Ende meiner Aufzeichnungen


Jetzt bin ich mit meinem Bericht in der Gegenwart angekommen. Es war mühevoll und nicht immer angenehm, all das, was geschehen ist, noch einmal auszugraben, aber es hat mir geholfen. Einerseits hat mich die Arbeit beschäftigt, sie hat mir Spaß gemacht. Andererseits habe ich dadurch einen Teil meines Lebens zu einem Abschluss gebracht – jetzt kann ich einen Schlussstrich unter diesen Abschnitt ziehen.

Der Diktierautomat steht auf dem Tischchen neben meinem Stuhl, er ist noch eingeschaltet. Habe ich noch etwas nachzutragen? Dass mein Leben ja nun trotz allem weitergeht und dass eine Geschichte nicht zu Ende ist, solange es noch eine Zukunft gibt? Daher sollte ich vielleicht noch einige Ergänzungen anbringen, über meine Gedanken, meine Erwartungen, meine Pläne …

Aber zuerst noch ein paar Worte zur Gegenwart. Die Menschen, die ich hier angetroffen habe, unterscheiden sich von all jenen, mit denen ich bisher zu tun hatte, und das hat mir in den letzten Wochen sehr geholfen. Sie sind davon überzeugt, dass das, was sie tun, richtig ist. Und sie arbeiten neidlos zusammen, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen. Zuerst haben sie mich im Krankenzimmer besucht und mir von ihrem Leben erzählt. Und später, als ich mich wieder frei bewegen konnte, haben sie mich mitgenommen: hinaus auf das Eis, das für sie kein Feind ist, gegen den man antritt, sondern Teil einer Natur voller Geheimnisse. Ich sehe diese Welt nun mit anderen Augen.

Aber da ist noch jemand, der viel für mich getan hat. Es ist Robin, der, während ich noch bewusstlos war, hier bei mir war. Robin, den ich in schwerer Bedrängnis um Hilfe gebeten habe, ohne zu wissen, wer er ist – nämlich ein Freund aus früherer Zeit. Er kam zu spät, um mich vor dem Tod zu bewahren, trotzdem hat er mir das Leben gerettet. Eine verworrene Geschichte, die ich selbst längst noch nicht verstehe.

Während der Zeit der Rekonvaleszenz hat er mich öfter am Krankenlager aufgesucht. An die ersten Kontakte erinnere ich mich nur sehr vage. Da war ich noch nicht fähig, vernünftige Gespräche zu führen. Aber er saß neben mir, war einfach da. Einige Worte, die er sprach, erweckten tief in mir etwas zum Leben, was seit Langem verschüttet war, und ich lernte erst allmählich, die Zusammenhänge zu begreifen. Und er nannte einen Namen, der mir fremd und vertraut zugleich war: Angelo. Er behauptete, dass ich Angelo heiße. Dass Sylvan ein anderer sei, ein Toter, dessen Identität ich angenommen hatte. Und dass das geschah, um mich für meine Aufgabe zu befähigen.

Ich weiß noch genau, welche Aufgabe es war, die mich auf die Eisinsel geführt hatte – jedes Detail ist mir gegenwärtig –, aber ich wusste nichts über die Hintergründe. Robin hat mir viel erzählt, von unserer Dienststelle, der Behörde, die dafür verantwortlich ist, dass auf unserer Erde Recht Recht bleibt und Unrecht Unrecht. Er sprach von unserer gemeinsamen Ausbildung, von meinem Verschwinden von einem Tag auf den anderen und davon, wie er nach mir gesucht hat. Hin und wieder glaube ich mich zu erinnern: an jene Zeit, als ich Angelo war, der Engel. Doch dann fühle ich mich wieder als Sylvan, spüre seinen Tatendrang, seine Bereitschaft zum Risiko, seine Unruhe. Wer möchte ich lieber sein? Kann ich noch selbst entscheiden, wer ich wirklich bin?

Robin hat versucht, mir zu erklären, was da geschehen ist, er sprach von neuropsychologischen Eingriffen, die mich auf meine Aufgabe vorbereiten sollten, vom Versuch, mich in eine andere, den erwarteten Anforderungen gewachsene Person zu verwandeln. Es klingt logisch, ich kann ihm folgen, manchmal flackern sogar Erinnerungen auf, aber es ist Theorie, in der ich keine Verbindung zur erlebten Realität erkennen kann.

Trotz allem ist es ein beruhigendes Gefühl für mich, dass das, was ich getan habe, letztlich einem guten Zweck diente und somit sinnvoll war. Und nun hat mir Robin auch noch einen merkwürdigen Text gegeben: einen Brief, den ich früher einmal zur Erklärung meiner Entschlüsse und zur Rechfertigung meines Handelns geschrieben habe. Und dieser Text hat die letzten Zweifel in mir beseitigt. Er hat mir sehr geholfen.

Morgen schlägt die Stunde des Abschieds. Ich werde ihm meine Aufzeichnungen als Andenken geben. Er soll mich und meine Beweggründe verstehen.

Zum Glück ist der Mensch, der ich jetzt bin, von Natur aus auf die Zukunft eingestellt und nicht auf die Vergangenheit. Die Vergangenheit kann ich verschmerzen, sie ist vorbei. Doch was hält die Zukunft für mich bereit? Darauf kommt es an.

In den nächsten Monaten werde ich zu Rundgängen aufbrechen, allein, auf mich selbst gestellt, und ich werde mich in die Eiswüste hinauswagen, immer weiter, bis an die Grenzen des Möglichen. Körperlich bin ich völlig wiederhergestellt, und auch was die Willenskraft betrifft, halte ich mich für stark – und jeder Schritt draußen wird mich stärker machen.

Bei diesen einsamen Wanderungen werde ich mich von einem Traum leiten lassen – meinem Traum, auf den Mars zu fliegen. Ich glaube, dass er sich verwirklichen lässt, ich werde der erste Mensch auf dem Mars sein. Denn allen anderen, die dasselbe Ziel haben mögen, habe ich etwas Entscheidendes voraus, was die Sache einfach macht: Ich werde nicht auf einer Rückkehr bestehen.

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