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10. September 2375

Higby V


Beinah hätten es Jan und ich nicht geschafft, die Pressemitteilung abzuschicken. Irgendein blöder Dussel hatte vergessen, die Batterie des Elektrorenners aufzuladen, den wir benutzten, um zwischen der Stadt und unserem Lager zu pendeln. Wir waren noch zwölf Kilometer von der Stadt entfernt, als der Motor ein leises Seufzen von sich gab und sich dann ausschwieg. Ich öffnete die Haube und versuchte, männliche Kompetenz zu zeigen, aber ich konnte überhaupt nichts tun, und das wußten wir beide. „Die Batterie ist leer!“ rief mir Jan zu. „Verschwende keine Zeit damit, am Motor herumzubasteln.“

„Was machen wir jetzt? Den Rest des Weges zu Fuß gehen?“

„Es fängt an zu regnen“, sagte sie. „Welch nette Überraschung!“

„Wir bleiben am besten hier. Vielleicht kommt jemand vorbei.“

Wir warteten eine halbe Stunde, ganz allein im Zentrum der Leere. Ich nutzte meine große Chance nicht aus, mich ein wenig mehr um die körperliche Seite meiner Beziehung zu Jan zu kümmern. Einerseits, weil der endlose graue Regenguß, der auf diesem Planeten das charakteristische Wetter darstellt, meine Leidenschaft ganz erheblich abgekühlt hatte. Und andererseits: Selbst wenn ich zufällig in der Stimmung gewesen wäre — ich wollte mich nicht mit Dingen beschäftigen, die das Risiko mit sich gebracht hätten, einen vorbeikommenden Wagen nicht zu bemerken und somit zu verpassen. Der Verkehr auf dieser Straße ist nicht so dicht, als daß gestrandete Reisende es sich leisten könnten, einen möglichen Retter vorbeiziehen zu lassen. Hauptsächlich jedoch wegen dieser seltsamen und altmodischen Einstellung, die plötzlich über mich kam: daß es schlechtes Benehmen sei, eine möglicherweise ziemlich ernste Romanze in einem am Rand einer matschigen Straße liegengebliebenen Renner zu beginnen. Nicht daß Higby V irgendwo angenehmere Umgebungen aufzuweisen hätte — ich empörte mich vielmehr über die Unanständigkeit im allgemeinen. Manchmal kann ich ziemlich verstockt sein. Ich glaube, das weißt du.

Anstatt also wollüstig übereinander herzufallen, saßen wir keusch und züchtig Seite an Seite und unterhielten uns. Es kommt mir erst jetzt in den Sinn, daß Jan meinen plötzlichen Puritanismus vielleicht nicht geteilt hat, aber jetzt ist es zu spät, um den Fehler wiedergutzumachen. Wir sprachen hauptsächlich darüber, wie wir zur Archäologie gekommen sind. Sie fragte mich danach, und ich sagte: „Weil ich die Vorstellung verabscheue, irgend etwas könnte verschwendet werden. Ich meine, daß irgend etwas, was für jemanden einmal wichtig und bedeutend und wertvoll war, einfach vergraben liegt und vergessen worden ist. All diese Dinge möchte ich bergen, auf daß sie erneut für irgend jemanden wichtig sind… und sie sich somit nicht vernachlässigt vorkommen.“

Und ich erzählte ihr die Geschichte von der verlorenen Statuette.

Erinnerst du dich, Lorie? Wie könntest du es vergessen haben! Wir waren sechs Jahre alt. Vater hatte sich auf einem Planeten aufgehalten, an dessen Namen ich mich nicht mehr entsinne — im Epsilon-Eridani-System —, und dort eins seiner Immobiliengeschäfte abgewickelt. Und er brachte uns zwei von dort stammende Statuetten als Spielzeuge mit, eine für dich, und eine für mich. Es waren Darstellungen von Haustieren jenes Planeten; sie bestanden aus einer Art Porzellan und fühlten sich so außerordentlich weich und geschmeidig an, daß man sie gar nicht mehr loslassen wollte, hatte man sie erst einmal berührt. Du hast deine Statuette in der Nähe deines Bettes im Krankenhaus aufbewahrt, und ich trug meine in meiner Tasche bei mir. Außer wenn ich zu Bett ging: Dann stand sie auf dem Nachtschränkchen, so daß ich sie auch des Nachts sehen und anfassen konnte. Ich liebte dieses kleine Porzellantier mehr als alles andere, was ich besaß, und dann, eines Tages, nahm Vater mich mit, damit ich beim Bau eines neuen Gebäudes zusehen konnte, das er in Alaska errichtete. Ich stand auf diesem Balkon und blickte zum Fundament hinab, mit der Statuette in der Hand, und dann nieste ich oder so, und sie fiel hinunter. Ich begann zu schreien und bat Vater, sie mir zurückzuholen, doch die Baumaschinen waren zu schnell. In den nächsten fünf Minuten schütteten sie Tonnen von Beton in das Loch. „Sag ihnen, sie sollen sie ausgraben!“ verlangte ich von Vater. „Das Haus gehört dir. Du kannst ihnen das befehlen. Ich will sie zurück!“ Er lachte und sagte, es würde Tausende von Krediteinheiten kosten, unter all dem Beton nach meinem Spielzeug zu suchen, und ob ich wollte, daß er soviel Geld verschwende? Außerdem, sagte er, würden in einer Million Jahren Archäologen hierher kommen und die Ruinen dieses Gebäudes untersuchen und mein Spielzeug finden und in einem Museum ausstellen. Ich wußte nicht, was ein Archäologe war, und ich wollte nicht, daß man meine Statuette in einer Million Jahren ausgrub. Ich wollte sie sofort zurück, und in meinem Wutanfall gebärdete ich mich so wild, daß sie mich fortbringen und mir ein Medikament geben mußten, um mich zu beruhigen. Und als du hörtest, was passiert war, hast du gesagt: „Gut, wenn Tom seine Statuette nicht mehr hat, dann will ich meine auch nicht mehr.“ Und du hast deine Krankenschwester gebeten, sie einem anderen kleinen Mädchen zu geben, und sie erfüllte deine Bitte. Was eine deiner ganz typischen, mitfühlenden und geschickten Reaktionen war, denn ich war wie verrückt vor Neid, daß du dein Spielzeug noch hattest und meins verlorengegangen war. Ich vermute, eine gewöhnliche, gutherzige Schwester hätte ihrem Bruder einfach ihr eigenes Spielzeug gegeben, aber du hast dich nie auf gewöhnliche Weise verhalten. Und was du getan hast, war genau richtig: Mit einem Ersatz für meinen Verlust wäre ich nicht zufrieden gewesen, aber daß du deine Statuette nun ebenfalls nicht mehr hattest, das nahm dem ganzen Vorfall irgendwie den Schmerz.

