch ausgeschlossen werden kann. Nach denselben strengen Sicherheitsvorschriften werden zwar auch die zahlreichen neuen geschmacksverstärkenden Zutaten behandelt, die Sie vor kurzem eingeführt haben, doch weil es so viele verschiedene sind, ist es wahrscheinlicher, daß Giftstoffe oder Krankheitserreger über diesen Weg ins Essen gelangt sind. Und ich stimme Ihnen durchaus zu: daß irgendeine giftige Substanz ins Nahrungsversorgungssystem des Hospitals geraten sein soll, ist äußerst unwahrscheinlich, aber keineswegs unmöglich.“
„Nichts ist unmöglich“, reagierte Gurronsevas verärgert. „Doch Ihre Vermutung kommt dem so nah, daß man.“
„Also, ich will nicht gefühllos klingen“, fiel ihm Lioren ins Wort, „aber wenn der Ausbruch der Epidemie auf vergiftetes Essen zurückzuführen ist, dann werden Sie beruflich in Mißkredit geraten. Noch größer wäre allerdings die Erleichterung der medizinischen Mitarbeiter, weil eine solche Krankheitsursache bedeuten würde, daß sie vor einem medizinischen Problem stünden, das relativ einfach zu beheben wäre. Sollte jedoch nicht eine Lebensmittelvergiftung der Auslöser sein und es sich bei der Übelkeit um das sekundäre Symptom einer Krankheit handeln, die das Gehirn mehrerer verschiedener Spezies angreift, dann haben wir es mit einem sehr viel ernsthafteren Problem zu tun. Das würde nämlich bedeuten, im Hospital fliegt ein bislang unbekannter Erreger herum, der imstande ist, die Barriere zwischen den Spezies zu überwinden. Daß das nach allem, was wir wissen, ebenfalls unmöglich ist, weiß sogar ein medizinischer Laie wie Sie. Doch auf Cromsag habe ich die bittere Erfahrung gemacht, daß man keine Möglichkeit ausschließen sollte.“
Das mit den Krankheitserregern wußte Gurronsevas bereits. Seit dem Moment, als er von Traltha zu seinem ersten Raumflug aufgebrochen war, hatte man ihm immer wieder gesagt, daß für ihn keine Gefahr bestünde, sich die Krankheiten oder Infektionen anderer Spezies zuzuziehen. Doch wie er hatte munkeln hören, waren die medizinischen Kapazitäten auf der ständigen Suche nach der berühmten Ausnahme, die die Regel bestätigte. Was dem Padre auf Cromsag widerfahren war, davon hatte Gurronsevas keine Ahnung, und er war sich sicher, daß jetzt nicht der geeignete Zeitpunkt war, ihn danach zu fragen.
„Es ist äußerst dringend, die Möglichkeit einer Lebensmittelvergiftung so schnell wie möglich zu bestätigen oder auszuschließen“, fuhr Lioren fort. „Die normalen pathologischen Untersuchungs- und Analyseverfahren sind im Moment zu langsam und unzuverlässig. Obendrein sind die für die Untersuchung Zuständigen entweder zu sehr mit der Behandlung von Patienten beschäftigt oder zählen inzwischen selbst zu den Patienten, oder sie haben die Theorie über die Lebensmittelvergiftung als Krankheitsursache bereits ausgeschlossen, weil sie ihnen zu unwahrscheinlich vorkommt, um damit kostbare Zeit zu vergeuden. Doch Sie, Gurronsevas, wissen, wo und wonach Sie zu suchen haben.
