2. Januar 2376
Der Asteroid
Gestern morgen hat Pilazinool nach Freiwilligen gefragt, die hinausgehen und versuchen sollen, Kontakt mit dem Roboter aufzunehmen. Jans Hand kam als erste in die Höhe. Meine folgte und dann die der meisten anderen, wobei sich Steen Steen und Leroy Chang bezeichnenderweise zurückhielten. Der Gruppe, die schließlich hinausging, gehörten Pilazinool, Dr. Horkkk, Mirrik und ich an. Jan wollte nicht gern zurückstehen, doch ich war erleichtert, daß sie nicht aufgerufen wurde.
Hintereinander marschierend überquerten wir die öde Felsebene, Pilazinool vorn, Mirrik hinten. Bis auf Dr. Horkkk waren wir alle bewaffnet. Ich war mit einem Positronengewehr ausgerüstet, mit dem ich den Roboter wahrscheinlich in die Luft jagen konnte, aber ich war nicht scharf darauf, diese Waffe zu benutzen.
Als wir uns dem Roboter bis auf zwanzig Meter genähert hatten, blieben wir stehen und schwärmten weit aus. Dr. Horkkk trat vor. In seinen linken Händen hatte er eine kleine Tafel; in einer seiner rechten Hände hielt er einen Inschriftsknoten. Der Roboter nahm keine Notiz von ihm. Er stand noch immer reglos wie eine Statue und hielt die Kugel hoch, obwohl sie nun keine Bilder mehr zeigte.
Langsam schwenkte Dr. Horkkk den Inschriftsknoten von Seite zu Seite und versuchte auf diese Weise, die Aufmerksamkeit des Roboters zu wecken. Dazu gehörte viel Mut. Es war durchaus möglich, daß der Roboter dadurch ärgerlich wurde. Nach einigen Minuten begann Dr. Horkkk damit, die Hieroglyphen des Inschriftknotens auf seiner Tafel zu kopieren, die er dabei dem Roboter zuwandte, so daß die Maschine sehen konnte, was geschah. Damit sollte dem Roboter demonstriert werden, daß wir intelligente Lebewesen waren, die die Schrift der Erhabenen zwar nicht verstehen, zumindest aber kopieren konnten.
„Angenommen“, murmelte Mirrik, „das, was er abschreibt, ist obszön? Oder unfreundlich? Was, wenn es den Roboter wütend macht?“
Dr. Horkkk fuhr damit fort, Hieroglyphen zu skizzieren.
Allmählich begann der Roboter, ihm Interesse entgegenzubringen.
Er ließ die Kugel bis auf Brusthöhe sinken. Er starrte hinunter auf den kleinen Thhhianer, und die Farben seines Sichtbandes verdunkelten sich; fahle Grün- und Gelbtöne verblaßten und wurden von einem satten, mit karmesinroten Flecken durchsetzten Kastanienbraun ersetzt. Vielleicht das Äquivalent eines Stirnrunzeins? Die Farben tiefer Konzentration? Die Zeichen auf Dr. Horkkks Inschriftsknoten lösten sich plötzlich auf, und eine neue Inschrift erschien. Gelassen wischte Dr. Horkkk seine Tafel ab und begann mit der Abschrift der neuen Nachricht. Der Roboter schien beeindruckt zu sein. Irgendwo aus dem Innern seiner vorgewölbten Brust dröhnten Geräusche, die von den Funkgeräten unserer Druckanzüge empfangen werden konnten.
„Dihn ahm ruuu dihn korp!“
Wer weiß, was das bedeutet? Aber wir nehmen zumindest an, daß diese Worte in der Sprache der Erhabenen formuliert sind.
Dr. Horkkk ging ein anderes kalkuliertes Risiko ein. Er ließ seine Tafel sinken, trat drei Schritte vor und sagte klar und deutlich: „Dihn ahm ruuu dihn korp!“
Die Nachahmung war ausgezeichnet. Aber vielleicht nahm Dr. Horkkk damit die Herausforderung zu einem Zweikampf an… oder beleidigte die Erbauer des Roboters… oder gab sein Einverständnis dazu, auf der Stelle ausgelöscht zu werden. Die Reaktion des Roboters war jedoch zurückhaltend. Er ließ einen Strom violetten Lichts auf seinem Sichtband aufblitzen, streckte seinen linken, oberen Arm in einer Art zuwinkenden Geste aus und sagte: „Mirt ahm dihn ruuu korp.“
„Mirt ahm dihn ruuu korp“, wiederholte Dr. Horkkk.
„Korp mirt hohm ahm dihn.“
„Korp mirt hohm ahm dihn.“
„Mirt ruuu chlook.“
„Mirt ruuu chlook.“
Und so ging es einige Minuten lang weiter. Nach einer Weile wagte es Dr. Horkkk, die nun vertrauten einzelnen Worte durcheinanderzuwürfeln und zu neuen Mustern anzuordnen, um so den Anschein eines Gesprächs zu erwecken: „Ruuu mirt dihn ahm“ und „Korp ruuu chlook korp mirt“ und so weiter. Dies sollte dem Roboter aufzeigen, daß Dr. Horkkk etwas anderes war als nur eine Aufzeichnungsmaschine. Doch bestimmt hat sich die Maschine darüber den Kopf zerbrochen, warum ein solches Kauderwelsch auf ihre Bemerkungen folgte.
