Liebe Freunde und Kollegen,
es ist eine Freude für mich, hier, an diesem besonderen Platz, wieder einmal mit vielen altbekannten Gefährten zusammenzutreffen. Schon oft haben wir uns bei Diskussionen und Entschlussfassungen auf höchster politischer Ebene kennen und schätzen gelernt. Und es ist uns immer wieder gelungen, das Schicksal der Welt in positivere Bahnen zu lenken. Dabei ging es uns vor allem um die Globalisierung der Technik, der Industrie und der Wirtschaft. Und die Realität hat uns Recht gegeben: Die enge weltweite Zusammenarbeit hat zu einem Synergieeffekt geführt, der die Systeme effizienter macht, als das in einer endlosen, zermürbenden Konkurrenzsituation je sein könnte. Ich glaube, alle von Ihnen, sehr geehrte Kollegen, stimmen mir da zu.
Wie vereinbart ist es das Ziel dieses Gipfeltreffens, den Weg für die Vollendung dieses Vorhabens zu bereiten. Nun haben wir uns, seien wir ehrlich, schon viele Stunden mit Themen beschäftigt, die zwar in die eingeschlagene Richtung weisen, aber letztlich als zweitrangig angesehen werden können.
Dazu hätten wir uns der Mühe einer aufwändigen Anreise nicht unterziehen müssen. Es ist, so glaube ich, im Sinn aller Beteiligten, wenn wir endlich auf den entscheidenden Schritt zu sprechen kommen, der nun vor uns steht. Und dieses Ziel, das in greifbarer Nähe liegt, kann nichts anderes sein als die Zusammenfassung aller Industrie- und Wirtschaftszweige zu einer neuen großen Einheit.
Gewiss könnten wir nun über die verschiedenen Varianten für die Organisation aller beteiligten Institutionen diskutieren, so wie das ja bisher schon geschehen ist. Diese Bemühungen waren von Erfolg gekrönt, und wir können damit zufrieden sein. Aber, und das füge ich ganz offen hinzu, es war ein umständlicher und langwieriger Weg bis zum heutigen Zustand. Wollten wir auf diese Weise weitergehen, dann würden vermutlich nur wenige von uns bis zum Ziel kommen. Ich glaube, mit der Schwierigkeit der ins Auge gefassten Aufgabe werden wir nur fertig, wenn wir von den Möglichkeiten für ein schnelleres Vorgehen Gebrauch machen.
Ich darf Ihnen heute einen Plan vorlegen, der in den letzten Jahren unter meiner Leitung von einem geschlossenen Kreis von Experten bis ins letzte Detail ausgearbeitet wurde. Er wurde mehrfach simuliert und hat mehrere Validierungsphasen durchlaufen, so dass die Durchführbarkeit garantiert ist. Ich werde nun die wichtigsten Punkte beschreiben, über die wir anschließend diskutieren werden. Einzelheiten können später von Ausschüssen beraten und festgelegt werden. Die wesentlichen Punkte des Projekts können Sie auch in der Projektion sehen:
Manifest zur Neuorganisation der Weltpolitik
Alle hier vertretenen Sektoren von Wirtschaft und Industrie werden zu einem umfassenden Unternehmen zusammengefasst.
Es wird den Namen »Zentrum Wirtschaft« (ZW) haben.
Das ZW bildet eine von Staaten und Regierungen unabhängige, eigenständige Institution, vergleichbar dem ZRS (Zentrum Religion und Sekten) oder dem IGH (Internationaler Gerichtshof).
Mit der Führung des ZW wird ein unter dem Aspekt der Fachkompetenz zusammengesetzter Vorstand betraut.
Für die zur Integration nötigen Maßnahmen, speziell den Zusammenschluss aller hier vertretenen Wirtschaftsgruppen und ihren Übergang in die neue Organisationsform, liegt ein als AI-Programm erstellter Durchführungsplan vor.
Ein besonderer Maßnahmenkatalog dient der Auflösung aller noch bestehenden Bindungen und Verpflichtungen der Unternehmen gegenüber nationalen staatlichen Stellen.
Die Aufgabe, die Integrität des ZW zu bewahren und gegen alle schädigenden Einflüsse zu schützen, obliegt der Bereinigung Militär, Polizei, Sicherheit (VMPS).
