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10. März 2376

McBurney IV


Wir sind nicht mit Hilfe der Triebwerke gelandet; die Roboter wollten das nicht zulassen. Über das Funkgerät der Fähre verständigten sie sich mit Dihn Ruuu und wiesen uns an, die Triebwerke abzuschalten und uns einer externen Kontrolle vom Boden aus zu unterwerfen.

Eine kurze Auseinandersetzung.

„Hol mich doch der Klabautermann!“ rief Nick Ludwig. „Ich soll meine Fähre den unbekannten Kräften und Absichten von Aliens ausliefern? Unser aller Leben riskieren? Entweder ich lande diese Fähre auf eigene Verantwortung oder überhaupt nicht!“

„Sie lehnen es ab, irgend etwas anderes zuzulassen“, sagte Dihn Ruuu. „Denken Sie daran, daß sie dort unten nichts von Ihren Fähigkeiten als Pilot wissen können. Sie sehen nur ein fremdes Raumschiff.“

Nick polterte noch etwas lauter herum. Dr. Schein schlug mit seiner sanften Stimme vor, Nick solle sich am Riemen reißen. Als Nick damit drohte, den Kurs zu ändern und wieder zurückzufliegen, begann Dr. Schein — noch immer sanftmütig — von Vertragsbruch zu sprechen. Auf indirekte Weise stellte er den Anteil der Quecksilbermine in Frage, den wir dem Raumfahrer versprochen hatten, und brachte noch andere, ähnlich liebenswürdige Dinge zur Sprache. Nick gab nach. Er sah aus, als würde er zur Nova, aber er gab nach.

In einer Höhe von etwa fünftausend Kilometern schaltete er die Triebwerke ab, und wir schwenkten erneut in einen Parkorbit. Dann packten uns die Roboter von unten. Als zielten sie mit einem gewaltigen Magneten auf uns, zerrten sie uns aus der Umlaufbahn und zogen uns herab. Wir waren vollkommen trägheitslos: Wir schwebten McBurney IV einfach so entgegen, ohne dabei irgendeine Beschleunigung zu spüren, und doch wurden wir ziemlich schnell dabei. Nick Ludwig bestellte uns nach vorn in die Kanzel, damit wir einen Blick auf seine Instrumente werfen konnten. Ich habe noch nie in ein verwirrteres Gesicht geschaut. „Was machen die da?“ fragte er. „Wollen sie uns in einem Netz fangen? Unsere Geschwindigkeit nimmt mit einem Faktor zu, bei dem es sich offenbar um eine Ein-g-Beschleunigung handelt. Aber wo ist die Beschleunigung? Wo sind die physikalischen Gesetzmäßigkeiten geblieben?“

Außer Kraft gesetzt, vermute ich. Die ganze Masse unserer Fähre war nicht mehr als ein Strohhalm im Wind, ein Eisensplitter in den Wechselwirkungen eines Magnetfeldes. Es war wie in einem Traum: Wir sanken hinab und hinab und hinab und hielten sanft und weich an, genau im Zentrum einer riesigen Zielscheibe, in dem wir von finsteren und spinnenartigen Instrumentenringen umgeben waren, die sich Hunderte von Metern in jede Richtung erstreckten. Wir waren eingeschlossen in goldenen Schlingen und Spiralen und Türmen und gekreuzten Antennen — zweifellos die Geräteanordnung, die uns vom Himmel gepflückt und heruntergebracht hatte. Blaß und benommen starrte Nick Ludwig all dies an. Es war ein Glaubensgrundsatz für den armen Nick, daß Planetenlandungen den von Newton entdeckten und formulierten Gesetzmäßigkeiten entsprechend durchgeführt werden mußten, mit Schub, der der Anziehungskraft entgegenwirkte, einer Abbremsung, die Beschleunigung neutralisierte. Aber diese Landung war reine Magie. Trägheitslose Beschleunigung — das war wirklich allerhand!

Die Atmosphäre von McBurney IV erwies sich als einigermaßen atembar, war aber dennoch gefährlich angesichts der hohen Kohlendioxid-Konzentration und einiger Spuren von Hexafluoriden. Deshalb gingen wir im Schutze unserer Druckanzüge nach draußen, und Dihn Ruuu schritt voran. Die Schwerkraft war ein wenig höher als Erdnorm. Es war heiß.

Ein Dutzend Roboter, die Dihn Ruuu alle sehr ähnlich sahen, begrüßten uns. Wie gewaltige, wandelnde Statuen scharten sie sich um uns. Sie starrten uns an, beschnüffelten und berührten uns. Auf einer Frequenz, auf der wir nicht mithören konnten, unterhielten sie sich über uns.

„Was sagen sie?“ fragte ich Dihn Ruuu. „Leben die Mirt Korp Ahm noch immer auf diesem Planeten?“

„Über dieses Thema habe ich noch keine Informationen erlangen können“, antwortete der Roboter.

„Warum sind sie denn so aufgeregt?“

„Sie haben noch nie zuvor Protoplasma-Leben gesehen“, gab Dihn Ruuu zurück. „Dies hier sind Maschinen, die von anderen Maschinen geschaffen worden sind. Sie sind eingefangen von Ihnen.“

„Eingenommen“, berichtigte ich.

Dihn Ruuu bestätigte die Berichtigung nicht. Unser Roboter hatte sich in die maschinelle Konversation eingeschaltet und nahm nun keine Notiz mehr von uns. Etwa fünf Minuten lang beriet sich die Delegation der Metallgeschöpfe mit hingebungsvollem Ernst. Pilazinool schien mehr als den ihm zustehenden Anteil der Aufmerksamkeit auf sich zu konzentrieren. Ich kam dann zu dem Schluß, die Erhabenen-Roboter glaubten, er sei unser Roboter, da ein so großer Teil seines Körpers nichtorganisch ist, und sie versuchten, ihn in die Diskussion mit einzubeziehen. Dihn Ruuu erklärte ihnen den Sachverhalt, nehme ich an.

Fahrzeuge tauchten auf. Sechs lange, stromlinienförmige Luftwagen aus grünem Plastik pfiffen zu uns herunter, und aus ihren Kunststoffleibern senkten sich Metallstege, die wir auf eine Anweisung von Dihn Ruuu hin betraten. Wir schritten hinauf, stiegen ein in die Luftwagen und flogen ab, in einer Höhe von rund hundert Metern. Zur Stadt.