Dann schaltete der Roboter die Kugel ein. Die Szene, die um uns herum Gestalt annahm, war die vom Bau der Gruft. Sie begann wie üblich mit der Weitwinkelansicht der Galaxis, der dann die Nahaufnahme der eng beieinander stehenden Sonnen folgte. Der Roboter deutete auf die Anordnung der projizierten Sterne. Dann schaltete er die Kugel wieder aus, deutete zunächst auf die völlig andersartigen Konstellationen des heutigen Sternhimmels über dem Asteroiden und dann auf die ausgebrannte Zwergsonne.
Das schien deutlich genug zu sein. Der Roboter wollte uns damit sagen, daß er aufgrund einer Beobachtung der astronomischen Veränderungen auf die gewaltige Zeitspanne geschlossen hatte, die verstrichen war, seit ihn die Erhabenen in der verschlossenen Gruft zurückgelassen hatten.
Jetzt nahm die Maschine einige Justierungen an der Kugel vor, und es erschien die Szene, die die Stadt der Erhabenen zeigte. Einige Minuten lang sahen wir noch einmal die Erhabenen, die sich würdevoll und anmutig durch ihr Zauberland aus Kabeln und herabhängenden Häusern bewegten. Dann schaltete der Roboter den Projektor erneut ab, zeigte wieder auf die Sterne, deutete auf Dr. Horkkk, auf sich selbst und wieder auf Dr. Horkkk.
Dann wandte er sich abrupt um und schritt in die Gruft hinein. An den die Rückwand bedeckenden Instrumentenpulten führte er irgendwelche Schaltungen aus; dann winkte er uns unmißverständlich zu. Wir zögerten. Der Roboter winkte wieder.
„Vielleicht hat er das Blitzfeld ausgeschaltet“, sagte Pilazinool.
„Und vielleicht auch nicht“, gab Dr. Horkkk zurück. „Das kann ein Trick sein, um uns alle in den Tod zu schicken.“
„Wenn der Roboter uns umbringen wollte“, sagte ich skeptisch, „dann brauchte er uns keine Falle zu stellen. In seinen Armen sind auch Waffen als Zubehör untergebracht.“
„Natürlich“, sagte Pilazinool. „Tom hat recht.“
Trotzdem machte niemand von uns Anstalten, in die Gruft hineinzugehen. Der Roboter führte seine winkende Geste ein drittes Mal aus.
Dr. Horkkk ergriff erneut einen Stein und warf ihn über die Schwelle der Gruft. Kein aufflackernder Blitz. Das war beruhigend.
„Sollen wir es riskieren?“ fragte Pilazinool.
Er setzte sich in Bewegung.
„Warten Sie“, hörte ich mich selbst sagen, als ein weiterer Anfall von Heldentum durch mein Gehirn raste. „Ich bin nicht so wichtig wie ihr anderen. Laßt mich gehen, und wenn ich es schaffe…“
Ich redete mir ein, schlimmstenfalls sei es ein schnelles und sauberes Ende. Und sprang auf die umgestürzte Tür, schritt in die Gruft hinein und überlebte, um dies hier zu erzählen. Pilazinool folgte mir. Dann, ein wenig vorsichtiger, Dr. Horkkk. Mirrik blieb auf Pilazinools Vorschlag hin draußen. Falls sich dies als Falle herausstellen sollte, dann brauchten wir einen Überlebenden, der die anderen davon unterrichtete, was geschehen war.
Sicherheitshalber blieben wir nahe am Eingang der Gruft und vollführten keine plötzlichen Bewegungen, die unseren riesigen Gastgeber hätten alarmieren können. Wir wußten noch immer nicht, ob die Absichten des Roboters friedlicher Natur waren. Und so sehr wir auch darauf brannten, die an der Rückwand der Gruft angehäuften komplexen Instrumentenpulte in näheren Augenschein zu nehmen — wir wagten es nicht, uns ihnen zu nähern, denn dazu hätten wir uns zwischen den Roboter und seine Geräte begeben müssen. Und vielleicht hätte ihm das nicht gefallen.
Er wandte sich nun den Instrumenten zu und berührte eine der Kontrollen. Im gleichen Augenblick flackerten Bilder auf: Es handelte sich um die gleiche Art der bildschirmlosen Projektion, die wir schon von der Kugel her kannten.
Wir betrachteten eine Art Lichtbildvortrag über die Superzivilisation der Erhabenen. Die Szenen unterschieden sich von denen der Kugel, waren aber ähnlich eindrucksvoll und machten uns all die Pracht und den Ruhm jener Geschöpfe deutlich. Wir sahen Aufnahmen von Städten der Erhabenen, die die früheren vollkommen in den Schatten stellten: Städte, die ganze Planeten zu bedecken schienen, mit komplexen Mustern aus Luftkabeln, die sanft hin und her trieben und überbrückten und verbanden und sich offenbar in alle Richtungen erstreckten. Wir beobachteten Fürsten der Erhabenen, die in majestätischen Prozessionen durch prächtige, glitzernde Hallen schritten. Jeder einzelne von ihnen war von einem Dutzend Robotdiener aller Größen, Formen und Funktionen umgeben, die sofort allen Wünschen nachkamen. Wir sahen durch Tunnel, in denen gewaltige Maschinen pochend und rotierend unergründliche Zwecke erfüllten. Wir betrachteten zwischen den Sternen reisende Raumschiffe, Erhabenen-Forscher, die auf den Oberflächen unbekannter Planeten landeten und ihre Schiffe selbstsicher verließen, ausgerüstet für alle möglichen Umweltbedingungen — von öder Leere bis hin zu üppigem, tropischem Grün. Wir erhielten einen überwältigenden Eindruck von dieser unglaublichsten aller Zivilisationen, dieser wahren Herrenrasse aus der Morgendämmerung des Universums. Die Kugel hatte uns davon nur einen Bruchteil gezeigt. Mehr als eine halbe Stunde lang hatte die Gruftwand brillante, lebendige Szenen verströmt.
