23. August 2375
Higby V
Also begannen wir zu graben, und dabei stießen wir geradewegs auf diesen glatten und massiven Plutonium-Sarkophag mit dem Knopf aus Platin an der Seite, und Dr. Horkkk betätigte diesen Knopf, und der Sargdeckel sprang auf, und im Innern entdeckten wir den Kaiser der Erhabenen, der aus der Starre des Scheintods erwachte, sich aufrichtete und laut und deutlich sagte: „Gruß euch, o Geschöpfe der fernen Zukunft!“
Also begannen wir diesem schmalen und gewundenen Tunnel durch den Hügel zu folgen, und Kelly bohrte sich in einen Seitengang, wo wir auf diese Gruft aus blauem Schmelzglas stießen, und auf das Kommando „Sesam, öffne dich!“ schwang die Grufttür auf, und wir sahen die säuberlich aufgestapelten Uranbarren, bei denen es sich um den kaiserlichen Schatz der Erhabenen handeln mußte, der mindestens fünfzig Milliarden Krediteinheiten wert war.
Also begannen wir…
Nun, in Wirklichkeit geschah nichts dergleichen. Und es ist auch ziemlich unwahrscheinlich, daß so etwas geschieht. Aber ich dachte mir, es sei eine nette Idee, diesen Hörbrief mit einem Knall zu beginnen. Wahr ist aber, daß unsere Ausgrabungen bereits einige Tage andauern und daß die Fundstelle einen vielversprechenden Eindruck macht.
Dies ist die dreiundzwanzigste Fundstelle von Erhabenen-Artefakten, die bisher entdeckt wurde. Wahrscheinlich weißt du, daß der erste Fundort vor gut zehn Jahren in der Syrtis-Major-Region auf dem Mars ausfindig gemacht und zunächst irrtümlich für die Überbleibsel einer uralten marsianischen Zivilisation gehalten wurde. Doch während auf dem Mars darüber hinaus nichts weiter gefunden werden konnte, sind mehr als ein Dutzend sehr ähnliche Lagerstätten auf weit voneinander entfernten Planeten ans Tageslicht gebracht worden, und diese Welten befinden sich in einer Raumkugel mit einem Radius von rund hundert Lichtjahren. Daraus schließen wir, daß die Geschöpfe, die diese Depots hinterließen, einem galaktischen Volk angehört haben müssen, das sich auf seinen Reisen über ein weites Gebiet ausbreitete. Zu Beginn der ganzen Sache wurden diese Wesen von Holo-Reportern „Erhabene“ genannt, und dieser Name hat sich eingebürgert. Selbst wir Archäologen benutzen ihn. Er ist nicht sehr wissenschaftlich, aber irgendwie scheint er angemessen.
Bisher weisen die ganzen Fundstätten von Erhabenen-Artefakten die gleichen allgemeinen Muster auf. Das bedeutet folgendes: Sie stellen eher einen Vorposten als eine dauerhafte Ansiedlung dar, als hätten die Erhabenen Spähtruppen von Forschern über die ganze Galaxis verstreut und als hätten diese Forscher auf den jeweiligen Planeten nur einen Zwischenaufenthalt von zwanzig oder dreißig oder fünfzig Jahren eingelegt, bevor sie weitergezogen waren. Bei jedem Fundort haben die Archäologen ganz typische Artefakte der Erhabenen freigelegt — komplizierte, seltsame Objekte, die für gewöhnlich gut erhalten sind, deren Zweck aber ein völliges Rätsel darstellt. Die Kunstfertigkeit ist hervorragend. Im allgemeinen verwendeten sie goldfarbene Kunststoffe mit metallartigen Eigenschaften als Ausgangsmaterialien, und manche der Artefakte sehen aus, als seien sie gerade hergestellt worden.
Das sind sie nicht. Sie kommen aus einer Vergangenheit zu uns, die eine Milliarde Jahre zurückliegt.
Wir verfügen über recht zuverlässige Methoden zur Datierung alter Fundstellen, und wir wissen, daß die Erhabenen vor etwa einer Milliarde Jahren auf dem Mars lebten, mit einer möglichen Fehlerquote von zehn Millionen Jahren oder einem Prozent. Die Datierungen der anderen Fundorte liegen an verschiedenen Punkten zwischen 1100000000 und 850000000 Jahren. Eine Tatsache, aus der sich für uns zwei wichtige Schlußfolgerungen ergeben:
1. Die Erhabenen haben bereits zu einer Zeit eine galaktische Zivilisation entwickelt, als die Erde noch keine komplexeren Lebensformen als Krabben und Schnecken hervorgebracht hatte.
2. Über eine Zeitspanne von einer Viertelmilliarde Jahre hinweg wies die Kultur der Erhabenen keine bedeutenden Veränderungen auf. Das deutet auf eine starre, konservative und völlig ausgereifte Zivilisation hin, die eine Zeitspanne überdauerte, bei deren Vorstellung allein mir schwindelig wird. Wir betrachten die alten Ägypter als eine stabile Gemeinschaft, weil sich ihre Kultur über dreitausend Jahre hinweg im großen und ganzen nicht veränderte. Ha! Was sind dreitausend Jahre gegenüber 250 Millionen?