Die Stadt war überall. Sobald wir die konzentrischen Ringe des Raumhafens mit seiner komplizierten Landevorrichtung hinter uns gebracht hatten, waren wir in der Stadt. Auf den ersten Blick ähnelte sie den Erhabenen-Städten, die wir in den Projektionen unserer Kugel betrachtet hatten, aber als wir genauer hinsahen, entdeckten wir nur sehr wenige Übereinstimmungen. Die Gebäude hingen nicht vom Himmel herab; jedes einzelne war fest im Boden verankert — auch wenn es so viele Ebenen gab, daß wir in all dem Durcheinander Schwierigkeiten hatten, einen einzelnen Häuserblock ausfindig zu machen. Die Formgebung der Gebäude unterschied sich von der, die wir zuvor in den Bildern gesehen hatten. Dies hier waren überwiegend glatte, pyramidenförmige Gebilde, deren Oberflächen in einem matten, von innen stammendem Licht erglühten. Fenster konnte ich nirgends entdecken.

Wir wurden zu einer besonders großen Pyramide gebracht und in einem kugelförmigen Raum von gewaltigem Ausmaß uns selbst überlassen. Kleine Tropfen aus goldfarbenem Licht schwebten frei unter der Decke. Schwindelerregende, abstrakte Ziermuster rotierten auf an den Wänden hängenden Tafeln: purpurne Punkte und rote Streifen und blaue Spiralen. Es gab keine Sitzgelegenheit außer dem Boden selbst, der mit etwas Weichem und Schwammigem und offenbar Lebendigem bedeckt war, denn er wand und kräuselte sich, wann immer jemand diese Masse mit seinem Gewicht belastete. Die Roboter verließen uns alle. Einschließlich Dihn Ruuu, unsere Verbindung zum realen Universum, unser Fremdenführer, unser Dolmetscher.

Zwei Stunden vergingen. Und dann zwei weitere.

Wir sprachen kaum ein Wort. Wir saßen oder standen oder wanderten in dem gewaltigen Saal umher, verwirrt, unsicher, orientierungslos, konfus bis hin zu völliger Ratlosigkeit. Diese Episode hatte alle Eigenschaften eines Traums angenommen: unsere gleitende Landung, das Stoßen und Schieben durch die vor uns aufragenden Roboter, die gespenstische Stille, die Fremdartigkeit der Stadt, die Unwirklichkeit dieses kahlen, hallenartigen Raums, in dem wir nun… Gefangene waren.

Unsere Gespräche — wenn wir überhaupt miteinander sprachen — bestanden meistens aus Phrasen wie:

„Wo sind wir?“

„Was bedeutet das alles?“

„Wie lange werden sie uns hierlassen?“

„Wo sind die Erhabenen?“

„Gibt es hier überhaupt Erhabene?“

„Warum kommt Dihn Ruuu nicht zurück?“

„Was soll der ganze Unfug?“

Da wir keine dieser Fragen beantworten konnten, neigten damit beginnende Gespräche dazu, ziemlich kurz zu sein. Als die zweite Stunde ihrem Ende entgegenging, hatten wir die meisten dieser auf der Hand liegenden Themen erschöpft und konnten nur noch schweigen. Mirrik und Kelly waren wie üblich ziemlich zuversichtlich. Dr. Horkkk hatte sich in eine Art selbstanklagende Meditation versenkt und alle seine Beine fest verknotet. Pilazinool schraubte seine Glieder ab. Dr. Schein stellte ein Stirnrunzeln zur Schau, das sich tiefer und immer tiefer in seine Haut fraß, als bedauerte er nun alle Sünden seines Lebens auf einmal. Leroy Chang schlich umher. Saul Shahmoon schien eingeschlafen zu sein und träumte vielleicht von Briefmarken von McBurney IV. Nick Ludwig ging wie ein Raubtier im Käfig auf und ab. Jan und ich saßen eng beisammen, und gelegentlich warf einer von uns dem anderen ein nervöses Lächeln zu. Wir versuchten, unsere Angst zu verbergen — aber dies war schließlich alles andere als ein Traum.

In der dritten Stunde begannen wir uns zu fragen, wann — wenn überhaupt — die Roboter die Absicht hatten, uns freizulassen. Oder Essen zu bringen. Wir hatten einen Vorrat an Nahrungstabletten, der für mehrere Tage ausreichte, aber es konnte gut sein, daß zwei oder drei Monate vergingen, bevor jemand daran dachte, unsere Bedürfnisse zu berücksichtigen. Unser Vorrat an Wasser war kaum der Rede wert. Und irgendwelche Hygieneeinrichtungen gab es hier auch nicht.

Ich glaube, es war der längste Nachmittag meines Lebens. Wir befanden uns hier mitten in der rätselhaften Stadt einer uralten Zivilisation — doch wir konnten nichts von ihr sehen und wußten nicht, was uns erwartete.

Schließlich begann eine Stelle der Wand unter den Punkt-und-Streifen-Tafeln anzuschwellen und sich zu falten. Sie klappte auf, und Dihn Ruuu trat herein. Ich konnte ein paar andere Roboter erkennen, die direkt hinter der Öffnung auf der Lauer lagen. Langsam schritt Dihn Ruuu in die Mitte der Halle und drehte sich, um uns alle anzublicken.

„Die Mirt Korp Ahm“, verkündete der Roboter feierlich, „bewohnen diesen Planeten nicht mehr. Nach dem, was ich in Erfahrung bringen konnte, verließen sie diese Kolonie vor 84005675 Jahren, und gegenwärtig halten sich hier nur die Dihn Ruuu auf, die,Maschinen-um-zu-dienen’ also.“

Diese ruhigen Worte, vorgetragen in der eigenartigen, metallischen Imitation meiner eigenen Stimme, wirkten so auf uns, als schlüge uns jemand mit dem Hammer auf den Kopf.

Es erstaunte uns nicht zu hören, daß sich hier keine Erhabenen aufhielten, sondern nur eine Bevölkerung aus selbständigen und im Grunde unsterblichen Robotern. Aber zu erfahren, daß die Erhabenen McBurney IV vor nur gut vierundachtzig Millionen Jahren verlassen hatten…!