Später fand ich heraus, was Archäologen sind. Und begann damit, Museen zu besuchen, um mir die Dinge anzusehen, die sie ausgegraben hatten — einschließlich der vielen Spielzeuge, die vor fünf- oder zehn- oder fünfzigtausend Jahren von anderen kleinen Jungen verloren worden waren. Und es traf mich wie ein Schlag: Wie traurig ist es doch, daß diese Dinge verlorengegangen sind und niemanden mehr haben, der sie mag und sich um sie kümmert. Und wie schön ist es, daß sich jemand die Mühe macht, sie nach all den Jahren wiederzufinden. Später dachte ich: Wie traurig ist es doch, daß Zivilisationen verlorengegangen sind, ganze Brocken der Vergangenheit, Könige und Dichter und Maler, Gebräuche und Religionen und Skulpturen und Küchengeschirr und Werkzeuge, und wie schön ist es, daß sich jemand die Mühe macht, dies nach all den Jahren wiederzufinden. Dann faßte ich den Entschluß, zu einem dieser Finder zu werden. Was unseren Vater natürlich erschreckte, da er bereits entschieden hatte, daß ich zu einem Immobilien-Magnaten werden sollte, genau wie er. „Archäologie? Was kann die Archäologie jemandem wie dir schon bedeuten? Ich habe ein Königreich, das auf dich wartet, Tom!“ Ich antwortete, ich sei mehr an Königreichen interessiert, die nicht mehr existierten. Ich konnte ihm eigentlich nie richtig klarmachen, daß der ursächliche Anlaß zu all diesem ein Spielzeugtier von Epsilon Eridani gewesen ist.

Als ich mit der Schilderung zu Ende war, sagte Jan: „Als du neulich die Kugel ausgegraben hast — dieses wundervolle Spielzeug —, war es so ähnlich, als hättest du deine verlorene Statuette wiedergefunden?“

„Ja. Genau so. Ich hab’ eine ganze Welt neu entdeckt, Jan. Darum geht es mir hierbei vor allem.“

„Angenommen, dein Vater hätte die Baumaschinen angehalten und seine Männer beordert, dein Spielzeug aus dem Beton zu graben? Glaubst du, du wärst dann heute auf Higby V?“

„Ich wäre sehr wahrscheinlich der Junior-Magnat eines Immobilien-Imperiums“, sagte ich, und ich glaube, das stimmt.

Dann fragte ich Jan, warum sie Archäologin geworden sei. Ihre Antwort war ein wenig enttäuschend. Sie baggerte keine finsteren Episoden ihrer Kindheit aus. „Weil es interessant ist“, sagte sie. „Das ist alles. Die Vorstellung herauszufinden, wie die Vergangenheit war, erscheint mir sehr interessant.“

Nun, das ist natürlich überhaupt keine Antwort. Wir wissen ja, daß Archäologen die Archäologie interessant finden. Das wirkliche Problem besteht darin, warum. Ich glaube, die Antwortet lautet: Weil wir alle nach einer Art von verlorenem Spielzeug suchen. Wir kämpfen gegen jene Kraft des Universums an, die alles dem Chaos preisgeben will. Ich meine, wir befinden uns mit der Zeit im Kriegszustand. Wir sind Feinde der Entropie. Wir versuchen, jene Dinge zurückzuholen, die uns von den Jahren genommen wurden: die Spielzeuge der Kindheit, verlorene Freunde und Verwandte, die Ereignisse der Vergangenheit — alles. Wir kämpfen darum, alles zurückzuerlangen, bis hin zum Anbeginn der Schöpfung, aus dem Bedürfnis heraus, nichts vom Strom der Zeit davonspülen zu lassen. Verzeih mir dieses Philosophieren. Ich weiß nicht, ob mir Jan oder irgend jemand anders hier zustimmen würde, und ich will das auch gar nicht herausfinden. Vielleicht würden einige von ihnen sagen, für sie sei es nur ein Job wie jeder andere oder ein Weg, zu Ansehen zu gelangen, oder eine Möglichkeit, sich die Zeit zu vertreiben, wer weiß? Dennoch glaube ich fest daran, daß unter diesen oberflächlichen Motiven etwas Subtileres verborgen sein muß.

