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Braun war verletzt. Er hatte keine allzu starken Schmerzen, aber sein rechtes Bein blutete stark; das Biest mußte seinen Wadenmuskel erwischt haben, denn sein Bein hatte immer größere Mühe, das Gewicht seines Körpers zu tragen. Schwer atmend ließ er sich gegen die Labortür sinken und schloß für einen Moment die Augen. In seinen Ohren gellten noch immer die Schreie der Männer, und sein Herz jagte so schnell, daß er fast Mühe hatte, zu atmen. Es war nur Einbildung. Die drei Agenten waren längst tot. Die Bestie war wie aus dem Nichts aufgetaucht und mit Klauen und Kieferzangen über sie hergefallen, mörderisch und so unvorstellbar schnell, daß nicht einer von ihnen auch nur Zeit gefunden hätte, seine Waffe zu ziehen. Und selbst wenn einer von ihnen noch am Leben sein sollte, so hätte die halbe Tonne Stahl, an der er lehnte, zuverlässig jeden Laut verschluckt.

Braun war hier drinnen in Sicherheit. Der Angriff des Dämons hatte nicht ihm gegolten, sondern ihn wahrscheinlich nur ganz aus Versehen getroffen. Braun nahm mit ziemlicher Sicherheit an, daß er der letzte auf seiner Liste war. Es würde ihn umbringen, o ja, ganz gewiß, und der Tod, den es ihm zugedacht hatte, war mit Sicherheit qualvoll und langsam, aber er war erst dann an der Reihe, wenn auch der letzte seiner Agenten tot war; und vermutlich auch Grinner und sämtliche Forschungsassistenten und Techniker, die an diesem Projekt beteiligt gewesen waren. Braun hatte mittlerweile eine ziemlich konkrete Vorstellung davon, was die kranke Ausgeburt von Haymars Hirn tat.

Sie nahm Rache. Der Dämon tötete gnadenlos jeden, der irgendwie mit dem fünfjährigen Martyrium seines Schöpfers zu tun hatte. Es waren eine Menge Leute. Die Bestie würde im Akkord morden müssen, und er, Braun, war zweifellos der letzte auf ihrer Liste.

Aber so weit würde es nicht kommen. Er brauchte zwei Minuten, plus noch einmal zehn, um einen gewissen Sicherheitsabstand zwischen sich und diesen Keller zu bringen.

Braun biß die Zähne zusammen, zwang sein schmerzendes Bein, sich zu bewegen und humpelte auf eines der computerbestückten Pulte zu, die dem Labor das Aussehen einer futuristischen Filmkulisse verliehen.

Als er es fast erreicht hatte, hörte er ein Stöhnen und blieb wieder stehen.

Aufmerksam sah er sich um. Sein Herz klopfte. Der Laut wiederholte sich nicht, und soweit er das erkennen konnte, war er auch allein im Labor. Seine Nerven spielten ihm einen Streich. Das war ja auch kein Wunder.

Braun humpelte weiter, erreichte das Pult und stützte sich schwer mit beiden Händen darauf. Sein Puls jagte. Von seinem verletzten Bein tropfte Blut zu Boden, und er brauchte all seine Willenskraft, um überhaupt die Hand zu heben und den Computer einzuschalten.

Während er darauf wartete, daß das Programm das Sicherheitsprotokoll durchlief, glitt sein Blick über die Glasscheibe im hinteren Teil des Büros. Grinner hatte das Licht in der Isolierkammer brennen lassen, so daß er den schwarzen Stahlsarkophag darin deutlich erkennen konnte. Schatten schienen sich an der Wand dahinter zu bewegen, wie körperlose Wesen aus einer anderen Dimension, die gegen die Mauern der Wirklichkeit anrannten, ohne sie vollends überwinden zu können. Er fragte sich, ob Haymar wußte, was gleich geschehen würde. Wahrscheinlich nicht. Nein: Ganz bestimmt nicht. Allein die Tatsache, daß Braun jetzt hier stehen konnte und sich diese Frage stellte, war ein unwiderruflicher Beweis dafür.

Der Computer meldete sich mit einem melodischen Laut betriebsbereit, und Braun tippte mit sorgfältigen Bewegungen eine achtstellige Ziffer in die Tastatur, bestätigte sie und gab sie dann noch einmal und in umgekehrter Reihenfolge ein.

Der Bildschirm wurde grün. Braun wandte seinen Blick der kleinen Kamera links neben dem Monitor zu, legte die flache Hand auf die Metallscheibe und sagte langsam und sehr deutlich: »Autorisation Braun 7947. Selbstzerstörungsprogramm aktivieren.«

Einige Sekunden lang geschah gar nichts. Dieser Computer hier war noch kleinlicher als der elektronische Zerberus, der den Safe in seinem Büro überwachte. Er kontrollierte und verglich nicht nur seine Fingerabdrücke, sondern auch seinen Netzhautscan und sein elektronisches Stimmprofil, und außerdem die vierstellige Codenummer. Hätte auch nur einer dieser drei Faktoren nicht gestimmt, so hätte Braun keinen zweiten Versuch gehabt. Der Computer hätte nicht nur das Programm abgebrochen, sondern auch den Sprengkörper unter dem Metallsarg auf eine Weise entschärft, daß selbst ein Spezialist Stunden brauchen würde, um ihn wieder einsatzbereit zu machen.