Schließlich sind Lebensmittel Ihr Fachgebiet, Herr Chef diätist.“
„Aber. aber das ist ja eine unverzeihliche Frechheit!“ empörte sich Gurronsevas. „Das ist eine persönliche Beleidigung! In meinem ganzen Leben habe ich es noch nicht mit einer Einrichtung oder einem Nahrungsversorgungsbetrieb zu tun gehabt, der im Umgang mit Lebensmitteln eine derart nachlässige Haltung gegenüber den hygienischen Anforderungen an den Tag gelegt hat, daß er seine Stammgäste gleich massenweise vergiftet!“
„Vielleicht handelt es sich gar nicht um eine Lebensmittelvergiftung“, erinnerte ihn Lioren in bestimmtem Ton. „Das ist es ja, was Sie und ich herausfinden müssen.“
„Na schön“, lenkte Gurronsevas ein. Er holte tief Luft und versuchte, sich innerlich zu beruhigen, bevor er fortfuhr: „Ich würde die Patienten gern nach der genauen Zusammensetzung der verdächtigen Gerichte fragen und danach, wann sie ihre Mahlzeit eingenommen haben und ob ihnen am Geschmack oder an der Konsistenz etwas Ungewöhnliches aufgefallen ist. Zudem möchte ich von jedem einzelnen wissen, welchen Teil des Hospitals er aufgesucht und womit er sich beschäftigt hat, um eventuelle Gemeinsamkeiten zu entdecken und herauszufinden, mit welchem Infektionsherd die Patienten außer dem Essen noch in Berührung gekommen sein könnten. Anschließend will ich den Arbeitsvorgang in der Hauptkantine und die Funktion der Hilfscomputer für Lebensmittel überprüfen und ein Verzeichnis der Essensbestellungen und der vom Synthesizer ausgegebenen Gerichte für die Zeit abrufen, in der die Infektion zum ersten Mal aufgetreten sein soll. All diese Informationen würde ich mir am liebsten sofort verschaffen.“
„Wie sich ein ganz bestimmter Patient verhalten hat, kann ich Ihnen genau sagen“, merkte Lioren leise an. „Aber Gurronsevas, denken Sie bitte daran, daß die Idee mit der Lebensmittelvergiftung allein von mir stammt. Offiziell befinden Sie sich gar nicht im Hospital, und falls Sie in dieser Sache unschuldig sind, wäre es falsch, sich jemandem zu zeigen.“
„Wenn die Symptome in allen Fällen gleich sind, reicht vielleicht die Befragung eines Patienten aus“, räumte Gurronsevas ein, der sich nicht zu einer weiteren halben Rechtfertigung aufgelegt fühlte. „Um wen und was handelt es sich denn überhaupt?“
„Der Patient ist Lieutenant Braithwaite“, antwortete Lioren. „Ungefähr zwanzig Minuten nach unserer Rückkehr aus der Kantine.“
„Sie haben zusammen gegessen?“ unterbrach ihn Gurronsevas sofort. „Das ist genau die Auskunft, die ich brauche. Können Sie sich daran erinnern, welche Gerichte Sie oder der Lieutenant bestellt haben? Erzählen Sie mir alles, was Sie noch über die Mahlzeiten wissen. Jede kleine Einzelheit.“
Lioren dachte kurz nach und sagte dann: „Vielleicht ist es ein Glück gewesen, daß ich mir etwas aus der tarlanischen Speisekarte ausgesucht habe, einen einzelnen Gang des Shemmutara-Menüs mit Faas-Quark. Wie Sie sehen, bin ich, was Essen betrifft, nicht gerade abenteuerlustig. Braithwaites Gericht habe ich mir nicht genau angeschaut — auch die Kennziffern, die er beim Bestellen eingegeben hat, nicht—, weil sich bei mir immer eine gewisse Beklommenheit einstellt, wenn ich terrestrische Nahrungsmittel sehe. Wir haben nur die Hauptgänge genommen, weil der Lieutenant direkt nach dem Essen einen Termin bei O’Mara hatte. Aber ich habe bemerkt, daß auf seinem Teller eine flache Scheibe synthetisches Fleisch gelegen hat, diese Masse, die Terrestrier als „Steak“ bezeichnen, zusammen mit mehreren runden, leicht gebräunten gelben Gemüsestückchen und zwei anderen Pflanzenarten, die wie ein Haufen aus kleinen grünen Kugeln und runden blaßgrauen Stielen mit einem gewölbten Dach ausgesehen haben, wobei das Äußere der letzten Art besonders ekelhaft aussieht. Auf dem Tellerrand hat sich ein kleiner Klecks einer bräunlich gelben, halbfesten Substanz befunden — vielleicht eine Art Würze. Und, ja, über das Steak war eine dickliche braune Flüssigkeit gegossen.“
Gurronsevas fragte sich, was von Lioren wohl sonst noch alles bemerkt worden wäre, wenn er genauer hingesehen hätte. „Hat Braithwaite beim Essen oder danach irgend etwas über das Gericht gesagt?“ wollte er wissen.