Ich glaube, das Problem mit einer ernsten und tiefgehenden Diskussion besteht darin, daß es letztlich schwierig wird, sie weiterzuführen, wenn sich die Teilnehmer der Unterredung nicht sonderlich gut kennen. Wir unternahmen den ernsthaften Versuch, über Vaters Feindseligkeit meiner Zuwendung der Archäologie gegenüber zu sprechen, und wir schnitten auch andere nicht minder bedeutsame Themen an, doch die Atmosphäre großer Ernsthaftigkeit begann uns zu deprimieren. Ich mußte etwas tun. Entweder mich an Jan heranmachen, was nach all dem tiefsinnigen Gerede noch weniger angebracht schien, oder aussteigen und vorgeben, ich könnte etwas unternehmen, um den Motor wieder in Gang zu bringen. Ich stieg aus.

„Warum willst du jetzt den edlen Ritter spielen?“ sagte Jan. „Du weißt, daß du nichts tun kannst, um den Motor zu reparieren. Es sei denn, du reibst deine Finger aneinander und kannst damit ein paar Watt in die Batterie spritzen.“

Ich stand im Regen und lächelte ihr gezwungen zu. „Vielleicht sitzen wir hier eine ganze Woche fest“, gab ich zurück.

„Tatsächlich? Sie werden uns eine Rettungsmannschaft schicken. Komm, steig wieder ein.“

Ich stieg wieder ein, und eine Minute später tauchte ein Militärlastwagen auf. Drei Soldaten saßen vorn. Sie hielten an, als sie begriffen, daß wir liegengeblieben waren, und sie wurden natürlich sehr zuvorkommend, als sie Jan entdeckten. (Mädchen mit ihren Formen sind auf diesem erbärmlichen Außenposten des Terranischen Empires außerordentlich selten.) Lüstern schlugen sie vor, sie solle zusammen mit ihnen zur Stadt fahren, während ich hierblieb, um den Renner im Auge zu behalten. Sie wirkten beleidigt, als Jan gegen diese Idee Einspruch erhob. Ich zog mir einige verdrießliche Blicke zu, aus denen offener Neid sprach. Vermutlich nahmen sie an, Jan und ich hätten uns leidenschaftlich geliebt, während wir auf Hilfe warteten. Sollten sie schmoren.

Schließlich nahmen sie uns zur Stadt mit.

Und auch dort waren verdrießliche Blicke an der Tagesordnung. Wir gingen geradewegs zum Nachrichtenbüro, und natürlich war der diensthabende Telepath Miß Universum selbst, Marge Hotchkiss, deren sonnenheißem Charme kein Mann widerstehen kann. Sie schlenderte zum Schalter herüber und meinte: „Na? Was liegt an?“

„Wir haben hier eine Pressemitteilung, die herausgegeben werden soll. Sie müßte an den nächsten TP-Aufnahmepunkt des Galaktischen Nachrichten-Dienstes übertragen werden.“

„Gut, in Ordnung.“ Sie konsultierte eine Preisliste. „Macht fünfhundert Krediteinheiten, Daumen auf die Platte.“

Ich starrte auf das Computerterminal ihres Schreibtisches. „Ich bin nicht befugt, Rechnungen zu begleichen.“

„Sie wollen sich wirklich über mich lustig machen, nicht wahr? Warum haben sie nicht jemanden mit registriertem Daumenabdruck geschickt?“

„GND wird ein R-Gespräch von uns annehmen“, erklärte ich. „Es ist bereits alles arrangiert.“

Diese Hotchkiss wurde noch mürrischer. „Woher soll ich das wissen?“

„Aber…“

„Ich soll mir die Mühe machen, eine Verbindung herzustellen und zu fragen, ob sie ein R-Gespräch von Ihnen annehmen. Was aber, wenn sie nein sagen? Dann habe ich eine ganze Menge TP-Energie verschwendet. Ich bin keine gottverdammte Maschine, Söhnchen. Sie wollen ein Gespräch führen, also bezahlen Sie auch dafür.“

Und sie lachte höhnisch. Wie die Hexe in einem mittelalterlichen Melodrama. Ich bin noch niemals zuvor höhnisch ausgelacht worden. Sie ist wirklich eine Expertin im höhnischen Lachen. Muß eine Menge Praxis gehabt haben.

Während dieses Wortwechsels stand Jan an meiner Seite. Sie zischte etwas, hatte aber offenbar nicht die Absicht, sich einzumischen. Dies war mein großer Auftritt. Ich würde ziemlich blöd dastehen, wenn es mir nicht einmal gelänge, den hiesigen TP-Operateur dazu zu bewegen, ein R-Gespräch zu akzeptieren. Ich wollte etwas Männliches und Energisches tun, zum Beispiel Marge Hotchkiss packen und durch die Wand werfen. Ich begann zu wüten und zu toben. Ich erzählte ihr, meine Schwester sei ein TP-Inspektor und würde sie rausschmeißen, eine Lüge, die du mir hoffentlich verzeihst. Ich verlangte, ihren Vorgesetzten zu sprechen. Ich drohte ihr an, mich beim Netz-Koordinator über sie zu beschweren. Je lauter ich schrie, desto abweisender wurde der Gesichtsausdruck dieser Hotchkiss, und desto herausfordernder wurden ihre Worte. „Nehmen Sie von mir aus Ihr R-Gespräch“, sagte sie, „und wischen sich damit…“

„Einen Augenblick, bitte“, sagte Jan schließlich, und ihre Stimme klang ganz freundlich. „Entsprechend den Paragraphen des Gesetzes für Gemeinnützigkeit von 2322, das den Betrieb des TP-Netzes regelt, macht sich ein Repräsentant des Kommunikationsnetzes einer illegalen Handlung schuldig, wenn er sich weigert, ein R-Gespräch zu akzeptieren. Dem TP-Operateur ist nicht gestattet, eigene Beurteilungen dazu heranzuziehen, ob ein solcher Anruf letztendlich angenommen wird, sondern er ist verpflichtet, sich bei der angerufenen Person oder Institution zu erkundigen, ob der Anruf akzeptiert wird.“

Marge Hotchkiss machte einen enttäuschten Eindruck.