Die Erhabenen haben uns einen ganzen Schwung Rätsel hinterlassen. Wie etwa die Frage nach ihrem Ursprung. Jenseits der Hundert-Lichtjahre-Grenze haben wir bisher keine Außenposten der Erhabenen entdeckt. Allerdings haben wir jenseits dieses Radius auch keine gründlichen Untersuchungen durchgeführt, auch wenn sich einige von unseren Raumschiffen sogar achthundert Lichtjahre von der Erde entfernt befinden. Aber das völlige Fehlen von Spuren der Erhabenen auf allen bisher untersuchten weiter entfernten Welten ist seltsam.
Eine Theorie behauptet, die Erhabenen seien in unserer Galaxis beheimatet gewesen und hätten sich auf einem Planeten innerhalb der Hundert-Lichtjahre-Zone entwickelt. Der Umstand, daß wir bisher auf nichts gestoßen sind, das als eine Art Großstadt der Erhabenen interpretiert werden kann, ist unbedeutend: Früher oder später werden wir den Planeten finden, von dem all ihre Forschungsgruppen gestartet sind. Dr. Horkkk ist der führende Vertreter dieser Theorie. In unserer Gruppe wird er von Leroy Chang unterstützt.
Die andere Vorstellung geht davon aus, daß die Erhabenen von irgendeinem weit entfernten Ort kamen — möglicherweise aus einer Entfernung von hunderttausend Lichtjahren, vom anderen Ende der Galaxis — und die meisten dazwischen liegenden Sterne einfach übersprangen, um unseren kleinen Winkel des Universums gründlich und in aller Ruhe zu erforschen. Vielleicht sind sie sogar von extragalaktischer Herkunft und stammen, sagen wir, von den Magellanschen Wolken, zweihunderttausend Lichtjahre entfernt. Vielleicht kamen sie von dort aus zu uns und verbrachten einige hundert Millionen Jahre mit der Erforschung unserer Galaxis. Dr. Schein ist von der Theorie der extragalaktischen Herkunft überzeugt. Ebenso Saul Shahmoon.
Dr. Schein und Dr. Horkkk kreuzen natürlich niemals in aller Öffentlichkeit die Klingen über ihre Meinungsverschiedenheiten. Das schickt sich einfach nicht. Wenn zwei hochangesehene Wissenschaftler nicht übereinstimmen, dann kommt das in den Seiten der wissenschaftlichen Fachjournale zum Ausdruck, mit Girlanden von Fußnoten und einer sorgfältig abgewogenen antiseptischen Prosa, die auf einen Nenner gebracht und erheblich gekürzt lautet: „Mein geehrter Opponent in dieser Diskussion ist ein blöder Ignorant.“ Wenn der Zufall es will, daß sie sich von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen, erst recht aber, wenn sie sich beim gleichen Expeditionsunternehmen treffen, dann bleiben sie ganz höflich und erwähnen die Streitfrage nicht einmal — auch wenn sie hinter ihrer Stirn immer wieder den gleichen Gedanken haben: „Mein geschätzter Kollege hier ist ein blöder Ignorant.“
Wir anderen werden nicht mit einbezogen in den verschlüsselten Schlagabtausch, der während des Höhepunkts eines Krieges der Theorien zwischen den jeweiligen Widersachern stattfindet. Deshalb gingen wir selbst in Stellung und streiten uns heftig über unsere Auffassungen — nur aus Spaß an der Freud’ und nichts weiter als reinem Sportsgeist, da wir keine ausreichenden Kenntnisse besitzen, auf die wir uns hätten stützen können.
„Ganz offensichtlich extragalaktisch“, sagt 408b lebhaft. „Das völlige Fehlen von Spuren außer in dieser unbedeutenden Ecke der Galaxis bedeutet, daß sie…“
„Schluß damit!“ donnert Mirrik. „Eines nicht mehr fernen Tages werden wir ihre Heimatwelt finden, ganz in der Nähe, und…“
„Unsinn!“
„Ausgemachter Blödsinn!“
„Unwissenschaftliche Spekulation!“
„Ein Haufen albernen Durcheinanders!“
„Ignoranz!“
„Idiotischer Quatsch!“
„Intellektueller Stuß!“
Und so geht das Herumlamentieren weiter, bis tief in die Nacht hinein. Mirrik und Steen Steen stärken Dr. Horkkk und seiner Theorie vom hiesigen Ursprung den Rücken, ebenso Jan Mortenson, auch wenn sie sich dabei als nicht sonderlich standhaft erweist. 408b und ich unterstützen Dr. Schein und seine Theorie von der extragalaktischen Herkunft. Kelly Wachmann ist neutral, denn es liegt nicht in der Natur von Androiden, sich über Theorien aufzuregen, wenn es ihnen an den Fakten zu einer logischen Schlußfolgerung mangelt. Pilazinool, unser Spezialist in intuitiver Analyse, schweigt sich ebenfalls über dieses Thema aus. Ich bin sicher, es hat seine persönliche Meinung dazu, aber es ist nicht seine Art, sie zu äußern, solange es sich nicht in der Lage wähnt, eine komplette Beurteilung darzulegen. Wenn es eine komplette Beurteilung darlegt, dann kann sie nicht als Diskussionsgegenstand dienen. Dann bedeutet es Die Offenbarung. Deshalb ist Pilazinool so darum bemüht zu versuchen, uns nicht eher Die Offenbarung angedeihen zu lassen, als bis sie ihm selbst zuteil geworden ist.