Tempel und Bibliotheken, Museen, Computerhallen, Auditorien — wer konnte den Zweck erahnen, dem diese gewaltigen Gebilde dienten? Wir sahen, wie sich die Erhabenen versammelten und einen kreisenden Lichtpunkt betrachteten, aber welche Art von Schönheit fesselte sie dabei? Wie viele Informationen enthielten diese gleißenden Datenbänke und was für Informationen? Die Raumschiffe, die sich so mühelos von Stern zu Stern schwangen, offenbar ohne Treibstoffverbrauch; die Eleganz der Hauseinrichtungen; die rätselhaften Rituale; die Würde dieser Geschöpfe, mit der sie gelassen ihren täglichen Pflichten nachgingen — all das vermittelte uns den Eindruck einer Rasse, deren Kultur so weit jenseits all der Errungenschaften unserer Ära lag, daß unser Stolz auf unsere eigenen hübschen Leistungen wie das einfältige Posieren von Affen erschien.
Und doch… sie waren aus dem Universum verschwunden, diese großartigen Wesen, und uns gibt es noch. Und so unbedeutende Geschöpfe wir auch sein mögen, wir haben es geschafft, durch den Sterndschungel den Weg hierher zu finden und den Wächter dieser uralten Gruft zu befreien. Das ist bestimmt keine kleine Leistung für eine Spezies, deren Evolution aus affenartigen Vorfahren nur eine Million Jahre alt ist. Und bestimmt hätten die Erhabenen, deren Größe für jede Minute von uns ein Jahrhundert dauerte, zugegeben, daß wir es bisher relativ weit gebracht haben.
Und es lag Ironie darin, diese demütigende Zurschaustellung funkelnden Ruhms zu betrachten und zu wissen, daß jene, die es zu all dieser Größe gebracht haben, vor Hunderten von Millionen Jahren dein Untergang anheimgefallen sind.
„Ozymandias“, sagte Mirrik ergriffen, während er von außerhalb der Höhle die Bilder betrachtete.
Genau. Shelleys Ozymandias. Der „Reisende aus einem alten Land“, der „zwei gewaltige und rumpflose Beine aus Stein“ in der Wüste findet und neben ihnen, halb eingesunken im Sand, den zerbrochenen Kopf einer Statue, aus dessen zerschmettertem Gesicht noch immer „der Spott eisiger Herrschaft“ spricht…
Und auf dem Sockel stehen diese Worte:
„Mein Name ist Ozymandias, König der Könige:
Siehe meine Werke, die Gewaltigen, und verzweifle!“
Sonst bleibt nichts. Rund um den Zerfall der kolossalen
Ruine, grenzenlos und leer,
erstreckt sich einsam und weit der Sand bis in die Ferne.
Ganz genau. Ozymandias. Wie konnten wir diesem Roboter erklären, daß seine phantastischen Schöpfer nicht mehr existierten? Daß die Ruinen ihrer Vorposten auf Dutzenden von Planeten von einer Milliarde Jahre alten Felsen bedeckt werden? Daß wir gekommen waren, um ein in der Vergangenheit verborgenes Mysterium zu erforschen, so uralt, daß wir uns die unermeßlichen Zeiträume nicht einmal vorstellen können? Und während all dieser Äonen hat der Roboter hier gewartet, der geduldige, zeitlose Diener, bereit, seine Bilder zu zeigen und zufällig vorbeikommende Reisende mit der Macht seiner Herren zu beeindrucken… nie ahnend, daß er als einziger Zeuge all dieser Herrlichkeit übriggeblieben und sein ganzer Stolz auf diese große Zivilisation nun nutzlos war.
Die Vorführung ging zu Ende. Wir blinzelten, als sich unsere Augen auf das plötzliche Verblassen dieses strahlenden Glanzes in der Gruft umstellen mußten. Der Roboter begann wieder zu sprechen, langsam und deutlich betonend; er benutzt den gleichen Tonfall wie wir, wenn wir uns mit einem Ausländer unterhalten oder jemandem, der ein wenig schwerhörig oder nicht ganz helle ist. „Dihn ruuu… mirt korp ahm… mirt chlook… ruuu ahm… hohm mirt… korp zort… “ Wie zuvor gab Dr. Horkkk einige zusammengesetzte Sätze als Antwort zurück, mit auf gut Glück zusammengestellten Kombinationen aus dihns und ruuus und ahms. Der Roboter lauschte seiner Erwiderung in einer, wie mir schien, interessierten und anerkennenden Art und Weise. Dann deutete er mehrmals auf den Inschriftsknoten, den Dr. Horkkk bei sich hatte, und sprach in einem offensichtlich drängenden Ton. Natürlich gab es keine Hoffnung auf eine wirkliche Verständigung. Aber der Roboter schien zumindest zu glauben, wir seien einen Versuch wert. Und wenn eine Maschine der Erhabenen dieser Meinung ist, dann bedeutet das ein Kompliment.
4. Januar
Den größten Teil der beiden letzten Tage hat Dr. Horkkk damit verbracht, Bandaufzeichnungen seines „Gesprächs“ mit dem Roboter durch seinen Linguistik-Computer laufen zu lassen und zu versuchen, dem ganzen Durcheinander etwas Sinnvolles abzuringen. Die Resultate sind gleich Null. Der Roboter hat nur etwa zwei Dutzend verschiedene Worte von sich gegeben und sie auf verschiedene Arten kombiniert, und das reicht nicht aus, um das Auffinden eines sinnvollen Musters zu ermöglichen.