Alle zur Koordination nötigen Maßnahmen werden unverzüglich in Angriff genommen, und zwar von Ausschüssen, die vom Vorstand bestimmt und geleitet werden.
Achtung: Der von mir erwähnte Durchführungsplan liegt in ausgedruckter Form vor; ich bitte darum, ihn nun zu verteilen.
Zusatzantrag von Jiang Jafei
Der Antrag von Kollege Hawk ist interessant und beachtenswert. Da Hawk sich, wie er erwähnte, schon längere Zeit mit der Frage einer groß angelegten Koordinierung aller Wirtschaftskräfte beschäftigt hat und daher besser als alle anderen mit dieser Materie vertraut ist, halte ich es für richtig, ihn mit der Leitung des geplanten Zentrums zu betrauen. Daher stelle ich folgenden Antrag:
Zum Präsidenten und Vorstandsvorsitzenden des ZW wird Lester Hawk berufen. Er soll die bestimmende Kraft in dieser entscheidenden Aufbauphase sein. Dabei hat er sich nach dem vorbereiteten Durchführungsplan zu richten.
Am späten Nachmittag, nach der Sitzung, traf ich mich mit Ellen im Freizeitraum für die Hotelangestellten und erzählte ihr von der überraschenden Wendung, die sich während der Verhandlungen ergeben hatte.
»Dieser Antrag hat eine gewaltige Tragweite«, sagte Ellen. Sie trug eine orangefarbene Bluse und einen grauen Rock und sah erstaunlich mädchenhaft aus. »Wenn er angenommen wird, dann wird das Führungsgremium des ›Zentrums Wirtschaft zur weltweit mächtigsten Instanz.«
»Darauf besteht aber wenig Aussicht«, entgegnete ich. »Mir scheint, dass keiner der Delegierten mit so etwas gerechnet hat – mit Ausnahme von Jafei vermutlich. So rasch, wie er reagierte, war sein Antrag abgesprochen; ich halte ihn für einen Verbündeten von Hawk. Aber damit erreichen sie doch nichts – alle anderen waren dagegen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Hawk mit seinem Vorschlag durchkommt.«
Ellen kniff die Augen zusammen, was man als Zeichen angestrengten Überlegens oder auch des Zweifels deuten konnte. »Das hätte sich Hawk doch ausrechnen können. Diese Diplomaten mit ihrer überzogenen Eitelkeit und ihren Allüren wirken zwar ein wenig lächerlich, aber ich halte sie nicht für so naiv, dass sie sich mir nichts dir nichts zu einer so weitreichenden Entscheidung überreden lassen.«
Sie hatte Recht: Wenn das der Coup sein sollte, auf den die Konferenz nach Meinung meiner Auftraggeber hinauslaufen sollte, dann war das Ganze nicht der Mühe wert.
»Mit einem Antrag, der nicht angenommen wird, lässt sich die Welt nicht verändern«, sagte ich. »Da muss noch etwas anderes dahinterstecken. Aber ich habe keine Ahnung, was da noch kommen könnte. Denn nun haben sie die Katze aus dem Sack gelassen, und wenn die kommenden Stunden so verlaufen, wie man es erwarten kann, dann wird im Protokoll stehen, dass der Antrag abgeschmettert ist. Ein Schlag ins Wasser …«
»Halt die Augen offen«, riet mir Ellen. Sie sah besorgt aus.
»Da ist irgendeine Schweinerei im Gang. Ich habe noch zu tun«, fügte sie hinzu und stand auf. »Sehen wir uns heute noch?«
»Das kann ich momentan noch nicht abschätzen«, antwortete ich. »Ich bin sehr beschäftigt.«
Wir verließen den Raum und gingen noch ein Stück zusammen durch die Gänge. Ellen einen halben Schritt vor mir, ich konnte ihren Gesichtsausdruck nicht sehen. Warum hatte ich sie abgewiesen? Ich wäre doch so gern mit ihr zusammen gewesen. Doch kaum hatte sich dieser Gedanke bei mir eingeschlichen, da fiel mir meine Verantwortung ein, die Last, die ich trug – als einziger kritischer Beobachter am Schauplatz. Ich musste mit einer Maßnahme rechnen, mit der die widerstrebenden Delegierten zur Zustimmung gebracht werden sollten, und dabei konnte es sich eigentlich nur um einen üblen Trick handeln. Ich musste wachsam sein, um im Falle eines Falls zu handeln. Und Ellen? Vielleicht später … Später, wenn das alles hier erledigt war. Es würde eine Befreiung für mich sein.