Der Computer akzeptierte seinen Code. Der Bildschirm wurde wieder schwarz, und als Braun die Hand zurückzog, sagte eine elektronische Frauenstimme: »Das Selbstzerstörungsprogramm wurde aktiviert. Bitte Zeitverzögerung eingeben.«

»Zehn Minuten«, antwortete Braun, dann verbesserte er sich: »Fünfzehn.«

»Der Countdown startet jetzt«, bestätigte die Stimme »Sie können ihn jederzeit durch einen Druck auf eine beliebige Taste abbrechen.« Auf dem Bildschirm erschien eine sechsstellige Anzeige, die Minuten, Sekunden und Zehntelsekunden darstellte. Das letzte Zahlenpaar wurde rasend schnell kleiner.

Braun drehte sich herum, und ein Schemen in einem weißen Kittel sprang ihn an und riß ihn von den Füßen. Braun fiel, prallte mit der Schläfe gegen das Metallbein eines Schreibtisches und keuchte vor Schmerz, als sich ein Knie in seinen Leib bohrte. Gleichzeitig trafen zwei, drei harte Schläge sein Gesicht mit solcher Kraft, daß er fast Angst hatte, das Bewußtsein zu verlieren. Trotzdem schlug er instinktiv zurück, traf etwas Weiches und fühlte, wie sich die erstickende Last von ihm löste. Ein schmerzhaftes Keuchen erklang, aber es war nicht seine Stimme.

Hastig wälzte er sich herum und erkannte zu seiner maßlosen Verblüffung, daß niemand anders als Grinner ihn attackiert hatte. Der junge Forschungsassistent richtete sich umständlich neben ihm auf, drehte sich herum und streckte die Hand nach der Tastatur des Computers aus, zweifellos aus keinem anderen Grund, als den, den Countdown zu unterbrechen, und Braun trat ihm vor den Knöchel.

Grinner brüllte vor Schmerz und kippte zur Seite. Seine ausgestreckten Hände verfehlten die Tastatur um Millimeter und schlugen mit solcher Kraft auf die Schreibtischkante, daß er sich vermutlich ein paar Finger brach.

Noch bevor er ganz zu Boden stürzen konnte, war Braun über ihm, riß ihn an den Haaren wieder in die Höhe und schmetterte ihm die Faust ins Gesicht. Dann packte er seinen linken Arm, wirbelte Grinner herum und ließ ihn mit solcher Wucht wieder los, daß Grinner hilflos durch das Labor stolperte und rücklings gegen die Glasfront der Isolierkammer prallte.

Braun zog seine Waffe und schoß ihm zwei Kugeln in die Brust.

Mindestens eines der Geschosse mußte Grinners Körper durchschlagen haben, denn die Glasscheibe hinter ihm zerbarst wie unter einem Hammerschlag. Eingehüllt in einen Hagel explodierender Scherben brach Grinner zusammen und kippte halb in die Isolierkammer hinein.

Braun überzeugte sich mit einem hastigen Blick davon, daß der Countdown noch weiterlief. Die Zahlen rasten unbeeindruckt der Null entgegen. Es war Grinner nicht gelungen, das Programm zu unterbrechen. Die Digitalanzeige verriet Braun sogar, daß der heimtückische Angriff nicht einmal eine halbe Minute gedauert hatte.

Er trat um das Pult herum, humpelte auf Grinner zu und schoß ihm eine weitere Kugel in den Leib.

»Du verdammter, undankbarer Hurensohn!« brüllte er. »Was hast du dir dabei gedacht?! Ist das der Dank für das, was ich für dich getan habe?!« Während er auf Grinner zuhumpelte, feuerte er wieder, und wieder, und noch einmal. Schließlich hatte er ihn erreicht, beugte sich über ihn und setzte die Waffe direkt über seinem Nasenbein auf. Er wollte sehen, wie Grinners Geist aus seinem blöden verräterischen Hirn spritzte.

»Dämliches Arschloch!« sagte er und drückte ab. Der Hammer schlug klickend ins Leere, und synchron zu diesem Geräusch hob Grinner die Lider und starrte ihn an.

Eine Mischung aus Unglauben und eisigem Entsetzen durchfuhr Braun. Für eine halbe Sekunde konnte er einfach nicht glauben, was er sah, und für die zweite Hälfte derselben Sekunde war er einfach unfähig vor Schrecken, sich zu rühren. Dann spürte er den Schmerz.

Ganz langsam senkte Braun den Blick und sah an sich herab. Grinner hatte eine blutige Hand gehoben und eine zwanzig Zentimeter lange, gekrümmte Glasscherbe ergriffen, die er ihm langsam, aber mit unwiderstehlicher Kraft in den Leib bohrte.

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