Wir anderen sind ständig zwischen der Fähre und der Gruft hin und her gependelt und haben die Gastfreundschaft des Roboters voll ausgenutzt. Inzwischen sind wir ziemlich sicher, daß uns die Maschine nicht feindlich gesinnt ist. Der Tod von 408b war ein tragischer Irrtum; die Gruft ist offenbar so konstruiert worden, daß sie ohne die Erlaubnis des Roboters niemandem Zugang gewährt. Und wenn 408b nicht einfach in dem Augenblick spontan in sie hineingelaufen wäre, als sich die Tür gelöst hatte, dann wäre er nicht getötet worden. Sobald wir uns als freundlich gesinnte Lebewesen erwiesen hatten, schaltete der Roboter das Blitzfeld ab, und jetzt sind wir immer willkommen, sooft wir die Gruft auch betreten wollen.
Wir werden kühner. Am ersten Tag standen wir nervös herum, als fürchteten wir, der Roboter könnte jeden Augenblick seine Meinung ändern und uns in unsere Atome zerlegen, doch inzwischen fühlen wir uns in der Gruft wie zu Hause, haben sogar eine vollständige Tridem-Aufzeichnung der Geräteanordnung angefertigt und auch eine Menge Schnappschüsse vom Roboter selbst aufgenommen. Wir wagen es nur nicht, irgend etwas von der Maschinerie zu berühren, da der Roboter ganz offensichtlich der Aufseher der Gruft ist und sehr gut den Befehl haben könnte, alles zu vernichten, was auch nur den Anschein erweckt, eine Bedrohung ihres Inhalts darstellen zu können. Und außerdem: Da 408b von uns gegangen ist, haben wir kaum den Hauch einer Vorstellung, welchen Zwecken diese Geräte überhaupt dienen.
Der Roboter hat uns seine Bildsequenzen einige weitere Male vorgeführt, und wir haben alles im Film festgehalten. Richtig, dadurch gewinnt die Archäologie eine ganze neue Qualität: Anstatt von der Zivilisation der Erhabenen nur zerbrochene Scherben und rostigen Schrott auszugraben, haben wir nun prächtige Tridems über ihre wirklichen Städte und die jeweiligen Bewohner. Uns ist unheimlich dabei zumute, wenn wir sie betrachten. Es ist so, als besäße man eine Zeitmaschine. Wir haben mehr über die Erhabenen in Erfahrung gebracht, als wir in unseren wildesten Träumen für möglich gehalten hätten, und dafür haben wir der Kugel und den Bildern zu danken, die uns der Roboter gezeigt hat. Jetzt plötzlich wissen wir mehr über diese eine Milliarde Jahre alten Geschöpfe, als die Archäologie jemals über die Ägypter oder Sumerer oder Etrusker der fernsten irdischen Vergangenheit herausgefunden hat.
Wann immer wir ihn besuchen, zeigt uns der Roboter die gleiche, seltsame und nun schon fast zur Routine gewordene Pantomime. Er deutet auf uns, dann auf sich selbst, dann auf die Sterne. Immer und immer wieder. Pilazinool behauptet, der Roboter versuche uns damit deutlich zu machen, er wolle uns irgendwohin führen — zu einer anderen Gruft vielleicht oder sogar zu einem Planeten, der einst von Erhabenen bewohnt war. Dr. Horkkk ist wie üblich anderer Meinung. „Der Roboter spricht damit nur Fragen der Herkunft an“, meint er. „Er weist darauf hin, daß sowohl er als auch wir von Planeten außerhalb dieses GGC 1145591-Sonnensystems stammen. Das ist alles.“
Ich würde gern glauben, daß Pilazinool recht hat. Aber ich weiß es nicht, und ich bezweifle, ob wir es jemals herausfinden werden.
Die Pantomimensprache ist nicht übermäßig informativ.
Seit dem oben Erwähnten sind drei Stunden vergangen, und wieder steht alles köpf. Der Roboter spricht jetzt zu uns. In Anglik.
Steen Steen und ich wurden zur Gruft hinübergeschickt, um einige Stereoaufnahmen von einem bestimmten Instrumentenpult anzufertigen, da wir beim ersten Versuch die Einstellung verpfuscht hatten. Bei unserem Eintreten stand der Roboter in einer Ecke und wandte uns den Rücken zu. Da er keine Notiz von uns nahm, gingen wir still und leise an unsere Aufgabe.
Fünf Minuten später drehte sich der Roboter um und rasselte uns entgegen. Er streckte einen Arm aus und richtete ein kompliziert wirkendes kleines Gerät auf uns. Ich glaubte, es sei eine Waffe, und ich war zu erschrocken, um mich zu bewegen.
Langsam und mit großer Mühe sagte der Roboter:
„Sprich… Worte… hier… hinein…“
Meine Empfindungen rasten innerhalb weniger Augenblicke durch das ganze Spektrum von Erstaunen und Verblüffung. Steen mußte es ähnlich ergehen — sein/ihr sackähnlicher Körper erzitterte im Innern seines/ihres Druckanzugs.
„Hat er tatsächlich Anglik gesprochen?“ fragte ich Steen.