Warum ich auf der Seite Dr. Scheins bin, möchtest du wissen? Wie ich überhaupt auf der Seite von irgend jemandem sein kann, da wir im Grunde genommen von nichts eine Ahnung haben?
Ganz einfach. Wie du weißt, Lorie, habe ich eine romantische Ader. Sonst wäre ich nicht hier draußen und mit dem beschäftigt, mit dem ich beschäftigt bin, trotz der Ansichten meines Vaters darüber, was ich aus meinem Leben machen sollte. Und deshalb neige ich ganz automatisch zu der Theorie, die in meiner Phantasie am hellsten glänzt.
Wenn die Erhabenen sich auf einer Welt irgendwo diesseits der Hundert-Lichtjahre-Grenze von der Erde entwickelten, dann müssen sie inzwischen ausgestorben sein. Wenn sie nach wie vor existierten, wären wir ihnen bestimmt schon in die Arme gelaufen.
Doch wenn sie von einer anderen Galaxis gekommen sind, dann könnten sie noch leben, irgendwo dort draußen. Mir gefällt die Vorstellung, daß es sie noch gibt. Ein Volk, das einige hundert Millionen Jahre überdauern kann, ohne sich selbst auszulöschen — und wir wissen, daß ihre Kultur zumindest so lange von Bestand war —, kann praktisch als unvergänglich betrachtet werden, die Zivilisation als Ganzes genommen. Wenn Dr. Scheins Vorstellungen also zutreffen, dann liegt es zumindest im Bereich des Möglichen, daß sie noch leben in all ihrer uralten Pracht. Und daß wir eines Tages über sie stolpern, irgendwo. In den Magellanschen Wolken, in M 31 im Sternbild der Andromeda, in der Spiralgalaxie M104, die dem Virgo-Haufen angehört — wo auch immer.
Laß mich noch schnell folgendes hinzufügen: Weder Dr. Schein noch irgendein anderer angesehener Archäologe hat angedeutet, die Erhabenen könnten noch existieren. Selbst für eine Zivilisation von Superwesen ist es sicher schwierig, eine so lange Zeitspanne wie eine Milliarde Jahre zu überdauern. Es ist einfach nur meine begeisterte Vorstellung, daß sie noch leben. Jene Nacht, als ich den Streifzug mit Jan unternahm, erzählte ich ihr vorsichtig von meiner Ansicht, und sie war erschrocken.
„Nichts hat über eine Milliarde Jahre Bestand, Tom!“
„Du beziehst dich auf irdische Normen. Nur weil wir Neulinge auf der kosmischen Bühne sind, bedeutet das nicht…“
„Aber es gibt nirgends irgendeine intelligente Rasse, die auch nur annähernd so alt ist!“ protestierte sie. „Die Shilamakka sind so ziemlich das älteste Volk in der Galaxis, nicht wahr? Und sie entstanden vor nur fünfzig Millionen Jahren. Wohingegen unsere eigene Spezies nur auf eine Vergangenheit von nicht einmal fünfhunderttausend Jahren zurückblicken kann. Und die Calamorianer sind sogar noch jünger, und…“
„Wir haben den Beweis dafür, daß die Erhabenen in der Lage waren, eine Zeitspanne von 250 Millionen Jahren zu überleben, Jan. Wir wissen also, sie waren standfest. Sie könnten sehr wohl noch…“
„Was ist mit den evolutionären Wandlungen? In einer Milliarde Jahre müßten sie sich völlig verändert haben!“
„Glaubst du nicht, sie könnten ihre eigene genetische Instabilität kontrollieren?“ fragte ich. „Ein so konservatives Volk wie sie hätte keine zufälligen Mutationen zugelassen. Es würde dafür sorgen, daß es intakt bleibt und sich nicht verändert.“
„Und was ist mit den natürlichen Ressourcen ihres Heimatplaneten? Wären die nicht schon längst erschöpft?“
„Wer sagt denn, daß sie noch auf ihrer Ursprungswelt leben?“
Jan war nicht überzeugt. Ich muß zugeben, ich war es auch nicht. Den Gedanken, eine Spezies könnte eine Zivilisation über eine so lange Zeitspanne wie eine Million Jahre aufrechterhalten, kann sich ein erdgeborener Mensch wie ich nicht bewußtmachen. Aber davon zu sprechen, mehr als eine Milliarde Jahre zu überleben — der Verstand weigert sich sogar, es sich nur vorzustellen.