„Ja“, antwortete Lioren, „aber das ist nichts Ungewöhnliches gewesen. Ein paar andere Mitarbeiter, die keine Terrestrier gewesen sind und in Hörweite von mir gesessen haben, hatten dasselbe Gericht bestellt und sich ebenfalls darüber unterhalten. Einige der warmblütigen Sauerstoffatmer hier am Hospital haben nämlich die Angewohnheit, auf der Suche nach neuen Geschmackserlebnissen einen Blick über den Zaun der eigenen Spezies zu werfen, und dieser Brauch hat noch weiter um sich gegriffen, seitdem Sie die Rezepte verändert haben. Das ist äußerst schmeichelhaft für Sie oder ist es zumindest gewesen, bis diese.“
„Erzählen Sie mir nur, was Braithwaite gesagt hat“, unterbrach ihn Gurronsevas ungeduldig. „Und zwar alles.“
„Gut, ich versuche, mich daran zu erinnern“, sagte Lioren mit einer Geste, die unter Tarlanern möglicherweise Verärgerung bedeutete. „Ach ja. Braithwaite sagte, das Essen habe einen eigenartigen, sandigen Geschmack, und das sei seltsam, weil er dasselbe Gericht schon öfter bestellt habe, ohne daß ihm etwas Merkwürdiges daran aufgefallen sei. Wie er weiterhin bemerkte, würden Sie ständig mit den Rezepturen herumexperimentieren, und die neueste Abwandlung sei vielleicht was für Kenner, doch falls das zutreffe, sei er nicht Masochist genug, um daran Gefallen finden zu wollen. Danach hat er schnell weitergegessen, ohne etwas zu sagen, weil er nicht zu spät zu der Besprechung mit O’Mara kommen wollte.
Auf dem Weg zur psychologischen Abteilung hat er sich dann über — wie er es bezeichnete — eine leichte Übelkeit im Magen beklagt und diese auf eine durch zu schnelles Essen hervorgerufene Verdauungsstörung zurückgeführt“, fuhr Lioren fort. „Auf der Besprechung, die kurze Zeit später abgehalten wurde und an der O’Mara, Braithwaite und Cha Thrat teilgenommen haben, ging es um die psychologischen Persönlichkeitsdiagramme der neuesten Gruppe von Auszubildenden. Da eher abteilungsinterne als persönliche Angelegenheiten besprochen worden sind, war die Verbindungstür zum Vorzimmer nicht geschlossen. Ich habe zwar alles gehört, was dann vorgefallen ist, aber nicht alles gesehen. Einzelheiten über das letztere habe ich später von Cha Thrat erfahren.“
Lioren stieß eine Folge von schwachen unübersetzbaren Lauten aus und räusperte sich geräuschvoll. „Entschuldigen Sie, Gurronsevas, aber das, was ich Ihnen jetzt erzählen werde, ist nicht zum Lachen. Braithwaite hatte angefangen, sich über zunehmende Übelkeit zu beklagen, auf Cha Thrats teilnahmsvolle Erkundigungen nach seinem Zustand jedoch mit lauten Beschimpfungen reagiert, wobei er der Sommaradvanerin und O’Mara Beleidigungen an den Kopf geworfen hat, die alles andere als höflich gewesen sind. Dann ist er plötzlich dem Major gegenüber — wenn auch ungewollt — ausgesprochen aufsässig geworden und hat sich schließlich über die Ausdrucke auf dem Schreibtisch erbrochen. Kurz daraufhat der Lieutenant sowohl die Fähigkeit zu logisch zusammenhängender Rede als auch die zur Muskelkoordination verloren und ist auf Veranlassung O’Maras zur medizinischen Untersuchung auf ein Krankenzimmer gebracht worden. Zu dieser Zeit haben sich die verschiedenen Stationen allmählich mit ähnlichen Fällen gefüllt.
Das alles liegt jetzt dreiundvierzig Stunden zurück. Obwohl die Symptome inzwischen bei sämtlichen Erkrankten fast vollständig abgeklungen sind, hat der Major von dem Augenblick an soviel Zeit wie möglich bei Braithwaite verbracht, um nachzuweisen zu versuchen, ob das abnorme Verhalten seines Assistenten auf einen neuen Krankheitserreger zurückzuführen ist, der das Gehirn der Erkrankten befallen und dessen Funktionen angegriffen hat — diese Theorie vertritt das höhere Arztpersonal—, oder ob es sich um eine Begleiterscheinung der Lebensmittelvergiftung handelt — das ist die Erklärung, die ich selbst bevorzuge.