„Ja, das hat er.“
Etwas flüssiger diesmal sagte der Roboter erneut: „Sprich Worte hier hinein.“
Ich sah mir das Gerät in seiner Hand genauer an. Es war keine Waffe. Es bestand aus einem Inschriftsknoten, der am einen Ende mit einem mosaikartigen Rätselkasten verbunden war. Innerhalb der Verstrebungen des Rätselkastens glühte ein dunkler, karmesinroter Schimmer.
„Worte von euch“, sagte der Roboter. „Mehr. Hier hinein.“
Allmählich begann ich, mich in der neuen Situation zurechtzufinden. Der Roboter hatte unseren Gesprächen zugehört — unsere Worte aufgezeichnet und sie nach Bedeutungsmustern untersucht —, und daraufhin hatte er sich selbst Anglik beigebracht. Und nun wollte er seinen Wortschatz erhöhen. Vielleicht, dachte ich, stellt ein Inschriftsknoten, der mit einem Rätselkasten verbunden wird, eine Art Recorder dar. (In diesem Punkt irrte ich.)
Steen brachte diesen Gedankengang einen Sekundenbruchteil eher zu Ende. Er/sie schob mich zur Seite, brachte den Vokalausgang seines/ihres Druckanzugs nahe an das glühende Ende des Rätselkastens heran und begann hastig zu sprechen — auf Calamorianisch! Er/sie sprudelte mindestens ein Dutzend Sätze in seiner/ihrer Muttersprache hervor, bevor ich wieder zu mir kam, ihn/sie packte und vom Roboter fortzog.
„Nimm deine verdammten Hände von mir!“ rief Steen.
„Du Idiot, was hast du dir dabei gedacht, auf Calamorianisch zu ihm zu sprechen?“
„Um die Übersetzungsmaschine des Roboters zu programmieren!“ Empört. „Warum sollte man ihr nicht Worte einer zivilisierten Sprache eingeben?“
Ich war so wütend über Steens idiotische Militanz, daß ich dabei für einen Augenblick den wichtigen Aspekt der Bemerkung übersah, die er/sie von sich gegeben hatte. „Du weißt verdammt gut“, sagte ich, „daß Anglik die offizielle Sprache dieser Expedition ist, und du hast zugestimmt, sie die ganze Zeit über zu benutzen. Wenn wir diesem Roboter Worte geben, dann sollten sie aus nur einer Sprache stammen, und diese Sprache sollte…“
„Wir sollten dem Roboter eine Chance geben zu erfahren, daß Anglik nicht die einzige Sprache im Kosmos ist! Diese Unterdrückung der calamorianischen Sprache ist ein Akt von Rassendiskriminierung! Es…“
„Halt den Rand“, sagte ich und gab mich damit nicht sehr tolerant gegenüber Steens herausgefordertem Rassenstolz.
Dann endlich reagierte ich auf den wichtigsten Faktor. Übersetzungsmaschine?
Natürlich.
Inschriftsknoten und Rätselkästen sind keine verschiedenen Artefakte. Sie sind dafür vorgesehen, als Einheit zusammenzuwirken, auf die Weise, wie sie vom Roboter montiert worden waren. Und es sind auch keine Aufzeichnungsgeräte.
Es sind Instrumente, die das Geplapper primitiver und barbarischer Rassen in die Sprache der Erhabenen umformen.
Steen hatte dies sofort erkannt und die Absicht gehabt, seine/ihre eigene wunderbare calamorianische Sprache aufzeichnen zu lassen, im Widerspruch zur Expeditions-Übereinkunft. Vielleicht hätte dies seinen/ihren Rassenstolz gesteigert, aber es verschlechterte auch unsere Aussichten auf eine rasche Verständigung, da er/sie damit ein Dutzend inkompatible Sätze eingegeben hatte. Mit der Annahme, daß das, was Steen in einem Wortschwall von sich gegeben hatte, und die Worte, die wir anderen benutzt hatten, zur gleichen Sprache gehörten, konnte keine noch so perfekte Übersetzungsmaschine weit kommen.
Ich warnte Steen davor, es noch einmal zu versuchen. Steen warf mir daraufhin einen mürrischen Blick zu. Aber er/sie schluckte die Zurechtweisung, beruhigte sich und überließ die Übersetzungsmaschine nun ganz allein mir.
Ich beugte mich nahe heran.
Dann fragte ich mich, was ich sagen sollte.
Mir wollte nichts einfallen. Steen Steen hatte wahrscheinlich eine redegewandte Lobpreisung auf die unvergleichlichen Verdienste der Calamorianer von sich gegeben, aber diesem Beispiel wollte ich nicht folgen. Doch als ich mir die sinnvollsten und angemessensten Bemerkungen überlegte, entwickelte ich eine Art lähmende Mikrofonangst.
„Sprich Worte von euch hier hinein“, sagte der Roboter ermutigend.
„Was für Worte?“ sagte ich. „Irgendwelche Worte?“
Dann Stille. Steen lachte mich aus.
„Meine Name ist Tom Rice“, sagte ich. „Ich bin auf dem Planeten Erde der Sonne Sol geboren. Ich bin zweiundzwanzig Jahre alt.“
Ich zögerte erneut, als brauchte die Maschine eine Weile, um dieses Paket von Bemerkungen zu verdauen, bevor sie das nächste in Empfang nehmen konnte. Das war nicht notwendig, wie ich jetzt weiß.
„Sprich mehr Worte“, gab der Roboter prompt zurück.