Und doch… Lorie, ich möchte, daß es sie noch gibt irgendwo dort draußen. Ich kann den Gedanken nicht ertragen, solche Größe könnte ein Ende finden und aus dem Universum verschwinden. Der Letzte der Erhabenen, der Tod einer Millionen von Jahren alten Zivilisation, keine Schwungkraft mehr, kulturelle Erschöpfung gewissermaßen — ich weigere mich, es zu glauben. Vielleicht aus diesem Grund: Den Untergang der Erhabenen zu akzeptieren hieße, man hielte es für ebenso unvermeidlich, daß eines Tages die menschliche Kultur untergeht. Niemand von uns rechnet wirklich mit der Möglichkeit des eigenen Todes. Erst recht nicht mit der des Todes der ganzen Spezies, der Zivilisation. Ich glaube an die Unvergänglichkeit der menschlichen Rasse — ich kann nicht anders. Und wie könnte ich dann erst an den Untergang dieses viel größeren Volkes glauben? Nein. Ich rede mir ein, daß sie sich irgendwo in weiter Ferne noch ans Leben klammern, in einer anderen Galaxis, selbst wenn sie vielleicht vergessen haben, daß sie einstmals eine Nachbargalaxis besuchten. Eine Milchstraße, in der sich intelligentes Leben noch nicht entwickelt hatte. Unseres.
Nun gut. Das sagt also dein verrückter Bruder, und er beweist damit die gleiche verklärte Romantik, mit der er immer hausieren gegangen ist. Du würdest mir antworten, ich hätte nicht die richtige wissenschaftliche Einstellung zur Objektivität. Und vielleicht hättest du recht damit.
Ich stelle fest, ich bin noch nicht dazu gekommen, dir einiges darüber zu erzählen, was wir bisher zustande gebracht haben.
Das grundlegende Problem bei der Beschäftigung mit Fundstellen von Hinterlassenschaften der Erhabenen besteht darin, daß ihr ungeheures Alter die Anwendung üblicher Verfahren archäologischer Untersuchungsmethoden unmöglich macht. Wir sind eher Paläoarchäologen als reine Archäologen. Wir können nicht einfach den Sand oder die Erde von einem Fundort schaufeln, so wie es die Jungs bei einer Ausgrabung in Ägypten oder New Mexico handhaben, um danach die Artefakte ans Tageslicht zu fördern. Sand und Erde von mehr als einer Milliarde Jahre verwandeln sich in Stein. Wir müssen alle unsere Funde aus massivem Fels meißeln.
Bis zu einem gewissen Grad können wir dazu auf Standardverfahren zurückgreifen. Wir räumen die Überlagerungen aus verschiedenen Bodenschichten mit Motorschaufeln, Handwerkzeugen und Bulldozern beiseite, einschließlich Dinamonianern wie Mirrik. Doch wenn das Herz der Fundstelle freigelegt ist, müssen wir Unterdruck-Bohrkerne verwenden. Die schälen den Fels buchstäblich Molekül für Molekül ab und enthüllen die Artefakte, die wir suchen. Wenn der Operateur der Unterdruck-Bohrkerne nicht ganz auf Zack ist, wird er wahrscheinlich auch ein paar Moleküle der Artefakte abkratzen, bevor er den Bohrer anhalten kann.
Bisher war Kelly praktisch perfekt. Sie hat in eine eher unbedeutende Einlagerung hineingeschnitten, aber das ist verzeihlich. Bis auf diesen Schnitzer hat sie die Fundstelle wirklich gekonnt freigelegt. Ich nehme all das Zeug zurück, das ich im ersten Würfel über die Unzulänglichkeiten eines androidischen Operateurs von Unterdruck-Bohrkernen gesagt habe.
Wir waren den größten Teil der Woche damit beschäftigt, die Überlagerung beiseite zu schaffen, und es vergingen ein paar weitere Tage, bevor wir auf Artefakte zu stoßen begannen. Diese Fundstelle stellt das größte Lager der Erhabenen dar, das bisher entdeckt worden ist — es reicht mehr als hundert Meter in den Hügel hinein. Wir haben bisher eine Menge gewöhnlicher Dinge gefunden, am Rand des Camps verteilter Müll, solche Gegenstände wie…
Inschriftsknoten. Das sind Kunststofftuben von der Größe und Form einer Zigarre, meistens dunkelgrün, manchmal aber auch blau. An der einen Seite weisen sie eine Inschrift in den Hieroglyphen der Erhabenen auf, die für gewöhnlich aus fünfundsiebzig bis hundert Symbolen besteht. In unregelmäßigen Zeitabständen verblassen diese Inschriften, und dann entstehen neue. So etwas kann geschehen, wenn die Tube einer anderen Person übergeben oder verkantet wird oder derjenige, der sie in Händen hält, einen plötzlichen Stimmungswechsel erlebt, oder wenn es zu regnen beginnt oder aufhört. Andererseits aber ist es manchmal unmöglich, irgendeine Veränderung der Inschriften hervorzurufen, selbst wenn all diese Dinge gleichzeitig geschehen. In jeder Fundstelle der Erhabenen sind Hunderte solcher Inschriftsknoten zutage gefördert worden. Einige von ihnen wurden geöffnet: Sie besitzen keine beweglichen Teile und scheinen durch und durch aus massivem Kunststoff zu bestehen. Was diese Inschriften erscheinen läßt und verändert, verstehen wir so wenig, wie ein Neandertaler begreifen könnte, woher ein Fernsehbild kommt. Ebensowenig sind wir in der Lage, die Inschriften zu entschlüsseln.