Falls ich mich irre, wäre es besser, wenn Sie sich außerhalb des Blickfelds der Mitarbeiter und hoffentlich auch außer Reichweite der Infektion halten“, schloß Lioren seine Ausführungen. „Sollte ich recht haben, wird der Chefpsychologe alles andere als zufrieden mit Ihnen sein.“
Mit dem Großen Gurronsevas ist hier offenbar niemand zufrieden, dachte der Tralthaner, oder zumindest hält die Zufriedenheit nie lange an. Er versuchte, gegen die Wut und Enttäuschung anzukämpfen, die ihn überkamen, indem er sich auf das vorliegende Problem konzentrierte, dessen Lösung für ihn als Meisterkoch eigentlich nur ein kleineres Rätsel sein dürfte.
„Ich brauche Zugriff auf das Nahrungsversorgungsprogramm“, stellte er klar. „Aber keine Angst, dafür werde ich mich nicht zu erkennen geben müssen.“
Liorens Beschreibung hatte es Gurronsevas ermöglicht, das verdächtige Gericht zu identifizieren und mit ziemlicher Genauigkeit den Zeitpunkt abzuschätzen, zu dem die Symptome — falls es sich wirklich um eine Lebensmittelvergiftung handelte — aufgetreten waren. Um den aktuellen Bedarf ermitteln zu können und um die Nachbestellung und die Entnahme nichtsynthetischer Zutaten aus den Vorräten zu erleichtern, wurden die Kennummern der bestellten Gerichte täglich erfaßt und gespeichert. Da die Essensauswahl der Kantinenbesucher von psychologischen Faktoren wie zum Beispiel den persönlichen Empfehlungen durch Freunde, dem neuesten Trend beim Essen oder einem neuen Gericht auf der Speisekarte, das alle mal probieren wollten, abhing, veränderte sich die Gesamtzahl der Bestellungen bei jedem Gericht von Tag zu Tag. Doch Gurronsevas war der betreffende Tag und die verdächtige Speise bekannt, und jetzt wurde ihm die Zahl, nach der er suchte, auf dem Bildschirm angezeigt. Er gab sämtliche Zutaten ein und forderte gerade die vollständigen biochemischen Analysen dazu an, als sich plötzlich Lioren dem Bildschirm näherte.
„Irgendwelche Fortschritte?“ fragte er in einem Ton, der unterstellte, daß ihm die Antwort bereits bekannt war und gar nicht gefiel.
„Ja und nein“, antwortete Gurronsevas, wobei er ein Auge auf Lioren wandte. „Ich bin mir ziemlich sicher, das verdächtige Essen identifiziert und die Ausgabemenge herausgefunden zu haben, aber die.“
„Da können Sie sich ganz sicher sein“, unterbrach ihn Lioren. „Wie viele Kranke nach dem Auftreten der Symptome insgesamt auf die Stationen gebracht worden sind, weiß ich genau. Die Zahl stimmt mit Ihrer völlig überein. Das sieht gar nicht gut für Sie aus, Gurronsevas.“
„Ich weiß, ich weiß“, grummelte der Tralthaner und deutete verärgert auf den Bildschirm. „Aber sehen Sie sich das mal an. Die Essenszutaten sind völlig harmlos und einfach. Sie sind vollkommen unschädlich und meinen Anweisungen gemäß hinzugefügt worden. Nach der Verarbeitung und Formung der Bestandteile des Gerichts im Synthesizer sind nur drei nichtsynthetische Zutaten zugegeben worden. Dabei handelt es sich um winzige Mengen der orligianischen und kelgianischen Gewürze Chrysse und Merner Meersalz in der Soße und um ein wenig terrestrischen Muskat, der zum Schluß über alles gestreut wird. Von diesen Zutaten kann keine eine Lebensmittelvergiftung verursacht haben. Könnten nicht Giftstoffe von außen ins Essen gelangt sein, vielleicht durch ein Leck in einem benachbarten Abflußrohr.? Ich muß sofort persönlich mit meinem ersten Assistenten sprechen.“
„Sie dürfen sich mit niemandem im Hospital in Verbindung setzen.“, begann Lioren zu protestieren, doch Gurronsevas beachtete ihn nicht.