Die Sitzung des nächsten Tages verlief so, wie ich es erwartet hatte: Es gab lange und teils auch erhitzte Diskussionen, wobei als Befürworter des Plans nur die Antragsteller auftraten. Ein paar der weniger entscheidungsfreudigen Delegierten wollten den Beschluss auf eine spätere Konferenz verschieben, doch die meisten plädierten für eine sofortige Ablehnung.
Diesmal hatte ich die gesamte Dauer der Sitzung am ComSet verbracht – es schien mir wichtig, stets auf dem neuesten Stand zu sein. Doch die erste Nachricht von kommendem Unheil erhielt ich von ganz anderer Seite. Es war Ellen, die mich anrief, und schon ihr Gesichtsausdruck deutete auf etwas Ungewöhnliches hin.
»Stell dir vor! Eben kam eine Anweisung: Das gesamte Personal hat sich in die Unterkünfte zurückzuziehen, und auch ich darf mein Zimmer nicht verlassen. Es gilt natürlich auch für dich.«
»Wer hat denn das Recht, so etwas anzuordnen?«, fragte ich. Ellen schien es eilig zu haben und sprach schnell weiter.
»Es kam von Oberstleutnant Jeremy Jurema, und dieser wird mich in Kürze aufsuchen – um mir Anweisungen zu geben. Ich habe versucht, mein Apartment zu verlassen, doch da stand ein Mann draußen: bewaffnet, im schwarzen Kampfanzug und maskiert. Er stieß mich ins Zimmer zurück und schlug die Tür hinter mir zu.«
Ich versuchte, etwas zu fragen, doch da unterbrach mich Ellen mit einer Handbewegung. Jetzt sprach sie schnell und kaum verständlich: »Da ist jemand an der Tür – ich lass das Vidiphon eingeschaltet …«
Sie hatte die Kamera in die Zimmermitte gerichtet, damit ich alles, was da geschah, beobachten konnte; die etwas weiter von der Kamera entfernten Gegenstände erschienen zwar nur klein und stark verzerrt, doch die akustische Übertragung war einwandfrei.
Ellen öffnete. Es war Jurema, der nun eintrat, doch ich hätte ihn kaum wiedererkannt. Er war im Kampfanzug wie der Mann, der Ellen am Verlassen ihrer Wohnung gehindert hatte, dazu ein rotes Stirnband, allerdings trug er weder Waffen noch eine Maske.
»Was geht hier vor?«, fragte Ellen, und sie bemühte sich nicht, ihren Ärger zu verbergen.
»Das geht Sie nichts an«, antwortete Jurema. »Es sind Umstände eingetreten, die uns zum Eingreifen zwingen – mehr brauchen Sie nicht zu wissen. Von nun an stehen Sie unter der Aufsicht des Sicherheitsdienstes.«
Beide blieben wie Kampfhähne voreinander stehen.
»Wie soll ich dann den Hotelbetrieb weiterführen?«
»Wenn wir etwas brauchen, werden wir uns melden.«
Er machte auf dem Absatz kehrt und verließ den Raum.
Sobald die Tür wieder geschlossen war, erschien Ellen am Bildschirm. »Hast du es mitbekommen?«
Ich bejahte. Und ich fügte hinzu, dass wir auch bei unseren Gesprächen vorsichtig sein sollten – schließlich war es nicht ausgeschlossen, dass man uns abhörte.
Inzwischen war die von mir eingerichtete Übertragung aus dem Sitzungssaal weitergelaufen – dort hatte man offenbar noch nichts davon gemerkt, dass sich die Situation im Globe-Hotel entscheidend geändert hatte.
Als ich meine Aufmerksamkeit wieder auf die Ereignisse im Sitzungssaal richtete, hatte Hawk gerade das Wort ergriffen. Während er bisher trotz aller Meinungsverschiedenheiten ruhig und freundlich gesprochen hatte, wirkte er nun enttäuscht und verärgert. Er bat die Delegierten mit den unterschiedlichsten Argumenten, die gebotene Gelegenheit für einen Schritt in eine bessere Zukunft nicht verstreichen zu lassen und seinen Antrag doch noch anzunehmen, doch er hatte keinen Erfolg. Außer Jafei war niemand dazu bereit. Schließlich, als sein Misserfolg endgültig zu sein schien, gab er noch eine Erklärung ab: dass er die Ablehnung sehr bedauere, aber natürlich den Beschluss der Mehrheit respektiere und selbstverständlich auch weiterhin zur aktiven Zusammenarbeit bereit sei. Dafür erhielt er begeisterten Applaus.