Komisch, wie sich die eigene Perspektive verändern kann. Vor vierundachtzig Millionen Jahren schwankten die Dinosaurier noch über die Erde, und bei den einzigen existierenden Säugetieren hat es sich um kleine, rattenartige Dinger mit langen Nasen und scharfen Zähnen gehandelt. Und auch auf den anderen Planeten unserer Galaxis, auf denen heute intelligentes Leben anzutreffen ist, hatte es sich bis dahin noch nicht entwickelt, auf Shilamak etwa oder Dinamon oder Thhh. Vom menschlichen Standpunkt aus gesehen sind vierundachtzig Millionen Jahre also in jedem Fall prä-prä-prä-prähistorisch.

Und dennoch habe ich von nur vierundachtzig Millionen Jahren gesprochen. Und ich meine es ernst.

Bisher haben alle archäologischen Untersuchungen darauf hingedeutet — ich glaube, das habe ich dir bereits gesagt —, daß die Erhabenen vor 850 Millionen Jahren auf mysteriöse Weise aus unserer Galaxis verschwanden. Niemals konnte eine Spur von ihnen entdeckt werden, die jüngeren Datums ist. In diesem Maßstab betrachtet sind vierundachtzig Millionen Jahre also so, als sei es gerade erst letzte Woche geschehen. Mit einer kurzen Bemerkung hatte Dihn Ruuu neunzig Prozent der Zeitspanne ausradiert, die seit dem Verschwinden der Erhabenen vergangen ist.

Die Tragweite dieser Bemerkung des Roboters erschütterte uns. Offenbar mußten wir nun unsere gesamte Einschätzung der Erhabenen und ihres Platzes im Fluß der Zeit neu überdenken. In meinen Gedanken brannten ein Dutzend Fragen, und den anderen muß es ähnlich ergangen sein. Aber bevor wir unsere Sprache wiederfinden konnten, schockte uns Dihn Ruuu mit einer noch weitaus verblüffenderen Anmerkung.

Wie ein Universitätsprofessor, der zu Beginn des Semesters routinemäßig die Seminareinteilung verliest, fuhr Dihn Ruuu fort: „Es ist mir ein großes Vergnügen, feststellen zu dürfen, daß die Heimatwelt der Mirt Korp Ahm tatsächlich nach wie vor existiert. Weder sie noch ihre Sonne ist zerstört worden, trotz der Unmöglichkeit, ihre Position ausfindig zu machen, die ich erfahren mußte. Nach den Mitteilungen zu urteilen, die hier vor 13 595 486 Jahren empfangen wurden, haben sich die Mirt Korp Ahm damals einem Projekt gewidmet, das die Umwandlung ihres Heimatsystems in eine geschlossene Sphäre vorsah und ihnen die volle Nutzung der Sonnenenergie erlaubte. Ein unbewohnter Planet des Systems wurde als Massequelle für dieses Projekt verwendet. Innerhalb von einhundertfünfzig Jahren, nachdem die erste Nachricht hier empfangen wurde, wurde das Unternehmen erfolgreich beendet. Deshalb kann die Heimatsonne der Mirt Korp Ahm mit Hilfe konventioneller, optischer Beobachtung natürlich nicht mehr ausgemacht werden.“

Ich versuchte, dieses Paket rätselhafter Bemerkungen zu entwirren. Für Saul Shahmoon jedoch schienen die Erläuterungen des Roboters sofort einen Sinn zu ergeben.

„Natürlich!“ rief er. „Eine Dyson-Sphäre!“

Ohne sich um die Unterbrechung zu kümmern, fügte Dihn Ruuu gelassen hinzu: „Seit der erfolgreichen Beendigung des Einschließungsprojekts sind keine weiteren Nachrichten von der Heimatwelt empfangen worden“, sagte der Roboter. „Es gibt jedoch allen Grund zu glauben, daß die Mirt Korp Ahm ihr heimatliches Sonnensystem nach wie vor bewohnen. Da ich mich von meiner ursprünglichen Aufgabe als entbunden betrachte, habe ich die Absicht, unverzüglich nach diesem Sonnensystem abzureisen und um neue Anordnungen zu bitten. Ich würde mich freuen, wenn Sie mich dorthin begleiteten.“


Keine Zeit mehr für Erklärungen. Jetzt brauche ich selbst welche. Nach Sauls Schilderung ist das Konzept der Dyson-Sphäre zuerst von einem amerikanischen Physiker namens Freeman Dyson entwickelt worden, etwa zu Beginn der Energetischen Revolution. Dyson lebte in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts, nach der Nutzbarmachung der Atomenergie, aber vor der Kolonisation der erdnahen Planeten.

Nach Dysons zentraler Aussage ist ein Sonnensystem in seiner natürlichen Form eine furchtbar verschwenderische Angelegenheit. Der größte Teil der Energie, die das von einer Handvoll Planeten umgebene Zentralgestirn freisetzt, strahlt nutzlos in den Raum ab. Die Planeten sind zu weit verstreut, um mehr als nur einen kleinen Bruchteil der von der Sonne erzeugten Energie zu empfangen. Und deshalb spritzt der energetische Ausstoß der Sonne in alle Richtungen davon, wobei die Strahlung allein im sichtbaren Spektrum so intensiv ist, daß ihr Licht noch Tausende von Lichtjahren entfernt gesehen werden kann.

Das hat den ästhetischen Vorteil, auf fernen Welten romantische, sternübersäte Nächte hervorzurufen, aber ansonsten ist das kaum von Nutzen.

Dyson behauptet, eine wirklich sparsame Zivilisation sammele alle Energie seiner Heimatsonne, bevor sie vergeudet ist. Er schlug eine Möglichkeit vor, das zu bewerkstelligen: Man könnte Jupiter zerschmettern und seine Masse dazu verwenden, eine Schale zu errichten, die die Sonne etwa in Höhe der Umlaufbahn der Erde umgibt. Es erfordert eine recht beträchtliche Energiemenge, den größten Planeten unseres Sonnensystems zu zerbrechen und seine Trümmer auf diese Weise wieder zusammenzufügen: etwa soviel, wie die Sonne innerhalb von achthundert Jahren freisetzt. Aber sobald das erledigt ist, empfängt diese Schale jedes einzelne Energiephoton, das von der Sonne ausgestrahlt wird, wodurch die Sphäre als eine Art unerschöpfliche Allzweck-Energiequelle genutzt werden könnte.