„Hauptsynthesizerabteilung, Cheflebensmitteltechniker Sarnyagh“, meldete sich der Nidianer, dessen Kopf auf dem Bildschirm erschien. Falls er bei Gurronsevas’ Anblick ein überraschtes, verärgertes oder beunruhigtes Gesicht machte, dann konnte der Tralthaner das unter der dichten Behaarung jedenfalls nicht erkennen. Wie nicht anders zu erwarten, sagte der Nidianer: „Sir, ich dachte, Sie hätten das Hospital verlassen.“
„Das habe ich auch“, bestätigte Gurronsevas ungeduldig. „Seien Sie bitte still, und hören Sie mir genau zu.“
Als der Tralthaner seine Ausführungen beendet hatte, antwortete Sarnyagh voller Ungeduld: „Sir, das ist gleich die erste Frage gewesen, nachdem die Beschwerden angefangen hatten. Wir haben unser gesamtes Personal zusammengerufen und die nächsten beiden Schichten damit verbracht, die Frage zu beantworten, auch wenn uns die Wartungsabteilung versichert hat, daß eine derartige gegenseitige Verunreinigung durch die Anordnung und die Konstruktion der betreffenden Rohrleitungen ausgeschlossen sei. Die Vorratsbehälter der Nahrungssynthesizer und das Lager mit den geschmacksverstärkenden Zutaten haben wir ebenfalls überprüft, und die haben sich alle als frei von Giftstoffen erwiesen. Fällt Ihnen sonst noch etwas ein, Sir?“
„Nein“, erwiderte Gurronsevas gereizt und brach die Verbindung ab. Seine vorherige Unruhe steigerte sich rasch zur Verzweiflung, doch im hintersten Winkel des Kopfes stieg in ihm eine vage Ahnung auf, die sich allerdings noch weigerte, ans Licht zu treten. Es war wie ein schwaches Jucken, das durch irgend etwas hervorgerufen worden war, das der Lebensmitteltechniker gesagt haben könnte. „Wenn der Fehler nicht im Versorgungssystem steckt, dann muß er im Essen zu finden sein, was aber nicht der Fall ist“, fuhr Gurronsevas, an Lioren gewandt, fort. „Vielleicht sollte ich mir mal die Zutaten genauer ansehen, obwohl sie auf den jeweiligen Herkunftsplaneten und auch an anderen Orten schon seit Jahrhunderten verwendet werden. Dazu muß ich die Datenbank mit den nichtmedizinischen Nachschlagewerken aufrufen.“
Selbst in der vergleichsweise kleinen allgemeinen Datenbank des Orbit Hospitals war eine verwirrende Vielfalt an Informationen über Gewürze vorhanden, und um die drei von Gurronsevas gesuchten zu finden, war ein sorgfältiges Durchforsten des Hintergrundmaterials (" erforderlich, das trotz der Hilfe des Computers nur sehr langsam voranging. Gurronsevas erfuhr viele interessante, aber überflüssige Dinge über die Rolle, die das Merner Meersalz in der lokalen kelgianischen Exportwirtschaft spielte, doch die einzigen Todesfälle, die mit diesem Salz in Verbindung standen, waren schon zu Beginn der kelgianischen Geschichte aufgetreten, als sich bekriegende Einheimische im damals noch nicht ausgetrockneten Merner Meer ertrunken waren. Für die orligianischen Chrysse-Polypen galt das gleiche, und die Verweise auf die terrestrische Muskatnuß waren zwar zahlreich, enthielten aber keine brauchbaren Einzelheiten, bis Gurronsevas schließlich auf einen sehr alten Eintrag stieß, der vielleicht als nachträglicher Einfall hinzugefügt worden war.
Mit einem Mal sprang das Jucken aus dem hintersten Winkel des Kopfs auf eine Stelle über, an der sich Gurronsevas kratzen konnte und wo sich der vage Verdacht zur Gewißheit verdichtete: Sein Küchenpersonal hatte womöglich unter zu großem Druck gestanden oder mitten in einem plötzlich auftretenden Notfall vielleicht eine kleine Veränderung vorgenommen und sie wieder vergessen oder für zu unbedeutend gehalten, um sie einem Vorgesetzten gegenüber zu erwähnen. Auf einmal stampfte Gurronsevas nacheinander heftig mit allen sechs Füßen auf.