Gedenkplaketten. Dabei handelt es sich gewissermaßen um Medaillen in der Form großer Münzen, die aus irgendeinem rostfreien, weißen Metall geprägt wurden. In jeder Erhabenen-Fundstelle sind eine ganze Menge davon verstreut. Auf der einen Seite weisen sie die Darstellung eines Wesens auf, das wir für einen Erhabenen halten: ein humanoides Geschöpf mit vier Armen, zwei Beinen und einem kuppelförmigen Kopf. Auf der Rückseite befindet sich eine Inschrift in den gleichen Symbolen wie auf den Knoten. Der Schmelzpunkt des Metalls, aus dem diese Plaketten bestehen, liegt über 3500 Grad. Das Metall ist so außerordentlich hart, daß wir uns nicht vorstellen können, wie man daraus die münzenähnlichen Gegenstände hat prägen können. Chemische Analysen haben keinen Aufschluß über die Beschaffenheit der verwendeten Legierung gegeben.
Rätselkästen. Genau wie der Name sagt: Es sind verschachtelte Bleche, die zu einer Vielzahl von verschiedenen und verwirrenden Mustern angeordnet sind. Bei den einfachsten handelt es sich um Möbiusschleifen. Das sind einfach nur flache Metallstreifen mit einer Verzerrung in der Mitte und zusammenlaufenden Enden, so daß man mit dem Finger an der einen Seite entlangfahren kann, durch die Verzerrung hindurch, und sich dann plötzlich auf der anderen Seite befindet, ohne den Finger von der einen Schleife fortbewegt zu haben. Denn weil die Möbiusschleife in Wirklichkeit zweidimensional ist, verfügt sie nur über eine Seite. Begriffen? Dann gibt es kleine Flaschen. Das sind dreidimensionale Behälter, die in sich selbst zurückgekrümmt sind, so daß sie nur eine Oberfläche besitzen. Darüber hinaus gehören zu dieser Gruppe von Artefakten auch die tesselarischen Mosaike, wobei es sich um Gebilde mit vier räumlichen Dimensionen handelt: Ein Tesselarmosaik ist für einen Würfel das, was ein Würfel gegenüber einem Quadrat darstellt — alles klar? Würdest du ein Tesselarmosaik von der richtigen Seite betrachten, dann könntest du verstehen, was ich meine. Aber ich würde dir nicht raten, es zu versuchen. Und dann gibt es noch Rätselkästen, die überhaupt keiner mathematischen Theorie entsprechen. Sie sind auf seltsame Weise zusammengesetzt: Man kann an der einen Seite herunter eine Linie verfolgen, an der anderen wieder hinauf… und dann kommt man plötzlich zu einer Stelle, an der die Oberfläche verschwindet, und man befindet sich ganz woanders. Über ein Dutzend verschiedene Arten von Rätselkästen sind bekannt. Vielleicht benutzten die Erhabenen sie als intellektuellen Zeitvertreib. Hier gibt es eine ganze Menge davon, in überraschend gutem Zustand.
Gemischte Artefakte. Zu dieser Kategorie gehören Nummernscheiben, Hebel, Tasten, die in der Dunkelheit glühen, kleine Gegenstände, die wir für Schmuck halten, Prismen, Zahnräder, Röhren, die sich am einen Ende erwärmen, wenn man den Finger am anderen hineinsteckt, und noch vieles mehr. Alles ist glänzend und Ausdruck großer Kunstfertigkeit, selbst die kleinsten Dinge. Und alles hat dem geologischen Druck von einer Milliarde Jahren gut standgehalten.
Während wir uns in Richtung des Zentrums der Fundstelle weitergraben, stoßen wir auf eine erstaunliche Vielzahl dieser Dinge. Die Verteilungsdichte der verstreuten Materialien ist höher als bei allen anderen Lagerstätten, und das gibt uns Anlaß zur Hoffnung, dies sei ein besonderer Ort gewesen, und daß wir etwas tiefer auf etwas von besonderer Bedeutung stoßen könnten. Auf eine Gruft etwa. Weißt du, wir sind noch nie auf die physischen Überbleibsel eines Erhabenen gestoßen. Natürlich kann selbst von einem versteinerten Skelett nicht erwartet werden, daß es eine Milliarde Jahre überdauert — jedenfalls nicht intakt. Aber nach den Überdauerungseigenschaften dieser Artefakte zu schließen, lag es sicher im Rahmen der technischen Möglichkeiten der Erhabenen, einen Metall- oder Kunststoffbehälter zu konstruieren, der dem Zahn der Zeit und allen anderen Umweltbedingungen standhalten konnte. Bisher jedoch sind wir bei keinem der dreiundzwanzig Fundorte auf eine Begräbnisstätte gestoßen, nicht einmal auf eine Spur davon. Und da sich die Erhabenen an jedem dieser Orte einige Dekaden lang aufhielten, ist es nicht unvernünftig anzunehmen, daß einige der Expeditionsmitglieder während ihrer Forschungseinsätze den Tod fanden.
Sind verstorbene Erhabene zu ihrem Heimatplaneten zurückgebracht worden, um dort bestattet zu werden?
Sind die Körper der Toten eingeäschert worden, bis hin zum letzten Atom?
Oder… besaßen die Erhabenen eine so enorme individuelle Lebensspanne, daß es für sie statistisch gesehen einfach unwahrscheinlich war, während eines nur fünfzig Jahre dauernden Aufenthalts an einem bestimmten Vorposten zu sterben?