Die Menschheit sollte die Erde verlassen, die schon zu seiner Zeit ein ziemlich kleiner und übervölkerter Ort war und darüber hinaus unbefriedigend in Hinsicht auf die Absorption von Sonnenenergie — zu jeder gegebenen Zeit empfängt der halbe Erdball überhaupt keine derartigen Strahlungen. Statt dessen sollten wir unsere Zelte auf der Innenwand der künstlichen Sphäre aufschlagen. Diese Oberfläche habe nicht nur in jedem Augenblick vollen Zugang zum Sonnenlicht, sie sei außerdem auch etwa eine Milliarde mal größer als die Oberfläche der Erde. Nähme man alle dafürsprechenden Punkte zusammen, dann stellte man fest, daß die Sphäre bequem eine menschliche Bevölkerung von 3 mal 1023 Personen aufnehmen könnte, also einige Sextillionen oder Septillionen Leute — rechne dir die Exponenten selbst aus. Es wäre jedenfalls eine riesige Anzahl. Mal sehen: Auf der Erde leben jetzt dreizehn Milliarden Menschen, also 13 mal 109, und damit ist es dort nun ziemlich eng, und dies wäre ein Bevölkerungszuwachs um 1014, also… Dabei wird einem schwindelig, was?

Dyson nahm an, jede intelligente Spezies könnte innerhalb von zwei- bis dreitausend Jahren nach Beginn des Industriezeitalters sein Heimatsystem in eine solche Sphäre verwandeln. Wir sollten es also im Jahre 4000 A. D. bewerkstelligen können. Doch in der Praxis muß das schwieriger sein als in der Theorie, denn die Mirt Korp Ahm warteten bis vor bloß dreizehn Millionen Jahren, das in Angriff zu nehmen — und wie wir wissen, waren sie bereits vor 1,1 Milliarden Jahren dazu in der Lage, mit Überlichtgeschwindigkeit die Galaxis zu durchstreifen. Oder hatten sie einfach keine Lust dazu, sich früher damit zu befassen?

Mit optischen Teleskopen wäre eine Dyson-Sphäre natürlich nicht zu erkennen, denn das gesamte von der Sonne ausgestrahlte Licht ist im Innern gefangen. Das erklärt, warum Dihn Ruuu den Stern nicht sehen konnte, als er den Himmel danach absuchte. Trotzdem: Selbst die Zivilisation, die im Innern einer Dyson-Sphäre lebt, kann nicht die ganze ihr zur Verfügung stehenden Energie verwenden und muß sich einen Teil davon in Form von Hitze vom Halse schaffen — als infrarote Strahlung also. Dyson berechnete, die Sphäre habe eine Oberflächentemperatur von 200 bis 300 Grad Kelvin und emittiere eine sehr intensive Strahlung im infraroten Spektralbereich. Und das kann von einem außenstehenden Beobachter natürlich entdeckt werden.

Dihn Ruuu brauchte sich also nicht weiter zu grämen. Die Heimatsonne seiner Schöpfer war weder ausgebrannt noch explodiert. Sie existierte noch immer — sozusagen im Verborgenen.


Kleine Überraschungen stellen große Wunder in den Schatten. Altes paradoxistisches Sprichwort, das dein bescheidener Diener gerade erfunden hat. Dihn Ruuu hat uns mit ein paar Sätzen so verblüffende Neuigkeiten an den Kopf geworfen, daß wir eine Zeitlang — in der Erregung der Diskussion über die Dyson-Sphäre — ganz vergaßen, uns über den wirklichen Hammer zu erregen. Und zwar…

Vielleicht sind die Erhabenen überhaupt nicht ausgestorben.

Und Dihn Ruuu hatte uns eingeladen, ihn zu begleiten, wenn er ihnen einen Besuch abstattete.

Der Berg der Rätsel wuchs einfach zu rasch vor uns in die Höhe.

Natürlich war Dihn Ruuus Annahme, die Erhabenen lebten noch, nur eine Annahme. Seit dreizehn Millionen Jahren hatten die Roboter von McBurney IV keinen Pieps mehr von den Mirt Korp Ahm gehört, und dreizehn Millionen Jahre sind alles andere als ein Fingerschnippen. Andererseits waren wir es gewohnt, uns die Erhabenen als Lebewesen vorzustellen, die in einer eine Milliarde Jahre alten Vergangenheit begraben waren. Wenn sie bis vor dreizehn Millionen Jahren überlebt hatten, war es durchaus denkbar, daß sie nach wie vor existierten. Und darüber hinaus…

Eine ganze Zeitlang sprachen wir alle zugleich: lautstark formulierten wir Theorien, stritten uns über kontroverse Standpunkte, brachten schrill Vermutungen und Postulate und Hypothesen und sogar einfache Mutmaßungen hervor. In dem lärmenden Spektakel konnte keiner den anderen verstehen, bis plötzlich eine Stimme alle anderen übertönte:

„Hilfe!“

Wir schwiegen und sahen uns um.

„Wer hat um Hilfe gerufen?“ erkundigte sich Dr. Schein.

„Ich“, sagte Pilazinool kläglich. „Ich habe das Unmögliche geschafft.“

Das hatte er. Während unserer aufgeregten Debatte hatte sich der Shilamakka seiner alten, nervösen Angewohnheit gewidmet, Körperglieder abzuschrauben — und in einer Art letzter und endgültiger Selbstverstümmelung hatte er es diesmal zustande gebracht, alles auf einmal abzuschrauben, Arme und Beine. Frag mich nicht, wie. Ich vermute, er hat den rechten Arm mit dem linken und gleichzeitig den linken mit dem rechten abgeschraubt. Wie immer er es auch bewerkstelligt hatte, er war nun auf einen nackten Torso reduziert, sah kummervoll auf den Haufen abgelegter Gliedmaßen und konnte sich nicht wieder zusammensetzen. Sein Gesicht war derart verblüfft, daß ich fürchtete, er sei in ernsthaften Schwierigkeiten. Doch dann begann Dr. Schein zu lachen, und Mirrik schnaubte, und Kelly nahm einen von Pilazinools Armen auf und befestigte ihn wieder, woraufhin Pilazinool sich verlegen beeilte, den Rest seiner Glieder anzuschrauben.