Nun ergriff der Koordinator Jerome Mangali wieder das Wort, erklärte die Diskussion über Hawks Antrag für beendet und las von einer Liste den Betreff und die Antragsteller der nächsten Wortmeldungen ab.
Und dann, völlig überraschend, brach die Übertragung ab – aus meinem Kopfhörer kamen undefinierbare Laute, Geschrei, kaum verständliche Befehle und ein Lärm, den ich nur als Gewehrsalven deuten konnte. Zuerst glaubte ich, durch irgendeine unerklärbare Panne in einen anderen Übertragungskanal geraten zu sein … Dann wurde es schlagartig ruhig, und eine dumpf klingende Stimme beherrschte die Szene.
»Bleiben Sie auf Ihren Plätzen und verhalten Sie sich ruhig. Das ist ein Überfall. Sie alle stehen in Geiselhaft. Solange Sie unseren Anordnungen bedingungslos folgen, haben Sie die Chance, ungeschoren davonzukommen. Doch wenn sich jemand weigert, wenden wir Gewalt an. Sie dürfen uns glauben, dass wir keinen Spaß verstehen. Dafür sind wir bekannt: Wir sind die Kerntruppe der ›Schwarzen Legion‹. Und auch von mir werdet ihr schon gehört haben. Mein Kampfname ist ›Ezequiel‹.«
Der nächste Tag wurde für Robin zu einer besonderen Geduldsprobe. Es war ein Feiertag, er hatte nichts zu tun, und so musste er immerzu an Michèle denken. Er versuchte mehrmals, sie telefonisch zu erreichen, doch es meldete sich niemand. Könnte es sein, dass sie sich im Büro befand, um etwas für Jans Befreiung zu tun? Er versuchte es auch dort, doch die Leitung war belegt. Erst am Abend wurde ihm eine Botschaft durchgegeben: Michèle hätte von seinen Anrufen gehört, sie würde sich später bei ihm melden.
So wartete er den ganzen Abend auf ein Lebenszeichen von ihr, doch vergeblich, und seine Unruhe verstärkte sich mehr und mehr. Und als er bis zum Einbruch der Nacht noch immer nichts von ihr gehört hatte, überwand er alle seine Bedenken, dass er sie stören könnte, und wählte ihre private Vidiphon-Nummer … Er spürte sein Herz rascher schlagen, als er sie plötzlich vor sich sah und ihre Stimme hörte. Doch das Bild war nur ein Hologramm, und das, was er hörte, kam vom Anrufbeantworter. Aber, so dachte er, sie musste in ihrer Wohnung gewesen sein, denn sie hatte ja den Anrufbeantworter eingestellt. Ging sie nicht ans Vidiphon?
Seine Sehnsucht, sie wiederzusehen, wurde immer drängender, und er konnte keine Ruhe finden. Rasch entschlossen holte er seinen Mantel aus dem Schrank, ein kleiner Spaziergang würde ihm gut tun, vielleicht fand er in einer Kneipe noch einen Bekannten, mit dem er ein wenig plaudern konnte.
Die Nacht war hereingebrochen, die in großen Abständen an den Ballonen hängenden Lampen erzeugten einzelne Lichtinseln und ließen die dazwischen liegenden Strecken in vagem Halbdunkel liegen. Die kühle Luft tat ihm gut, jetzt machte ihm die Kälte nichts mehr aus, er setzte sich eilig in Bewegung.
Robin war tief in Gedanken versunken und achtete nicht auf den Weg. Als er später einmal aufblickte, merkte er, dass er sich am Flussufer befand … dort drüben lag Michèles Haus. War es ein Zufall, dass er hierher geraten war, oder hatten ihn seine Wünsche unbewusst geleitet?
Langsam trat er näher. Die Vorderfront des Gebäudes war nur schwach beleuchtet. Michèles Wohnung lag an der westlichen Seite, und Robin kam auf die Idee nachzusehen, ob dort, im zweiten Geschoss, vielleicht ein Fenster erhellt war.