„Was sind Sie?“ platzte es aus ihr heraus. „Ein Betriebsspion? In Ordnung, ich frage, ob GND das Gespräch annimmt.“

Hotchkiss glitt in die TP-Trance und tastete sich hinaus nach der nächsten Aufnahmestelle des Nachrichtendienstes, die schätzungsweise zwanzig Lichtjahre entfernt war. (Du weißt das sicher besser als ich, Lorie.) Nach einem Augenblick wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder uns zu und sagte, noch immer verdrießlich: „Also her mit Ihrer verdammten Mitteilung.“

Ich reichte sie ihr. Hotchkiss überflog sie und begann dann damit, sie an den GND-Operateur zu übertragen. Ich fragte mich in diesem Augenblick, ob sie die Mitteilung nicht vielleicht aus allgemeiner Gehässigkeit entstellte und, wenn dies der Fall war, was wir gegen eine solche Sabotage unternehmen konnten. Jan mußte ebenfalls daran gedacht haben, denn als Hotchkiss die Übertragung beendete, sagte sie: „Herzlichen Dank. Natürlich hätten wir gern eine Rückübermittlung als Bestätigung.“

Warum bin ich nicht darauf gekommen?

Hotchkiss starrte uns wütend an, forderte aber — weil sie zum Teil befürchtete, Jan sei tatsächlich eine Betriebsspionin, die ihre Tüchtigkeit überprüfte — von ihrem TP-Gesprächspartner weit draußen gehorsam eine Wiederholung der Nachricht an, schrieb sie während der Rückübertragung mit und reichte sie zur Kontrolle an uns weiter. Bis hin zum letzten Komma verglich ich sie mit dem Original.

„Sehr gut“, sagte Jan. „Recht herzlichen Dank!“

Draußen vor dem TP-Büro fragte ich sie, wie sie von der Sache mit dem Gesetz für Gemeinnützigkeit von 2322 gewußt haben konnte und so weiter. „Versuch nicht, mir weiszumachen, du seist ein Flüchtling aus dem TP-Netz“, sagte ich.

„Oh, nein! Ich habe nicht ein einziges TP-Molekül in mir, Tom. Aber einmal war ich dabei, wie mein Vater ähnlichen Ärger mit einem Netz-Mädchen bekam, und ich habe mich daran erinnert, wie er das Problem löste.“

„Raffiniert.“

„Aber warum eigentlich sind all diese TP-Leute so eklig? Besonders die weiblichen. Sie machen den Eindruck, als erwiesen sie dir dadurch einen riesigen Gefallen, indem sie deine Anrufe übermitteln. Ich glaube, sie müssen uns arme Teufel ziemlich verachten, die wir nicht über ihre Begabungen verfügen und nur auf Worte angewiesen sind, um miteinander zu kommunizieren.“

„Nicht alle sind eklig“, sagte ich. „Meine Schwester zum Beispiel nicht. Lorie hat sehr viel Geduld mit allen. Lorie ist wirklich eine Heilige.“

„Wenn das stimmt, dann ist sie das erste höfliche TP-Mädchen, von dem ich überhaupt jemals gehört habe. Wie kommt es, daß ich niemals auf Entgegenkommen stoße, wenn ich eine Nachricht durchgeben muß?“

„Lorie nimmt keine Gespräche von der Öffentlichkeit an“, erklärte ich. „Weil sie die ganze Zeit über an ihr Krankenzimmer gefesselt ist. Sie fungiert auschließlich als Aufnahmepunkt und Relaisstation.“

„Ich verstehe. Wahrscheinlich haben sie alle freundlichen Menschen dazu eingesetzt, als Relaisstationen zu arbeiten, und in den öffentlichen Büros sitzen die ganzen Fieslinge. Ich würde deine Schwester irgendwann gern einmal kennenlernen.“

„Vielleicht wirst du das.“

„Sieht sie dir sehr ähnlich?“

„Eigentlich nicht. Sie ist kleiner und zarter und an einigen Stellen rundlicher. Außerdem braucht sie sich nicht zu rasieren.“

„Witzbold! Ich meine, abgesehen davon, daß sie ein Mädchen ist!“

„Man sagt, wir seien uns sehr ähnlich, besonders für zweieiige Zwillinge“, antwortete ich. „Ich kann das kaum beurteilen. Sie ist ruhiger als ich, und sie hat einen anderen Sinn für Humor. Ich meine, manchmal sagt sie eine halbe Stunde lang kein Wort und hört nur den anderen Leuten in ihrem Zimmer zu, und dann kommt sie mit etwas heraus, in einer sehr sanften Stimme, so daß man die Ohren spitzen muß, um es zu verstehen… und es ist etwas absolut Verheerendes, etwas, das es fertigbringt, zugleich lustig und zutreffend zu sein. Manchmal kann sie jemanden mit zwei oder drei gut gewählten Worten ganz schön aus der Fassung bringen.“