„Die Sprache, die ich benutze“, sagte ich, „heißt Anglik, und sie ist die wichtigste Sprache auf der Erde. Bei der Sprache, die von der letzten Stimme benutzt wurde, handelt es sich um Calamorianisch. Das ist die Sprache einer anderen Welt in einem anderen Sonnensystem.“
Während ich dies sagte, beobachtete ich, wie Kolonnen von Erhabenen-Hieroglyphen über die Oberfläche des Inschriftknotens glitten. Das Gerät verwandelte meine Worte in die Schriftzeichen einer uralten Sprache. Wie hilfreich das in Hinsicht auf eine Verständigung sein mochte, war schwer zu sagen. Wenn ich Dihn ruuu mirt korp schreibe, dann verwandele ich damit die Worte des Roboters in unsere Art von Schriftzeichen, aber ich bin dem Verständnis dessen, was diese Laute bedeuten, nicht einen Schritt näher.
Ich muß dem Roboter dennoch eine Hilfe gewesen sein. Denn seine Sprechweise machte einen von Minute zu Minute zunehmenden Wortschatz deutlich.
„Nenne den Namen des anderen“, sagte er.
„Er/sie ist Steen Steen von Calamor. Wir sind hierhergekommen, um nach Informationen über die Erbauer dieser Gruft zu suchen.“
„Nenne die Namen von Dingen.“
Ich deutete auf bestimmte Gegenstände und benannte die Gruft, die Tür, die Fähre, den Himmel und alles andere, auf das ich deuten konnte. Ich wählte meine Worte vorsichtig aus, als ich der Maschine die Tatsache erklärte, daß wir um die gewaltige Zeitspanne wußten, die seit der Konstruktion der Gruft verstrichen war. Ich versuchte, ihr deutlich zu machen, daß wir Archäologen sind, die viele Überbleibsel der Erhabenen ausgegraben hatten, daß aber noch nie irgendein Angehöriger der heute existierenden Völker auf einen lebenden Erhabenen gestoßen ist, und so weiter.
Mit großem Interesse beobachtete der Roboter die wechselnden Hieroglyphen auf dem Inschriftsknoten, doch er beschränkte seine Bemerkungen auf kurze und knappe Anordnungen weiterzusprechen. Die Übersetzungsmaschine hatte inzwischen einen ganzen Batzen Daten aufgenommen. Und es war mir inzwischen in den Sinn gekommen, daß wir die anderen ebenfalls an dem teilhaben lassen sollten, was hier geschah, und deshalb forderte ich Steen auf: „Schalte auf die Frequenz der Fähre und ruf Dr. Horkkk hierher.“
„Während du den Roboter mit ekelhaften Lügen fütterst?“ gab Steen zurück. „Ruf du ihn doch!“
Ich widerstand der Versuchung, Steen in die Rippen zu boxen — sofern er/sie Rippen hat —, wechselte rasch die Frequenz, rief die anderen aus der Fähre herbei und schaltete dann auf den Vokalausgang zurück. Der Roboter wollte mehr Worte… immer mehr… und noch viel mehr. Er saugte sie regelrecht auf.
Dann erschienen Dr. Horkkk und Pilazinool, und die anderen folgten ihnen dichtauf. Ich erklärte die Situation. Dr. Horkkks Gesicht begann aufgeregt zu glühen. „Sprechen Sie weiter“, sagte er.
Ich sprach weiter.
Ich redete mich heiser, und dann kam Jan an die Reihe und nach ihr Saul Shahmoon. Es spielte keine große Rolle, was wir sagten: Im wesentlichen stopften wir damit nur einen äußerst leistungsfähigen Computer mit Daten voll, und dieser Computer kümmerte sich ganz allein darum, unsere Worte zu sortieren und aus ihnen schlau zu werden. Dr. Horkkk schien vor Verblüffung zu beben — und vielleicht war er auch ein wenig bestürzt, denn eine solche Mach-Sinn-aus-Geräuschen-Maschine stellte genau das dar, was er während seiner ganzen Laufbahn ohne Erfolg zu entwickeln versucht hatte.
Nach einer guten Stunde war der Roboter zufriedengestellt.
„Keine weiteren Worte“, sagte er. „Der Rest wird sich von allein ergeben.“
Übersetzung: Die Maschine war nun mit einem ausreichenden Vorrat an Worten in Anglik versehen. Sie würde sie ordnen, sie dem Roboter zugänglich machen und den Wortschatz durch Interpretation des Sinnzusammenhangs weiterer Gespräche ausdehnen.
Etwa fünf Minuten lang schwieg der Roboter, während er auf seinem Inschriftsknoten Ebbe und Flut der Hieroglyphen betrachtete. Wir wagten es nicht, einen Ton von uns zu geben.
Dann sagte er in fließendem Anglik: „Jetzt werde ich mich Ihnen vorstellen.“ Er ahmte genau meinen Akzent, meine Sprechweise und selbst meinen Tonfall nach. „Sie können mich Dihn Ruuu nennen. Ich bin eine Maschine, die dazu konstruiert wurde, den Mirt Korp Ahm zu dienen, die Sie unter der Bezeichnung,Erhabene’ kennen. Mein Name bedeutet Maschine, um zu dienen’. Meine Bestimmung ist es, in Bereitschaft zu bleiben, so daß ich den Mirt Korp Ahm dienen kann, wenn sie zu diesem Sonnensystem zurückkehren.“
Erneut schloß sich langes Schweigen an. Dihn Ruuu schien auf Fragen zu warten.
„Wie lange ist es her“, sagte Pilazinool, „seit die Mirt Korp Ahm hier gewesen sind?“
„Wie kann ich die Zeit bestimmen?“ fragte der Roboter.