Wir wissen es nicht. Aber wir würden gern eindeutig Aufschluß darüber gewinnen, wie die Erhabenen ausgesehen haben.
Wir kommen hier naturgemäß nur langsam voran. Wir sind alle an den Ausgrabungsarbeiten beteiligt, selbst die hohen Tiere, aber wir können nicht mehr als ein paar Kubikmeter pro Tag zur Seite schaffen. Zuerst kommt Mirrik und baggert die Überlagerung beiseite. Dann rückt Kelly mit ihren Unterdruck-Bohrkernen an und schneidet ein wenig vom Fels weg. Wir anderen legen uns schwer ins Zeug, um die Artefakte freizulegen, die sie ans Tageslicht fördert, was immer es auch sein mag. Doch bevor wir irgend etwas herausholen können, müssen wir es fotografieren und seine Position verzeichnen. Dann wird es zum Laboratorium gebracht, wo Saul Shahmoon chronologische Studien betreibt. Bis jetzt ist er noch nicht damit fertig, diese Fundstelle zu datieren, aber er hat bereits angedeutet, es sei eine ziemlich junge, nicht älter wahrscheinlich als neunhundert Millionen Jahre. Als nächstes wird alles, was die Inschriften aufweist, von Dr. Horkkk untersucht, der die Daten sammelt und damit seinen Computer füttert. 408b, dessen Spezialität die Paläotechnik darstellt, überprüft alle mechanischen Dinge und sucht nach einem Verständnis dafür, wie sie funktionieren. Unterdessen schnüffelt Pilazinool hier und dort herum und versucht, die verstreuten Hinweise zu finden, die ihn in die Lage versetzen, eine seiner intuitiven Beurteilungen zu treffen.
Wir alle haben dieses seltsame und rätselhafte Gefühl, am Rande einer bedeutenden Erkenntnis zu stehen. Niemand weiß, warum. Vielleicht ist es nur übersteigerte Erwartung.
Wir arbeiten hart. Sich mit Archäologie zu beschäftigen, das heißt meistens, sich einen krummen Rücken und wunde Finger zu holen. Die Romantik kommt erst hinterher, wenn die Jungs aus den Nachrichtenstudios ihre Stories schreiben. Abends ruhen wir uns aus, spielen viel Schach, diskutieren ein wenig und lauschen dem Prasseln des Regens. Ich glaube, die meiste Zeit über bin ich ziemlich gelangweilt, aber im großen und ganzen bedeutet es eine ungeheure Aufregung für mich, hier zu sein.
Wir haben ein Problem mit Mirrik. Und wenn nicht bald eine Lösung gefunden wird, wird er vielleicht von der Expedition ausgeschlossen. Was sehr schade wäre, denn in seiner schwerfälligen Art und Weise ist er ein sehr sympathischer Typ. Ich habe dir bereits erzählt, daß Mirrik in gewisser Weise der Trunksucht verfallen ist. Er spricht nicht auf Schnaps an, sondern auf Blumen. Irgend etwas im Nektar einer ganz gewöhnlichen Blüte macht ihn ungeheuer stark an. Die Auswirkung einer Blume auf den Stoffwechsel eines Dinamonianers muß gewaltig sein, weitaus intensiver als die des Alkohols auf unseren Metabolismus: Nur ein paar Happen Blüten reichen aus, um Mirrik einen kolossalen Schwung zu geben.
So öde es hier auch ist, es gibt ein paar Blumen. Einer der Terraforming-Ingenieure muß einen Hang zur Poesie gehabt haben: Etwa zwei Kilometer von unserer Ausgrabungsstelle entfernt hat er ein Wäldchen von Milla biflora — Mexiko-Sternen — angepflanzt. Die Pflanzen wachsen an ein paar geschützten Stellen. Mirrik, der eine Menge Bewegung braucht und gern lange, einsame Streifzüge unternimmt, hat sie gefunden.
Ich war der erste, der sein Geheimnis lüftete.
Eines Nachmittags, als ich nach Beendigung meiner Schicht in der Ausgrabungsstelle dienstfrei hatte, sah ich, wie Mirrik mir entgegentollte. Auch er hatte ein paar Stunden Freizeit. Als er die Fundstelle nahezu erreicht hatte, richtete er sich auf und versuchte, seine Vorderbeine zusammenzuklatschen. Das funktionierte nicht und er verhedderte sich. Er erhob sich wieder, rannte im Kreis umher und versuchte es erneut. Wieder schlug es fehl. Er sah mich an und kicherte. Stell dir einmal einen zehn Tonnen schweren, kichernden Dinamonianer vor! Gut gelaunt schnalzte er mit seinen Stoßzähnen. Er schwankte mir entgegen, riß mich mit seinen Armen gutmütig an sich und wirbelte mich herum. Das erheiterte ihn so sehr, daß er mit seinen Beinen rhythmisch aufzustampfen begann. Der Boden erzitterte.
„Hallo, Tommeee, wie gehss dir, Junnge?“ Er zwinkerte. Er blies mir seinen Atem ins Gesicht. „Guter alter Tommeee. Lass unsss tanssen, Tommeee!“
„Mirrik, du bist ja sternhagelvoll!“ tadelte ich ihn.