„Du vermißt sie sicher sehr.“

„Noch nie zuvor habe ich so lange Zeit nicht mit ihr sprechen können. Ich habe immer versucht, sie an meinen Erlebnissen teilhaben zu lassen — was ich auch mache, wohin ich auch gehe. Hier aber… so weit von ihr entfernt…“

„Du könntest sie anrufen.“

„Über Marge die Lächelnde?“ Ich schüttelte den Kopf. „Ich will ihr Bewußtsein nicht durch den unnötigen Kontakt mit einem gedanklichen Güllefaß beschmutzen. Außerdem kostet es eine hübsche Stange Geld.“

„Ist dein Vater nicht reich?“

„Mein Vater schon. Ich nicht. Er behält den Daumen in seiner eigenen Tasche.“

„Ach.“

„Ich türme Nachrichtenwürfel für Lorie auf und erzähle ihr die ganze Geschichte. Wenn ich zur Erde zurückkomme, kann sie sie alle abspielen, die ganzen Hörbriefe von zwei Jahren auf einmal.“

„Dann hast du also die ganze Zeit für sie gesprochen!“

„Ist es dir aufgefallen?“

„Wenn ich dich in der letzten Zeit gesucht habe“, sagte Jan, „dann warst du meistens vollauf damit beschäftigt, in einen Nachrichtenwürfel zu sprechen.“

Interessant, daß sie nach mir gesucht hatte.

Aus strategischen Erwägungen erwiderte ich: „Natürlich sind diese Würfel nicht alle für Lorie. Ich meine, versteh’ das richtig: Nicht daß ich drüben auf der Erde irgendwelche festeren Bindungen hätte, aber ich glaube, es gibt da ein paar Mädchen, die an meinen Abenteuern hier draußen im All interessiert sind, und…“

„Natürlich“, sagte Jan. „Es ist sehr aufmerksam von dir, daß du dich an sie erinnerst, obwohl du so weit fort bist.“

Ihr Tonfall war völlig neutral. Ich entdeckte nicht einmal einen Hauch der Eifersucht, die ich so plump hervorzurufen versucht hatte, und sofort bedauerte ich die ganze dumme pubertäre List. Entweder war Jan nicht sonderlich an meinen angeblichen irdischen Liebschaften interessiert (die ich natürlich frei erfunden habe, da alle Hörbriefe, die ich spreche, für dich bestimmt sind), oder, was noch schlimmer wäre, sie hatte meinen Trick durchschaut und war nicht beeindruckt von meiner Behauptung, ein galaktischer Frauenheld zu sein. Ich wünschte, sie hätte mir etwas von einem weit entfernten jungen Mann erzählt, für den ihr Herz klopfte, einfach nur deshalb, um die Herausforderung anzunehmen, aber sie ließ sich nicht einmal dazu bewegen. Ihre kühlen, braunen, brolagonianischen Augen gaben mir überhaupt keinen Hinweis. Ich hatte es mit einem Mädchen zu tun, das auf ein Zehn-Generationen-Erbe beruflicher Diplomatie zurückgreifen konnte. Die einzigen Geheimnisse, die Jan preisgab, waren jene, die sie preisgeben wollte.

Wir holten eine neue Batterie für unseren Renner und erledigten einige weitere Besorgungen in der Stadt. Dann verführte Jan einen dienstfreien Soldaten dazu, uns zu der Stelle zu fahren, wo wir den Renner zurückgelassen hatten.

Ihre Technik war elegant: Sie hielt mich im Hintergrund, bis mit der Fahrt alles klar war; dann trat ich vor, und das Opfer konnte nichts weiter tun, als mir nur einen mürrischen Blick zuzuwerfen. Um ihn zu trösten, nahm Jan direkt neben ihm auf dem Beifahrersitz Platz und schmiegte sich während der Fahrt an. Ich hoffe, das stimmte ihn versöhnlicher. Jan ist ein sehr begabtes Mädchen. In vielerlei Hinsicht.


Während der letzten paar Tage hat uns die Kugel eine neue Sequenz gezeigt. Sie muß von besonderer Bedeutung sein, denn sie wiederholt sich alle paar Stunden, und manchmal wird sie gleichzeitig in zweien der 60-Grad-Bildabschnitte gezeigt, in die das kreisförmige Betrachtungsfeld für gewöhnlich unterteilt ist. Bisher ist keine andere Szene auf diese Weise wiederholt worden.

Sie ähnelt der dramatischen Eröffnung einer 3-D-Space-Opera. Es spielt sich so ab:

Zunächst sehen wir die Weitwinkelansicht einer Galaxis, unserer vielleicht, mit Tausenden von Sternen, die auf schwarzem Samt verstreut sind. Die Kamera schwenkt vor und zurück und zeigt uns eine schwindelerregende Ansicht, die mindestens ein paar tausend Parsek umfaßt. Dann gleiten wir nach vorn, und ein bestimmter Abschnitt des Alls vergrößert sich. Die Musik mußt du dir selbst dazudenken: ein hohes, schrilles, Krescendo. Spannung! Jetzt betrachten wir rund zehn Sterne aus der Nähe: einen Doppelstern, einen Roten Riesen, einen Weißen Zwerg, einige gelbe Sonnen der Hauptreihe, zwei O- und B-Fackeln, das ganze Sortiment des Hertzsprung-Russell-Diagramms.