Robin ging den Gitterzaun entlang, bog um die Ecke und suchte zwischen den Baumkronen hindurch einen freien Blick nach oben. Unwillkürlich legte er dabei die Hände um die Gitterstäbe – und spürte eine jäh aufkommende Hitze an den Handflächen … Und als er erschrocken zurückfuhr, merkte er, dass seine Handflächen am Gitter klebten.
Er versuchte sich loszureißen, doch es gelang ihm nicht, sich zu lösen. Irgendwo im Inneren des Gartens hatte sich ein Summer in Funktion gesetzt, ein rotes Licht blinkte, und dann hörte er Schritte. Und da erschien auch schon ein Hund an der Ecke der Umfassung, er hing an einer Leine, und dann folgte ein uniformierter Mann mit gezogener Waffe.
»Hände hoch, keine Bewegung!« Dieser Befehl wäre unter anderen Umständen zum Lachen gewesen, aber Robin fand die Situation alles andere als heiter.
»Was soll das!«, rief er. »Helfen Sie mir lieber, vom Gitter loszukommen.«
Der Mann nahm den Hund etwas kürzer an die Leine und trat näher. »Was haben Sie hier zu suchen?«
»Ich wollte jemand besuchen.«
»Wen wollten Sie besuchen? Sind Sie angemeldet?«
»Das nicht«, antwortete Robin. »Muss man hier angemeldet sein, wenn man einen privaten Besuch machen will?«
»Das meine ich schon«, sagte der Uniformierte, »immerhin ist es das Haus von Jan van der Steegen, der kürzlich entführt wurde.«
Einen Moment war Robin sprachlos. Das musste er erst verdauen: Das Haus gehörte Jan van der Steegen …
»Ich bin ein Mitarbeiter des Direktors«, sagte er. »Holen Sie meine I-Card aus der Brusttasche und überzeugen Sie sich. Und lassen Sie mich endlich frei.«
Der Uniformierte blickte Robin zweifelnd an, kam dann aber der Aufforderung nach. »Das muss ich prüfen«, sagte er. »Sie müssen noch etwas warten. Verhalten Sie sich ruhig.«
Die Wartezeit kam Robin endlos vor, und er war darüber froh, dass in diesen Minuten, während er da hilflos am Gitter stand, niemand vorbeikam und ihn in seiner peinlichen Lage überraschte. Auf einmal spürte Robin, dass die Verbindung mit dem Gitter nachließ – er konnte die Hände lösen und war wieder frei. Und da kam auch schon der Wachbeamte, diesmal etwas schneller und ohne Hund.
»Tut mir leid«, sagte er. »Aber Sie haben sich verdächtig gemacht, das können Sie nicht leugnen. Und außerdem hätten Sie den piezoelektrischen Zaun nicht berühren dürfen. Haben Sie die Warntafeln nicht gelesen?«
Robin fühlte sich betäubt – vielleicht waren es die Nachwirkungen der elektrischen Vibrationen … Er stand stumm da und rieb sich die Hände. Er spürte schmierige Massen darauf: Klebstoff vom Zaun, der durch die elektrischen Schwingungen aktiviert worden war und nun rasch trocknete.
Der Wachbeamte sah ihm zu. Fast sah es so aus, als hätte er Mitleid mit Robin. »Mit Benzin geht das wieder weg. Gehen Sie nach Hause«, riet er. »Und gewöhnen Sie sich an, auf Warntafeln zu achten!«
Robin blieb nichts anderes übrig, als sich davonzumachen. Er brauchte lange, um seine Gedanken zu ordnen, und auch als er sich wieder in seiner Wohnung befand, war an Schlaf nicht zu denken. Und wo war Michèle? Doch je länger er grübelte, umso mehr schob sich eine andere Information des Beamten in den Vordergrund: dass Michèle und Jan im selben Haus wohnten. Das könnte eine Antwort auf Fragen sein, die sich Robin schon früher gestellt hatte – zum Beispiel, wieso sie eine so bevorzugte Position im Direktionsbüro einnahm und wieso sie in einer so großen und teuren Wohnung lebte …
Robins Herz schlug rasch und schwer. Es gab nur eine Erklärung: Michèle war die Geliebte des Direktors.