Genau diese Unterbrechung hatten wir gebraucht. Jetzt waren wir wieder ruhig.

„Dihn Ruuu hat uns aufgefordert, ihn zum Heimatplaneten der Erhabenen zu begleiten“, sagte Dr. Schein gelassen. „Ich bitte um eine Abstimmung. Alle dafür…?“

Rate mal, wie die Abstimmung ausging.

Aber gewisse praktische Schwierigkeiten hinderten uns daran, sofort nach Mirt abzudampfen — so heißt die Heimatwelt der Erhabenen. Wie etwa die Tatsache, daß Mirt achtundsiebzig Lichtjahre von McBurney IV entfernt ist und uns im Augenblick als Transportmittel nur Nick Ludwigs Fähre zur Verfügung steht, die nicht für einen Flug durch den Ultraraum ausgerüstet ist. Wenn wir mit Nicks Fähre morgen nach Mirt abfliegen, kann ich noch meinen hundertsten Geburtstag feiern, bevor wir dort ankommen.

Und deshalb müssen wir die schwere Last auf uns nehmen, so lange zu warten, bis unser Ultraraum-Kreuzer auf dem zuvor arrangierten Kontrollflug hierher zurückkehrt. Das wird in einem Monat der Fall sein. Und dann buchen wir einen Flug nach Mirt — wenn wir das nötige Moos dazu haben.

Aber eigentlich ist das nicht so übel. Dadurch haben wir ausreichend Zeit, McBurney IV zu erforschen, bevor wir zur nächsten Welt der Rätsel abzischen. Es ist ungesund, ein Übermaß an Wundern hinunterzuschlingen; das führt zu Verdauungsstörungen der Phantasie. Auf dieser Welt hätten Wissenschaftler ihr ganzes Leben verbringen können. Doch keine Archäologen, wie ich glaube. Die Geschichte der Erhabenen hat die Hülle der Archäologie längst gesprengt. Was sich hier auf McBurney IV befindet, ist eine Million Mal verwirrender und verblüffender, als es die Inhalte der Asteroidengruft im 1145591-System waren. Und die hatten wir für überwältigend gehalten!

Die Roboter hier haben sich sehr kooperativ verhalten. Dihn Ruuu erklärte ihnen, daß wir hier so lange festsaßen, bis unser Ultraraum-Schiff uns abholte, und sie akzeptierten das. Woraufhin wir zu Ehrengästen und Touristen wurden anstatt zu Gefangenen. Die ganze letzte Woche über haben wir unsere Fähre als Basis benutzt und sind jeden Tag zu einer Besichtigungstour durch den hiesigen Vorposten der Mirt Korp Ahm aufgebrochen.

Es ist jetzt klargeworden, warum sich dieser Ort in architektonischer Hinsicht von den Städten unterscheidet, die wir in den Kugelprojektionen gesehen haben. Jene Städte waren eine Milliarde Jahre alt. McBurney IV war noch bis vor weniger als hundert Millionen Jahren von den Mirt Korp Ahm bewohnt. Und über einen Zeitraum von Hunderten von Millionen Jahren hinweg kommt es selbst bei einer so konservativen Rasse wie den Erhabenen zu Veränderungen architektonischer Stilrichtungen. Vom Himmel herabhängende Städte waren hier einfach aus der Mode gekommen.

Natürlich kratzen wir nur an der Oberfläche dieser Welt. Als die behaarten Primitiven, die wir sind, können wir das, was sich uns hier darbietet, kaum begreifen. Die Energieakkumulatoren etwa, die die Sonnenenergie von McBurneys Stern aufsaugen und in unterirdische Bereiche weiterleiten. Die automatischen Reparaturmechanismen, die sofort herbeieilen und unverzüglich jede mögliche Panne beheben. Die großen Abtaster, die den Himmel unermüdlich nach der Spur eines Signals der Mirt Korp Ahm absuchen — eines Signals, das leider nie eintreffen wird! Oder die Roboter selbst, die Dihn Ruuu, die sich selbst schmieren, selbst reparieren und offenbar unsterblich sind. Die Luftwagen: Fliegen sie mit Hilfe von Antigravitations-Triebwerken? Alles ist verwirrend und rätselhaft.

Doch so phantastisch ihre Städte auch sind, die Mirt Korp Ahm sind uns mit ihrer technologischen Entwicklung eigentlich nicht eine Milliarde Jahre voraus. Wenn man den Vorsprung bedenkt, den sie uns gegenüber hatten, dann scheinen die Erhabenen sogar ein wenig zurückgeblieben zu sein — als hätten sie ihre Kultur vor langer Zeit, bewußt oder unbewußt, auf diesem Stand eingefroren. Ich meine, diese Super-Zivilisation sieht so aus, wie ich es von der Kultur der Erde im, sagen wir, Jahr 10000 erwarte. Vorausgesetzt, unsere technologische Entwicklung folgt der gleichen Wachstumskurve wie seit 1700 A. D. Aber sie ist nicht so beschaffen, wie die Erde im Jahre 1000002376 meiner Meinung nach aussehen müßte. Nicht einmal annähernd.

Ich glaube, ich kann mir nicht einmal vorstellen, wie eine Kultur aussehen sollte, die sich seit einer Milliarde Jahren beständig entwickelt. Körperlose Energiewesen vielleicht. Geisterhafte Geschöpfe, die durch die achte, neunte und zehnte Dimension flitzen. Kosmisches Bewußtsein, das alles weiß, alles beobachtet und alles versteht.

Vielleicht bin ich ungerecht gegenüber den Mirt Korp Ahm. Vielleicht war die Wachstumskurve unserer Technologie in den Jahren von 1700 bis 2300 vollkommen atypisch. Vielleicht flacht die Wachstumskurve jeder Zivilisation unausweichlich ab, wenn sie ein bestimmtes Niveau erreicht. Aber ich habe noch immer den Eindruck, die Mirt Korp Ahm hätten in all der Zeit, die ihnen für ihre Entwicklung zur Verfügung stand, mehr erreichen müssen. Doch vielleicht stießen sie auf die absolute Grenze für Genialität und wurden statisch. Vielleicht wird das mit uns ebenfalls geschehen, in zwei- oder dreitausend Jahren. Ich würde es gern wissen.