„Unssinn.“ Mit seinen Stoßzähnen knuffte er mich scherzhaft in die Rippen. „Tanssen! Tanssen!“
Ich sprang zurück. „Wo hast du Blumen gefunden?“
„Blummen gibss hier nich. Binn einnfach nnur glückkklich!“ Seine Schnauze war von den Pollen der Mexiko-Sterne goldfarben bestäubt. Ich runzelte die Stirn und wischte es fort. Mirrik kicherte erneut. „Halt still, du überdimensionaler Ochse!“ sagte ich. „Wenn dich Dr. Horkkk so sieht, zieht er dir das Fell über die Ohren!“
Beim Laboratorium wollte Mirrik haltmachen, um mit Pilazinool über Philosophie zu diskutieren. Ich redete ihm das aus. Dann begann es zu regnen, was ihn ein wenig ernüchterte. Soweit jedenfalls, daß er begriff, in Schwierigkeiten geraten zu können, wenn ihn einer der Chefs entdeckte. „Geh mit mir spazieren, bis mein Kopf wieder klar wird“, sagte er, und ich erfüllte ihm seinen Wunsch. So diskutierten wir über die Entwicklung religiöser Mystik, bis er wieder ganz bei Verstand war. „Ich schäme mich für meine Schwäche, Tom“, sagte er bekümmert, als wir zum Lager zurückkehrten. „Aber ich glaube, durch deine Hilfe kann ich der Versuchung nun widerstehen. Ich werde dem Fleckchen mit den Mexiko-Sternen nicht noch einmal einen Besuch abstatten.“ Am nächsten Tag kam er ebenfalls betrunken zurück. Ich war im Laboratorium und reinigte und sortierte die letzte Förderung von zerbrochenen Inschriftsknoten und verbeulten Plaketten, als draußen eine Stimme zu dröhnen begann:
„Komm, füll dden Kelch, und ddie Frühlingsssflamme
Sssollen die Kühle dess Winterss verbannen;
Der Vogel dder Zseit,
er musss nur noch eine kursse Sstrecke fliegen,
Der Vogel dder Zseit,
er wird den Winter bessiegen.“
„Es ist das Ruba’ijat!“[5] rief Jan, als sie eintrat. „Es ist Mirrik!“ keuchte ich. Dr. Horkkk sah finster von seinem Computer-Terminal auf.
Dr. Schein runzelte die Stirn. 408b gab seinem Widerwillen mit einem undeutlichen Murmeln Ausdruck — es konnte solche Laster einfach nicht begreifen. Mirrik fuhr fort:
„Ein Bissssen für ddie Pracht diessess Ortesss,
Ein Seufssen für dass Paradiess dess Propheten Wortess;
Oh, nimm dass Geld und lasss dden Rubel rollen,
Und achte nicht auf dasss ferne Dröhnen der Trommeln!“
Jan und ich stürzten aus dem Laboratorium heraus und entdeckten Mirrik, der mit seinen Stoßzähnen den Boden vor dem Gebäude durchwühlte.
Hinter seinen Ohren ragten zerknitterte Blüten von Mexiko-Sternen hervor, und sein ganzes Gesicht war mit Pollen bestäubt. Einen Augenblick lang sah er mich betrübt an, als versuche ein nüchterner Mirrik, hinter der betrunkenen Maske zum Vorschein zu kommen. Dann kicherte er wieder und fuhr fort:
„Oh, meine innig geliebte Maidd, ssso füll dden Kelch mit Wwein,
Der ddas Heute befreit von vergangenem Leid und ssukünftiger Ppein:
Mmorrrrgen! — Jja, morgen musss ich die Wwelt wieder meisstern,
nach den sssiebentaussend Jahren des Gessstern.“
„Morgen bist du vielleicht schon auf dem Weg nach Hause“, sagte ich scharf. „Um Omar Chajjans willen, den du hier so vergewaltigst, verschwinde von hier! Wenn Dr. Horkkk dich so sieht…“
Zu spät.
In jener Nacht hatte Mirrik eine lange Unterredung mit unseren Chefs, die sich darum sorgen, eines Tages könne er wirklich den Verstand verlieren und das ganze Lager dem Boden gleichmachen. Ein betrunkener und herumtollender Dinamonianer ist so wenig ungefährlich wie eine umherschwirrende Cruise Missile, und wenn Mirrik nicht die Finger von den Mexiko-Sternen lassen könne, würde er fortgeschickt. 408b hatte einen reizenderen Vorschlag: Man solle Mirrik einfach wie einen widerspenstigen Stier anketten, wenn er nicht arbeitet. Unser guter alter 408b findet immer sofort die humanste Lösung.
Die meisten von uns versuchen Mirrik zu helfen, wenn er betrunken ins Lager zurückkehrt. Wir gehen mit ihm spazieren, bis er nüchtern ist, oder wir führen ihn von den Aufblashütten weg, wenn er versucht, sie zu betreten, oder wir schützen ihn auf andere Art und Weise vor sich selbst. Aber wir machen uns nichts vor. Dr. Schein und Dr. Horkkk sind beide besorgt in dieser Angelegenheit. Und wenn die beiden in irgend etwas übereinstimmen, dann bedeutet das Ärger.