Als die nicht befestigten Geräte auf dem Unfalldeck aufgehört hatten zu scheppern, fragte Lioren: „Gurronsevas, was ist denn los? Ist mit Ihnen etwas nicht in Ordnung?“
„Was los ist?“ wiederholte Gurronsevas, während er auf die Tasten des Kommunikators einschlug, als ob jede von ihnen ein Todfeind von ihm wäre. „Ich versuche, noch einmal diesen armseligen Lebensmitteltechniker Sarnyagh anzurufen. Nicht mit mir in Ordnung ist, daß ich am liebsten einen brutalen, blutigen Mord an einem anderen vermeintlich vernunftbegabten Lebewesen begehen würde!“
„Das werden Sie ganz bestimmt nicht tun!“ rief Lioren ihn zur Räson. „Bitte beruhigen Sie sich. Ich glaube — und ich bin mir sicher, daß Sie mir darin zustimmen werden—, Sie reagieren mit übertriebenen Äußerungen auf einen Umstand, zu dessen Klärung aller Wahrscheinlichkeit nach keine körperliche Gewalt erforderlich ist.“
Als zum zweiten Mal Sarnyaghs Bild auf dem Monitor erschien, verstummte Lioren. In einem Ton, der sich zu gleichen Teilen aus Achtung und Ungeduld zusammensetzte, fragte der Lebensmitteltechniker: „Sir, gibt es noch etwas, das Sie mich zu fragen vergessen haben?“
Gurronsevas bemühte sich innerlich um Ruhe und antwortete: „Ich verweise Sie auf meine ursprünglichen Anweisungen bezüglich der Zusammensetzung und der Art des Anrichtens von Menüpunkt elf einundzwanzig für die terrestrische Spezies DBDG, der zusätzlich für den Verzehr durch Lebensformen der physiologischen Klassifikationen DBLF, DCNF, DBPK, EGCL, ELNT, FGLI und GLNO geeignet ist und auf deren Wunsch serviert wird. Vergleichen Sie die ursprüngliche Zusammensetzung mit derjenigen, die das Gericht tatsächlich gehabt hat, als es nach dem Würzen mit geschmacksverstärkenden Zutaten serviert worden ist, und bringen Sie mir beide auf den Schirm. Erklären Sie mir, weshalb eine unbefugte Änderung vorgenommen worden ist.“
Falls es keine Veränderung gegeben hatte, würde das Gurronsevas gleich ernstlich in Verlegenheit bringen. Aber er war sich sicher, daß dieser Fall nicht eintreten konnte.
Sarnyagh blickte nach unten auf die Tastatur und gab kurz etwas ein. Über seiner pelzigen Brust erschienen als eine strahlende Auflage zwei kurze Zahlenkolonnen, in denen zwei der Mengenangaben hervorgehoben waren.
„Ach ja, jetzt weiß ich’s wieder“, sagte er. „Das ist eine kleine Abänderung gewesen oder eher die Korrektur eines Fehlers, der ihnen anscheinend unterlaufen war. Falls Sie sich erinnern können, Sir, haben Sie in Ihrem Rezept für diese Zutat das Nullkommanullachtfünffache des Gesamtgewichts des Gerichts angegeben, was — bei allem Respekt — für eine Pflanze, die als genießbar verzeichnet ist, eine geradezu lächerlich geringe Menge darstellt. Deshalb bin ich davon ausgegangen, daß der von Ihnen beabsichtigte Wert acht Komma fünf lauten mußte. Habe ich mich geirrt? Bin ich vielleicht zu vorsichtig gewesen?“
„Sie haben sich geirrt und sind nicht vorsichtig genug gewesen“, entgegnete Gurronsevas, wobei er sich bemühte, dem Nidianer keine Beleidigungen an den Kopf zu werfen und die Stimme auf Zimmerlautstärke zu halten. „Hätten Sie nicht am Geschmack erkennen können, daß da etwas nicht gestimmt hat?“
Sarnyagh zögerte, da er offenbar befürchtete, in der Patsche zu sitzen, und im voraus versuchen wollte, sich herauszureden, und erwiderte dann schnell: „Ich bedaure, daß ich weder über Ihre umfassende Erfahrung im Kochen noch über Ihre unübertroffene Fähigkeit verfüge, eine große Vielzahl an Gerichten anderer Spezies abzuschmecken und einzuschätzen. Ich ziehe die einfache Hausmannskost von Nidia vor und wage es nur ab und zu mal, etwas aus der kalten Küche der Kelgianer zu probieren. An terrestrisches Essen habe ich mich nur wenige Male gewagt, ich finde es zu klumpig. Außerdem hat es zu viele kontrastierende Farben und stößt mich schon vom Aussehen her ab, deshalb hätte ich gar nicht wissen können, ob der Geschmack in Ordnung war oder nicht. Auch wenn die Änderung geringfügig gewesen ist und ich Sie vorher um Erlaubnis gefragt hätte, wenn Sie erreichbar gewesen wären, habe ich die im Rezept angegebene Menge nicht ohne sorgfältige Überlegung erhöht.