Wie dem auch sei: Wir verleben hier eine großartige Zeit, in einer unwirklichen und traumartigen Weise. Haben wir daran auch nur im Traum gedacht, als wir darangingen, uns durch den Dreck auf Higby V zu graben?


Gleicher Würfel, vier Stunden später. Großes Durcheinander.

Ort: unsere Fähre. Zeit: spät. Personen: Jan, Pilazinool und ich. Alle anderen schlafen.

Geheimnisvolle Funksignale dringen aus den Empfängern in der Fähre. Wer versucht, hier Kontakt zu uns aufzunehmen? Hiesige Roboter, die sich auf unsere Frequenz schalten? Unwahrscheinlich. Vielleicht handelt es sich um ein irdisches Raumschiff. Doch kein Raumschiff der Erde ist uns näher als mindestens ein Dutzend Lichtjahre. Und vor Ablauf einiger Wochen wird auch keins erwartet. Was geht hier vor? Gelassen meint Pilazinool: „Tom, sehen Sie einmal nach, was da los ist.“

Tom Rice, der junge Cheffunker, schreitet zum entsprechenden Schaltpult, grübelt einen Augenblick über die Kompliziertheit der Technik, betätigt Tasten und läßt Skalenzeiger erzittern und gibt währenddessen professionell klingende Geräusche von sich wie etwa:

„Kommen, kommen. Ich empfange Sie nur schlecht. Kommen.“

Und so weiter. Gleichzeitig unternimmt er alles in seiner Macht stehende, den Empfang zu verbessern, so daß die unbekannte Nachricht aus dem Weltraum verstanden werden kann. Er schaltet auch den Aufzeichner ein, falls eine wichtige Botschaft eingeht. Obgleich er selbstverständlich um die Unwahrscheinlichkeit weiß, daß uns jemand hier anruft.

Eine menschliche Stimme dringt aus dem Empfänger und nennt die Registriernummer unserer Fähre. „Bestätigung“, sagt diese Stimme. „Empfangen Sie mich?“ verlangt sie zu wissen.

„Ich empfange Sie“, antworte ich und komme mir vor wie in der Nebenrolle eines miesen Tridem-Films. „Identifizieren Sie sich. Was ist los?“

„Ultraraum-Kreuzer Stolz des Alls. Commander Leon Leonidas ruft Captain Nicholas Ludwig.“

„Der schläft“, gebe ich zurück. „Alle anderen ebenfalls. Mein Name ist Tom Rice, und ich habe eigentlich keine sonderlich großen Befugnisse, aber…“

Jan tritt an mich heran, um zuzuhören, stößt mich an und flüstert: „Tom, vielleicht sind sie in einer Notlage!“

Durchaus denkbar. Die unplanmäßige Ankunft eines unbekannten Ultraraum-Kreuzers… eine Notlandung vielleicht… Probleme an Bord…

„Sind Sie in Schwierigkeiten, Stolz des Alls?“ frage ich.

„Wir nicht. Aber Sie. Wir kommen im Auftrag von Zentralgalaxis und haben den Befehl, Sie zu verhaften.“

Mir dämmert, daß dieses Gespräch keinen guten Verlauf nimmt.

Ich drehe den Verstärker auf, so daß Pilazinool das Gespräch mithören kann.

„Verhaften?“ wiederhole ich lautstark. „Das muß ein Irrtum sein. Wir sind eine archäologische Expedition und erforschen…“

„Genau. Wir haben die Anordnung, eine Gruppe von elf Archäologen abzuholen und den ganzen Haufen sofort nach Zentralgalaxis zurückzubringen. Ich rate Ihnen, sich zu fügen. Wir sind direkt über Ihnen, in der Umlaufbahn um McBurney IV. Wir wollen, daß Sie Ihre Sachen packen und innerhalb von zwei Stunden heraufkommen und ein Rendezvous-Manöver durchführen, so daß wir Sie an Bord schaffen können. Wenn Sie nicht kooperieren, dann sehen wir uns leider gezwungen, runterzukommen und Sie abzuholen. Notieren Sie bitte die folgenden Umlaufbahn-Koordinaten…“

„Warten Sie“, sagte ich. „Ich muß den anderen Bescheid geben. Ich verstehe überhaupt nicht, was das alles soll.“

Jan hastet bereits zu den Kabinen, um die Leute aufzuwecken. Pilazinool hat einige Körperglieder abgeschraubt. Die Stimme aus dem Lautsprecher — sie klingt furchtbar ruhig und sehr, sehr militärisch — bittet mich, einen meiner Vorgesetzten aufzutreiben und ihn unverzüglich ans Mikrofon zu zerren. Ich stottere irgendeine Entschuldigung und bitte meinen Gesprächspartner um ein wenig Geduld.

Dr. Schein stolpert herein. Er sieht verschlafen aus und macht ein verbissenes Gesicht.

„Es ist ein Ultraraum-Kreuzer der Marine“, erkläre ich. „Von Zentralgalaxis hierher geschickt, ums uns zu verhaften. Wir haben zwei Stunden, diesen Planeten zu verlassen und uns zu stellen.“

Dr. Schein macht einen angeekelten Eindruck: zugekniffene Augen, aufeinandergepreßte Lippen. Geht zum Funkgerät. „Hallo“, sagt er. „Hier spricht Dr. Schein. Was soll dieser ganze Quatsch?“

Keine gute Einleitung. Die ruhige, militärische Stimme wird frostiger und legt in allen Einzelheiten dar, daß unsere galaktische Odyssee hiermit zu Ende sei. Inzwischen haben sich auch alle anderen in der Pilotenkanzel zusammengedrängt. Nick Ludwig gähnt und will wissen, was vor sich geht. Ich sage es ihm. Ludwig kaut auf seinen Knöcheln und stöhnt. Steen Steen meint: „Sie können uns zu nichts zwingen. Hier sind wir sicher. Wenn sie versuchen, ohne Erlaubnis zu landen, werden sie von den Robotern vom Himmel gepustet.“

„Wir wären von allen guten Geistern verlassen“, erklärt ihm Jan mit ruhiger Stimme, „wenn wir ein Schiff der Marine herausforderten. Und außerdem… was hätten wir davon? Wir sitzen hier fest, bis ein Ultraraum-Schiff ankommt und uns abholt.“

Inzwischen spricht Dr. Schein in einem leisen und ernsten Tonfall mit der Stolz des Alls. Aufgrund des allgemeinen Stimmengewirrs ist es unmöglich, dem Gespräch zu folgen. Als er sich vom Funkgerät abwendet, sieht er alt und grau und erschöpft aus.