Wir nähern uns dem Weißen Zwerg, und nun ist es völlig klar, daß die Kamera am Bug eines Raumschiffes angebracht ist, in dem wir die Passagiere sind. Die Musik fügt ein düsteres und unheilvolles und ganz langsames Pochen hinzu. Mystik! Der Weiße Zwerg hat fünf Planeten. Es sieht ganz danach aus, als sei der vierte Planet unser Ziel. Er bewegt sich in einer Umlaufbahn, die von der des dritten Trabanten ziemlich weit entfernt ist. Aber nein: Es kommt zu einer Kurskorrektur, und nun wenden wir uns einer Region zu, die zwischen den Umlaufbahnen des dritten und vierten Planeten liegt.

Plötzlich taucht ein Asteroid aus dem Nichts auf und schwebt von links nach rechts aus unserem Blickfeld heraus. Ein jäher, überlauter Tusch, um das Unerwartete zu unterstreichen. Das Unbekannte! Wir stellen fest, daß sich zwischen dem dritten und vierten Planeten ein Asteroidengürtel befindet. Im All sind alle Arten kosmischen Schutts verstreut, genau wie zwischen Mars und Jupiter. Vielleicht die Überbleibsel einer zerschmetterten Welt. Wir befinden uns in der Umlaufbahn um einen großen, unregelmäßig geformten Asteroiden, dessen zerklüftete Berge im Licht des fernen Weißen Zwergs in einem trüben, rosafarbenen Licht erglühen. Wir setzen nun zur Landung an, auf einer weiten, pockennarbigen Ebene.

Veränderung des Blickwinkels. Die Kamera befindet sich nicht mehr im Bug des Schiffes; sie ist jetzt einige hundert Meter entfernt und erfaßt das Schiff. Das wie alle modernen Raumschiffe aufrecht auf seinem Heck steht, andererseits aber vollkommen fremdartig ist. Keine sichtbaren Triebwerke. Nicht einmal die Andeutung einer stromlinienförmigen Kontur. Das Schiff ist robust, kupferfarben, unattraktiv. Entlang den Flanken sind Inschriften in den großen Hieroglyphen der Erhabenen erkennbar, ähnlich denen auf den Inschriftsknoten, doch hier ist die Beschriftung stabil und verändert sich nicht planlos.

Hoch oben am Schiff öffnen sich Luken. Kabel werden heruntergelassen und baumeln. Erhabene steigen zum Boden hinab.

Sie alle tragen gleich aussehende Masken; offenbar bekommt ihnen die Atmosphäre dieses Asteroiden nicht. Wenn er überhaupt eine Atmosphäre aufweist, was eigentlich nicht der Fall zu sein scheint. In ihrer seltsamen, gleitenden Art und Weise schreiten sie umher, und ab und zu geben sie sich mit anmutig winkenden Armen gegenseitig Zeichen. Rund ein Dutzend von ihnen steigen aus dem Schiff. Dann rollt viel weiter unten im Schiff eine Schleuse zur Seite, und eine Rampe ragt heraus. Über diese Rampe kommen sechs große Roboter herab. Sie sind von der gleichen Gestalt wie die Erhabenen — vier Arme, zwei Beine, kuppelförmiger Kopf —, aber über ihre künstliche Beschaffenheit ist jeder Zweifel ausgeschlossen. Anstatt über Augen verfügen sie über ein einzelnes, glühendes Sichtband, das ganz um den oberen Bereich des Kopfes herumläuft. Ihre Arme weisen verschiedene mechanische Zusatzvorrichtungen auf, die sie in die Lage versetzen, Dinge zu ergreifen, zu graben und so weiter und so fort. (408b hat darauf hingewiesen, bei diesen sechs mechanischen Geschöpfen könnte es sich einfach um Erhabene handeln, die auf chirurgischem Wege in Maschinen verwandelt wurden, wie die Shilamakka heute. Aber Pilazinool, der schließlich ein Shilamakka ist, glaubt das nicht. Niemand weiß etwas Genaues. Ich nehme an, es sind Roboter.) Im Gänsemarsch führt die Gruppe der Erhabenen die Roboter über die Ebene, bis heran an einen niedrigen Hügel. Dort gibt einer der Erhabenen ein Zeichen, und der vorderste Roboter hebt plötzlich einen Arm und zeigt damit auf den Hügel. Feuer flammt auf, und der Fels schmilzt und fließt in großen Lachen ab. Der Roboter feuert mit seiner Laser-Zusatzvorrichtung — oder was immer es auch ist — weiter, bis er eine ziemlich große Höhle in den Hügel hineingeschnitten hat. Dann treten die anderen Roboter heran, räumen den Schutt beiseite und erledigen andere Dinge. Als sie damit fertig sind (in der Version der Kugel nach fünf Minuten), befindet sich eine saubere, sechseckige Kammer im Hügel. Die Kamera blickt direkt hinein und zeigt die arbeitenden Roboter, die mit in ihren linken oberen Armen untergebrachten Apparaturen geduldig den Fels der Wände schmelzen, um so eine feine Glasur über die Oberfläche zu ziehen. Dann installieren sie eine schwere Metalltür an einer gewaltigen Angel. Sie tragen ein Maschinensortiment in die Kammer und bauen es an der rückwärtigen Wand auf. Schließlich setzt sich einer der Roboter mitten in der Kammer auf den Boden, und die Tür schließt sich. Sie versiegeln sie, mit dem Roboter im Innern. Daraufhin kehren alle zum Schiff zurück. Sie steigen ein: Die Roboter klettern über die Rampe, die Erhabenen ziehen sich an den Kabeln hoch.

Das Schiff startet. Ende der Sequenz.

Warum haben die Erhabenen den Roboter in der Höhle auf dem scheußlichen Asteroiden zurückgelassen? Zur Strafe? Dafür scheinen Aufwand und Mühe zu groß zu sein. Um Feinde zu beobachten? Warum?