Vor der Änderung habe ich das Ganze mit dem medizinischen Computer überprüft, um sicherzugehen, daß die Zutat nicht als giftig verzeichnet ist, und das war nicht der Fall“, fuhr Sarnyagh fort. „Obendrein war der Küchenvorrat, den Sie aus dem Cromingan-Shesk mitgebracht hatten, allmählich zur Neige gegangen. Als ich Nachschub bestellt habe, habe ich festgestellt, daß die besagte Zutat vor kurzem gleich tonnenweise in die Lager gebracht worden war. Dort ist so viel vorhanden, daß wir bei der Verwendungsmenge, die sie im Rezept angegeben haben, einige Jahrhunderte damit auskommen würden. Deshalb bin in damals zu dem Schluß gekommen, daß Ihnen ein Fehler unterlaufen sein mußte, und habe ihn entsprechend berichtigt. Haben Sie noch weitere Anweisungen für mich, Sir?“
Wie Gurronsevas nur zu gut wußte, war diese überreichliche Menge Muskat lediglich aus verwaltungstechnischen und rechtmäßig fragwürdigen Gründen bestellt worden. Durch die Großbestellung hatte man erreichen wollen, daß das Gewürz nicht aus dem relativ geringen Budget von Gurronsevas’ Abteilung, sondern aus dem praktisch unerschöpflichen Versorgungsetat des Monitorkorps bezahlt wurde. Doch das konnte Gurronsevas nicht sagen, ohne daß Skempton etwas von dieser Mauschelei zu Ohren gekommen wäre, und das wollte der Tralthaner auf keinen Fall, nicht einmal, wenn der Colonel — wie es wahrscheinlich erschien — inoffiziell bereits davon wußte. Nicht die Spur von Schuld sollte den Leiter der Beschaffungsabteilung, Creon-Emesh, treffen, der ihm gegenüber äußerst hilfsbereit gewesen war. Und Sarnyagh hatte es meisterhaft verstanden, den Großteil der Verantwortung für seinen Fehler zurück auf Gurronsevas zu schieben, und sich auf diese Weise die besten Aussichten verschafft, ungeschoren davonzukommen.
Er fühlte sich in seine Jugend versetzt, als er aus eigenem Schaden gelernt hatte, daß man den Vorgesetzten unterstellt wird, weil diese mehr — und nicht weniger — wissen als ihre ehrgeizigen Untergebenen.
„Meine Anweisung an Sie lautet: Machen Sie die unerlaubte Änderung des DBDG-Menügangs elf einundzwanzig rückgängig, und stellen Sie auf der Stelle das ursprüngliche Rezept wieder her“, befahl er in kühlem Ton. „Ich bin äußerst ungehalten über Sie, Sarnyagh, doch jetzt müssen erst mal alle erforderlichen Disziplinarmaßnahmen warten, bis ich.“
„Aber Sir!“ fiel ihm Sarnyagh ins Wort. „Das ist ungerecht und kleinlich. Nur weil ich aus eigener Initiative eine harmlose Änderung vorgenommen habe und Sie das, wie ich Ihnen versichern kann, zu Unrecht als Gefahr für Ihre Autorität betrachten, wollen Sie mich. Sir, hier gibt es viel wichtigere und dringendere Aufgaben zu erledigen. Wir befolgen die Anweisungen, die uns vor kurzem die beiden Diagnostiker Thornnastor und Conway erteilt haben, und sind gerade dabei, das gesamte Essenszubereitungs- und — ausgabesystem technisch auf eventuelle undichte Stellen hin zu überprüfen, durch die das Essen verunreinigt worden sein könnte. Ich weiß, das ist unmöglich, aber hier im Hospital hat eine Krankheit um sich gegriffen, von der man glaubt, es könnte sich um eine Lebensmittelvergiftung handeln, und deshalb.“
„Dieses spezielle Problem ist bereits gelöst“, unterbrach ihn Gurronsevas in bestimmtem Ton. „Tun Sie einfach das, was ich Ihnen gesagt habe.“
Als Sarnyaghs Kopf vom Bildschirm verschwunden war, sagte Gurronsevas zu Lioren: „Vielleicht werde ich ihn doch nicht umbringen. Aber wenn Sie mir sagen könnten, wie man jemandem Verletzungen beibringen kann, die nicht lebensgefährlich sind, aber eine lange und unangenehme Genesungszeit erfordern, wäre ich Ihnen sehr dankbar.“
„Ich hoffe, Sie machen nur Spaß“, antwortete Lioren etwas verunsichert. „Aber ist das Problem wirklich gelöst? Und wenn ja, wie?“
„Ich mache nur Spaß“, beruhigte ihn Gurronsevas. „Ja, Ihre seuchenartige sogenannte Lebensmittelvergiftung ist vorüber. Ich erkläre es Ihnen schnell, damit Sie gleich Diagnostiker Conway Bescheid sagen können. An der ganzen Sache ist einfach eine.“
„Nein, Gurronsevas“, schnitt ihm Lioren freundlich das Wort ab. „Das ist Ihr Fachgebiet. Conway gehört zu den wenigen, die wissen, daß Sie hier sind. Sie sparen Zeit, wenn Sie es ihm selbst erklären.“
Als Gurronsevas wenige Minuten später von der unbefugten Änderung berichtete, die Sarnyagh am DBDG-Gericht elf einundzwanzig vorgenommen hatte, blickte ihn Diagnostiker Conway aufmerksam aus dem Bildschirm heraus an.