„Das ist tatsächlich ein Problem“, murmelte Pilazinool. „Wir haben unsere Maßeinheiten nicht definiert.“
Dr. Horkkk schaltete sich nun ein, und ich muß sagen, er löste dieses Problem auf brillante Art und Weise. „Unsere grundlegende Zeiteinheit ist die Sekunde“, sagte er. „Das Geräusch, das du gleich hören wirst, ist genau eine Sekunde lang.“ Er funkte einen Befehl an den Fährencomputer, der sich hilfsbereit zeigte und einen eine Sekunde langen Ton erzeugte. Dann erklärte Dr. Horkkk, wie die Erdnorm-Zeiteinheiten aufgebaut sind, sechzig Sekunden für eine Minute, sechzig Minuten für eine Stunde und so weiter, bis hin zum Jahr. Der Roboter — als die höfliche Maschine, die er ist — sah davon ab, sarkastische Kommentare über dieses ungenaue und willkürliche System abzugeben, das wir allen anderen Völkern aufgezwungen haben, zumindest ihren Beziehungen zu uns. (Warum sechzig Sekunden für eine Minute? Warum vierundzwanzig Stunden für einen Tag? Warum kein vernünftiges System, das auf Zehnereinheiten basiert oder auf Logarithmen oder auf anderen regelmäßigen Faktoren? Frag die Babylonier. Ich glaube, sie haben es erfunden.)
Als der Roboter unser Zeitsystem verstanden hatte, ging Dr. Horkkk zu unseren Längenmaßen über, skizzierte eine genau einen Zentimeter lange Linie auf dem Boden der Gruft, zeichnete eine Ein-Meter-Linie daneben und wies den Roboter schließlich darauf hin, einen Kilometer als tausend Meter zu verstehen. Dr. Horkkk schloß seinen Vortrag dadurch ab, indem er die Orbitalgeschwindigkeit dieses Asteroiden im Sinne von Kilometern pro Stunde festlegte. Der Roboter trat aus der Gruft heraus, betrachtete den Himmel etwa eine halbe Minute lang und nahm dabei offenbar Parallaxen-Messungen vor, um auf diese Weise selbst festzustellen, mit welcher Geschwindigkeit sich der Asteroid durch das Sonnensystem bewegte. Welch phantastischer Computer sich auch in diesem phantastischen Schädel verbergen mag — er konnte die Orbitalgeschwindigkeit des Asteroiden in bezug auf Zeit- und Entfernungsmaße der Erhabenen in kürzester Zeit berechnen und mit diesen Daten eine Korrelation zu den Erdnorm-Werten entwickeln.
„Zur Bestätigung“, sagte der Roboter. „Die Orbitalperiode dieses Asteroiden beträgt ein Jahr, sechs Monate, fünf Tage, drei Stunden, zwei Minuten und einundvierzig Sekunden.“
„Genau richtig“, sagte Captain Ludwig.
„In Ordnung“, sagte Dr. Horkkk schnell, als sei es ganz und gar nicht verwunderlich, daß diese fremdartige Maschine so schnell lernen und Orbitalperioden allein durch einen kurzen Blick zum Himmel berechnen konnte. „Jetzt können wir weitermachen. Kannst du uns in unseren Begriffen eine Schätzung der Zeit geben, die seit dem allerletzten Besuch der Mirt Korp Ahm auf diesem Asteroiden vergangen ist?“
Der Roboter blickte erneut zum Himmel empor: Offenbar betrachtete er diesmal die Sterne und maß die Konstellationsveränderungen, zu denen es seit seinem letzten Blick auf die außerhalb seiner Gruft liegende Welt gekommen ist.
Kurz darauf antwortete er: „941285 008 Jahre, zwei Monate, zwölf Tage…“
Es war wie ein heftiger elektrischer Schlag, diese ruhigen Worte zu hören. Mit übermenschlicher Genauigkeit bestätigte der Roboter die Berechnungen des Luna City Observatoriums. Ich weiß nicht, wie viele Computer Luna City mit dieser Aufgabe auslastete oder wie lange sie damit beschäftigt waren, aber sie haben ganz bestimmt keine sofortige und unmittelbare Antwort ausgespuckt, so wie sie uns Dihn Ruuu gerade gegeben hatte. So etwas kann den Stolz auf die menschlichen Errungenschaften ganz schön erschüttern.
Wie weit die Erhabenen uns doch überlegen gewesen sein mußten, wenn sie einen Roboter hatten konstruieren können, der in einer Höhle geduldig 941 Millionen Jahre wartete und noch immer in erstklassigem und funktionsfähigem Zustand war, als ihn Besucher fanden. Und der solche Berechnungen einfach aus dem Ärmel schütteln konnte! Meine Güte!
„Wann hattest du zum letztenmal Kontakt zu den Mirt Korp Ahm?“ fragte Pilazinool.
„Vor 941285 008 Jahren, zwei Monaten, zwölf Tagen…“
„Also nie mehr, seit du in der Gruft eingeschlossen wurdest?“
„Richtig. Es ist meine Bestimmung, auf ihre Rückkehr zu warten.“
„Sie werden nicht zurückkehren“, sagte Pilazinool. „Sie sind seit Millionen von Jahren nicht mehr in der Galaxis aufgetaucht.“
„Das widerspricht aller Wahrscheinlichkeit“, gab Dihn Ruuu gelassen zurück. „Ihre Existenz ist von permanenter Dauer. Deshalb müssen sie auch weiterhin beträchtliche Teile dieser Galaxis bewohnen. Und deshalb werden sie eines Tages hierher zurückkehren. Ich muß auf sie warten.“
Dr. Schein schaltete sich ein. „Verstehst du, was ich meine, wenn ich von der Heimatwelt der Mirt Korp Ahm spreche?“
„Die Welt, die von maßgebender Bedeutung für ihre Entwicklungsgeschichte ist.“
„Das stimmt, ja.“ Ungeduldig beugte sich Dr. Schein vor. „Wir haben versucht, diesen Planeten ausfindig zu machen, doch ohne Erfolg. Kannst du uns Informationen darüber geben? Etwa: Liegt sie in diesem galaktischen Sektor?“
„Ja“, sagte der Roboter.