Leroy Chang glaubt übrigens, ich hätte eine Liebesaffäre mit Jan. Das ist wirklich komisch.
Ich gebe zu, eines Nachts habe ich mit ihr einen langen Spaziergang gemacht. Und einige kleinere Streifzüge. Kann ich etwas dafür, wenn ich ihre Gesellschaft zu schätzen weiß? Sie ist die einzige menschliche Frau hier… ähem, ich meine, Kelly Wachmann nicht mitgezählt! Jedenfalls ist sie hier die einzige Person meines Alters, Steen Steen ausgenommen, der/die mich nicht besonders interessiert, und sie ist das einzige Mädchen hier — Kelly ist über neunzig und außerdem ein Android —, und ich habe mit ihr mehr gemeinsam als etwa mit 408b oder Dr. Horkkk. Also ist es ganz verständlich, wenn ich dazu neige, die Zeit mit ihr zu verbringen.
Aber eine Liebesaffäre?
Leroy ist eifersüchtig auf seine Phantasie. Er ist einer dieser nervösen Junggesellen, die den Frauen krampfhaft nachjagen — meistens ohne viel Glück —, und seine Erfolgsaussichten bei Jan sind gleich Null. Sie hält ihn — ziemlich treffend — für einen Widerling. Da er das nicht als Erklärung für seinen mangelnden Erfolg bei ihr akzeptieren kann, hat er eine bessere gefunden: Ich sei jünger und schlanker und dünner als er, und deshalb sei Jan in ihrer nachpubertären Oberflächlichkeit mir zugefallen.
Die Art, wie er seinen Verdruß mir gegenüber zum Ausdruck bringt, besteht darin, mich in die Seite und die Rippen zu knuffen und zu sagen: „Ihr beiden hattet ein paar feurige Stunden letzte Nacht, eh? Darauf wette ich! Du bist wirklich ein biologischer Artist, eh, mein Jungchen?“
„Nun mach mal halblang, Leroy“, antworte ich. „Jan und ich haben nicht die gleiche Wellenlänge.“
„Und das behauptest du auch noch mit einem ehrlichen Gesicht. Aber du kannst mich nicht an der Nase herumführen. Wenn du sie zurückbringst, hat sie diesen erhitzten und aufgeregten Ausdruck im Gesicht — und ein Mann von Welt wie ich weiß dann sehr gut, was ihr getrieben habt.“
„Für gewöhnlich unterhalten wir uns über die Funde des Tages.“
„Aber natürlich! Natürlich!“ Er senkt seine Stimme. „Hör mal, Tommy, ich kann dir keinen Vorwurf machen, wenn du deiner Leidenschaft soweit wie möglich freien Lauf läßt, aber hab’ doch auch ein Herz! Es gibt noch andere Männer bei dieser Expedition, und Frauen sind knapp.“ Ein plumpes Zwinkern. „Macht es dir etwas aus, wenn ich sie in einer der kommenden Nächte hinter die Felsen abschleppe?“
Ja, das bin ich, Tom Rice, der egoistische junge Mann, der das Frauenmonopol an sich gerissen hat! Hättest du dir das vorstellen können? Es gibt keine taktvolle Möglichkeit, Leroy zu erklären, daß er selbst sein schlimmster Feind ist, was seine bisherige Beziehung zu Jan angeht, daß ihn Jan vielleicht sogar ein wenig erdulden könnte, wenn er nicht so gierig und besessen und lüstern und vulgär wäre. Es ist ganz gewiß nicht so, daß ich all ihre Zuneigung für mich beanspruche, denn meine Beziehungen zu Jan sind die von Bruder zu Schwester, was immer Leroy auch denken mag.
Nun… mehr oder weniger jedenfalls…
Sie ist noch immer ganz verrückt nach Saul Shahmoon, und es macht mich ganz verlegen zuzugeben, daß sie die meiste Zeit hindurch, wenn ich mit ihr allein bin, darüber spricht, wie wundervoll Saul sei, und wie schrecklich es sei, daß er ihr nicht zugetan ist. Sie preist seinen scharfen Verstand, seine einfache Eleganz, sein weiches, attraktives, südländisches Aussehen, seine kühle, selbstbeherrschte Art und all seine anderen Tugenden. Sie klagt über seine eigenartige Besessenheit in Hinsicht auf die Philatelie, die ihn zu beschäftigt hält, als daß er sich verlieben könnte, und sie bittet mich um Rat, wie sie ihn am besten für sich gewinnen kann. Ehrlich!
Und Leroy Chang ist weiterhin davon überzeugt, Jan und ich feierten Orgien hinter den Felsen…
Vielleicht unternehme ich bei unserem nächsten Streifzug einen Versuch in dieser Richtung, wer weiß? Ich meine, was gibt es schon zu verlieren, wenn Leroy mit seinen Andeutungen und Anspielungen unseren Ruf bereits befleckt hat? Sie ist ein attraktives Mädchen. Und ich habe für diese Expedition kein Keuschheitsgelübde abgelegt. Außerdem geht es mir ziemlich auf die Nerven, dauernd ihre Lobeshymnen auf die Herrlichkeiten eines Saul Shahmoon anzuhören.