„Das Ganze ist nur passiert, weil ich bis vor ein paar Minuten nichts von einer wenig bekannten Nebenwirkung des terrestrischen Muskats gewußt habe, bei dem es sich um ein Gewürz handelt, das ich gerade bei diesem Gericht gerne verwende“, setzte Gurronsevas seine Erklärung fort. „Auch wenn man die Muskatnuß nicht mehr im Verzeichnis giftiger Pflanzen findet — wahrscheinlich, weil sie wegen der unerfreulichen Begleiterscheinungen im Magen als Droge unbeliebt geworden ist—, ist sie in ferner Vergangenheit als schwaches Halluzinogen bekannt gewesen. Das liegt mehrere Jahrhunderte zurück, als der Gebrauch gehirnschädigender Drogen in verschiedenen Kulturen gebräuchlich war. Bei der Menge Muskat, mit der das DBDG-Gericht elf einundzwanzig gewürzt worden ist und die das Einhundertfache des im Rezept angegebenen Quantums betragen hat, mußten die terrestrischen DBDGs und die Vertreter anderer Spezies zwangsläufig an nach und nachl zunehmenden Halluzinationen, an einem Mangel an körperlicher und geistiger Koordination und an Übelkeit von der Art, wie man sie mir beschrieben hat, leiden, zumal sie zum ersten Mal Muskat in diesen Mengen zu sich genommen hatten.
Der Fehler wird in diesem Moment bereinigt, und innerhalb der nächsten zwei Stunden wird die Nahrungsversorgung der DBDGs wieder reibungslos funktionieren“, fügte Gurronsevas hinzu. „Die Symptome werden rasch abklingen, und dem historischen Hinweis in der Datenbank zufolge werden alle Betroffenen, die keine gewohnheitsmäßigen Konsumenten sind — und das trifft ja auf Ihre Patienten zu—, schon in wenigen Tagen vollkommen genesen sein. Ich bin mir sicher, der Notfall ist vorüber.“
Für einen Augenblick war von Diagnostiker Conway kein anderer Laut als ein langes, langsames Ausatmen zu hören. Die im Schädel eingebetteten Augen des Terrestriers drehten sich in ihren Höhlen, um an Gurronsevas vorbei einen Blick auf Lioren und das Unfalldeck dahinter zu werfen; dann lächelte er und antwortete: „Sie haben also doch recht gehabt, Padre Lioren, und wir haben uns wegen einer weitverbreiteten, aber im Grunde simplen Verdauungsstörung unnötig geängstigt. Und Sie, Gurronsevas, haben unsere Probleme innerhalb weniger Minuten behoben, ohne überhaupt im Hospital gewesen zu sein. Das war ausgezeichnete Arbeit, Herr Chefdiätist. Aber haben Sie einen Vorschlag, was wir mit dem verantwortlichen Lebensmitteltechniker machen sollen?“
„Nichts“, meinte Gurronsevas. „Für das berufliche Verhalten meiner Untergebenen habe ich schon immer die Verantwortung übernommen, und dazu gehören auch deren Fehler. Sarnyagh wird nach meiner Rückkehr ins Hospital bestraft — falls ich überhaupt jemals zurückkehren sollte.“
Hinter ihm stieß Lioren einen leisen unübersetzbaren Laut aus. Conway nickte und sagte: „Ich verstehe. Doch Ihre Rückkehr wird noch einige Zeit auf sich warten lassen. Jetzt, wo der Schrecken der Epidemie gebannt ist, wird die Rhabwar innerhalb der nächsten Stunde starten.“