Und warum wird diese Szene so oft gezeigt, wenn wir die Kugel einschalten? Allein das macht deutlich, daß die Errichtung der Felsgruft und das Zurücklassen des Roboters von besonderer Bedeutung gewesen sind. Aber von welcher?

In der Zwischenzeit haben wir zu einer täglichen Routine gefunden und graben weiter. Seit meiner Entdeckung der Kugel ist nichts besonders Interessantes zum Vorschein gekommen. Doch Mirrik und Kelly sind unermüdlich. Sie graben und bohren an der Fundstelle, wir räumen beiseite, und Saul datiert Tausende von Artefakten. Auf der Grundlage der Art der Hieroglyphen, Kalium-Argon-Tests und anderen Hinweisen hat er das Alter unserer Fundstelle auf 925 Millionen Jahre bestimmt, mit einer möglichen Fehlerquote von 50 Millionen Jahren nach oben oder unten. Das ist ein ziemlich großer Abweichungsspielraum. Wenn ich an die Fundstelle denke, dann stelle ich mir auch weiterhin gern vor, daß die Erhabenen vor einer runden Milliarde von Jahren hier gewesen sind. An dem Wort „Milliarde“ ist etwas Beeindruckendes und Majestätisches. Ich lasse mir das M im Munde zergehen. Mir tun die armen Innungsgenossen leid, die für ihre Fundstellen nur ein Alter von ein paar jämmerlichen tausend Jahren geltend machen können.

Eine Milliarde. Eine Milliarde. Vor tausend Millionen und sieben Jahren kamen die Erhabenen zu diesem Planeten…

Ich möchte noch immer zu gern wissen, was es mit dieser Felsgruft-Szene auf sich hat.

Dein Bruder hat sich erneut mit Ruhm bekleckert, diesmal durch einen verrückten Einfall. Als mir die Idee in den Sinn kam, hielt ich sie für vollkommen idiotisch, aber ich brachte den Mut auf, sie Jan zu schildern, die daraufhin ganz aufgeregt war und darauf bestand, ich solle es bei der abendlichen Diskussionsrunde allen erzählen. Was ich auch tat. Doch als ich den Klang meiner eigenen Stimme hörte, während sie die ersten Worte meiner abenteuerlichen Vorstellung hervorbrachte, fühlte ich mich wie ein Drahtseiltänzer mit defektem Antigravgürtel, der tapfer mitten im Nichts hängt und nahe daran ist, in einen unter ihm gähnenden Abgrund zu stürzen.

Doch es gab kein Zurück mehr.

Alle sahen mich fest an, als ich sagte: „Nehmen wir einmal an — nur als Ausgangspunkt einer Argumentation —, die Erhabenen ließen jenen Roboter in der versiegelten Gruft und kehrten nie zurück, um ihn wieder herauszuholen. Auf einem luft- und wasserlosen Asteroiden kann ein Metallobjekt wie dieser Roboter, der mit der Technik der Erhabenen konstruiert wurde, ohne weiteres eine Milliarde Jahre überdauern, ohne zu korrodieren oder anderen Schaden zu erleiden. Diese Kugel hier ist unser Beweis dafür, daß so etwas möglich ist. Deshalb ist es zumindest theoretisch denkbar, daß der Roboter noch immer hinter dieser dicken Tür sitzt, in allerbestem Zustand.“

Meine Zuhörer begannen die Stirn zu runzeln, zu nicken oder unruhig hin und her zu rutschen. Ich spürte, wie ich in den Abgrund stürzte. Was ich von mir gab, war wirklich ausgemachter Unsinn! Und das in Gegenwart von Dr. Schein und Dr. Horkkk, von all diesen erfahrenen Archäologen!

Hilflos fuhr ich fort:

„Es stellt sich folgende Frage: Können wir den Asteroiden lokalisieren, auf dem sich die Gruft befindet? Ich glaube, ja. Wir haben einige bestimmte Anhaltspunkte. Das erste Bild der Sequenz zeigt uns einen umfassenden Ausblick auf zumindest einige tausend Parsek des Weltraums. Natürlich sind die sichtbaren Sternkonstellationen eine Milliarde Jahre alt und weisen heute nicht mehr diese Struktur auf, und außerdem wissen wir nicht, welcher Raumsektor fotografiert wurde. Ich glaube aber, jedes gute Observatorium könnte uns Computersimulationen darüber zur Verfügung stellen, wie bestimmte Regionen unserer Galaxis vor einer Milliarde Jahren ausgesehen haben. Vielleicht könnten wir hundert solcher Simulationen anfertigen lassen, die zeitlich gesehen zwei oder drei Millionen Jahre auseinander liegen, um mögliche Fehler in unserer Datierung der Kugel zu berücksichtigen.