„Jemand soll Dihn Ruuu suchen und ihm Bescheid sagen“, meint er. „Wir müssen diesen Planeten verlassen. Zentralgalaxis hat uns schließlich doch noch am Wickel.“

„Geben Sie nicht auf!“ ruft Steen Steen. „Wir sind freie Repräsentanten der galaktischen Völker! Das Zeitalter der Sklaverei ist vorüber!“

Dr. Schein beachtet ihn nicht. „Nick“, sagte er. „Machen Sie die Fähre startklar. Wir fliegen rauf.“


Wir fanden Dihn Ruuu und erklärten ihm die Sachlage. Der Roboter traf Vorbereitungen für einen raschen Start von McBurney IV. Wir verschwanden, wie wir gekommen waren, mit abgeschalteten Triebwerken. Im Griff der gleichen starken Kraft, die uns heruntergezogen hatte, stiegen wir auch wieder auf, mit einem leisen, gespenstischen Pfeifen. Die Roboter, die unseren Aufstieg kontrollierten, lenkten uns sanft in die Umlaufbahn der Stolz des Alls und lösten das Kraftfeld dann auf. Wir schalteten auf unseren eigenen Antrieb um, paßten unsere Geschwindigkeit der des großen Sternenschiffes an und übergaben uns somit dem Gewahrsam der Marine von Zentralgalaxis. Beim Anblick von Dihn Ruuu bekam die ganze Mannschaft, einschließlich des Commanders, große Augen.

Commander Leonidas erwies sich als kleiner, lebhafter und netter Mann von ungefähr fünfzig Jahren. Er hatte trübe blaue Augen und ein freundliches, sympathisches Wesen. Sobald wir an Bord des Schiffes waren, legte er großen Wert darauf, uns zu erklären, daß er nur seinen Befehl ausführte und es nicht persönlich meinte.

„Ich mußte noch nie zuvor Archäologen verhaften. Was habt ihr angestellt — unter der Hand mit wertvollen Tonscherben gehandelt?“

„Wir sind ausschließlich legitimen Forschungen nachgegangen!“ schnappte Dr. Horkkk in dem für ihn charakteristischen Zorn.

„Nun, vielleicht“, gab Commander Leonidas zurück und zuckte mit den Achseln. „Aber bei Zentralgalaxis ärgert sich jemand über Sie. Mir wurde gesagt, ich solle Sie sofort abholen! Unverzüglich! Dulden Sie keinen Widerspruch! Als müßte ich eine Bande von verdammten Meuterern einfangen.“

„Sie hindern uns an der Vollendung einer der größten wissenschaftlichen Leistungen der letzten zehntausend Jahre“, sagte Dr. Horkkk im schärfsten und anklagendsten Tonfall, den er hervorbringen konnte.

„Im Ernst? Ich habe nicht gewußt…“

„Mit Ihrer Einmischung“, fuhr Dr. Horkkk fort, „haben Sie unsere Reise genau an dem Punkt unterbrochen, an dem wir kurz vor Lösung des letzten Mysteriums der Mirt Korp Ahm standen, die Sie auch unter der Bezeichnung Erhabene kennen. Sie haben uns in dem Augenblick geschnappt, in dem wir vor den bedeutendsten wissenschaftlichen Entdeckungen standen. Die Ignoranz des militärischen Ungeistes ist ein allgemeiner Fluch, der…“

Commander Leonidas’ strahlender Gesichtsausdruck begann sich zu verfinstern, und ich ahnte, daß wir den Rest unserer Reise in Ketten gelegt hinter uns bringen würden, wenn Dr. Horkkk so weitermachte. Mirrik und Pilazinool befürchteten das ebenfalls. Diskret schoben sie sich von zwei Seiten an Dr. Horkkk heran, quetschten ihn zwischen sich ein und brachten ihn zum Schweigen.

Wir waren alle vollkommen niedergeschlagen. Wir konnten nicht verstehen, was Zentralgalaxis von uns wollte, aber es war ziemlich klar, daß wir von unserer Arbeit fortgezerrt und gezwungen wurden, unsere Aktivitäten vor den Bürokraten zu rechtfertigen. Und wahrscheinlich war es uns dadurch für immer unmöglich, den Heimatplaneten der Erhabenen zu sehen. Es kostete sicher viel Zeit, die Dinge wieder ins rechte Lot zu bringen, und bis dahin war bestimmt eine andere Expedition damit beauftragt worden, den Vogel abzuschießen.

Der Commander holte ein kleines Datensichtgerät hervor und sagte: „Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich gern das Personenverzeichnis überprüfen. Sind Sie so freundlich und geben mir eine kurze Bestätigung, wenn ich Ihre Namen nenne? Dr. Milton Schein?“

„Hier.“

„Pilazinool von Shilamak?“

„Hier.“

Er ging die ganze Liste durch. 408b von Bellatrix XIV antwortete natürlich nicht. Und andererseits war unsere Gruppe jetzt um den Roboter einer fremden Rasse erweitert worden, der auf Commander Leonidas’ Tabelle nicht aufgeführt war. Dr. Schein erklärte ungeduldig, daß 408b bei einem Unfall im Dezember letzten Jahres ums Leben gekommen und der Roboter ein Produkt der Erhabenen war, das wir zur gleichen Zeit gefunden hatten. Er führte weiterhin aus, Zentralgalaxis sei von all dem unterrichtet, da er während unseres Aufenthalts auf Aldebaran IX alles via TP durchgegeben habe.

