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Das erste, was sie sahen, als sie aus dem Aufzug traten, war die Leiche eines von Brauns Agenten. Ein zweiter, regloser Körper lag nur ein kleines Stück entfernt. Der Boden und die Wände waren voller Blut, und der Zustand der beiden Leichen ließ keinen großen Zweifel daran aufkommen, wem sie zum Opfer gefallen waren.

Bremer machte einen schnellen Schritt aus dem Aufzug heraus, gab Angela mit einer Geste zu verstehen, daß sie zurückbleiben sollte (Er kam sich selbst dabei lächerlich vor, aber fünfzig Jahre alte Reflexe ließen sich nun einmal nicht so schnell abschütteln) und sah sich mit klopfendem Herzen um. Wenn ihn seine Erinnerung nicht täuschte, dann hatte Braun fünf Agenten bei sich gehabt, als er ihn das letztemal gesehen hatte. Zwei davon hatte der Dämon oben im Flur erledigt, und zwei weitere lagen hier. Wo war der fünfte Mann?

Als hätte sie seine Gedanken gelesen, berührte ihn Angela in diesem Moment an der Schulter und deutete gleichzeitig mit der anderen Hand den Gang hinab. In dem kalten Neonlicht, das hier unten herrschte, konnte Bremer erkennen, daß er nach einem knappen Dutzend Schritten vor einer massiven Stahltür endete. Brauns letzter Agent hockte auf den Knien vor dieser Tür und hatte die zu Krallen verkrümmten Hände gegen das Metall geschlagen. Sein Kopf fehlte.

Wortlos gingen sie weiter. Die Tür hatte keinen Griff oder irgendeinen anderen sichtbaren Öffnungsmechanismus, aber es gab eine kleine Zifferntastatur an der Wand daneben. Während Bremer vorsichtig den toten Agenten zur Seite schleifte, machte sich Angela mit geschickten Bewegungen daran zu schaffen.

Nach ein paar Sekunden sagte sie: »Sesam, öffne dich!« und die Tür sprang mit einem Summen zwei Fingerbreit auf.

Bremer hielt den Atem an. Nichts geschah. Braun schoß nicht durch den Türspalt auf sie, und es lauerte auch kein Dämon in der Dunkelheit. Er atmete hörbar aus, stemmte sich mit der unverletzten Schulter gegen die Tür und drückte sie mit einiger Anstrengung auf. Hinter ihm zog Angela ihre Waffe, wartete, bis der entstandene Spalt breit genug war, und schlüpfte dann mit einer Drehbewegung hindurch. Bremer selbst wartete noch zwei, drei Sekunden. Als weder Schüsse fielen, noch sonst etwas geschah, folgte er ihr auf die gleiche Art.

Angela hatte sich bereits hinter einem massiven Pult in der Nähe der Tür verschanzt. Er huschte geduckt zu ihr, kauerte sich hinter die gleiche Deckung und warf ihr einen fragenden Blick zu, aber Angela deutete nur ein Achselzucken an. Sie lauschten, hörten aber nichts anderes als das leise Summen der Klimaanlage und ihre eigenen Atemzüge.

Angela atmete tief ein, wieder aus und dann noch einmal ein und sprang dann mit einem Ruck in die Höhe. Die Waffe in ihren weit nach vorne gestreckten Händen beschrieb einen rasenden Dreiviertelkreis durch den Raum und bewegte sich dann etwas langsamer noch einmal zurück. Dann ließ sie mit unüberhörbarer Erleichterung die Arme sinken und sagte: »Es ist alles in Ordnung. Du kannst aufstehen. Es ist vorbei.«

Bremer erhob sich langsam und sah sich um. Der Raum, in dem sie sich befanden, überraschte ihn. Er hatte so etwas wie ein Labor erwartet, vielleicht wirklich die moderne Ausgabe von Frankensteins Turmkammer, aber hier sah es eher aus wie in der Kommandozentrale eines supermodernen Unterseebootes. Die Wände waren mit Instrumenten und Monitoren in allen nur vorstellbaren Größen und Formen gepflastert, und der Raum dazwischen wurde fast vollkommen von einem halben Dutzend großer Pulte beansprucht, auf denen sich ebenfalls Instrumente und Computer türmten und zwischen denen nur schmale Laufgänge blieben. Auf der linken Seite schien es einen zweiten Raum zu geben, der im Gegensatz zu diesem nahezu leer war. In seiner Mitte stand etwas Großes, Dunkles, das Bremer nicht genau erkennen konnte. Die Kammer war offensichtlich einmal mit einer Glasscheibe abgetrennt gewesen, die jetzt aber zerbrochen und in Milliarden Scherben zersprungen auf dem Boden lag. Braun und ein zweiter Mann in einem blutdurchtränkten weißen Kittel lagen inmitten der Scherben. Bremer konnte nicht sagen, was mit dem anderen Mann war, aber Braun war mit ziemlicher Sicherheit tot. Eine handbreite Glasscherbe ragte aus seinem Bauch. Die Spitze war dicht neben seinem Rückgrat wieder herausgetreten.

Angela bewegte sich vorsichtig auf die beiden Männer zu. Sie schien nicht ganz so überzeugt von Brauns Tod zu sein, denn sie bewegte sich sehr langsam, und ihre Waffe deutete ununterbrochen auf Braun.