Auf diese Weise können wir vielleicht den Teil der Galaxis bestimmen, der im ersten Bild dargestellt ist. Als nächstes konzentrieren wir uns auf die Nahaufnahme, jene kleine Sterngruppe: den Roten Riesen, den Doppelstern, die gelben Sonnen, die beiden blauweißen. Eine Milliarde Jahre, das ist natürlich selbst für eine Sonnenevolution eine lange Zeit. Vielleicht sind diese beiden Sterne vom O-Typ längst abgekühlt; vielleicht ist der Rote Riese inzwischen zu einem Weißen Zwerg geworden, und vielleicht ist der Weiße Zwerg vollkommen ausgebrannt. Es ist auch möglich, daß diese Sonnen sehr unterschiedliche Eigenbewegungen gehabt und sich inzwischen weit voneinander entfernt haben. Trotzdem: Für einen mit astronomischen Daten programmierten Computer sollte es nicht zu schwierig sein, die auffälligsten Vertreter jener Gruppe ausfindig zu machen, ihren Weg zurückzuverfolgen und so eine Simulation darüber herzustellen, wo sie sich vor einer Milliarde Jahre befunden haben. Mit ein bißchen Glück finden wir den Weißen Zwerg noch immer in der Nähe einer der Sonnen vor, die zur Gruppe gehört haben. Eine Expedition könnte dorthin fliegen, den Asteroiden suchen, und dann kann es kein allzu großes Problem mehr sein, die Gruft und den… Roboter… zu finden…“

Mein Schwung war dahin. Die Idee klang so absurd in meinen Ohren, daß ich nicht weitersprechen konnte. Ermattet sank ich auf meinen Platz zurück und wartete darauf, daß das Hohngelächter begann.

„Brilliant!“ rief Dr. Horkkk. Dr. Horkkk, kein Geringerer.

„Ein hervorragender Plan, Tom!“ sagte Dr. Schein.

„Einmalig!“, „Phantastisch!“, „Ausgezeichnet!“ und andere auserlesene Adjektive kamen von den anderen.

Mirrik schnaubte und brüllte enthusiastisch.

Jan strahlte mich stolz an.

Pilazinool rutschte auf seinem Platz hin und her, spielte an den Befestigungen seines linken Beins herum, als wolle er es abschrauben, überlegte es sich dann aber anders, winkte mit der Hand und bat um Aufmerksamkeit. Er sprach sehr langsam und sagte, wie sehr ihn meine Idee beeindruckt habe. Seiner Meinung nach sei es möglich, die Gruft zu finden, und er glaube, wir hätten eine ausgezeichnete Chance, daß sich der Roboter noch immer in ihrem Innern befände.

„Ich schlage vor“, sagte Pilazinool, „wir nehmen sofort Kontakt mit dem Computer eines Observatoriums auf und stellen fest, ob die Position des Asteroiden tatsächlich zu errechnen ist. Falls ja, dann spreche ich mich dafür aus, die Arbeiten hier abzubrechen und uns auf die Suche danach zu machen. Bis auf die Kugel haben wir hier überhaupt nichts entdeckt, was nicht auch schon in den anderen Fundstellen von Erhabenen-Artefakten ausgegraben worden wäre. Wir haben es hier mit einer routinemäßigen und gewöhnlichen Ausgrabung zu tun. Die Kugel aber halte ich für das erste Glied in einer Kette aus Hinweisen, die sich vielleicht über die ganze Galaxis erstreckt. Möglicherweise stellt die Gruft das zweite Glied dar. Sollen wir hierbleiben und uns weiterhin mit unseren unbedeutenden Arbeiten herumschlagen, oder machen wir uns auf, um woanders nach wichtigeren Erkenntnissen zu suchen?“

Sofort zerfielen wir wieder in einzelne Fraktionen. Die Konservativen — Saul, Mirrik und Kelly — waren dafür, hierzubleiben und die gegenwärtige Fundstelle völlig auszuschöpfen, bevor man etwas anderes in Angriff nahm. Die Romantischen — Jan, Leroy, Steen und ich — sprachen uns für Pilazinools Standpunkt aus und meinten, es sei besser, zu einer aufregenden Alles-oder-nichts-Suche quer durch die Galaxis aufzubrechen, als hier weitere zehntausend Inschriftsknoten auszugraben. 408b neigte unserer Auffassung zu, nicht aus einem romantischen Verlangen nach Abenteuer, sondern nur deswegen, weil es einen Roboter der Erhabenen in näheren Augenschein nehmen wollte. Dr. Schein schien zwischen zwei widerstrebenden Empfindungen hin und her gerissen zu sein: Er betrachtete es als unsere Pflicht, diese vielversprechende Fundstätte von Erhabenen-Artefakten bis zur letzten Schicht freizulegen, aber er sah auch die Chance, auf dem Asteroiden etwas von eminenter Bedeutung zu entdecken. Dr. Horkkk, der zuvor für die Beendigung der laufenden Arbeiten eingetreten war, schien nun aus reinem Eigensinn ganz erpicht darauf zu sein, hier weiterzumachen, aber ich spürte, daß auch er zumindest teilweise von der Möglichkeit fasziniert war, die Asteroidengruft ausfindig zu machen.

Wir versuchten nicht, zu einer Entscheidung zu gelangen. Warum einen Entschluß fassen, solange wir noch nicht einmal wissen, ob wir den Asteroiden wirklich finden können? Morgen konsultieren wir eins der großen Observatorien, und dann sehen wir weiter.

Doch als die Unterredung beendet wurde, teilten wir uns in verschiedene Gruppen auf und führten die Diskussion sofort weiter. Jan und ich sprachen mit Pilazinool, und der Shilamakka war nicht geneigt, sich verbale Bescheidenheit aufzuerlegen. Mit dieser weichen und gedrechselten und mechanischen Stimme sagte Pilazinool ganz ruhig und zuversichtlich: „Wir werden den Asteroiden finden, Tom. Und der Roboter wird noch dort sein. Und mit seiner Hilfe werden wir andere und noch erstaunlichere Dinge entdecken.“

Ein Shilamakka benutzt nur dann das Futur auf genau diese Weise, wenn er Die Offenbarung vorträgt. Wenn Pilazinool recht hat, werden wir nicht mehr lange auf Higby V bleiben.

Und Pilazinool ist darauf spezialisiert, recht zu haben.

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