„Aldebaran IX?“ wiederholte Commander Leonidas verwirrt. „In Ihrer Akte sind keine Mitteilungen erwähnt, die von Aldebaran IX aus abgeschickt worden sind.“

„Es war Anfang Februar“, sagte Dr. Schein. „Wir flogen dorthin, nachdem wir den Asteroiden im 1145591-System verlassen hatten, wo…“

„Warten Sie“, unterbrach ihn der Repräsentant der Marine. „Zentralgalaxis behauptet, man habe dort zuletzt etwas von Ihnen von einem Planeten namens Higby V gehört, wo Sie die Ausgrabung irgendwelcher Ruinen durchführen sollten. Sie hätten Higby V ohne Erlaubnis verlassen und seien daraufhin spurlos verschwunden. Das stand im Widerspruch zu Ihrer Übereinkunft mit Zentralgalaxis, und deshalb…“

„Wir verließen Higby V, um nach 1145591 zu fliegen“, schaltete sich Dr. Schein ein. „Und von dort aus flogen wir nach Aldebaran IX, von wo aus ich einen vollständigen TP-Bericht an Zentralgalaxis geschickt habe.“

„Davon weiß ich nichts, Doktor.“

„Das muß ein Versehen sein“, vermutete Dr. Schein. „Ein Computerfehler… eine Verwechslung von Daten… ein verlorengegangenes Bit. Diese ganze Sache mit dem Haftbefehl muß auf einem Irrtum beruhen.“

Commander Leonidas sah beunruhigt aus.

„Commander, wie konnten Sie eigentlich unsere Spur bis nach McBurney IV verfolgen?“ fragte Pilazinool leise.

„Ich bin Ihnen nirgendwohin gefolgt. Ich erhielt die Anordnung, hierherzufliegen und Sie abzuholen. Vermutlich wußte Zentralgalaxis über Ihren Aufenthalt hier Bescheid.“

„Zentralgalaxis wußte deshalb Bescheid“, erklärte Pilazinool, „weil Dr. Schein sie von Aldebaran aus davon in Kenntnis setzte, daß dies unser nächstes Ziel war. Und gleichzeitig erhielt er von Zentralgalaxis die volle Genehmigung, diese Reise zu unternehmen. Wenn uns Zentralgalaxis nach unserem Start von Higby V tatsächlich aus den Augen verlor, wie es nach Ihren Worten geschehen sein soll, wie konnte Zentralgalaxis dann überhaupt wissen, daß wir im McBurney-System zu finden sind?“

Der Logik dieser Argumentation konnte sich Commander Leonidas nicht entziehen.

Er durchstöberte den Text seines Haftbefehls, suchte nach einer Lösung für den Widerspruch — und fand keine. So ist die ganze Bürokratie eben: Die rechte Hand weiß nicht, was die linke tut. Oder der linke Tentakel, was auch der Fall sein mag.

„Haben Sie TP-Personal an Bord dieses Schiffes?“ fragte Pilazinool.

„Ja“, entgegnete Commander Leonidas.

„Ich glaube“, sagte Pilazinool, „Sie täten gut daran, sofort mit irgend jemandem von Zentralgalaxis Verbindung aufzunehmen und die Dinge in Ordnung zu bringen.“

„Das wäre vielleicht eine gute Idee“, stimmte der Commander zu.

Mit Zentralgalaxis irgend etwas in Ordnung zu bringen, ist ein mühseliges Unterfangen. Die hohen Tiere an Bord verschwanden alle in der TP-Sektion, und dann folgten ein paar hektische und nervöse Stunden. Schließlich kam folgende Feststellung heraus: Irgendein übereifriger Hampelmann bei Zentralgalaxis hatte sich daran erinnert, daß wir als Teil unserer Übereinkunft, nach 1145591 abreisen zu dürfen, versprochen hatten, ihnen die Kugel zur Verfügung zu stellen — und er bemerkte, daß die Kugel nicht aufgetaucht war. Er rief Higby V an und stellte fest, daß wir verschwunden waren, samt der Kugel. Hätte er sich die Mühe gemacht, eine routinemäßige Speicherdaten-Überprüfung vorzunehmen, wäre er auf unsere Nachricht von Aldebaran und die Mitteilung über die Notwendigkeit der Mitnahme der Kugel gestoßen. Statt dessen hatte dieser spezielle Schwachkopf einfach zwei oder drei Punkte im Fluß der Ereignisse übersprungen und eine Untersuchung aller Computerdaten der während der sechs letzten Monate registrierten Ultraraum-Transite veranlaßt, um uns auf diese Weise aufzuspüren. Somit war die Tatsache ans Licht gekommen, daß wir von 1145591 aus nach Aldebaran und von dort aus nach McBurneys Stern geflogen waren. Zu all dem hatten wir die Genehmigung von Zentralgalaxis, aber die Nachrichtenspeicher überprüfte er nicht, nur die Transitdaten. Woraufhin dieser hirnlose Ignorant den Schluß zog, wir trieben uns widerrechtlich auf Kosten von Zentralgalaxis überall im Weltraum herum und hätten darüber hinaus auch noch, ungeachtet einer entsprechenden Übereinkunft, wertvolles Fremdeigentum veruntreut. Er entschied, dieser Verschwendung von öffentlichen Geldern ein Ende zu machen, indem er uns unverzüglich verhaften ließ. Deshalb der Befehl an Commander Leonidas, uns im McBurney-System am Wickel zu packen. Ich beschreibe dir diesen bezeichnenden Haufen an Dummheiten und Geistlosigkeiten, weil das alles ein herrliches Beispiel dafür ist, wie sich solche Katastrophen manchmal genau in ihr Gegenteil verwandeln können. Weißt du, als Dr. Schein seine TP-Gespräche mit Zentralgalaxis beendete, hatte er mehr zustande gebracht, als nur diesen törichten Haftbefehl stornieren zu lassen. Einer sehr hochgestellten Persönlichkeit in der Hierarchie hatte er alles über Dihn Ruuu, die Mirt Korp Ahm und die verborgene Heimatwelt Mirt erzählt. Und da sich Commander Leonidas mit seinem Ultraraum-Kreuzer praktischerweise in einer Umlaufbahn um McBurney IV befand, brauchen wir jetzt nicht mehr viele Wochen auf eine Transportmöglichkeit nach Mirt zu warten.

Commander Leonidas wird uns dort hinbringen.

Morgen starten wir… zum Heimatplaneten der Erhabenen.

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