Bremer sah sich unterdessen erneut in dem vollgestopften Raum um. Etwas wie eine huschende Bewegung zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Er sah genauer hin und identifizierte es als das Flackern einer roten Ziffernkolonne auf einem Bildschirm. Langsam trat er näher.

Was er sah, war eine Zeitanzeige. Die beiden ersten Ziffern lauteten 09. Danach folgte eine 17 und als drittes eine Zahlengruppe, die so schnell kleiner wurde, daß er ihr kaum folgen konnte. Noch während er an den Bildschirm herantrat, wurde aus der 17 eine 16. Eine eisige Hand schien nach seinem Herz zu greifen und es ganz langsam zusammenzudrücken, als ihm klar wurde, was er da sah. Einen Countdown.

Und es war nicht besonders schwer zu erraten, was an seinem Ende geschehen würde.

»Angela«, sagte er.

Angela war mittlerweile zwischen Braun und dem zweiten Mann niedergekniet und untersuchte sie flüchtig. »Er ist tot«, sagte sie.

Bremer wußte nicht, ob sie Braun oder den Mann in dem weißen Kittel damit meinte, vermutete aber, daß es beiden galt. Angela hatte auf jedem Fall ihre Waffe eingesteckt.

»Vielleicht solltest du dir ... das hier einmal ansehen«, sagte er stockend.

Angela sah auf, runzelte die Stirn und kam dann mit schnellen Schritten zu ihm herüber. Ihre linke Augenbraue rutschte ein Stück weit ihre Stirn hinauf, als ihr Blick auf den Bildschirm fiel.

»O«, sagte sie.

»Könntest du dich ... darum kümmern?« fragte Bremer nervös.

»Kein Problem«, antwortete Angela. Aber auch sie klang eine Spur zu nervös, als daß Bremer ihr hundertprozentig glaubte. Vor allem nicht, als sie nach einer Sekunde hinzufügte: »Aber faß bloß nichts an, kapiert.«

Bremer hütete sich, irgend etwas anzurühren. Er hob erschrocken die Hände und machte Angela sehr hastig Platz.

»Okay«, sagte sie und fuhr sich nervös mit dem Handrücken übers Kinn. »Geh spielen oder tu sonst was. Ich ... mache das hier schon.«

Bremer hoffte es. Er hoffte sogar sehr, daß Angela wußte, was sie tat. Sie hatten jetzt noch acht Minuten und siebenundfünfzig Sekunden, bevor sie herausfinden würden, wozu dieser Computer eigentlich da war.

»Also, wenn ich diesen Computer programmiert hätte, dann hätte ich dafür gesorgt, daß es Bumm macht, sobald jemand die falsche Taste berührt«, murmelte Angela.

»Und welches ist die falsche Taste?« fragte Bremer.

Angela zuckte mit den Schultern und sah stirnrunzelnd auf den Computer herab. »Die Frage ist glaube ich eher, welches ist die richtige.«

Warum hatte er auch fragen müssen. Bremer drehte sich mit einer nervösen Bewegung wieder herum und entfernte sich ein paar Schritte.

Fast ohne sein Zutun fiel sein Blick wieder auf den dunklen Umriß hinter dem leeren Fensterrahmen. Er hatte eine ziemlich konkrete Vorstellung davon, worum es sich dabei handelte, und er wollte im Grunde nichts auf der Welt weniger, als jetzt dort hinüberzugehen und dieses ... Ding aus der Nähe zu sehen...

Aber schließlich waren sie aus keinem anderen Grund hier heruntergekommen. Und nicht nur, um es anzusehen.

»Ups!« sagte Angela hinter ihm.

Bremer fuhr wie von der Tarantel gestochen herum und starrte den Monitor an. »Was ist passiert?«

»Nichts.« Angela deutete grinsend auf den Schirm. Die Zahlen hatten aufgehört, sich zu bewegen. »Ich habe die richtige Taste gefunden, glaube ich.«

Bremer stieß hörbar die Luft zwischen den Zähnen aus. »Manchmal habe ich Mühe, mich an deine Art von Humor zu gewöhnen, weißt du das?«

»Das kommt schon noch.« Angela drückte die ENTER-Taste, und der Countdown auf dem Schirm lief weiter; und wie es Bremer vorkam, deutlich schneller. Bevor er auch nur wirklich Zeit fand, zu erschrecken, berührte sie irgendeine andere Taste, und der Countdown hielt wieder an.

»Ach, so funktioniert das«, sagte sie.

»Was ... was machst du da eigentlich?« fragte Bremer nervös.

»Ich versuche, dieses Ding zu entschärfen«, antwortete Angela. »Es bringt nicht viel, den Countdown nur anzuhalten und darauf zu warten, daß irgendein Dummkopf hereinkommt und auf den falschen Knopf drückt. Ich fühle mich erst sicher, wenn er ausgeschaltet ist.«

Das sah Bremer ein. Aber der Anblick der rotleuchtenden Ziffern machte ihn nervös. Der Countdown war bei 06:43:12 stehengeblieben. »Also gut. Aber ... versuch es nicht zu oft, ja?«

»Ich werde mein Bestes tun«, versicherte Angela. »Du bist der erste, der merkt, wenn ich einen Fehler mache.«

Bremer ging endgültig.

Mit fast schleppenden Schritten näherte er sich dem Raum hinter der zerborstenen Glasscheibe.

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