Dr. Schein sah sehr unglücklich aus. Er war ein Anhänger der Theorie, die behauptete, die Erhabenen kämen von einer anderen Galaxis. Dr. Horkkk hüpfte triumphierend herum. Er hatte zu den ersten gehört, die der Auffassung gewesen waren, die Erhabenen hätten sich gleich nebenan entwickelt.
Obwohl auf diese Weise aus dem Gleichgewicht gebracht, fuhr Dr. Schein fort: „Ist jener Stern, bei dem es sich um die Sonne der Heimatwelt der Mirt Korp Ahm handelt, von diesem Ort aus sichtbar?“
„Ja“, sagte der Roboter.
„Ich meine, ist er noch immer sichtbar, nach all der Zeit, die verstrichen ist, seit du hier zurückgelassen wurdest?“
„Ja“, sagte der Roboter.
„Würdest du sie uns zeigen?“ fragte Dr. Schein.
Ich stellte fest, daß ich vor Aufregung zitterte. Die anderen waren ähnlich gespannt. Dieses sonderbare und traumartige Frage- und Antwortspiel mit einer äonenalten Maschine hatte plötzlich etwas von unglaublicher Bedeutung berührt. Hitzige wissenschaftliche Kontroversen gehörten der Vergangenheit an. Diese Maschine würde uns alles sagen. Wir mußten sie nur fragen! Und nun schickte sie sich an, uns die fundamentale Antwort auf all unsere Fragen zu geben — die Frage nach der Position der Heimatwelt der Erhabenen.
Erneut schritt der Roboter aus der Gruft hinaus, um den Himmel besser betrachten zu können. Er blickte auf.
Eine Minute verging. Zwei Minuten. Drei.
Zweifellos verglich er seine gespeicherten Erinnerungsbilder der Sternkonstellationen vor einer Milliarde Jahren mit dem, was er nun sah — und bestimmt nahm er die nötigen Anpassungen vor, durch die er in die Lage versetzt wurde, die heutige, aufgrund der Eigenbewegung der Sonne der Erhabenen veränderte Position ausfindig zu machen.
Doch irgend etwas war nicht in Ordnung. Der Roboter schien wie erstarrt. Er suchte den Himmel ab, verharrte, suchte den Himmel erneut ab.
„Vielleicht ist eine einprogrammierte Sperre wirksam geworden“, vermutete Dr. Horkkk, „die verhindert, daß er uns die Position der Heimatwelt preisgibt.“
Der Roboter stolperte in die Gruft zurück. Ja, stolperte. Diese makellose Maschine bewegte sich in dem taumelnden und schwankenden Gang von jemandem, der gerade erfahren hatte, daß er von einem plötzlichen Börsenkrach ruiniert worden war; er wankte wie jemand, der gerade erfahren hatte, daß sieben Generationen seiner Familie in einem verunglückten Sonnengleiter umgekommen sind.
„Der Stern ist nicht da“, sagte der Roboter in einem gräßlichen Tonfall.
„Du kannst ihn nicht finden?“ fragte Dr. Schein. „Er ist von diesem Raumsektor aus nicht sichtbar?“
„Er sollte sichtbar sein“, erklärte der Roboter. „Ich habe seine Position genau berechnet, und ich habe jeden Fehler ausgeschlossen. Aber der Stern ist vom Himmel verschwunden. Ich betrachte die Stelle, von der ich weiß, daß er sich dort befinden muß, aber ich sehe nur Schwärze. Ich stelle überhaupt keine Strahlungsemissionen fest. Der Stern ist verschwunden. Der Stern ist verschwunden.“
„Wie kann ein Stern verschwinden?“ flüsterte Jan.
„Vielleicht wurde er zur Supernova“, vermutete Saul, „und explodierte vor fünfhundert Millionen Jahren… der Roboter hätte keine Möglichkeit gehabt, das zu bemerken…“
„Der Stern ist verschwunden“, sagte der Roboter erneut. Die Farben seines Sichtbandes trübten sich infolge des tiefen Schocks und der Verblüffung. Dieses perfekte elektronische Gehirn mit seinem totalen Zugriff auf alle Daten war auf einen schrecklichen und betäubenden Widerspruch in seiner Welt gestoßen — im bedeutendsten Teil seiner Welt noch dazu.
Wir wußten nicht recht, was wir sagen sollten. Wie kann man einen Roboter trösten angesichts des Verschwindens der Heimatsonne seiner Schöpfer?
Nach einer langen Pause sagte Dihn Ruuu: „Es besteht kein Anlaß mehr für mich, hier noch länger zu warten. Der Stern ist verschwunden. Was ist aus den Mirt Korp Ahm geworden? Die Mirt Korp Ahm werden niemals an diesen Ort zurückkehren. Der Stern ist verschwunden. Der Stern ist verschwunden. Es entzieht sich vollkommen meinem Verständnis, aber der Stern ist verschwunden.“